Niederlage, Befreiung – Diese zwei Wörter sind die Schlüsselbegriffe in bezug auf den 8. Mai in Deutschland. Der 8. Mai 1985 stellte den Wendepunkt einer Diskussion dar, die bereits 1945, im Jahr der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht und des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa, begann und sich durch vier Jahrzehnte zog (s. Abb. 1). Der 8. Mai 1945 war ein Tag der Niederlage – so der gängige Konsens bis in die 1970er Jahre in der Bundesrepublik; als Befreiung konnten v.a. die Zeitzeugen diesen Tag nicht empfinden. Verschiedene Faktoren bedingten von da an eine leise, langsame aber dennoch stete Umdeutung des 8. Mai in Westdeutschland, die 1985 schließlich ihren Höhepunkt mit der Rede Richard von Weizsäckers vor dem deutschen Bundestag erreichte. Vom 8. Mai 1945 zum 8. Mai 1985 – von der Niederlage zur Befreiung . Diese zwei Extreme ergaben sich nicht über Nacht. Wie konstituierte sich der 8. Mai nun genau zwischen diesen beiden Eckpfeilern in der Bundesrepublik Deutschland? Mit Richard von Weizsäcker, 1985 Bundespräsident, war es ein führender Politiker, der die öffentliche Bewertung und somit die Erinnerung an den 8. Mai prägte. Hieraus leite ich das Motiv dieser Arbeit ab, die Frage nach der Einordnung des Tages des Kriegsendes in Europa nicht nur, aber fast ausschließlich in die Hände der Mächtigen der Republik – im folgenden der Bundeskanzler Konrad Adenauer (1955), Ludwig Erhard (1965), Willy Brandt (1970), Helmut Schmidt (1975), Bundespräsident Walter Scheel (1975) sowie von Oppositionsführern – zu legen. Der 8. Mai diente der politischen Elite – so meine These – nicht nur zur Erinnerungs- und Identitätsstiftung, sondern als Werkzeug ihrer jeweiligen Politik. Im folgenden soll die Entwicklung des Gedenktages ,8. Mai’ parallel zur Instrumentalisierung desselben betrachtet werden. Unabdingbar ist bei der Untersuchung der Gedenktage von 1955, 1965, 1970 und 1975 auch ein knapper Blick auf den Stellenwert und das Begehen des 8. Mai in der DDR, da dies – auch in Zusammenhang mit dem 17. Juni ab 1953 – mit der Präsens des 8. Mai im westlichen Bruderstaat verflochten war. Zunächst sollen jedoch die Begriffe Erinnerungskultur, Geschichtspolitik sowie politischer Gedenktag knapp dargestellt werden, da sie zum besseren Verständnis der Entwicklung des Umganges mit dem 8. Mai beitragen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Erinnerungskultur, Geschichtspolitik, politischer Gedenktag. Eine Einführung
3. Der 8. Mai 1945: Niederlage!
4. Der 8. Mai von 1955 bis 1975
4.1 Der 8. Mai 1955: Zehn Jahre danach
4.1.1 Exkurs: 8. Mai vs. 17. Juni I
4.2 Der 8. Mai 1965: Das „Erfolgsmodell BRD“?
4.3 Der 8. Mai 1970: Die Renaissance des 8. Mai
4.3.1 Exkurs: 8. Mai vs. 17. Juni II
5. Der 8. Mai 1985: Befreiung?
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
Quellen
Literatur
1. Einleitung
Niederlage, Befreiung – Diese zwei Wörter sind die Schlüsselbegriffe in bezug auf den 8. Mai in Deutschland. Der 8. Mai 1985 stellte den Wendepunkt einer Diskussion dar, die bereits 1945, im Jahr der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht und des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa, begann und sich durch vier Jahrzehnte zog (s. Abb. 1). Der 8. Mai 1945 war ein Tag der Niederlage – so der gängige Konsens bis in die 1970er Jahre in der Bundesrepublik; als Befreiung konnten v.a. die Zeitzeugen diesen Tag nicht empfinden. Verschiedene Faktoren bedingten von da an eine leise, langsame aber dennoch stete Umdeutung des 8. Mai in Westdeutschland, die 1985 schließlich ihren Höhepunkt mit der Rede Richard von Weizsäckers vor dem deutschen Bundestag erreichte. Vom 8. Mai 1945 zum 8. Mai 1985 – von der Niederlage zur Befreiung[1].
Diese zwei Extreme ergaben sich nicht über Nacht. Wie konstituierte sich der 8. Mai nun genau zwischen diesen beiden Eckpfeilern in der Bundesrepublik Deutschland? Mit Richard von Weizsäcker, 1985 Bundespräsident, war es ein führender Politiker, der die öffentliche Bewertung und somit die Erinnerung an den 8. Mai prägte. Hieraus leite ich das Motiv dieser Arbeit ab, die Frage nach der Einordnung des Tages des Kriegsendes in Europa nicht nur, aber fast ausschließlich in die Hände der Mächtigen der Republik – im folgenden der Bundeskanzler Konrad Adenauer (1955), Ludwig Erhard (1965), Willy Brandt (1970), Helmut Schmidt (1975), Bundespräsident Walter Scheel (1975) sowie von Oppositionsführern – zu legen. Der 8. Mai diente der politischen Elite – so meine These – nicht nur zur Erinnerungs- und Identitätsstiftung, sondern als Werkzeug ihrer jeweiligen Politik. Im folgenden soll die Entwicklung des Gedenktages ,8. Mai’ parallel zur Instrumentalisierung desselben betrachtet werden. Unabdingbar ist bei der Untersuchung der Gedenktage von 1955, 1965, 1970 und 1975 auch ein knapper Blick auf den Stellenwert und das Begehen des 8. Mai in der DDR, da dies – auch in Zusammenhang mit dem 17. Juni ab 1953 – mit der Präsens des 8. Mai im westlichen Bruderstaat verflochten war. Zunächst sollen jedoch die Begriffe Erinnerungskultur, Geschichtspolitik sowie politischer Gedenktag knapp dargestellt werden, da sie zum besseren Verständnis der Entwicklung des Umganges mit dem 8. Mai beitragen.
Abb. 1: Der Weg des 8. Mai in der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur von der Niederlage zur Befreiung[2]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
© Manuel Reinhardt
2. Erinnerungskultur, Geschichtspolitik, politischer Gedenktag. Eine Einführung
Was ist eigentlich Erinnerungskultur? Der Begriff der Erinnerungskultur ersetzte in der jüngsten Vergangenheit den Begriff der Vergangenheitsbewältigung und meint, dass vergangene Ereignisse nicht automatisch zur Erinnerung werden, sondern erst aufgrund eines „kollektives Bedürfnisses nach Sinnstiftung“[3][4] dazu geformt werden. Erinnerung ist in der Regel individuell, sie wird vom Individuum getragen; doch steht dieses Individuum in kulturellen und sozialen Bindungen – wie Familie, Gesellschaft etc. – die Einfluss auf die Erinnerung des Einzelnen nehmen (s. Abb. 2). Das Individuum muss sich für seine persönliche Erinnerung an Ideen orientieren, die von der Gesellschaft konstituiert werden und somit außerhalb seines eigenen Gedächtnisses liegen. Individuelles Gedächtnis wäre somit mit sozialem Gedächtnis gleichzusetzen, die kollektive Erinnerung würde zu einer politischen Erinnerung[5]. Hieraus ergibt sich der Ansatz dieser Arbeit, den 8. Mai v.a. in bezug zu den staatlichen Institutionen und politischen Eliten zu betrachten. Womit der zweite Begriff der Geschichtspolitik in den Fokus rückt. Aufgestiegen aus den zunehmenden Kontroversen um die Vergangenheit, versteht sich diese „Teildimension der Erinnerungskultur“[6] als politische Inanspruchnahme der Geschichte. Edgar Wolfrum definiert Geschichtspolitik folgendermaßen:
„Mit Geschichtspolitik gemeint ist die von verschiedenen Akteuren getragene und mit unterschiedlichen Interessen befrachtete politische Nutzung von Geschichte in der Öffentlichkeit, um mobilisierende, politisierende oder legitimierende Wirkungen in der politischen Auseinandersetzung zu erzielen“[7]
[...]
[1] Die Diskussion um Niederlage oder Befreiung wurde nach dem 8. Mai 1985 natürlich weitergeführt, teils heftiger als zuvor, siehe hierzu Ackermann, Volker, Zweierlei Gedenken. Der 8. Mai 1945 in der Erinnerung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, in: Afflerbach, Holger/Cornelißen, Christoph (Hrsg.), Sieger und Besiegte. Materielle und ideelle Neuorientierungen nach 1945, Tübingen/Basel 1997, S. 319; exemplarisch sei verwiesen auf Nolte, Ernst, Zusammenbruch und Neubeginn. Die Bedeutung des 8. Mai 1945 (1985), in: ders., Lehrstück oder Tragödie? Beiträge zur Interpretation der Geschichte des 20. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 1991, S. 213-223.
[2] Aus Zeit- und Platzgründen verwende ich die „vorgefertigte“ Variante, die bereits eine Bewertung der Entwicklungsstufe der jeweiligen Gedenktage in Bezug auf die Einordnung als „Tag der Niederlage“ bzw. „Tag der Befreiung“ enthält. Diese Abbildung soll als „roter Faden“ in dieser Arbeit dienen
[3] An dieser Stelle soll nur ein sehr knapper Überblick über diese drei Felder gegeben werden. Zur Vertiefung siehe u.a. Erll, Astrid, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung, Stuttgart/Weimar 2005; Schiller, Dietmar, Politische Gedenktage in Deutschland. Zum Verhältnis von öffentlicher Erinnerung und politischer Kultur, in: APuZ B 25 (1993), S. 32-39.
[4] Cornelißen, Christoph/Klinkhammer, Lutz/Schwentker, Wolfgang, Nationale Erinnerungskulturen seit 1945 im Vergleich, in: dies. (Hrsg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt/M.² 2004, S. 13.
[5] Vgl. hierzu ebd., S. 12f; ebenso Halbwachs, Maurice, Das kollektive Gedächtnis, Frankfurt/M. 1985, S. 35.
[6] Kirsch, Jan-Holger, „Wir haben aus der Geschichte gelernt.“ Der 8. Mai als politischer Gedenktag in Deutschland, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 4.
[7] Wolfrum, Edgar, Geschichte als Politikum – Geschichtspolitik. Internationale Forschungen zum 19. und 20. Jahrhundert, in: Neue Politische Literatur 41 (1996), S. 377.
- Quote paper
- Manuel Claudius Reinhardt (Author), 2005, Der 8. Mai 1955-1975. Entwicklung und Instrumentalisierung in der bundesrepublikanischen Politik zwischen ,Niederlage 45’ und ,Befreiung 85’, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83996
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