Einleitung
[…] sie [die Innervationsempfindungen] mögen gegenwärtig zumeist so weit abgeschwächt sein, daß ihr sprachlicher Ausdruck uns als bildliche Übertragung erscheint, allein, sehr wahrscheinlich war das alles einmal wörtlich gemeint, und die Hysterie tut recht daran, wenn sie für die stärkeren Innervationen den ursprünglichen Wortsinn wiederherstellt.
Im Folgenden werde ich mich damit beschäftigen, wie „ein uneigentlicher sprachlicher Ausdruck, das eigentlich gemeinte Wort, durch ein anderes, das eine sachliche oder gedankliche Ähnlichkeit oder dieselbe Bildstruktur aufweist, ersetzt wird“. Es geht also um die Metapher als Übertragungsfigur. Man spricht auch von dem Begriff „Sprungtropus“, da sie von einem Vorstellungsbereich in den anderen zu springen weiß. Ich werde darstellen, wie die Metapher des Unbewussten in der Hysterie, auf die ich mich konzentrieren möchte, ihren bildlichen Ausdruck im Symptom findet. Hierbei muss ich nach der Entstehung der Hysterie fragen und nach ihren intrapsychischen Instanzen, die für die Schaffung eines Symptoms zur Verantwortung zu ziehen sind, also nach ihrer psychischen Ätiologie. Das Symptom nimmt dabei die Funktion der Metapher ein. Das Ich und sein Organisationstalent, nämlich seine Fähigkeit mit der eigenen Innenwelt und der sozialen Außenwelt zu kooperieren, also sein friedlicher Charakter, werden im Zentrum des Symptomverständnisses stehen.
Breuers Patientin Anna O. soll als paradigmatische Studie dienen, auch wenn der Erfolg ihrer Behandlung unumstritten fehlgeschlagen ist. Die Studien über Hysterie, in denen auch die Behandlung der Anna O. beschrieben ist, sind aber ein trotz allem spannendes Zeugnis der „spontanen, intuitiven Beobachtungen und Überlegungen Freuds“ und Breuers.
Und die aufgeführten Fälle haben trotzdem paradigmatischen Charakter für die hysterische Arbeitweise, also den Vorgang der Symptombildung.
Zuletzt werde ich mich dann noch mit der sensiblen Persönlichkeit des Künstlers befassen und darlegen, inwiefern dieser besonders vulnerabel ist und wieso Anna. O. eine kleine, private Künstlerin ist.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Hysterie (oder die histrionische Persönlichkeitsstörung)
1.1. Psychische Ätiologie
1.2. Die Rolle des Ichs als Organisator von Es und Über-Ich
1.3. Das Ich als Metapherngenerator
1.4. Das Symptom als physischer Ausdruck der unbewussten Metapher
2. Das Fräulein Anna O.
3. Sensibilität – Vulnerabilität
3.1. Der sensible Künstler
3.2. Dispositionen
4. Zusammenfassung
Literaturangaben
Einleitung
[…] sie [die Innervationsempfindungen] mögen gegenwärtig zumeist so weit abgeschwächt sein, daß ihr sprachlicher Ausdruck uns als bildliche Übertragung erscheint, allein, sehr wahrscheinlich war das alles einmal wörtlich gemeint, und die Hysterie tut recht daran, wenn sie für die stärkeren Innervationen den ursprünglichen Wortsinn wiederherstellt.[1]
Im Folgenden werde ich mich damit beschäftigen, wie „ein uneigentlicher sprachlicher Ausdruck, das eigentlich gemeinte Wort, durch ein anderes, das eine sachliche oder gedankliche Ähnlichkeit oder dieselbe Bildstruktur aufweist, ersetzt wird“.[2] Es geht also um die Metapher als Übertragungsfigur. Man spricht auch von dem Begriff „Sprungtropus“, da sie von einem Vorstellungsbereich in den anderen zu springen weiß.[3] Ich werde darstellen, wie die Metapher des Unbewussten in der Hysterie, auf die ich mich konzentrieren möchte, ihren bildlichen Ausdruck im Symptom findet. Hierbei muss ich nach der Entstehung der Hysterie fragen und nach ihren intrapsychischen Instanzen, die für die Schaffung eines Symptoms zur Verantwortung zu ziehen sind, also nach ihrer psychischen Ätiologie. Das Symptom nimmt dabei die Funktion der Metapher ein. Das Ich und sein Organisationstalent, nämlich seine Fähigkeit mit der eigenen Innenwelt und der sozialen Außenwelt zu kooperieren, also sein friedlicher Charakter[4], werden im Zentrum des Symptomverständnisses stehen.
Breuers Patientin Anna O. soll als paradigmatische Studie dienen, auch wenn der Erfolg ihrer Behandlung unumstritten fehlgeschlagen ist.[5] Die Studien über Hysterie, in denen auch die Behandlung der Anna O. beschrieben ist, sind aber ein trotz allem spannendes Zeugnis der „spontanen, intuitiven Beobachtungen und Überlegungen Freuds“[6] und Breuers. Obwohl, wie Stavros Mentzos in der Einleitung zu den Studien über Hysterie schreibt,
[…] die aber, vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, diagnostisch zum großen Teil eugentlich keine Hysterien gewesen seien, sondern vielfach ganz anderen nosologischen Etikettierungen und Kategorien zugeordnet werden müssten. Sie waren also oft keine Psychoneurosen, sondern Depressionen und Borderline-Zustände oder gar Psychosen.[7]
haben die aufgeführten Fälle trotzdem paradigmatischen Charakter für die hysterische Arbeitweise, also den Vorgang der Symptombildung.[8]
Zuletzt werde ich mich dann noch mit der sensiblen Persönlichkeit des Künstlers befassen und darlegen, inwiefern dieser besonders vulnerabel ist und wieso Anna. O. eine kleine, private Künstlerin ist.
1. Hysterie (oder die histrionische Persönlichkeitsstörung)
1.1. Psychische Ätiologie
Die Hysterie, heute als histrionische Persönlichkeitsstörung bekannt, ist eine Art der Psychoneurose. Die Hysterie arbeitet mit der Symptombildung zur Angstbindung, deswegen spricht man auch von Konversionshysterie, da psychische Prozesse symbolisch in den Körper verlagert (konvertiert) werden. Genau dieser Vorgang ist gemeint, wenn ich von Metaphorik spreche, das Resultat, das Symptom ist die gebildete Metapher.
Freud (und Breuer) unterscheiden zwei Typen der Hysterie, die sich aus der Situation ihres Entstehungstraumas ergeben: die Hypnoidhysterie und die Abwehrhysterie.
In den Studien über Hysterie (S. 34f) tauchen diese Begrifflichkeiten zwar noch nicht auf, aber später wird Freud diese Nomenklatur einführen.[9]
Beiden Typen liegt ein intrapsychischer Konflikt zu Grunde, also ein seelischer, unverarbeiteter Vorgang, der durch einen starken Affekt, wie Scham, Angst oder ähnliches ausgelöst, aber nicht abreagiert, bzw. verarbeitet wurde. Dies geschieht entweder, weil die Situation es unmöglich macht, da der/die Betroffene sich in einem hypnoiden (vgl. Hypnoidhysterie), also hypnoseähnlichen Zustand der Angst, Lähmung o.ä. befindet (vgl. weiter unten den Fall der Anna O.), oder weil es sich vielleicht um eine Situation „inzestuöser passiver Verführung“ handelt, wie Freud es nennen würde, heute häufig wieder eher als reale Missbrauchserfahrung erkannt, die das Aussprechen des Vorkommnisses unmöglich macht, da dies ein Tabu darstellt. Das Erlebte wird verdrängt und im Unbewussten abgespeichert. Das Unbewusste wird von nun an zur Sammelstelle für Verdrängtes, bis es eines Tages, durch Auslöser in der Gegenwart, wie z.B. die Intimität einer Paarbeziehung, an die Oberfläche gerät. Die Angst, oder Scham, die dabei ausgelöst werden, müssen dann im hysterischen Symptom gebunden werden und finden so eine neue Art, zwar im Bewusstsein, aber doch verkleidet, zu wirken.
Bei der Abwehrhysterie kann Ursache und Folge durchaus dasselbe sein, nur dass der intrapsychische Konflikt vergessen werden soll. Es wird also bewusst ins Unbewusste verschoben, verdrängt, bis man vergessen hat, dass man einmal etwas vergessen wollte.[10] Drängt das Vergessene, Verdrängte nun an die Oberfläche, also ins Bewusstsein, wird es auch hier in einem Symptom zur Angstbindung ausagiert, allerdings immer noch vergessen, unbewusst; dies gilt auch für die Hypnoidhysterie. Die Aufgabe der Analyse besteht darin, die Erinnerung wieder zu beleben und den einst aufgestauten Affekt abzureagieren oder, moderner ausgedrückt, aufzuarbeiten.
Über die Gestalt der traumatischen Erinnerung hat Freud intensiv nachgedacht und seine Theorien zum Teil wieder verworfen. So führt er zu Beginn der Auseinandersetzung zu diesem Thema das Trauma auf eine frühe Erfahrung passiver Verführung (s.o.) zurück, was er 1897 bereits wieder revidiert. Stattdessen stellt Freud fest, dass die psychische Realität der Erinnerung nicht zwangsläufig der eigentlichen Realität angehört, aber dennoch ausschlaggebend sein kann. Dies besagt, dass nicht immer zwischen Fiktion und Realem unterschieden werden kann und da in den behandelten Fällen oftmals Beweismaterial für die historische Wahrheit, also für die Richtigkeit der entstehenden Anschuldigungen bspw. auf Vergewaltigung fehlten, schloss Freud auf die ausschlaggebende Kraft der psychischen Realität, die dementsprechend nicht spezifisch, sondern möglich ist. Von dort aus fragt er sich natürlich nach ihrer Entstehung und kommt zu dem Schluss, dass der Ödipuskomplex erste Ursache jeder Neurose sei. Es würde sich dann also nicht mehr um ein reales Trauma handeln, sondern um einen intrapsychischen Konflikt, wobei Freud diesen oft meist weiterhin als Trauma bezeichnet. Dabei unterscheidet er zwischen den, sagen wir, metaphorischen Arbeitsweisen der Neurosen. So heißt es, der Hysterie liege die Verlustangst der Libido zugrunde, der (Tier-)Phobie die Verschiebung der Kastrationsdrohung vom Vater auf ein Tier, während in der Zwangsneurose das Über-Ich die Rolle des strafenden Vaters übernimmt.[11]
[...]
[1] Josef Breuer und Sigmund Freud, Studien über Hysterie (1895), Frankfurt am Main, 1991, S. 201f.
[2] Metzler Literatur Lexikon, hg. von Günther und Irmgard Schweikle, Stuttgart, 1990, S. 301.
[3] Vgl. ebd.
[4] Vgl. Sigmund Freud, Hemmung, Symptom und Angst (1926), München, 1978, S. 14-17.
[5] Vgl. Mikkel Borch- Jacobsen, Anna O. zum Gedächtnis. Eine hundertjährige Irreführung, München, 1997.
[6] Stavros Mentzos, „Einleitung", in: Josef Breuer und Sigmund Freud, Studien über Hysterie. Hg. von Stavros Mentzos, Frankfurt a. M. 1991, S. 15.
[7] Ebd., S. 9.
[8] Vgl. ebd.
[9] Vgl. z.B.: Sigmund Freud, Hemmung, Symptom und Angst, a.a.O.
[10] Vgl. Mikkel Borch-Jacobsen, Anna O. zum Gedächtnis, Eine hundertjährige Irreführung, a.a.O., S. 126.
[11] Vgl. Sigmund Freud, Hemmung Symptom und Angst, a.a.O., S. 56.
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