Warum soll man sich mit geschlechtsspezifischer Identität beschäftigen? Die Notwendigkeit dieser Fragestellung wird heute darin deutlich, dass im öffentlichen Meinungsbild Geschlechterkategorisierungen unleugbar vorhanden sind und sich allein schon daraus ein ‚Beschäftigungs-Muss’ ergibt. Theoretisch spricht jeder von Gleichberechtigung, praktisch tut man sich mit der Umsetzung aber schwer.
Im Alltag werden die Geschlechterrollen immer wieder thematisiert, in der Werbung zum Beispiel, wenn mit viel Witz und Augenzwinkern mit alten geschlechtsspezifischen Klischees und neuen Freiheiten gespielt wird.
Es ist unter anderem deshalb fast unvermeidbar, sich mit der Thematik zu befassen und sich die Frage zu stellen: „Wo stehe ich als Frau bzw. Mann?“. Doch diese Frage kann nur durch die Analyse der eigenen Entwicklung von Geschlechtsidentität innerhalb einer Gesellschaft beantwortet werden, wobei die Kindheit eine entscheidende Rolle spielt. Aus diesem Grund betrachte ich die Entwicklungsschritte im Kindheitsalter in Verbindung mit geschlechtsspezifischer Sozialisation detailliert, was durch die Beschreibung der Interaktion mit Bezugspersonen im Leben des Kindes vervollständigt wird. Die Grundlage für diese Betrachtung des Erwerbs von Geschlechtsidentität in der Kindheit wird durch die Klärung der Begriffe ‚Geschlecht’ und ‚Geschlechtsidentität’ geschaffen. Die oben schon erwähnte allgegenwärtige Präsenz des Themas ‚Geschlecht’ führt dazu, dass es ausgelaugt erscheint, Geschlechterrollen grundlos hochstilisiert werden und durch diese heillose Überbetonung die Diskussion festgefahren wirkt. Aus dieser Perspektive ist es sinnvoller, die oben gestellte Frage hinsichtlich ihrer Bedeutung zu relativieren, um nicht nur Fakten und Schlagwörter wiederzugeben, sondern Zusammenhänge aufzudecken und Lösungsvorschläge zu entwickeln.
Deswegen gehe ich der Frage nach, wo geschlechtssensible Pädagogik ansetzen und inwieweit auf die einzelnen Entwicklungsstufen beim Erwerb der Geschlechtsidentität in der Kindheit eingegangen werden muss.
Dazu wird die Verbindung zur aktuellen pädagogischen Praxis hergestellt und es werden Ideen für die Umsetzung ‚geschlechtsneutraler Erziehung’ in pädagogischen Institutionen gesammelt. Dabei wird eine Korrespondenz zu den Entwicklungsschritten des Kindes geschaffen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Was ist „Geschlecht“?
- Geschlecht als individuelles Merkmal
- Geschlecht als soziale Kategorie und Stimulusvariable
- Geschlecht als Dimension der Selbstwahrnehmung und Informationsverarbeitung
- Geschlecht als duales Symbolsystem
- Was ist „Geschlechtsidentität“?
- Eine psychologische Definition nach Kohlberg
- Eine entwicklungspsychologische Definition nach Trautner
- Globale Geschlechtsidentität
- Spezifische Geschlechtsidentität
- Der Erwerb von Geschlechtsidentität in der Kindheit
- Die altersspezifischen Entwicklungsstufen
- Das Säuglingsalter – erstes Lebensjahr
- Bis zum zweiten Lebensjahr
- Das Kleinkindalter - zweites und drittes Lebensjahr
- Viertes bis fünftes Lebensjahr
- Vorschulalter – fünftes bis sechstes Lebensjahr
- Grundschulalter - siebtes bis elftes Lebensjahr
- Interaktion mit Bezugspersonen als entscheidender Faktor
- Eltern
- Peer groups
- Geschlechtssensible Pädagogik
- Was ist geschlechtssensible bzw. geschlechtsbewusste Pädagogik?
- Aus- und Fortbildung von ErzieherInnen, PädagogInnen und LehrerInnen
- In einer Kindertageseinrichtung
- Im Kindergarten
- Exkurs: Ein Kindergartenprojekt als präventive Maßnahme gegen sexuellen Missbrauch von Kindern
- In der Grundschule
- Résumée
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Entwicklung von Geschlechtsidentität im Kindheitsalter. Ziel ist es, den Prozess des Erwerbs von Geschlechtsidentität zu beleuchten und die Bedeutung geschlechtssensibler Pädagogik in diesem Kontext zu analysieren.
- Definition und Abgrenzung des Begriffs „Geschlecht“
- Entwicklung von Geschlechtsidentität im Kindheitsalter
- Rolle von Bezugspersonen und Sozialisation im Erwerb von Geschlechtsidentität
- Konzepte und Ansätze geschlechtssensibler Pädagogik
- Praktische Umsetzung geschlechtssensibler Erziehung in pädagogischen Institutionen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Klärung des Begriffs „Geschlecht“, der in unterschiedlichen Perspektiven definiert werden kann: als individuelles Merkmal, als soziale Kategorie und als Dimension der Selbstwahrnehmung. Anschließend wird der Begriff „Geschlechtsidentität“ aus psychologischer und entwicklungspsychologischer Perspektive beleuchtet.
Kapitel 3 widmet sich dem Erwerb von Geschlechtsidentität im Kindheitsalter. Dabei werden verschiedene altersspezifische Entwicklungsstufen von der frühen Kindheit bis zur Grundschule beschrieben. Die Bedeutung der Interaktion mit Bezugspersonen wie Eltern und Peer groups wird ebenfalls hervorgehoben.
Kapitel 4 beleuchtet die Bedeutung geschlechtssensibler Pädagogik und zeigt auf, wie diese in verschiedenen pädagogischen Institutionen umgesetzt werden kann. Dabei werden sowohl die Aus- und Fortbildung von PädagogInnen als auch konkrete Beispiele für geschlechtssensible Ansätze in Kindertagesstätten und Schulen vorgestellt.
Schlüsselwörter
Geschlecht, Geschlechtsidentität, Entwicklung, Kindheitsalter, Sozialisation, Bezugspersonen, Peer groups, geschlechtssensible Pädagogik, Erziehung, Kindergarten, Grundschule.
- Quote paper
- Bettina Abriß (Author), 2006, Der Prozess der Entwicklung von Geschlechtsidentität im Kindheitsalter, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85375