Der Roman und Film Tristana von Benito Pérez Galdós und Luis Buñuel haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Diese Arbeit geht der Frage nach, in welcher Weise die beiden Werke als sich ergänzend betrachtet werden können. Dafür wird zunächst der theoretische Hintergrund von Intermedialität und Literaturverfilmung näher beleuchtet, um anschließend mögliche Sichtweisen des Zusammenspiels von Buch und Film anhand einiger ausgewählter Aspekte darzustellen. Zwar ließe sich, abhängig von der Ebene der Untersuchung, eine Vielzahl von Zusammenhängen herstellen. Hier werden jedoch die Schwerpunkte auf die drei Aspekte ‚Film als Weiterentwicklung des Romans’, ‚Film als Umsetzung des im Roman nur Gedachten’ sowie ‚Film als Transfer der Einzelschicksale auf größere Zusammenhänge’ gelegt.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1: Theoretische Grundlagen
1.1: Intermedialität - Begriffsdefinition und Gegenstand
1.1.1: Intermedialität und Intertextualität
Exkurs: Begriffsdefinition ‚Medium’
1.1.2: Relevante Gegenstandsbereiche intermedialer Forschung
1.1.3: Erkenntnisinteresse im Bereich ‚Medienwechsel’
1.2: Literaturverfilmungen
Exkurs: Werktreue
1.2.1: Begriffsdefinition(en): Literaturverfilmung
1.2.2: Analyse von Literaturverfilmung
2: Tristana – Buch und Film
2.1: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
2.1.1: Ort / Zeit
2.1.2: Personen
2.1.3: Emanzipationsproblematik
2.1.4: Das Ende
2.2: „¿Fidelidad o traición?”
2.3: Buñuels Film – eine Gegendarstellung?
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Es gibt kein Kunstwerk, das nicht seine Fortsetzung oder seinen Ursprung in anderen Künsten hat.[1]
Literaturverfilmungen sind modern – Heute ist fast jeder bekannte Roman auch verfilmt. Im Gegenzug lassen Verfilmungen das Buch meist wieder auf den Ladentischen erscheinen steigern die Auflage oder bringen sogar ganz neue Ausgaben der literarischen Vorgaben mit sich.
Dabei muss es sich bei der Verfilmung nicht immer unbedingt um eine wortgetreue Wiedergabe der Vorlage handeln. Gerade Buñuel schafft keine bloße Abbildung des Gelesenen. Vielmehr analysiert er die verwendete Vorlage, spaltet sie auf und setzt sie neu zusammen, ergänzt sie durch eigene Ideen, Phantasien und Vorstellungen und schafft so eine Komposition mit einer ganz eigenen Aussagekraft, teilweise ganz neuen Interpretationsspielräumen. Damit ist ein direkter Qualitätsvergleich per se ausgeschlossen. Beide Medien, das Buch und der Film, haben ihre besonderen Merkmale, Charaktereigenschaften und Qualitäten. Indem jeder Teil diese anerkennt und einbringt, können zwei individuelle und unterschiedliche Werke entstehen, jedes eigenständig und doch gekoppelt, sodass sie in Kombination womöglich sogar mehr sind, als die Summe ihrer Komponenten.
Der größte Teil der Kritik, die sich mit den beiden Fassungen von Tristana beschäftigt und die dieser Arbeit auch zu Grunde liegt, arbeitet Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Werken Galdós’ und Buñuels heraus. Das Ziel meiner Arbeit soll sein, auf der Basis dieses Vergleichs der Frage nachzugehen, in wie weit und in welcher Weise sich die beiden Werke ergänzen, sodass Buch und Film in den Augen des Rezipienten gemeinsam eine Art Collage bilden, zusammengesetzt aus den Impulsen und Mitteln der unterschiedlichen Medien.
Dazu möchte ich zunächst einige theoretische Grundlagen legen und mich im ersten Kapitel mit dem Begriffsfeld der Intermedialität und dem der Literaturverfilmung befassen.
Der zweite Teil widmet sich dann konkret den beiden Werken von Galdós und Buñuel, sowie entsprechenden Kritiken. Dazu werde ich zunächst einige Aspekte zum Vergleich herausgreifen, bevor unter den Schlagworten von ‚fidelidad y traición’ und ‚Gegendarstellung’ einige Einschätzungen zum Verhältnis von Buch und Film dargestellt und diskutiert werden sollen.
1: Theoretische Grundlagen
1.1: Intermedialität - Begriffsdefinition und Gegenstand
Über die Bedeutung des Begriffes ‚Intermedialität’ herrscht in der Forschung bei Weitem keine Einigkeit. Dennoch – oder gerade deshalb - liegt eine Vielzahl von Büchern und Aufsätzen aus verschiedenen Disziplinen vor, die auf unterschiedliche Art und Weise versuchen, das Forschungsfeld der Intermedialität zu fassen und zu bestimmen. Joachim Paech sieht Intermedialität dementsprechend auf dem Weg, „zu einem Marktplatz für Anschluß suchende geisteswissenschaftliche Disziplinen zu werden, die in die Jahre gekommen sind.“[2]
In der Regel wird Intermedialität als Oberbegriff, zum Teil auch als Synonym für diverse andere Begriffe und Kategorien gebraucht: ‚Multimedialität’, ‚Transmedialität’, ‚Medienwechsel’ und ‚-transfer’, aber auch ‚Verfilmung’ oder ‚Adap(ta)tion’ sind unter anderem in diesem Zusammenhang zu nennen.[3]
1.1.1: Intermedialität und Intertextualität
Insbesondere in der englischsprachigen Forschung findet häufig noch immer keine Differenzierung zwischen Intermedialität und Intertextualität statt.
So finden sich Vertreter, die zum Beispiel für ein Verständnis von Intermedialität als „intertextuality between different media“[4] eintreten, oder solche, die die Notwendigkeit des Intermedialitätsbegriffs gänzlich in Frage stellen, da Intertextualität bereits alle entsprechenden Phänomene abdecke.[5] Nach Wolf empfiehlt sich eine Unterscheidung zwischen Intermedialität und Intertextualität aber allein schon deshalb, „weil ‚Text’ nicht einfach mit ‚Medium’ gleichzusetzen ist.“[6] Nach seiner Definition von ‚Medium’ (siehe Kasten nächste Seite), die auch im Folgenden Grundlage dieser Arbeit sein soll, überschreite Intertextualität lediglich Textgrenzen, jedoch keine Grenzen zwischen Medien (wie Literatur und Film).[7]
Exkurs: Begriffsdefinition ‚Medium’
Für die hier angestrebte Untersuchung des Buches und des Films Tristana ist es sicher sinnvoll, auf eine Definition des Medienbegriffs zurückzugreifen, wie ihn auch Wolf verwendet:
[…] I here propose to use a broad concept of medium: not in the restricted sense ot a technical or institutional channel of communication but as a conventionally distinct means of communication or expression characterized not only by particular channels (or one channel) for the sending and receiving of messages but also by the use of one or more semiotic systems.[8]
‘Medium’ bedeutet also nicht bloß einen „technisch materiell definierten Übertragungskanal von Informationen (wie z.B. Schrift, Druck, Rundfunk, CD usw.), sondern ein konventionell im Sinne eines kognitiven frame of reference als distinktiv angesehenes Kommunikationsdispositiv“[9]
Dieses Verständnis macht es möglich, sowohl die Literatur, als auch den Film, die beide „in erster Linie durch einen spezifischen […] Gebrauch eines semiotischen Systems […bzw.] durch die Kombination mehrerer Zeichen-systeme“[10] gekennzeichnet sind, jeweils als Medium zu begreifen.
1.1.2: Relevante Gegenstandsbereiche intermedialer Forschung
Ganz allgemein gesprochen interessiert sich die Intermedialitätsforschung für „Mediengrenzen überschreitende Phänomene, die mindestens zwei konventionell als distinkt wahrgenommene Medien involvieren.“[11]
Daraus ergeben sich verschiedene Gegenstandsbereiche, die unterschiedlich kategorisiert werden können. Nach Rajewsky lassen sich die drei folgenden Bereiche unterscheiden:
Intermediale Bezüge – Medienwechsel – Medienkombination
Während der erste Bereich ein „Verfahren der Bedeutungskonstitution eines medialen Produkts durch Bezugnahme auf ein Produkt […] eines konventionell als distinkt wahrgenommenen Mediums […, also] z.B. Bezüge eines literarischen Textes auf einen bestimmten Film, ein filmische Genre oder auf den Film qua System“[12] meint, bezeichnet der Medienwechsel die „Transformation eines medienspezifisch fixierten Produkts bzw. Produkt-Substrats in ein anderes […] Medium.“[13] In diese Kategorie fällt also vor allem die Literaturverfilmung bzw. –adaption. Bei beiden Kategorien ist nur ein Medium materiell präsent. Medienkombinationen dagegen sind „Kombinationen mindestens zweier […] Medien, die sämtlich im entstehenden Produkt präsent sind“, als ein Beispiel können Photoromane dienen.[14]
Wolf nimmt eine etwas andere Unterscheidung vor und differenziert zunächst zwischen werkübergreifender und werkinterner Intermedialität.[15] Eine Untergruppe der werkübergreifenden Intermedialität bezeichnet er als ‚intermediale Transposition’ und meint die „Übersetzung bestimmter inhaltlicher oder formaler Konzepte/ Konzeptkonfigurationen von einem Medium in ein anderes.“[16] Intermediale Transposition beschreibt also die gleichen Phänomene wie Rajewskys Begriff des Medienwechsels und ist damit gleichzeitig der für diese Arbeit relevante Gegenstandsbereich der Intermedialitätsforschung. Alle weiteren sollen im Folgenden außer Acht gelassen werden.
1.1.3: Erkenntnisinteresse im Bereich ‚Medienwechsel’
Joachim Paech, der eine etwas andere Auffassung von Intermedialität als die oben dargestellte vertritt und sie als „medialen Transformationsprozess“[17] begreift, zielt somit auf den „Prozeß der Mediatisierung als solchen“ und nicht auf die „Umsetzung eines bereits […] Mediatisierten in andere mediale Bereiche“.[18] Dieses Erkenntnisinteresse deckt sich nicht mit dem von anderen WissenschaftlerInnen, die vor allem Fragen
nach den Kontinuitäten und insbesondere nach den Veränderungen [nachgehen], die sich infolge des Transfers eines bestimmten *Ausgangsprodukts bzw. Produktsubstrats‚ von einem Medium in ein anderes mit je seinem spezifischen Code, seinen Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen’ ergeben.[19]
Dabei wird
einerseits die Adaption des Ausgangstextes aufgrund der jeweiligen semiotischen, ästhetischen, technischen und organisatorischen Konventionen und Spielräume des Zielmediums mehr oder weniger stark restringiert; […] Andererseits eröffnet das Zielmedium neue Darstellungspotentiale und Gestaltungsmöglichkeiten und somit vielfältige Chancen der innovativen Fortschreibung des Ausgangstextes im neuen Medium […].[20]
Demzufolge rücken besonders die konstitutiven Elemente der untersuchten Werke, wie zum Beispiel die Figurenkonstellation oder die Erzählperspektive, aber auch medienspezifische Besonderheiten und Bedingungen in den Blickpunkt des Interesses der Untersuchungen zum Medienwechsel.
Genau in diesem Bereich bewegt sich dann auch die vorliegende Arbeit. Bevor ich mich jedoch der praktischen Analyse von Buch und Film zuwende, folgt noch ein kurzes theoretisches Kapitel über Literaturverfilmungen generell.
1.2: Literaturverfilmungen
Der Begriff der Literaturverfilmung ist augenscheinlich in mindestens zwei wissenschaftlichen Disziplinen anzusiedeln: in der Literatur- und in der Medienwissenschaft. Letztere hat ihn lange Zeit skeptisch betrachtet, da sie Film lieber als eigenständige Kunstart sah.[21] In ersterer herrschte dagegen die Meinung vor, „dass das literarische Original in der Verfilmung nur verlieren könne, da sie das Original zwangsläufig trivialisiere und seinen spezifischen Qualitäten nicht gerecht zu werden in der Lage sei.“[22]
Es war nicht selbstverständlich, dass
„Literaturverfilmung (qua Film) eine eigenständige medienspezifische Ausformung der literarischen Fiktion sein könnte, daß Literatur-verfilmungen immer nur als Interpretationen von Literatur (in Buchform) sinnvoll gedacht werden können“.[23]
Die Literaturwissenschaft beschäftigte sich noch bis in die 70er und 80er Jahre vorrangig mit Fragen der Wertung und Urteilen über das Gelingen der Umsetzung der literarischen Vorlage in einen Film.[24] Dabei spielte die Kategorie der ‚Werktreue’ eine nicht unbedeutende Rolle.
[...]
[1] Gilles Deleuze (1986), „Le cerveau c’est l’écran“, in: Cahiers du Cinéma, 380, S. 26. Zitiert nach: Joachim Paech (1998), „Intermedialität: Mediales Differenzial und transformative Figurationen“ in: Jörg Helbig (Hrsg.), Intermedialität: Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets, Berlin: 14.
[2] Paech 1998: 14.
[3] Vgl. Irina O. Rajewsky (2002), Intermedialität, Tübingen [u.a.].: 6, 7.
[4] Arno Heller (1992), „Between Holism and Particularism: Concepts of Intertextuality in the Pedagogy of American Studies“, in: Amerikastudien 37: 655.
[5] Vgl. Peter Wagner (Hrsg.) (1996), Icons – Texts – Iconotexts: Essays on Ekphrasis and Intermediality, Berlin: 17 oder Brian McFarlane (1996), Novel to Film: An Introduction to the Theory of Adaption, Oxford: 10.
[6] Werner Wolf (2002), „Intermedialität: Ein weites Feld und eine Herausforderung für die Literaturwissenschaft“, in: Herbert Foltinek und Christoph Leitgeb (Hrsg.), Literaturwissenschaft: intermedial – interdisziplinär, Wien: 164, 165.
[7] Wolf 2002: 164, 165.
[8] Wolf 1999, The musicalization of fiction: a study in the theory and history of intermediality, Amsterdam [u.a.]: 40. Zitiert nach: Rajewsky 2002: 7.
[9] Wolf 2002: 165.
[10] Ebd.
[11] Rajewsky 2002: 19.
[12] Rajewsky 2002: 19.
[13] Ebd.
[14] Ebd.
[15] Eine ausführliche Aufstellung über Formen und Typologie der Intermedialität finden sich bei Wolf 2002: 168 ff. An dieser Stelle möchte ich mich auf die Darstellung des für diese Arbeit relevanten Bereichs beschränken, da alles andere zu weit führen würde.
[16] Wolf 2002: 178.
[17] Vgl. Paech 1998: 15.
[18] Wilhelm Füger (1998), „Wo beginnt Intermedialität? Latente Prämissen und Dimensionen eines klärungsbedürftigen Konzepts“ in: Jörg Helbig (Hrsg.), Intermedialität: Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets, Berlin: 43.
[19] Rajewsky 2002: 23.
[20] Ralf Georg Bogner (1998), „Medienwechsel“, in: Ansgar Nünning (Hrsg.), Metzler-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie: Ansätze-Personen-Grundbegriffe, Stuttgart [u.a.]. Zitiert nach Rajewsky 2002: 23.
[21] Vgl. Anne Bohnenkamp (2005a), „Literaturverfilmungen als intermediale Herausforderung“, in: Dies. (Hrsg.), Literaturverfilmungen: Interpretationen, Stuttgart: 9.
[22] Ebd.
[23] Franz-Josef Albersmeier (1989), Einleitung: „Von der Literatur zum Film. Zur Geschichte der Adaptationsproblematik“, in: Franz-Josef Albersmeier und Volker Roloff (Hrsg.), Literaturverfilmungen, Frankfurt a.M.: 15.
[24] Vgl. Bohnenkamp 2005a: 17.
- Quote paper
- M.A. Anna Füller (Author), 2006, Verfilmung als ergänzende Dimension. "Tristana" bei Benito Pérez Galdós und Luís Buñuel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84444
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