In eine Zeit, in der der Deutsche Presserat ein wenig mehr ans Licht der Öffentlichkeit tritt, als er es sonst zu tun scheint, fällt auch eine seiner wohl herbsten Niederlagen. Im vergangenen Jahr feierte das Selbstkontrollgremium sein 50-jähriges Bestehen1, begleitet von Glückwünschen verschiedenster Seiten, Medien, Justiz, Politik. Überflüssig ist der Rat noch lange nicht; die Frage, ob sich ethisches Handeln nicht längst im Bewusstsein der Journalisten und Verleger verankert hat, lässt sich mit einem Blick auf deren tagtägliche Arbeit schnell verneinen. Nun muss der Presserat dennoch um seine Position bangen – und zwar aus ganz anderen Gründen, für ihn weitaus weniger wünschenswerten. Im Juni 2007 entschied das Landgericht Frankfurt am Main, dass das Gremium eine Rüge gegen die Zeitschrift Öko-Test nicht weiter verbreiten darf. Grund der Maßnahme war ein Test im „Öko-Test-Jahrbuch Kleinkinder“ gewesen, dem der Presserat eine mangelhafte journalistische Sorgfaltspflicht attestierte. Zu Unrecht, wie die Richter nun urteilten.2
Der Presserat hatte sich mit dem betroffenen Verlag schon einmal vor Gericht getroffen, um eine Maßnahme zu diskutieren3. Damals bekräftigte das Oberlandesgericht Köln noch, die Klage von Öko-Test gegen eine Missbilligung sei schon deshalb unbegründet gewesen, weil es sich bei den Bewertungen des Beschwerdeausschusses offensichtlich und inhaltlich um eine Meinungsäußerung handele. Diesmal folgte das Landgericht Frankfurt nicht der Ansicht des Presserats, der seine presseethischen Bewertungen selbst als nicht justiziabel bezeichnete. Als vereinsinterne Entscheidungen seien diese auch nicht durch ordentliche Gerichte überprüfbar. 4 Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Presserats, sagte, das Gericht habe die Rüge wohl als Tatsachenbehauptung gesehen und in Folge dessen strenge presserechtliche Maßstäbe angelegt.5 Der Rat legte Rechtsmittel ein – handelte es sich doch um das erste Urteil gegen ihn seit fast 50 Jahren. Wie das Gremium in Zukunft bewertet und handlungsfähig sein wird, dürfte nicht zuletzt von einer endgültigen Entscheidung in diesem Fall abhängen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung: Der Presserat zwischen Lob und Tadel
2 Notwendigkeit einer Selbstkontrolle
3 Wichtige Meilensteine von der Gründung bis heute
4 Aufgaben, Ziele und Organisation des Presserats
5 Der Pressekodex
6 Beschwerdeverfahren und Sanktionen
7 Statistik der Beschwerden und Maßnahmen
8 Fallbeispiele aus der Praxis
9 Kritik und Verbesserungsvorschläge
10 Fazit: Nötig, aber verbesserungswürdig
11 Literaturverzeichnis
1 Einleitung: Der Presserat zwischen Lob und Tadel
In eine Zeit, in der der Deutsche Presserat ein wenig mehr ans Licht der Öffentlichkeit tritt, als er es sonst zu tun scheint, fällt auch eine seiner wohl herbsten Niederlagen. Im vergangenen Jahr feierte das Selbstkontrollgremium sein 50-jähriges Bestehen[1], begleitet von Glückwünschen verschiedenster Seiten, Medien, Justiz, Politik. Überflüssig ist der Rat noch lange nicht; die Frage, ob sich ethisches Handeln nicht längst im Bewusstsein der Journalisten und Verleger verankert hat, lässt sich mit einem Blick auf deren tagtägliche Arbeit schnell verneinen. Nun muss der Presserat dennoch um seine Position bangen – und zwar aus ganz anderen Gründen, für ihn weitaus weniger wünschenswerten. Im Juni 2007 entschied das Landgericht Frankfurt am Main, dass das Gremium eine Rüge gegen die Zeitschrift Öko-Test nicht weiter verbreiten darf. Grund der Maßnahme war ein Test im „Öko-Test-Jahrbuch Kleinkinder“ gewesen, dem der Presserat eine mangelhafte journalistische Sorgfaltspflicht attestierte. Zu Unrecht, wie die Richter nun urteilten.[2]
Der Presserat hatte sich mit dem betroffenen Verlag schon einmal vor Gericht getroffen, um eine Maßnahme zu diskutieren[3]. Damals bekräftigte das Oberlandesgericht Köln noch, die Klage von Öko-Test gegen eine Missbilligung sei schon deshalb unbegründet gewesen, weil es sich bei den Bewertungen des Beschwerdeausschusses offensichtlich und inhaltlich um eine Meinungsäußerung handele. Diesmal folgte das Landgericht Frankfurt nicht der Ansicht des Presserats, der seine presseethischen Bewertungen selbst als nicht justiziabel bezeichnete. Als vereinsinterne Entscheidungen seien diese auch nicht durch ordentliche Gerichte überprüfbar.[4] Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Presserats, sagte, das Gericht habe die Rüge wohl als Tatsachenbehauptung gesehen und in Folge dessen strenge presserechtliche Maßstäbe angelegt.[5] Der Rat legte Rechtsmittel ein – handelte es sich doch um das erste Urteil gegen ihn seit fast 50 Jahren. Wie das Gremium in Zukunft bewertet und handlungsfähig sein wird, dürfte nicht zuletzt von einer endgültigen Entscheidung in diesem Fall abhängen.
Aber auch abseits des Streits mit Öko-Test hat der Presserat derzeit alle Hände voll zu tun. Immer mehr, wie sich in dieser Arbeit zeigen wird. Das Gremium soll nun – soweit es der begrenzte Rahmen erlaubt – möglichst umfassend beschrieben werden. Wie ist der Rat aufgebaut? Was sind seine Ziele, Aufgaben, Wirkungen? Kritik und Verbesserungsvorschläge sollen die Arbeit vervollständigen.
2 Notwendigkeit einer Selbstkontrolle
Warum gibt es überhaupt eine Selbstkontrolleinrichtung wie den Deutschen Presserat? Reichen die gesetzlichen Bestimmungen zur Meinungs- und Pressefreiheit sowie deren Einschränkungen nicht aus? Einer der Hintergründe liegt darin, dass die Grundrechte aus Artikel 5 GG alle Medien für sich beanspruchen können, auch jene, die nur unterhalten oder die Sensationslust ihrer Leser befriedigen wollen.[6] Der Gesetzgeber behandelt „gute“ und „schlechte“ Presse gleich, genauso wie er jede Ehe schützt[7], sei es nun eine harmonische oder aber eine voller Streit und Hass. Es wäre mehr als problematisch, wenn sich die Verfassung nur auf seriöse, informative, moralisch handelnde Massenmedien beziehen würde. Solch ein Vorschlag würde die Justiz implizit dazu zwingen, über das Verantwortungsbewusstsein der Presse zu urteilen – und damit de facto zu einer staatlichen Zensurinstanz zu werden.[8]
Nichtsdestotrotz: Zwischen dem rechtlich feststellbaren Missbrauch der Pressefreiheit und der oft schonungslosen, aber rechtlich zulässigen Ausnutzung durch bestimmte Illustrierte und Boulevardblätter liegt ein großer Spielraum. Vieles ist zwar juristisch in Ordnung, geht aber an die Grenzen der Moral.[9] Nun ist es zwar so, dass Journalisten und Verleger Klagen, Schadensersatzansprüche, ein schlechtes Image oder ähnliches riskieren, sollten sie Fehler machen. Dennoch glaubt niemand daran, die Furcht vor einem solchen Nachspiel könnte sie grundsätzlich zu moralischem, richtigem Verhalten erziehen.[10]
Der Presserat sagt in diesem Zusammenhang, das Gesetz allein könne nicht für Anstand sorgen[11]. Hier liegt auch der Grund für das Bestehen dieser Institution – damit sich die Presse nicht vom Staat bevormunden lassen muss, ihre Freiheiten aber dennoch verantwortungsbewusst nutzt. Der Presserat soll freiwillig arbeiten und eine Art „moralisches Gewissen“ darstellen.[12]
3 Wichtige Meilensteine von der Gründung bis heute
Der Krieg war über zehn Jahre vorbei, und mit ihm die rigiden Beschränkungen der journalistischen Arbeit, Zwangsmitgliedschaften in Kammern, strikte Vor- und Nachzensuren. Nachdem die Besatzungsmächte den Deutschen wieder freie Hand beim Erstellen ihrer Zeitungen gelassen hatten, sollte Mitte der 50er Jahre ein Bundespressegesetz eingeführt werden, das unter anderem staatliche Aufsichtsinstanzen für die Presse vorsah. Als Reaktion auf diese Bestrebungen wurde am 22.11.1956 der Deutsche Presserat gegründet. Sein Vorbild: Der British Press Council von 1953.[13]
1958 kam die Selbstkontrollorganisation zum ersten Mal ans große Licht der Öffentlichkeit. Der Presserat konnte erfolgreich die Durchsetzung eines Gesetzesentwurfs abwenden, der von da an als „Lex Soraya“ bezeichnet wurde. Soraya, die geschiedene Frau des Schahs von Persien, war lange Zeit Lieblingsthema der deutschen Boulevardpresse. Nach einer Strafrechtsnovelle sollte man mit Gefängnis bestraft werden, wenn man öffentlich das Privatleben eines ausländischen Staatsoberhaupts in herabwürdigender Weise darstellte – und diese Darstellung geeignet war, die auswärtigen Beziehungen Deutschlands zu stören.[14]
In Folge wandte sich der Presserat immer wieder mit Stellungnahmen und Warnungen zum Schutz der Pressefreiheit an Bevölkerung und Politik, beispielsweise im Rahmen der Spiegel-Affäre, beim Gladbecker Geiseldrama oder dem Tod von Prinzessin Diana. 1973 kam es zu einem großen Meilenstein in der Geschichte des Presserats: Der Kodex und mit ihm die Regeln für einen fairen Journalismus wurden aufgestellt und dem damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann überreicht.[15] Doch die positive Wirkung nach außen und innen hatte nicht lange Bestand.
Anfang der 80er Jahre wurde der Presserat vor eine große Belastungsprobe gestellt. Der Hauptgrund: Viele Rügen, aber nur wenige Abdrucke. Von 1972 bis 1981 waren nicht einmal 20 Prozent der öffentlichen Rügen in den betroffenen Medien wiederzufinden.[16] Als Konsequenz stellte der Presserat seine Arbeit drei Jahre lang ein, bis es 1985 zu einer Art Neubeginn mit neuer Satzung und Neuformierung kam. Die Mehrheit der Verlage stimmte dem Abdruck öffentlicher Rügen in den eigenen Publikationen zu. Durchschnittlich werden nun rund 80% der Rügen tatsächlich veröffentlicht.[17] Seit 2002 gibt es einen Beschwerdeausschuss zum Redaktionsdatenschutz, der in den folgenden Kapiteln noch einmal Erwähnung findet.
4 Aufgaben, Ziele und Organisation des Presserats
Der Presserat hat sich zwei grundsätzliche Ziele gesetzt: Lobbyarbeit für die Pressefreiheit in Deutschland zu leisten sowie Beschwerden aus dem Publikum zu behandeln.[18] Hinter diesen großen, recht allgemein gefassten Aufgaben stehen verschiedenste Einzelziele. So will der Rat für die Pressefreiheit und den unbehinderten Zugang zu Nachrichtenquellen eintreten sowie das Ansehen der deutschen Presse wahren und Missstände beseitigen. Er schreibt die publizistischen Grundsätze und Richtlinien für die redaktionelle Arbeit immer wieder fort und behandelt Beschwerden auf der Grundlage dieses Kodexes. Zudem betreibt er eine Selbstregulierung des Redaktionsdatenschutzes und sieht sich als Ansprechpartner für Leser, Journalisten und Verleger.
Die Organisationsstruktur des Presserats besteht aus einem Trägerverein, dem Plenum, der Geschäftsstelle und drei Beschwerdeausschüssen.[19] Mitglieder im Trägerverein sind die vier deutschen Verleger- und Journalistenorganisationen: Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sowie die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in der Gewerkschaft ver.di. Wichtig für das Verständnis einer Selbstkontrollinstanz wie des Deutschen Presserats ist es, dass die Gremien also aus Menschen bestehen, über deren eigene Produkte geurteilt und eventuell Maßnahmen ausgesprochen werden – ein wohl nicht immer leicht zu lösender Interessenskonflikt zwischen Unterordnung und Konfrontation.
Die Aufgaben der Mitgliederversammlung finden sich vor allem im juristischen, finanziellen und personellen Bereich des Presserats. Für eine Dauer von zwei Jahren entsenden die vier Trägerorganisationen je sieben ehrenamtliche Mitglieder in das 28-köpfige Plenum, das zweimal im Jahr zu einer Sitzung zusammenkommt. Dessen Vorsitzender ist derzeit der Verlagsleiter des Spiegel, Fried von Bismarck. Außerdem finden sich unter anderem Konstantin Neven DuMont, Geschäftsführer des gleichnamigen Verlags, oder Kay Sattelmair vom Axel Springer Verlag unter den Mitgliedern, der unter anderem als ehemaliger stellvertretender Chefredakteur von Bild auch im Presserat des Öfteren über seine eigenen Publikationen zu urteilen hat.[20]
Eine der beiden wichtigsten Hauptaufgaben des Presserats wird von den Beschwerdeausschüssen geleistet. Das Plenum wählt diese Kammern aus seinen Mitgliedern, die dann viermal jährlich tagen. In diesen Sitzungen geht es vor allem darum, Beschwerden zu prüfen und gegebenenfalls Maßnahmen auszusprechen. Zum genauen Ablauf des Beschwerdeverfahrens findet sich ein eigenes Kapitel in dieser Arbeit. Der neue Beschwerdeausschuss Redaktionsdatenschutz hat ähnliche Aufgaben, jedoch eine andere Zusammensetzung: Zu fünf Mitgliedern des Plenums kommt ein Vertreter der Anzeigenblattverlage, des BVDA, hinzu.[21]
Hintergrund für die Gründung des Ausschusses war eine neues Bundesdatenschutz, das der Bundestag 2001 verabschiedet hatte. In ihm wird unter anderem die Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durch die Massenmedien geregelt.[22] Eine strikte Anwendung des Datenschutzgesetzes würde die journalistische Arbeit unmöglich machen: Jedermann könnte immer darüber Auskunft verlangen, was eine Redaktion über ihn weiß. Die Redaktionen haben aus diesem Grund eine Sonderstellung und besondere Freiheiten beim Datenschutz. Damit Persönlichkeitsrechte dennoch nicht ausgehöhlt werden, haben sich die Printmedien einer freiwilligen Selbstkontrolle durch den Presserat unterworfen. Betroffene können überprüfen, ob die Presse mit ihren personenbezogenen Daten korrekt umgegangen ist – und sich dann zum Beispiel beschweren, wenn Geburtsdaten oder Adressen veröffentlicht wurden.[23]
[...]
[1] Vgl. www.50jahrepresserat.de
[2] Vgl. www.urheberrecht.org/news/p/2/i/3056/
[3] Vgl. www.presserat.de
[4] Vgl. www.urheberrecht.org/news/p/2/i/3056/
[5] Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Sieg für Ökotest. 12.6.2007
[6] Vgl. Hermann Meyn: Massenmedien in Deutschland 2004. Konstanz: UVK 2004, S. 57
[7] Vgl. Art. 6 GG
[8] Vgl. Meyn 2004, a.a.O., 57f
[9] Vgl. ebd.
[10] Vgl. Dorothee Bölke: „Das Gesetz allein kann nicht für Anstand sorgen“. Der Presserat an der Schnittstelle von Ethik und Recht. In: Rudolf Gerhardt/Hans-Wolfgang Pfeifer (Hg.): Wer die Medien bewacht. Medienfreiheit und ihre Grenzen im internationalen Vergleich. Beiträge zur Medienethik, Band 5. Frankfurt am Main: GEP Buch 2000, S. 43
[11] Vgl. Deutscher Presserat: Jahrbuch. Konstanz: UVK 1997, S. 16
[12] Vgl. Meyn 2004, a.a.O., S. 58
[13] Vgl. Deutscher Presserat: Jahrbuch. Konstanz: UVK 2006, S. 56
[14] Vgl. Nicole Gottzmann: Möglichkeiten und Grenzen der freiwilligen Selbstkontrolle in der Presse und der Werbung. München: C.H. Beck 2005, S. 55
[15] Vgl. Deutscher Presserat 2006, a.a.O., S. 247
[16] Vgl. Gottzmann 2005, a.a.O., S. 145
[17] Vgl. Deutscher Presserat 2006, a.a.O., S. 59
[18] Vgl. www.presserat.de
[19] Vgl. ebd.
[20] Sattelmair, der seit 1995 beim Presserat ist, war 2002 auch zum dessen Sprecher gewählt worden.
Vgl. http://www.presseportal.de/pm/14918/325902/deutscher_presserat
[21] Vgl. www.presserat.de
[22] Vgl. Meyn 2004, a.a.O., S. 65
[23] Vgl. Deutscher Presserat 2006, a.a.O., S. 77ff
- Quote paper
- Kathrin Löther (Author), 2007, Der Deutsche Presserat, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85636
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