1. Einleitung
Das Wissen um Johannes Hadlaub als einem althochdeutschen Minnesänger ist nicht unbedingt sehr umfangreich, selbst wenn man in der Schule etwas über die Literatur des Mittelalters gelernt hat. Er steht im Schatten berühmterer Vorgänger und Zeitgenossen, deren Werke große Berühmtheit erlangt haben. So sind z.B. die Namen Walther von der Vogelweide und Gottfried von Straßburg durchaus geläufiger als der Name des Züricher Bürgers Hadlaub. Auch die Werke der großen Minnesänger sind oftmals bekannter als diejenigen Hadlaubs. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass die Texte vieler mittelalterlicher Autoren uns heute nur deshalb noch bekannt sind, weil sie Teil eines einmaligen Überlieferungswerkes sind: der Manessischen Liederhandschrift. Diese entstand um die Jahrhundertwende des 13./14. Jahrhunderts – also zu Lebzeiten Hadlaubs – in Zürich, dem Wohnort des Dichters. Es ist sogar wahrscheinlich, dass er selbst an der Entstehung dieses Werkes beteiligt war. Seinem Œuvre wurden die ersten Blätter der Handschrift gewidmet und das in dieser Arbeit behandelte Lied „Ach, mir was lange“ steht noch dazu am Anfang seines Liedcorpus. Dieses Lied gehört zu der Gruppe der Erzähllieder oder „Romanzen“, die einen ersten Teil epischen Charakters aufweisen und in einem zweiten Teil eine Minneklage enthalten. Leppin vermutet, dass Hadlaub „größeren Wert auf die Behandlung der Minneproblematik“ legte. Die Bedeutung des erzählenden Eingangsteiles soll – unter Berücksichtigung des Inhalts der darauf folgenden Minnereflexion – am Beispiel von „Ach, mir was lange“ untersucht und hinsichtlich des im Thema der Arbeit formulierten Spannungsfeldes problematisiert werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Interpretation von „Ach, mir was lange“
3. Eine neue Gattung bei Hadlaub: das „Erzähllied“
4. Das Spannungsfeld zwischen autobiographischer Objektivität und lyrischer Subjektivität in Hadlaubs Erzählliedern
Anhang: Übersetzung von „Ach, mir was lange“
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Wissen um Johannes Hadlaub als einem althochdeutschen Minnesänger ist nicht unbedingt sehr umfangreich, selbst wenn man in der Schule etwas über die Literatur des Mittelalters gelernt hat. Er steht im Schatten berühmterer Vorgänger und Zeitgenossen, deren Werke große Berühmtheit erlangt haben. So sind z.B. die Namen Walther von der Vogelweide und Gottfried von Straßburg durchaus geläufiger als der Name des Züricher Bürgers Hadlaub. Auch die Werke der großen Minnesänger sind oftmals bekannter als diejenigen Hadlaubs. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass die Texte vieler mittelalterlicher Autoren uns heute nur deshalb noch bekannt sind, weil sie Teil eines einmaligen Überlieferungswerkes sind: der Manessischen Liederhandschrift. Diese entstand um die Jahrhundertwende des 13./14. Jahrhunderts – also zu Lebzeiten Hadlaubs – in Zürich, dem Wohnort des Dichters. Es ist sogar wahrscheinlich, dass er selbst an der Entstehung dieses Werkes beteiligt war.[1] Seinem Œuvre wurden die ersten Blätter der Handschrift gewidmet und das in dieser Arbeit behandelte Lied „Ach, mir was lange“ steht noch dazu am Anfang seines Liedcorpus.
Dieses Lied gehört zu der Gruppe der Erzähllieder oder „Romanzen“[2], die einen ersten Teil epischen Charakters aufweisen und in einem zweiten Teil eine Minneklage enthalten. Leppin vermutet, dass Hadlaub „größeren Wert auf die Behandlung der Minneproblematik“[3] legte. Die Bedeutung des erzählenden Eingangsteiles soll – unter Berücksichtigung des Inhalts der darauf folgenden Minnereflexion – am Beispiel von „Ach, mir was lange“ untersucht und hinsichtlich des im Thema der Arbeit formulierten Spannungsfeldes problematisiert werden.
2. Interpretation von „Ach, mir was lange“
Das Lied „Ach, mir was lange“ von Johannes Hadlaub nimmt in seinem Corpus eine besondere Rolle ein. Zum einen steht es an der Spitze des Gesamtwerkes Hadlaubs und zum anderen ist es mit einer sehr großen und reich verzierten Anfangsinitiale versehen. Außerdem zeigt die eine Hälfte der Doppelminiatur, die Meister Hadlaub in der Manessischen Liederhandschrift gewidmet wurde, eine Szene aus diesem Minnelied.
Die sieben Strophen dieses Liedes lassen sich vorläufig in zwei Abschnitte einteilen: In den Strophen 1-4 findet die so genannte „Briefepisode“ statt und die letzten drei Strophen enthalten eine Reflexion über die Minne. Diese Kompositionstechnik, einem erzählenden Teil eine Minnereflexion folgen zu lassen, findet sich bei Hadlaub häufig.[4]
In den ersten beiden Strophen spielt sich die eigentliche „Handlung“[5] des Liedes ab: Der als Pilger verkleidete Liebende hängt seiner Dame einen Brief an, als sie gerade nach der Frühmesse aus der Kirche kommt. Schon das erste Wort des Liedes, die Interjektion „ach“, weist auf die Minneklage der letzten Strophe hin, die ihrerseits mit „owe“ (V.73) beginnt.[6] Gerade auch die ersten Verse des Liedes deuten auf die für Minnelieder so typische Sorge des lyrischen Ichs hin, das von Liebe zu der Dame verzehrt wird und eine huldvolle Antwort ersehnt (s. V.2 „we gesin“ und V.3 „vil ange“). Trotz dieser starken emotionalen Zuneigung ist die Übergabe des Briefes, der „von sender klage“ (V.9) erfüllt ist, sehr gut durchdacht, wie sich in den folgenden Versen zeigt: Die Verkleidung als Pilger, in der sich der Liebende seiner Dame nähert, kann man mit Herta Renk als „Tristanrolle“[7] bezeichnen, da dieses Motiv schon in „Tristan und Isolde“ von Gottfried von Straßburg verwendet wird. Zum Auftreten im Pilgergewand passt auch der Ort und die Zeit der „Handlung“: Zum Zeitpunkt der Annäherung kommt die Dame nach der Frühmesse (s. V.11 „das was vor tage“) aus der Kirche. Der Zweck dieser Auflauerung[8] ist eben jene Übergabe des Liebesbriefes, der mit einem Angelhaken an der Dame bzw. ihrer Kleidung befestigt wird (vgl.V.10/11). Für diese außergewöhnliche Art des Anhängens gibt es kein Vorbild in der Literatur, das Hadlaub hätte übernehmen können. Das Briefmotiv allerdings, das dieses Lied Hadlaubs von den anderen (Erzähl-)Liedern seines Corpus unterscheidet, kommt oft in der mittelalterlichen Literatur vor[9] und weist auf die Begegnung bzw. die Kontaktaufnahme zwischen zwei (sich liebenden) Personen hin.[10]
Daraufhin ergreift die Dame die Flucht, weil sie den unheimlich vermummten Pilger für verrückt hält (V.14 „ist das ein tobig man?“) und es ihrem Ruf schaden würde, wenn sie bei dieser Begegnung gesehen würde (vgl. V.19/20). Aber das ist zur Freude des lyrischen Ichs nicht der Fall, da sie den angehefteten Brief unbemerkt (V.24 „tougin“) nach Hause bringt. Dadurch ist der säuberlich erdachte Plan des Liebenden geglückt.[11] Herta Renk zeigt auf, dass das Motiv eines „wahnsinnige[n] Liebhaber[s]“[12] in der mittelalterlichen Epik und Lyrik häufig zu finden ist. An dieser Stelle wird jener Liebeswahnsinn instrumentalisiert, indem er über das Anrühren der Dame indirekt in Erscheinung tritt und das fluchtartige Verschwinden der Angebeteten samt dem Brief provoziert.
Die nächsten beiden Strophen künden von der Sehnsucht des lyrischen Ichs, eine positive Antwort der Dame auf seinen Brief zu bekommen. Die Ungewissheit, ob und wenn ja, wie die Dame den Brief und darin dann „tiefe rede von der minne“ (V.31) gelesen hat, bereitet dem Liebenden Leid (V.28 „das tuot mir sende leit“). Er schließt aus ihrem Verhalten (vgl. V.33/34), dass sie ihn nicht „mit sinne“ (V.29) gelesen hat und ihm deshalb wohl keine Gunst erweisen wird. In der vierten Strophe erwägt das lyrische Ich gleichsam implizit die Sendung eines Boten, denn die Furcht vor dem Unmut der Dame verhindert solch eine erneute Kontaktaufnahme schon im Ansatz (vgl. V.37/38 und V.45-47). Die rhetorische Frage in V.48 („warumbe tuot si das?“) steht an der „Nahtstelle“[13] der beiden Liedteile und gibt dem Rezipienten noch einmal Zeit, das zuvor Geschriebene zu verarbeiten.
Wenn man auf den Inhalt der ersten Strophen zurückblickt, sieht man eine Handlung, an der das lyrische Ich als agierendes Subjekt selbst teilnimmt. Es fällt auf, dass diese „lebensnah wirkende Episodenhandlung“[14] aus verschiedenen, teilweise schon bekannten literarischen Motiven zusammengesetzt ist, die als „Bausteine“[15] eines epischen Elements innerhalb eines Minneliedes auftreten. Schiendorfer weist auf Ulrich von Lichtenstein hin, der mit seinem „Frauendienst“-Roman Hadlaub die vielleicht entscheidende Vorlage für das „Konzept der episch-lyrischen Mischform“[16] geliefert hat. Auch Rena Leppin betont mehrfach, dass Ulrichs Verfahren, Liedtexte episodenhaft einzuleiten bzw. den lyrischen Inhalt (z.B. eine Minneklage) mit einem epischen Rahmen zu versehen, Hadlaub in seinem Vorgehen bei „Ach, mir was lange“ und anderen seiner Erzähllieder beeinflusst hat.[17]
Obwohl auch die vierte Strophe noch in direktem Zusammenhang mit der „Briefepisode“ der ersten beiden Strophen steht, findet durch die Steigerung der Liebessehnsucht und über die Reflexion eben jener Briefepisode eine allmähliche Hinwendung zu einer allgemeinen Minnereflexion bzw. Minneklage statt, die dann vor allem in der letzten Strophe des Liedes verbalisiert wird.
Die Strophen 5 und 6 zeichnen das Bild von der lieblichen und reinen (vgl. V.65) Dame, die im Herzen des Liebenden wohnt und dort durch ihr gewaltsames Ein- und Ausgehen (vgl. V.52-54) Schmerzen verursacht (vgl. V.49/50). Verbunden werden die beiden Strophen durch die besondere Betonung der „Schönheit und Tugendhaftigkeit der Dame“[18].
Die Herzmetapher in der fünften Strophe ist im Mittelalter sehr geläufig und findet sich sogar schon im Neuen Testament, im Brief des Paulus an die Epheser (Eph. 3,17: „damit der Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne“). Hier bei Hadlaub wird diese Metapher allerdings sehr ausgeschmückt und mit diversen Details versehen, sodass der Leser die Dame gleichsam im Herzen stehend und umhergehend vor Augen gemalt bekommt. Hadlaub geht sogar so weit, dass er mit dem Paradoxon der Buchstäblichkeit dieser Metapher spielt und die Arglosigkeit (vgl. V.60) der Dame daraus ableitet, dass das Sänger-Ich trotz ihrer Anwesenheit in seinem Herzen, die dieses eigentlich wegen ihrer leibhaftigen Größe zerreißen müsste, lebt.
Schon Heinrich von Morungen schreibt davon, dass man die verehrte Dame im aufgebrochenen Herzen finden könne.[19] Dieses Motiv verwendet auch Hadlaub am Anfang der sechsten Strophe, indem er nach Leppin noch ein „größeres Detailinteresse“[20] als Morungen zeigt. Diese Strophe schließt mit dem einzigen Trost, an den sich das lyrische Ich klammert: Die „Besitznahme“ der Dame durch den Liebenden kann sie auch durch größte Zurückhaltung und deutliche Ablehnung nicht verhindern (vgl. V.67-70). Aber natürlich ist das nicht die wirkliche Freude, die das lyrische Ich ersehnt (vgl. V.71/72).
[...]
[1] Vgl. Schiendorfer, Max: Das „konkretisierte“ Minnelied. Inszenierter Minnesang. Johannes Hadlaub: Ach, mir was lange. In: Tervooren, Helmut (Hrsg.): Gedichte und Interpretationen. Mittelalter. Stuttgart 1993. S.258.
[2] Diesen Terminus verwendet Herta Renk. Vgl. Renk, Herta-Elisabeth: Der Manessekreis, seine Dichter und die Manessische Handschrift. Stuttgart 1974. S.160.
[3] Hadlaub, Johannes: Lieder und Leichs. Herausgegeben und kommentiert von Rena Leppin. Stuttgart/Leipzig 1995. S.127.
[4] Vgl. Hadlaub, J.: Lieder und Leichs. S.127.
[5] Problematisierung dieses Begriffs in Kapitel 3.
[6] Vgl. Hadlaub, J.: Lieder und Leichs. S.122.
[7] Renk, H.: Der Manessekreis. S.166.
[8] Vgl. Hadlaub, J.: Lieder und Leichs. S.123.
[9] Vgl. Schiendorfer, M.: Das „konkretisierte“ Minnelied. S.264.
[10] Vgl. Renk, H.: Der Manessekreis. S. 166.
[11] Vgl. Hadlaub, J.: Lieder und Leichs. S.124.
[12] Vgl. Renk, H.: Der Manessekreis. S.166.
[13] Hadlaub, J.: Lieder und Leichs. S.127.
[14] Schiendorfer, M.: Das „konkretisierte“ Minnelied. S.264.
[15] Renk, H.: Der Manessekreis. S.167.
[16] Schiendorfer, M.: Das „konkretisierte“ Minnelied. S.264.
[17] Hadlaub, J.: Lieder und Leichs. S.22/23.
[18] Hadlaub, J.: Lieder und Leichs. S.126.
[19] Vgl. ebd.
[20] Ebd.
- Quote paper
- Fokko Peters (Author), 2007, Biographisierung als Belebung? - "Ach, was mir lange" von Johannes Hadlaub im Spannungsfeld von autobiographischer Objektivität und lyrischer Subjektivität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84240
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