In den letzten Jahren häufen sich Bilanzmanipulationen mit
existenzgefährdenden Folgen für Unternehmen und betroffene
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Fast schon alltäglich erscheinen die
Mitteilungen über Unregelmäßigkeiten im Berichtswesen national und
international tätiger Unternehmen. Nachträgliche Korrekturen veröffentlichter
Finanzinformationen aufgrund wesentlicher Fehler in der Darstellung
finanzieller Ergebnisse, scheinen an der Tagesordnung zu liegen: 845
Unternehmen, also knapp 10% aller in den Vereinigten Staaten gezeichneten
Kapitalgesellschaften gaben zwischen 1997 und 2002 solche sog. Restatements
bekannt. Das Vertrauen der Anleger in den Kapitalmarkt ist erschüttert. Die
Regulierungsbehörden und Gesetzgeber reagieren mit neuen Vorschriften.
Diese Arbeit soll es dem Leser ermöglichen, sich ein Bild über die
tagesaktuelle Problematik der Bilanzskandale zu machen, sich über deren
Schäden und mögliche Ursachen zu informieren und die weitreichenden
Konsequenzen kennenzulernen, kritisch zu hinterfragen und in den
gesamtwirtschaftlichen Kontext einzuordnen, ohne dabei einen Anspruch auf
Vollständigkeit zu erheben.
1.2 Begriffsklärung „Bilanzdelikte“
Beschäftigt man sich mit wirtschaftsdeliktischem Handeln, gelangt man schnell
zu der Erkenntnis, dass weder eine konkrete Definition noch ein einheitlicher
Terminus in der einschlägigen Literatur zu finden ist. Der Begriff des
„Bilanzdeliktes“ wird häufig synonym verwendet für „Wirtschaftskriminalität“
oder „Wirtschaftsdelikt“. Außerdem herrscht Unklarheit darüber, ob bewusstes
1 Ballwieser/Dobler (2003:449f).
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oder unbewusstes Handeln für die Klassifizierung der Verstöße von
maßgeblicher Relevanz ist. Für die folgenden Betrachtungen wirtschaftlicher
Folgen von Bilanzskandalen lege ich die nachstehende Abgrenzung von
Ballwieser und Dobler (2003) zugrunde, die ich als Verdichtung der
geläufigsten Definitionen verstehe:
„Als Bilanzdelikte betrachten wir bewusste oder unbewusste Verstöße gegen
die Regeln der Rechnungslegung im Bereich von Bilanz, GuV oder anderen
obligatorischen Berichtsinstrumenten. Wir beschränken uns nicht auf
regelmäßig zu erstellende Jahresberichte, obwohl diese den Vorteil der
Prüfung aufweisen, sondern erfassen auch Quartalsberichte oder Ad-hoc-
Mitteilungen, soweit letztere die in den Abschlüssen abgebildete Vermögens-,
Finanz- und Ertragslage des Unternehmens erkennbar berühren.“
Gliederung
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Problemstellung
1.2. Begriffsklärung „Bilanzdelikte“
1.3. Beispiele aus der Wirtschaft
1.3.1. Enron
1.3.2. WorldCom
1.3.3. Flowtex
2. Schäden und Ursachen
2.1. Vermögensschäden
2.2. Vertrauensschäden
2.3. Komplexität der Rechnungslegung
2.4. Interessengegensätze
3. Regulative Gegenmaßnahmen und deren Konsequenzen
3.1. Allgemein
3.2. Bereich der Rechnungslegung
3.3. Bereich der Prüfung
3.4. Bereich der Aufsicht
3.5. Verstärkung von Haftung und Sanktionen
3.6. Kritische Würdigung der regulativen Gegenmaßnahmen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
In den letzten Jahren häufen sich Bilanzmanipulationen mit existenzgefährdenden Folgen für Unternehmen und betroffene Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Fast schon alltäglich erscheinen die Mitteilungen über Unregelmäßigkeiten im Berichtswesen national und international tätiger Unternehmen. Nachträgliche Korrekturen veröffentlichter Finanzinformationen aufgrund wesentlicher Fehler in der Darstellung finanzieller Ergebnisse, scheinen an der Tagesordnung zu liegen: 845 Unternehmen, also knapp 10% aller in den Vereinigten Staaten gezeichneten Kapitalgesellschaften gaben zwischen 1997 und 2002 solche sog. Restatements bekannt.1 Das Vertrauen der Anleger in den Kapitalmarkt ist erschüttert. Die Regulierungsbehörden und Gesetzgeber reagieren mit neuen Vorschriften.
Diese Arbeit soll es dem Leser ermöglichen, sich ein Bild über die tagesaktuelle Problematik der Bilanzskandale zu machen, sich über deren Schäden und mögliche Ursachen zu informieren und die weitreichenden Konsequenzen kennenzulernen, kritisch zu hinterfragen und in den gesamtwirtschaftlichen Kontext einzuordnen, ohne dabei einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.
1.2 Begriffsklärung „Bilanzdelikte“
Beschäftigt man sich mit wirtschaftsdeliktischem Handeln, gelangt man schnell zu der Erkenntnis, dass weder eine konkrete Definition noch ein einheitlicher Terminus in der einschlägigen Literatur zu finden ist. Der Begriff des „Bilanzdeliktes“ wird häufig synonym verwendet für „Wirtschaftskriminalität“ oder „Wirtschaftsdelikt“. Außerdem herrscht Unklarheit darüber, ob bewusstes oder unbewusstes Handeln für die Klassifizierung der Verstöße von maßgeblicher Relevanz ist. Für die folgenden Betrachtungen wirtschaftlicher Folgen von Bilanzskandalen lege ich die nachstehende Abgrenzung von Ballwieser und Dobler (2003) zugrunde, die ich als Verdichtung der geläufigsten Definitionen verstehe:
„ Als Bilanzdelikte betrachten wir bewusste oder unbewusste Verst öß e gegen die Regeln der Rechnungslegung im Bereich von Bilanz, GuV oder anderen obligatorischen Berichtsinstrumenten. Wir beschr ä nken uns nicht auf regelm äß ig zu erstellende Jahresberichte, obwohl diese den Vorteil der Pr ü fung aufweisen, sondern erfassen auch Quartalsberichte oder Ad-hoc- Mitteilungen, soweit letztere die in den Abschl ü ssen abgebildete Verm ö gens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens erkennbar ber ü hren. “
1.3 Beispiele aus der Wirtschaft
Die folgenden drei Beispiele aus der internationalen und nationalen Wirtschaft sollen es dem Leser erleichtern einen Bezug zur Problematik der Bilanzskandale herzustellen. Es erfolgt eine komprimierte Darstellung der wirtschaftlichen Situation der Unternehmen sowie eine knappe Erläuterung der verschiedenen Vorgehensweisen der Manipulation. Abschließend werden die wesentlichen Konsequenzen für die betroffenen Gesellschaften und Anleger geschildert. Die weiterreichenden Konsequenzen für regulierende Behörden und Gesetzgeber werden hier vernachlässigt, um im dritten Gliederungspunkt ausführlich diskutiert zu werden.
Enron
Zum Musterbeispiel spektakulärer Bilanzskandale wurde 2001 der amerikanische Energiekonzern Enron. Nach steigenden Gewinnen in 20 aufeinander folgenden Quartalen und einem jährlichen Umsatzwachstum von 52% in den Jahren 1999 bis 2001, fiel der Aktienkurs des Unternehmens in einem Zeitraum von nur sechs Wochen von 85 US-$ auf 68 Cent, nachdem für das dritte Quartal 2001 überraschend ein Verlust in Höhe von 618 Mio. US-$ sowie eine Korrektur der Betriebsergebnisse der letzten vier Jahre um insgesamt 586 Mio. US-$ bekannt gegeben wurde.2
Diesen Ereignissen vorgelagert waren strategische Fehlentscheidungen der Konzernspitze, wie die Expansion in den Telekommunikationssektor oder die Etablierung der Handelsplattform „EnronOnline“, die vom Abwärtssog der New-Economy stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Um trotz ernsthafter Verluste weiterhin mit hohen Wachstumsraten glänzen zu können, expandierte Enron geographisch und durch die Erschließung neuer Produktmärkte. Problematischerweise deckten die Cash flows dieser weitestgehend fremdfinanzierten Investitionen nicht die hohen Finanzierungskosten ab.
Die langjährige Verschleierung der finanziellen Lage Enrons war nur durch eine unzureichende Informationspolitik sowie die Komplexität der Unternehmensstruktur möglich. Die Verflechtung von nahezu 5000 von Enron gegründeten und mit Eigenkapital ausgestatteten Zweckgesellschaften, sog. Special Purpose Entities (SPEs)3, machte es Außenstehenden unmöglich, die Konzernstruktur zu durchschauen. Innerhalb dieses Geflechts gelang es Enron durch Nutzung der Ermessensspielräume der US-GAAP, Verbindlichkeiten zu verbergen sowie nicht existierende Gewinne vorzutäuschen und auf diese Weise hervorragende Betriebsergebnisse zu generieren und somit weiterhin hohe Kredite zu erhalten. Dieses „Kartenhaus“ konnte nur solange bestehen, wie es Enron möglich war seinen Zins- und Tilgungsverpflichtungen nachzukommen. Am 02. Dezember 2001 musste Enron Gläubigerschutz beantragen.
WorldCom
Der Fall des Telekommunikations-Konzerns WorldCom wurde 2002, gemessen an der Bilanzsumme, zum größten Bilanzskandal der amerikanischen Geschichte.4 Nach dem kometenhaften Aufstieg zum führenden Betreiber von Internet-Infrastrukturen und zweitgrößten Anbieter von Fernverbindungen in den USA, durch die Übernahme von mehr als 75 Unternehmen zwischen 1983 und 1998, fiel der Börsenkurs des Konzerns in nur wenigen Wochen von 60 US-$ auf 35 Cent. Der kapitalisierte Börsenwert sank von 150 Mrd. US-$ auf unter 150 Mio. US-$, nachdem Falschbuchungen in Höhe von anfangs 3,85 Mrd. US-$ aufgedeckt wurden und die SEC (Securities and Exchange Commission) im weiteren Verlauf ihrer Ermittlungen gegen WorldCom die unzulässig gebuchten Gewinne auf ca. 9 Mrd. US-$ bezifferte.5
Der aggressive Expansionskurs WorldComs erwies sich zunächst als Erfolgskonzept, doch die vorherrschende Wachstumseuphorie im Telekommunikationssektor begann abzuklingen und hinterließ Verbindlichkeiten in Höhe von über 30 Mio. US-$ sowie die damit verbundene Zinsbelastung. Darüber hinaus erwiesen sich die Annahmen über zu erwartende Gewinne aus den Beteiligungen als unzutreffend, die Preise wurden von der Konkurrenz gedrückt und Firmenkunden, auf die sich das Unternehmen spezialisiert hatte, brachten nicht die geplanten Umsätze. WorldCom hatte Überkapazitäten aufgebaut und die im Zuge der Expansion übernommen Firmen nur mangelhaft integriert. Die Summe dieser Probleme führten zu sinkenden Börsenkursen, die wiederum den Druck durch die Investoren und Gläubiger erhöhten.5
Um den Erwartungen des Kapitalmarktes gerecht zu werden, verschleierte WorldCom die rückläufige Ertragslage. Rückstellungen wurden willkürlich gebildet und aufgelöst, sodass es Außenstehenden unmöglich wurde, die tatsächliche Ertragslage des Unternehmens zu erkennen. Aufwendungen für Zugangs- und Durchleitungsgebühren für die Nutzung fremder Telekommunikations-Infrastrukturen wurden regelwidrig als Investitionen betrachtet und wie Vermögenswerte aktiviert. Dadurch wurden branchentypisch-relevante Kennzahlen erheblich verbessert, was unmittelbar positive Auswirkungen auf Investoren, externe Analysten und Ratingwerte hatte. Verglichen mit dem Enron-Skandal war die Manipulation in diesem Fall wertmäßig mehr als sechsmal so hoch, jedoch bewegte man sich bei WorldCom nicht in gesetzlichen „Grauzonen“, sondern beging schlicht und einfach Bilanzbetrug.6
Am 22. Juli 2002 meldete der Konzern Insolvenz an. Das anschließende Insolvenzverfahren entwickelte sich zum bis dahin größten in der amerikanischen Geschichte. Infolge dessen zahlte WorldCom ein Bußgeld in Höhe von 750 Mio. US-$, benannte sich in MCI um - ein Unternehmen, dass 1998 übernommen wurde - und fand die Gläubiger teilweise mit MCI-Aktien ab. Die Ansprüche der Anteilseigner blieben zunächst unbefriedigt. Der Firmengründer Bernard J. Ebbers wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.6
Flowtex
Als größter Wirtschaftsbetrug der deutschen Nachkriegsgeschichte7 gilt das im Jahr 2000 aufgedeckte Schneeballsystem der Flowtex Technologie GmbH & Co. KG aus dem badischen Ettlingen. Das Tiefbauunternehmen verkaufte fiktive Bohrsysteme an Leasinggesellschaften, die es mit Hilfe von Flowtex- nahen Firmen wieder zurückleaste und ließ den „Kauf“ der Bohranlagen teilweise von Banken refinanzieren. Der Erlös aus dem Verkauf wurde auf
Flowtex-Konten umgeleitet und anschließend zur Zahlung der Leasingraten verwendet. Tatsächlich existierten von den 3411 angegebenen Maschinen nur 281 Stück.8 Der aus den Scheingeschäften resultierende Schaden betrug rund 4 Mrd. DM.
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1 Ballwieser/Dobler (2003:449f).
2 Vgl. Peemöller/Hofmann (2005:29).
3 Vgl. Zimmermann (2004:1515).
4 Vgl. Zimmermann (2004:1515).
5 Vgl. Peemöller/Hofmann (2005:39).
6 Vgl. Peemöller/Hofmann (2005:41f).
7 Vgl. Zimmermann (2004:1516).
8 Vgl. Peemöller/Hofmann (2005:98ff).
- Quote paper
- Christian Schulz (Author), 2006, Auswirkungen der Bilanzskandale auf den Kapitalmarkt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85502
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