Die Thematik des (mittelalterlichen) Andachtsbild sorgt innerhalb der Kunstgeschichte seit nunmehr über 80 Jahren für heftige Debatten. Trotz des intensiv geführten Diskurses, der mit der Beteiligung vieler namhafter Vertreter des Faches aufwarten kann - darunter Panofsky, Berliner, Suckale, Belting -, hat sich bisher noch keine einhellige Meinung herauskristallisiert, was denn nun ein Andachtsbild sei. Der vorliegende Beitrag kann und will keine endgültige Lösung vorschlagen, versucht aber den Diskurs zu bereichern, indem er sich von dessen "scheuklappenartiger" Begriffsverhaftung löst und das Andachtsbild in einem weitgefassteren Rahmen zu verorten sucht.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Begriff und Funktion
Form und Funktionieren
Zusammenfassung
Abbildungen
Bildnachweis
Bibliographie
Einleitung
Der Begriff des Andachtsbildes und vor allem, was darunter zu verstehen sei, gehört wohl zu den konfliktträchtigsten Forschungsgegenständen der Kunstgeschichte. Obwohl schon im 19. Jahrhundert von Kunsthistorikern wie Franz Kugler oder Karl Schnaase verwendet,[1] findet der Begriff erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts Eingang in eine intensive Debatte, die bis heute zu keinem einmütigen, abschließenden Konsens gekommen zu sein scheint. Die relativ ununterbrochene Reihe von Aufsätzen, Büchern und Beiträgen zu diesem Thema, zu deren Verfassern eine große Zahl namhafter Vertreter der Kunstgeschichte zählen, verdeutlicht dies eindrucksvoll.[2] Die Beschäftigung mit dem Andachtsbild ist zugleich immer auch eine Beschäftigung mit der Geschichte eines Definitionsversuches. Dass die wissenschaftliche Fassung des Andachtsbildes solchen Schwierigkeiten unterliegt, gründet nicht zuletzt darin, dass vor allem das Andachtsbild Ausdruck eines bestimmten religiösen Strebens und Handelns sowohl im öffentlichen Raum als auch in privater Sphäre ist und somit stärker als andere Bildwerke von verschiedensten Seiten beleuchtet werden muss. Es ist diese vielsichtige Herangehensweise die nicht zuletzt dazu beiträgt, dass sich noch immer enorme Unklarheit darüber herrscht, was denn nun unter dem Begriff Andachtsbild zu verstehen sei[3]. Dabei spielen unterschiedliche Herangehensweisen eine nicht geringe Rolle. So versuchte beispielsweise Erwin Panofsky eine Begriffsklärung, indem er das Andachtsbild als eigenständigen Bildtypus verstand und ihm einen Platz zwischen dem szenischen Historienbild einerseits und dem kultischen Repräsentationsbild andererseits einräumte: „Der Begriff des ‚Andachtsbildes’ […] läßt sich […] nach zwei Seiten hin abgrenzen: zum einen gegen den Begriff des szenischen ‚Historienbildes’, zum anderen gegen den des hieratischen ‚Repräsentationsbildes’.“[4] Während das Historienbild eine bestimmte Handlung zu einem bestimmten Zeitpunkt thematisiert und so zu einer Momentaufnahme wird und das Repräsentationsbild einen zeitlosen und „seelisch gleichsam undurchdringlichen“ Charakter besitzt, unterscheidet sich das Andachtsbild „durch die Tendenz, dem betrachtenden Einzelbewusstsein die Möglichkeit zu einer kontemplativen Versenkung in den betrachteten Inhalt zu geben, d. h. das Subjekt mit dem Objekt seelisch gleichsam verschmelzen zu lassen.“[5] Gegenüber dem formalen Ansatz Panofskys steht der Versuch einer rein funktionalen Definition, wie sie etwa von Rudolf Berliner oder Robert Suckale vorgeschlagen wurde. „Formal, d. h. objektiv ist die Grenze zwischen einem Andachtsbild und einem rein erzählenden oder rein darstellenden Bilde durchaus flüssig. Eine Darstellung erhält den Charakter eines Andachtsbildes […] als Anreger oder Niederschlag einer devotionalen Gefühlsbeziehung oder Gebetsübung […].“[6] So erhielte eine Darstellung den Charakter eines Andachtsbildes durch die Verbindung mit einer Andacht, also als Anregung einer devotionalen Gefühlsbeziehung oder Gebetsübung. Und Suckale weist darauf hin, dass eine eindeutige Typenabgrenzung aufgrund bestimmter Motive nicht möglich sei, da bspw. das Sujet einer Christus-Johannes-Gruppe zwar ein typisches Andachtsbildmotiv sei, allerdings auch als Altarbild Verwendung fand.[7] Den Versuch, formale wie auch funktionale Merkmale des Andachtsbildes in Zusammenhang zu bringen, unternahm Hans Belting, indem er auf eine Wechselwirkung zwischen Form und Funktion hinwies. Das Andachtsbild offenbart seine Funktion in der Form, indem es sich: „mit seiner Form auf die Funktion ‚einstellt’, auf eine bestimmte (religiöse) Weise betrachtet zu werden, also der Kontemplation zu dienen.“[8] „Dabei bringt es nicht immer eigene Themen hervor, sondern privatisiert eher offizielle Themen in Form und Inhalt.“[9]
Dass diesem Thema eine nach wie vor ungebrochenen Anziehungskraft innewohnt, mag der Tatsache geschuldet sein, dass das religiöse Bild des Mittelalters kein Kunstwerk war, sondern Bestandteil der allgemeinen Ausübung des Glaubens, sowohl im öffentlichen liturgischen, als auch im privaten meditativen Raum. Das Ineinandergreifen dieser Räume, das Einfließen verschiedenster medialer Aspekte wie Gottesdienst, liturgische Texte, Passionsspiele und weiteren rituellen Bestandteilen des Glaubens, erschweren es ungemein, eine Thematik wie die des Andachtsbildes in einen begrenzenden Rahmen einzuschreiben. Allerdings erklärt sich damit die immer noch andauernde Faszination, welche die Beschäftigung mit dem Andachtsbild birgt
Begriff und Funktion
Betrachtet man den Begriff ‚Andachtsbild’, lässt sich schon ein Grund der Schwierigkeiten beim Umgang mit der von diesem bezeichneten Werke erkennen. Der Begriff ist kein zeitgenössiger, das Mittelalter scheint ihn nicht gekannt zu haben, abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie der Eintrag im Inventar Karls dem Kühnen von 1470, wo von einem „petit tableau de dévocion“[10] die Rede ist. Die Seltenheit des Auftretens solcher Bezeichnungen bezeugen, dass ‚Andachtsbild’ im Mittelalter kein gebräuchlicher Begriff war.[11] Erstmals erscheint laut dem Wörterbuch der Gebrüder Grimm der Begriff in einer Szenenanweisung in Goethes Faust: „In der Mauerhöhle ein Andachtsbild der Mater dolorosa, Blumenkrüge davor.“[12] Durch das Fehlen des Begriffs im Mittelalter gestaltet es sich einigermaßen problematisch, eine Angabe für den Entstehungszeitraum eines Objektes machen zu wollen, dass in der Spezialisiertheit seiner modernen Bezeichnung im zeitgenössigen Bewusstsein gar nicht existiert hat. Ebendies wurde bspw. von Georg Dehio oder Wilhelm Pinder versucht, welche die Bezeichnung Andachtsbild für eine bestimmte Gruppe von Werken des 13. und 14. Jahrhunderts gebrauchten, allerdings vor dem Hintergrund einer deutschen Stilgeschichte.[13] Kannte zwar das Mittelalter den Begriff Andachtsbild als solches nicht, brachte es durchaus die Worte Bild und Andacht bzw. das was Andacht meint[14] miteinander in Verbindung. Diese Verbindung findet sich auch nicht erst im 13. Jahrhundert. So erklärt Siccard von Cremona (1160-1215): „In einigen (Meß)Büchern ist die Majestät des Vaters und das Kreuz des Crucifixus abgebildet, damit wir gleichsam jenen gegenwärtig erblicken, den wir anrufen, und damit sich die Passion, die dargestellt ist, den Augen des Herzens einprägt.“[15] Gleich zwei Eigenschaften bzw. Anforderungen, die man an ein Bild stellte, kommen hier zum Ausdruck: Zum einen dient das Bild der Repräsentierung desjenigen, den es abbildet. Dies ermöglicht dem Betrachter einen Dialog mit dem Dargestellten zu führen, da das Bild den zunächst imaginierten Partner dem Gläubigen als Gegenüber präsent macht.[16] Das Bild begeht demnach einen Akt der Realpräsentation der dargestellten Person in ihrem Kultbild[17], und generiert somit deren Anrufbarkeit[18] und damit Verfügbarkeit. Zum anderen hat es die Aufgabe, „die Passion, die dargestellt ist“ dem betrachtenden Gläubigen in das Herz einzuprägen. Hier tritt eine andere Funktion des Bildes zu Tage, als jene, die noch Papst Gregor der Große vorgesehen hatte, als er formulierte: „Was die Schrift für die bedeutet, die lesen können, das leistet das Bild für die, die es nicht können.“[19] In der Aussage Siccards von Cremona wird das Bild mehr als nur Illustration des Wortes Gottes. Es gilt nicht, lediglich um die Passion zu wissen, „sie soll den Augen des Herzens eingeprägt“ werden. Losgelöst von seiner historischen Aussagekraft[20] soll das Bild Zugang zur Seele finden.[21] Es soll eine Emotion hervorrufen. Welcher Art die hervorzurufenden Gefühle sein sollten, lässt sich aus den Worten des Theodoricus entnehmen, der im Jahr 1170 eine imago Crucifixi in Jerusalem mit den Worten beschrieb: „Sie [ist] in solcher Weise gemalt, dass sie in jedem Betrachter tiefes Mitleid auslösste (ita depict ut cunctis intuentibus magnam inferat compunctionem).“[22] Weder das Verständlichmachen religionshistorischer Ereignisse noch das Visualisieren theologischer Dogmen stehen hier im Vordergrund, sondern die emotionale Teilhabe des Betrachters am Dargestellten. Für das Auslösen der richtigen Gefühle war es zwar notwendig, dass der Betrachtende über ein bestimmtes Hintergrundwissen über das Gezeigte verfügte, denn: „Das christliche Bild ist Ausdruck eines religiösen Glaubens und Erlebens. Was im Bild gestaltet und geschaut wird, ist vorher im Glauben lebendig, in einer Vorstellung geformt oder auch theologisch durchdacht und im besonderen Fall auch von tieferer religiöser Erfahrung erfüllt.“[23] Diese Aussage ist insofern richtig, dass das Bild ohne einen wissenden Betrachter seine intendierte Funktion nicht ausüben kann. Fehlen dem Betrachtenden die Mittel, die im Bild gezeigten Personen zu identifizieren, kennt er ihre Zusammenhänge und ihre Geschichte nicht, ist es ihm schlicht nicht möglich, das Bild zu entschlüsseln und er kann sich somit auch nicht den Forderungen des Bildes gemäß verhalten. Allerdings sieht Grillmeier hier das Bild nur in eine Richtung funktionieren, nämlich als Ausdruck feststehender Inhalte und Erfahrungen. Das Bild ist ihm ein Produkt aus schon feststehenden Wahrheiten und Ansichten, die in ihm vermittelt werden sollen. Dies ist aber nur eine Richtung der Bildfunktion. Die andere – Gegenrichtung quasi – bei der das Bild nicht am Ende, sondern am Anfang von Glaube, Einsicht und Wahrheitserkenntnis steht, fehlt bei Grillmeier. Zwar offenbart sich Gott im Wort, erfahrbar wird er aber nur emotional, da er rational nicht fassbar ist. Diesen emotionalen Zugang gewährleistet das Bild, nicht jedoch das Wort. „Dort nämlich, wo es um Emotionalisierung und Affektsteigerung ging, sprach man den Bildern zu, dass sie den betrachtenden Menschen weit stärker in seiner Innerlichkeit anzuregen vermochten, als dies ein Text konnte.“[24] Das Bild verfügt über einen viel direktern Weg als der Text, den Gläubigen emotional zu berühren – über die Augen des Herzens. Die Stimulation eines Gefühls frommer Andacht, das „durch das Auge leichter erzeugt wird als durch das Gehör“[25], ist eine der Hauptaufgaben des religiösen Bildes, welches, wenn es diese Funktion erfüllt, zum Andachtsbild wird. Im späten Mittelalter wird der Empathie des Betrachters eine große Aufmerksamkeit gewidmet, jedoch neben historia und imago kein dritter Begriff eingeführt, um darauf spezialisierte Bilder zu benennen.[26] So dient das Andachtsbild zwar der Empathie des Betrachters, ist aber nicht notwendig darauf spezialisiert und bildet auch keine selbständige Bildklasse.[27] Dies legt die Vermutung nahe, dass das Mittelalter jene Bilder, die die moderne Kunstgeschichte als Andachtsbild bezeichnet, nicht im Bewusstsein einer eigenständigen Bildgattung benutzte, vielmehr die Eigenschaft der Empathie in den bestehenden Bildkategorien verwirklicht wissen wollte. Sicher gab es Bilder, die für das emotionale Ansprechen eines Betrachters weniger oder gar nicht geeignet waren. Vornehmlich muss hier die imago, also das Repräsentationsbild, genannt werden. Dessen Aufgabe war die Visualisierung „der über alles menschliche Erfassen“ erhabenen Majestät Gottes.[28] Nicht der zum Mitleiden auffordernde Gequälte, sondern der unnahbare, allumfassende Erhabene ist hier das Motiv. (Abb. 1) „Die imago bildet ab und repräsentiert dadurch den Abgebildeten.“[29] Sie bietet den Dargestellten als Gegenüber. Das bedeutet allerdings nicht, dass es keine imago gegeben habe, die nicht auch für die Andacht zugänglich gewesen sei. So kann man bspw. der Mitteltafel des Isenheimer Altars (Abb. 2) wohl kaum eine gewisse emotionalisierende Absicht absprechen und auch die Szenerie eines Portals, in dem Christus als Weltenrichter vorgestellt wird, soll den in eine Kirche eintretenden Gläubigen zum (an)denken – also zur Andacht – bewegen. Ähnliches gilt für die historia. Vordergründig der Vermittlung von religionshistorischen Ereignissen verpflichtet, konnten auch in der historia Elemente einer „Affektisierung“ vorhanden sein. Der Hauptunterschied zwischen diesen beiden Bildtypen und einem andachtsfähigen Bild liegt weniger in der Form, auch nicht vollständig im Motiv begründet, sondern im Zweck des Bildes und somit in dessen Funktionsweise. Funktionieren die reine imago und die reine historia aus sich selbst heraus, ist das Andachtsbild ohne einen handelnden Betrachter machtlos. Was zunächst wie eine Schwäche anmutet, entpuppt sich als eine Eigenschaft, die das Andachtsbild – oder besser: das andachtsfähige Bild – bezüglich der Erfahrbarkeit von Glauben der imago und der historia weit überlegen macht. Beide, imago und historia, funktionieren jeweils nur in einer Richtung, sie sind gleichsam Einbahnstrassen. Indem die imago den Dargestellten repräsentiert und ihn somit für den Gläubigen als Adressat zur Verfügung stellt, öffnet sie nur eine Funktionsrichtung, nämlich vom Gläubigen zum Bild. Die historia hingegen arbeitet in die Gegenrichtung. Sie kann nur von sich auf den Betrachter wirken, um Glaubenswahrheiten zu vermitteln; jedoch bietet sie dem Gläubigen kein Gegenüber. Allein das Andachtsbild besitzt die Fähigkeit, beide Funktionsrichtungen – vom Betrachter zum Bild und vom Bild zum Betrachter – zu bedienen. Diese Wechselwirkung zwischen Bild und Individuum setzte allerdings einen aktiven Betrachter voraus, denn das Andachtsbild war „vom Betrachter abhängig und psychologisch auf dessen Erwartungen und Stimmungen bezogen.“[30] Nur wenn der Betrachter bereit war, sich in die vom Bild angebotene Stimmung versetzten zu lassen, sich also aktiv dem Leidenden zuzuwenden, konnte das Andachtsbild existieren. Im Gegenzug ermöglichte das Andachtsbild dem Betrachtenden eben jene andächtige Stimmung zu erreichen, die sich über das Auge leichter erzeugen lies als über das Ohr und die Bedingung einer kontemplativen Glaubenserfahrung war. Trotz dieser Fähigkeit als Scharnier zwischen Gläubigem und Glauben zu fungieren, ersetzte das Andachtsbild weder imago noch historia. Denn so wie die emotionale Erfahrung des Glaubens nur ein Teil des Erkenntnisweges zu Gott ist, ist das auch andachtsfähige Bild nur eines der Instrumente, welche der Gläubige als Ausrüstung auf diesem Weg benötigt. Eindrücklich wird dies illustriert durch das in dem Meditationsbild des Bruders Klaus von der Flüe. (Abb. 3) Um ein in der Mitte des Bildes platziertes Medaillon mit dem Konterfei des gekrönten Christus, gruppieren sich sechs weiter Rundbilder, die bestimmte Szenen aus dem Leben Jesu[31] bzw. – mit der Darstellung einer Gregormesse – seines Wirkens vorstellen. Alle dargestellten Szenen sind – da kreisförmig angeordnet und gleich groß – gleichberechtigt. Keines der dargestellten Ereignisse oder Motive erscheint wichtiger als ein anderes. „Die Schau führt nicht auf ein hervorragendes Ereignis zurück […] sondern auf mehrere Geheimnisse des Glaubens.“[32] Die Verbindung dieser Geheimnisse mit Christus wird durch das Bild in Form von konisch zulaufenden Speichen, die einmal auf das im Mittelpunkt befindliche Porträt Christus hin oder von ihm wegführen. Was hier eindrücklich visualisiert wird, ist eine der grundlegenden Erkenntnisse des Glaubens: Christus als Ursprung und als Endpunkt – das Alpha und das Omega (Joh. 1,8) von dem alles ausgeht, zudem alles zurückkehrt; der aber zugleich auch der Mittelpunkt allen Seins ist um den sich also alles „dreht“. Dies ist aber nur eine Erkenntnisleistung, die durch das Meditationsbild vermittelt wird. Denn bei genauerer Betrachtung wird innerhalb des Bildes eine Aufteilung erkennbar, die zwar Gleichberechtigung der Motive nicht beeinträchtigt, aber eine Ordnung in zwei Gruppen vornimmt. So zeigen drei der Rundbilder – nämlich jene, bei denen die Speiche von Christus im mittleren Medaillon ausgeht – die wohl drei wichtigsten Gaben Gottes an die Menschen: Der englische Gruß, das heißt die Verheißung auf die Geburt Christi und damit auf die Erlösung – also die Hoffnung. Dann die Kreuzigung als Sinnbild des sich für die Sünden der Menschen opfernden Herrn – die Erlösung. Als drittes Bild der gekrönte und segnende Christus – das Himmelsreich. Demgegenüber stehen nun die drei Medaillons, von denen die Speichen zur Mitte hin laufen. In diesen werden die zu erbringenden Handlungen und Haltungen vorgestellt, ohne die der Gläubige den Weg zu Christus, zur absoluten Wahrheit, nicht beschreiten kann: das Anbeten und das Preisen und Opfern. Das dritte Bild dieser Gruppe, der Verrat, mutet hier zunächst befremdlich an. Allerdings kommen hier zwei glaubenrelevante Punkte zum Ausdruck. Zum einen ist es der Verrat durch Judas, der dem Kreuzestod Jesu notwendig vorausgehen muss und somit erst die Erlösung ermöglicht. Zum anderen wird hier das Moment der Andacht angesprochen. Der Gläubige ist gehalten, in sich zu gehen und zu bereuen, denn auch durch seine eigene Sündhaftigkeit verrät auch er Christus und schlägt ihn also selbst ans Kreuz.
[...]
[1] Vgl. Karl Schade: Andachtsbild. Die Geschichte eines kunsthistorischen Begriffs, Weimar 1996, S. 35-36.
[2] Vgl. ebenda, Literaturverzeichnis, S. 153-162.
[3] Vgl. Thomas Noll: Zu Begriff, Gestalt und Funktion des Andachtsbildes im späten Mittelalter, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, Bd. 67 Heft 3 (2004), S. 297-328, hier S. 297.
[4] Erwin Panofsky: Imago Pietatis. Ein Beitrag zur Geschichte des ‚Schmerzensmannes’ und der ‚Maria Mediatrix’, in: Festschrift für Max J. Friedländer zum 60. Geburtstag, Leipzig 1927, S. 261-308, hier S. 264.
[5] Ebenda, S. 264.
[6] Rudolf Berliner: Bemerkungen zu einigen Darstellungen des Erlösers als Schmerzensmann, in: Das Münster 9, H. 3/4 (1956), S. 97-117, hier S. 116, FN 13.
[7] Vgl. Schade, S. 84-85.
[8] Hans Belting: Das Bild und sein Publikum im Mittelalter. Form und Funktion früher Bildtafeln der Passion, Berlin 21995, S. 88.
[9] Hans Belting: Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 21991, S. 458.
[10] Zit. nach Schade 1999, S. 15.
[11] Vgl. Noll 2004, S. 300.
[12] Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Der Tragödie erster Teil, ed.: Hamburger Leseheft 29, S. 102.
[13] Vgl. Schade 1999, S. 46-47, 50.
[14] Vom Mittelhochdeutschen andâht, was sich als „Denken an Gott“ übersetzen lässt, bezeichnet Andacht eine Frömmigkeitsform, vor allem aber Frömmigkeitshandlung, die einzeln oder in Gemeinschaft, öffentlich oder privat praktiziert wird. (Vgl. Kurt Küppers: Andacht, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 1, Freiburg u. a. 1993, Sp. 614; Jacob Grimm/ Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 1: A – Biermolke, Leipzig 1854, Sp. 302-303).
[15] Zit. nach Belting 1995, S. 19.
[16] Vgl. Belting 1995, S. 14.
[17] Vgl. Arnold Angenendt: Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997, S. 372.
[18] Vgl. ebenda, S. 370.
[19] Ernst H. Gombrich: Die Geschichte der Kunst, Frankfurt am Main 161996, S. 135.
[20] Dies bedeutet nicht, dass die von Gregor dem Großen geforderte Leistung des Bildes aufgehoben oder verschwunden ist. Sie ist nurmehr nicht die einzige.
[21] Im Anschluss an antike Vorstellungen verknüpft das Mittelalter das Herz mit einem Doppelsinn und kennt es als zugleich als organische wie auch seelisch-geistige Lebensmitte. (Vgl. L. Hödl: Herz, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4 Erzkanzler bis Hiddensee, Stuttgart Weimar 1999, Sp. 2187-2188.) Das Herz ist „Sitz der Seele, des Lebens des Denk- und Gedächtnisvermögens“. (W. Bisterfeld: Herz, in: Joachim Ritter [Hrsg.]: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Basel Stuttgart 1974, Sp. 1100-1112, hier Sp. 1100.)
[22] Zit. nach Belting 1995, S. 20.
[23] Aloys Grillmeier: Der Logos am Kreuz. Zur christologischen Symbolik der älteren Kreuzigungsdarstellung, München 1956, S. 17.
[24] Thomas Lentes: Der mediale Status des Bildes. Bildlichkeit bei Heinrich Seuse – statt einer Einleitung, in: David Ganz/ Thomas Lentes [Hrsg.]: Ästhetik des Unsichtbaren. Bildtheorie und Bildgebrauch in der Vormoderne, Berlin 2004 (=KultBild. Visualität und Religion in der Vormoderne, Bd. 1), S. 13-75, hier S. 16.
[25] Belting 1995, S. 91.
[26] Vgl. Belting 1995, S. 92.
[27] Vgl. ebenda, S. 92.
[28] Vgl. Heinrich Pfeiffer: Gottes Wort im Bild. Christusdarstellungen in der Kunst, Wuppertal 1986, S. 46.
[29] Belting, S. 70.
[30] Belting 1995, S. 76.
[31] Es handelt sich dabei um die Anbetung des Kindes, die Gefangennahme, den englischen Gruß, die Kreuzigung, und den von drei Engeln angebeteten, segnenden Herrn der Welt.
[32] Pfeiffer 1986, S. 47.
- Quote paper
- Marcus Schaub (Author), 2007, Andachtsbild oder andachtsfähiges Bild? Bilder als Instrumente mittelalterlicher Religiosität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84433
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.