Seit dem Vertrag von Nizza (Dezember 2000) verfügt die Europäische Union über eine "Eu-ropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik" ( kurz ESVP), die es ihr ermöglichen soll, "autonom Beschlüsse zu fassen in den Fällen, in denen die NATO als Ganzes nicht einbezo-gen ist" . Zu diesem Zweck soll bis 2003 eine "schnelle Eingreiftruppe" von bis zu 60.000 Soldaten einsatzfähig sein, die sich jedoch – in Ermangelung einer stehenden europäischen Armee - auf die Kontingente wird stützen müssen, welche die EU-Staaten bereitstellen. Ob diese Truppe wirklich schnell und wirkungsvoll wird reagieren können, hängt wesentlich von den innenpolitischen Entscheidungsprozessen der einzelnen Regierungen Europas bei der Entsendung von Streitkräften ab.
Im Folgenden werden diese Prozesse in zwei Ländern untersucht, die das "Herzstück" oder auch der "Motor" bei der Einigung Europas genannt werden, die aber dennoch grundlegende Unterschiede in der Machtverteilung zwischen Staatsoberhaupt, Regierung und Parlament aufweisen: Frankreich und Deutschland.
Wie wirken sich also diese Unterschiede auf die innenpolitischen Entscheidungsprozesse bei der Entsendung von Streitkräften aus?
Dieser Vergleich erscheint gerade im Lichte der Diskussion um einen möglichen Militär-schlag gegen den Irak und den im Wahlkampf behaupteten "deutschen Weg" interessant, weil sich schon dabei zeigt, wie stark nationale Rahmenbedingungen die politische Wirklichkeit bestimmen und wie schwach der Geist der ESVP bisher ausgeprägt ist.
Um ein Verständnis für die zum Vergleich stehenden Prozesse entwickeln zu können, wird zunächst die Machtaufteilung zwischen Parlament, Regierung und Präsident in Frankreich und in Deutschland erläutert. Darauf aufbauend werden die Entscheidungsbefugnisse und -prozesse beider Länder bei einem Streitkräfteeinsatz aufgezeigt, um letztlich die Wirkungsfä-higkeit der ESVP bewerten zu können.
Hinsichtlich der Literatur für den systempolitischen Teil der Hausarbeit verschafften die Wer-ke von Klaus von Beyme und Udo Kempf einen guten Überblick, auch wenn sie nicht näher auf die Machtbefugnisse zum Einsatz von Streitkräften eingehen. Für diese Analyse waren im Besonderen die Aufsätze von Pascal Vennesson und Werner Link, die Studie von Alexander Siedschlag und der Informationsrapport der Assemblée nationale hilfreich. Für den Ausblick auf die nähere Zukunft der ESVP dienten vor allem die Aufsätze von Gunther Hellmann und Hans Henning von Sandrart.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1. Die Machtverteilung im Regierungssystem Frankreichs
2.1.1. Der Staatspräsident
2.1.2. Der Premierminister
2.1.3. Das Parlament
2.1.4. Kleines Fazit zur Machtverteilung im französischen Regierungssystem
2.2. Die Machtverteilung im Regierungssystem Deutschlands
2.2.1. Die Bundesregierung
2.2.2. Das Parlament
2.2.3. Der Bundespräsident
2.2.4. Kleines Fazit zur Machtverteilung im deutschen Regierungssystem
2.3. Die Entscheidungsbefugnisse und –prozesse beim Einsatz von Streitkräften
2.3.1. In Frankreich
2.3.2. In Deutschland
3. Schlußfolgerungen
4. Literaturverzeichnis
1 Einleitung
"Das Bewußtsein darüber, daß Europa in den weltweiten bewaffneten Konflikten nicht auf Dauer passiv bleiben oder bestenfalls Scheckbuchdiplomatie betreiben kann, ist spätestens seit dem Kosovo-Krieg in der europäischen Öffentlichkeit spürbar gestiegen. Diesem Bewußtsein scheinen die politischen Entscheidungen in den Hauptstädten der EU-Mitglieder aber nur zögernd zu folgen."[1].
Seit dem Vertrag von Nizza (Dezember 2000) verfügt die Europäische Union über eine "Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik" ( kurz ESVP), die es ihr ermöglichen soll, "autonom Beschlüsse zu fassen in den Fällen, in denen die NATO als Ganzes nicht einbezogen ist"[2]. Zu diesem Zweck soll bis 2003 eine "schnelle Eingreiftruppe" von bis zu 60.000 Soldaten einsatzfähig sein, die sich jedoch – in Ermangelung einer stehenden europäischen Armee - auf die Kontingente wird stützen müssen, welche die EU-Staaten bereitstellen. Ob diese Truppe wirklich schnell und wirkungsvoll wird reagieren können, hängt wesentlich von den innenpolitischen Entscheidungsprozessen der einzelnen Regierungen Europas bei der Entsendung von Streitkräften ab.[3]
Im Folgenden werden diese Prozesse in zwei Ländern untersucht, die das "Herzstück" oder auch der "Motor" bei der Einigung Europas genannt werden, die aber dennoch grundlegende Unterschiede in der Machtverteilung zwischen Staatsoberhaupt, Regierung und Parlament aufweisen: Frankreich und Deutschland.
Wie wirken sich also diese Unterschiede auf die innenpolitischen Entscheidungsprozesse bei der Entsendung von Streitkräften aus?
Dieser Vergleich erscheint gerade im Lichte der Diskussion um einen möglichen Militärschlag gegen den Irak und den im Wahlkampf behaupteten "deutschen Weg" interessant, weil sich schon dabei zeigt, wie stark nationale Rahmenbedingungen die politische Wirklichkeit bestimmen und wie schwach der Geist der ESVP bisher ausgeprägt ist.
Um ein Verständnis für die zum Vergleich stehenden Prozesse entwickeln zu können, wird zunächst die Machtaufteilung zwischen Parlament, Regierung und Präsident in Frankreich und in Deutschland erläutert. Darauf aufbauend werden die Entscheidungsbefugnisse und -prozesse beider Länder bei einem Streitkräfteeinsatz aufgezeigt, um letztlich die Wirkungsfähigkeit der ESVP bewerten zu können.
Hinsichtlich der Literatur für den systempolitischen Teil der Hausarbeit verschafften die Werke von Klaus von Beyme und Udo Kempf einen guten Überblick, auch wenn sie nicht näher auf die Machtbefugnisse zum Einsatz von Streitkräften eingehen. Für diese Analyse waren im Besonderen die Aufsätze von Pascal Vennesson und Werner Link, die Studie von Alexander Siedschlag und der Informationsrapport der Assemblée nationale hilfreich. Für den Ausblick auf die nähere Zukunft der ESVP dienten vor allem die Aufsätze von Gunther Hellmann und Hans Henning von Sandrart.
2 Hauptteil
2.1. Die Machtverteilung im Regierungssystem Frankreichs
2.1.1. Der Staatspräsident:
"Dem Staatspräsidenten ist die gesamte unteilbare Autorität des Staates vom Volk, das ihn gewählt hat, anvertraut worden."[4]
Die zentrale Stellung des französischen Präsidenten wird bereits an der Behandlung der Organe im Verfassungstext sichtbar: so folgen die Artikel, die den Staatschef betreffen direkt auf den Abschnitt "Die Souveränität" – erst danach werden Funktion und Rechte von Regierung und Parlament erläutert. Nach Art. 5 der Verfassung vom 4. Oktober 1958 "wacht" der Präsident, der vom Volk für fünf Jahre gewählt wird und somit über eine direkte Legitimation verfügt, als überparteilicher Schiedsrichter und Garant der nationalen Unabhängigkeit über die Einhaltung der Verfassung. Bei den dem Präsidenten der Republik zugewiesenen Machtbefugnissen muß zwischen jenen, für deren Wahrnehmung er auf ministerielle Gegenzeichnung angewiesen ist und jenen, die er allein ausüben kann unterschieden werden. Nach Art. 19 sind die letzteren: Ernennung des Premierministers und seine Entlassung, wenn dieser den Rücktritt der Regierung einreicht (Art. 8 Abs.1), Anberaumung eines Volksentscheids auf Vorschlag der Regierung oder beider Kammern des Parlaments (Art. 11), Auflösung der Nationalversammlung (Art. 12) (ÞFunktion als konstitutioneller Schiedsrichter), Unterzeichnung der im Ministerrat beschlossenen Verordnungen und Dekrete (Art. 13 ), Oberbefehl über die Streitkräfte (Art. 15), Anwendung des Notstandsartikels (Art. 16), Botschaften an das Parlament (Art. 18), Ernennung drei der neun Mitglieder (einschl. des Präsidenten) des Verfassungsrates (Art. 56) und Anrufung desselben (Art. 54 und 61).
Hinzuzufügen sind der Vorsitz im Ministerrat (Art. 9), in den interministeriellen Sitzungen und in den für die nationale Verteidigung vorgesehenen Gremien. Alle anderen Amtshandlungen des Staatspräsidenten benötigen die Zustimmung des Premiers oder der Regierung: so zum Beispiel die Einberufung des Parlaments zu Sondersitzungen oder die Möglichkeit, ein Gesetz zur neuerlichen Beratung ans Parlament zurückzusenden (Art. 10).
Diese Ansammlung von Kompetenzen ist im Vergleich zu den Befugnissen des Bundespräsidenten sehr umfangreich. Damit besitzt der französische Staatspräsident in der Praxis eine weitestgehend unbeschnittene Richtlinienkompetenz - der Premierminister wird mehr oder weniger zum "ersten Mitarbeiter des Staatschefs"[5] degradiert. Dies ist allenfalls in Zeiten einer Cohabitation zu relativieren , in denen die Gestaltungsmöglichkeiten des Präsidenten merklich eingeschränkt sein und die Machtverhältnisse in der Innenpolitik sich in Richtung des Regierungschefs und seiner Minister verschieben können. Doch die Domaine-réservé (Außen- und Verteidigungspolitik) des Präsidenten bleibt ebenso unangetastet wie seine beherrschende Position im politischen System, denn verantwortlich ist er nach Art. 68 nur im Falle des Hochverrates.
2.1.2. Der Premierminister
Der Premierminister wird unabhängig, jedoch entsprechend der Mehrheitsverhältnisse im Parlament vom Staatspräsidenten bestellt und stützt sich somit "beinahe ausschließlich – außer im Falle der Cohabitation – auf das Vertrauen [...], das ihm der Staatspräsident entgegenbringt; eines ausdrücklichen Vertrauensbeweises vonseiten der Nationalversammlung bedarf es dagegen nicht"[6] [7]. Trotz der herausragenden Stellung des Präsidenten ist es die Regierung, die laut Verfassung über Verwaltung und Streitkräfte verfügt und es ist der Premier, dem die Leitung der Regierungstätigkeiten – jedoch im Rahmen der Beschlüsse im Ministerrat - zugewiesen wird, der als Verantwortlicher für die Landesverteidigung die vom Präsidenten beschlossene Verteidigungspolitik realisiert ( Art. 21) und der, zusammen mit den Parlamentsmitgliedern das Recht der Gesetzesinitiative besitzt ( Art. 39) und deren Ausführung gewährleistet ( Art. 21). Weiterhin besitzt er die Verordnungsgewalt und kann nach Art. 49 nach Beschluß im Ministerrat vor der Nationalversammlung die Vertrauensfrage über das Regierungsprogramm stellen.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Premierminister "eine Art Scharnier zwischen dem Staatschef und den Mitgliedern der Regierung, aber ebenso auch zwischen dem Präsidenten
und der Mehrheitsfraktion oder Koalition" darstellt. "In dieser Eigenschaft wirkt er an nahezu allen präsidentiellen Entscheidungen mit. Gegenüber der Regierungskoalition fällt ihm die Aufgabe zu, für die Umsetzung dieser Beschlüsse zu sorgen. [...] Gegebenenfalls ist er auch verpflichtet, den ablehnenden oder zögernden Präsidenten von der Richtigkeit der Regierungsbeschlüsse [...] zu überzeugen."[8]
2.1.3 Das Parlament
Das Parlament der V. Republik besteht aus zwei Kammern: der Nationalversammlung und dem Senat. Erstere besteht aus 577 Abgeordneten, die in allgemeiner und direkter Wahl auf fünf Jahre gewählt werden. Der Senat hat 317 Mitglieder, die indirekt für neun Jahre gewählt, jedoch alle drei Jahre zu einem Drittel ausgetauscht werden. Da sich das politische Gewicht in der V. Republik zur Exekutive hin verlagerte, verlor das Parlament deutlich an Bedeutung was durch die dritte Stelle im Verfassungstext veranschaulicht wird. Die Befugnisse der beiden Kammern sind von unterschiedlichem Gewicht: Beide üben zwar gemeinsam die gesetzgebende Gewalt aus, einschließlich des Haushalts, dennoch hat die Nationalversammlung vor allem dadurch ein merkliches Übergewicht, daß Art. 45 bei fehlender Einigungsmöglichkeit hinsichtlich der Fassung eines Gesetzes der Nationalversammlung das Recht zuweist, allein darüber zu beschließen. Weiterhin ist es das Abgeordnetenhaus und nicht der Senat, welches nach Art. 49 berechtigt ist, der Regierung durch die Annahme eines Mißtrauensantrages das Mißtrauen auszusprechen. Letztlich gehört der Senat zu den zweiten Kammern, die vor allem dazu bestimmt sind, die Territorialrepräsentierung (Départements und Überseedépartements) zu übernehmen[9] und über "wenig Potestas, aber viel Auctoritas"[10] verfügen.
2.1.4. Kleines Fazit zur Machtverteilung im französischen Regierungssystem
Wie sich bei der Analyse der Machtverteilung herausgestellt hat, ist in Frankreich ein semipräsidentielles Regierungssystem[11] vorzufinden, in dem der Staatspräsident – trotz einiger Beschneidungen seiner Kompetenzen in Zeiten der Cohabitation - tatsächlich den "Schlußstein im Gebäude der Exekutive"[12] darstellt, wie es Mitterrand am 12. April 1992 beschrieb. Allerdings ist durch das Konzept der "doppelköpfigen Exekutive" vor allem während einer Cohabitation sowohl vonseiten des Staats- als auch des Regierungschefs ein erhebliches Maß an Kompromißbereitschaft notwendig, wenn man keine Blockadepolitik führen möchte. Das französische Parlament besitzt wie bereits erwähnt, weit weniger Befugnisse als das Deutsche, was sich auch in den innenpolitischen Entscheidungsprozessen zum Einsatz von Streitkräften niederschlägt. Dies wird jedoch zu einem späteren Zeitpunkt behandelt werden.
[...]
[1] Dr. Pflüger, F.: Zur Zukunft Europäischer Sicherheitspolitik: Die deutsche Sicht, in: Grundpfeiler europäischer Sicherheit, Bundesakademie für Sicherheitspolitik 10/2001, S. 56.
[2] Siedschlag, A.: Innenpolitische Entscheidungsprozesse bei Streitkräfteeinsätzen im Rahmen der Petersberg-Aufgaben der Europäischen Union, Studie im Auftrag der Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2002, S. 2, zit.n. E.G.Primosch: Europäischer Rat von Helsinki: Vorgaben für das EU-Krisenmanagement, in: Österreichische Militärische Zeitschrift 38 (2000), Nr.2, S. 212-216.
[3] Vgl. Siedschlag, A., ebd., S. 2.
[4] Gicquel, J.: Le "présidentialisme" à la française, france-diplomatie n°21, 08/1995, zit. n. Charles de Gaulle
[5] Kempf, von de Gaulle bis Chirac. Das politische System Frankreichs, Opladen, 1997, S. 73.
[6] Anm. der Verfasserin: Da, wie auch Didier Maus schreibt, aus den "Ministern als politischen Entscheidungsträgern" (vgl. Kempf, U., ebd., S. 83.) durch ihre Abhängigkeit vom Premierminister und vom Staatspräsidenten "Berater des Präsidenten" wurden, werden sie hier aus Platzgründen vernachlässigt.
[7] Kempf, U., a.a.O.., S. 41.
[8] Kempf, U., a.a.O., S. 75/76.
[9] Vgl. Maus, D.: Le Sénat, une chambre à part, in: france-diplomatie, n°=21, 08/1995.
[10] Kempf, U., ebd., S. 138, zit.n. Kempf, U.: Frankreichs Senat – Wenig Potestas, viel Auctoritas, in: Hartmann, J./ Uwe Thaysen: Pluralismus und Parlamentarismus in Theorie und Praxis, Winfried Steffani zum 65. Geburtstag, Opladen 1992, S. 189ff..
[11] Auf die vielgeführte Begriffsdiskussion einzugehen, würde hier den Rahmen sprengen, daher verwendet die Verfasserin den von Duverger im Jahre 1978 eingeführten Begriff "Semipräsidentialismus".
[12] Ebd., S. 27, zit. n.: Chagnollaud, D.: La vie politique en France, Paris 1993.
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