Diese Arbeit vergleicht die Parteientheorie aus dem deutschsprachigen Raum mit den tatsächlich auftretenden politischen Gegebenheiten in Ecuador.
Eingegangen wird zuerst auf die politische Situation und das politische System Ecuadors, in einem weiteren Schritt werden Partizipation, Kooperation, Programmatik, Parteienbindung, Personalismus, Populismus und Opportunismus thematisiert. Die Auswirkungen des Regionalismus, des Militärs sowie der indigenen Bevölkerung Ecuadors runden die Betrachtung ab.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung: Überblick über die Situation Ecuadors
Das politische System Ecuadors: ein kurzer Überblick
Das Problemfeld der Partizipation
Die Problemfelder ecuadorianischer Parteien
Parteien nach Sutor / Oberreuther und ecuadorianische Parteien
Die Bildung von ecuadorianischen Parteien
Die Bindung an politische Parteien
Die Programmatik der Parteien Ecuadors
Das Folgen des Personalismo: grenzenloser Opportunismus
Die Zusammenarbeit der Parteien
Das (inoffizielle) Ziel der Parteien
Zusammenfassung: Unterschiede zur deutschen Partei und Definition der ‚ecuadorianischen Partei’
Die Auswirkungen auf das politisch - gesellschaftliche Leben Ecuadors
Der politische ‚Stil’
Die Steigerung des Personalismo: der Populismo
Der Regionalismo
Die Rolle des Militärs
Ausblick: die Rolle der Indigenas und die Wahlen 2002
Einleitung: Überblick über die Situation Ecuadors
Gelten die Andenrepubliken seit jeher wegen ihrem „hohen Anteil indigener Bevölkerung und dem multiethischem Charakter ihrer Gesellschaften, der fast chronischen politischen und wirtschaftlichen Instabilität sowie der weit verbreiteten Korruption“ als „skurille Gebilde“[1], so trifft dies auf Ecuador in besonders hohem Maße zu. Seit seiner Unabhängigkeit im Jahre 1830 war das Land mit heute knapp 11,5 Millionen Einwohner von autoritären Regierungen, selbstgefälligen Demokraten und immer wiederkehrenden Militärregierungen geprägt. Die durchschnittliche Regierungszeit in der 160-jährigen Geschichte des Landes beträgt gerade einmal 22 Monate und die Gültigkeit einer durchschnittlichen Verfassung nur 8 Jahre.
Das Land, das seine Importerlöse hauptsächlich mit der für Entwicklungsländer typischen Struktur erwirtschaftet (Beschränkung auf wenige Primärgüter, im Falle Ecuadors v.a. Erdöl, Bananen und Shrimps), leidet zudem unter einer seit 1996 andauernden Wirtschaftskrise, weswegen es fast erstaunlich ist, dass das demokratische System in seiner Art seit 1979 überlebt hat[2]. Dies verblüfft umso mehr, als das Land wegen seiner festgefahrenen politischen Strukturen als praktisch unregierbar gilt (ingobernabilidad[3]).
Das politische System Ecuadors: ein kurzer Überblick
Ecuador besitzt, wie fast alle Länder Lateinamerikas ein präsidentielles Regierungssystem nach nordamerikanischem Vorbild. Der Präsident als Staatsoberhaupt steht der Exekutive vor mit Vorrangstellung gegenüber der Legislative. Die Legislative ist das Repräsentantenhaus als Einkammerparlament, die genauso wie der Präsident direkt vom Volk gewählt werden. Eine Wahlperiode dauert vier Jahre. Die Wahl des Präsidenten erfolgt nur mit absoluter Mehrheitswahl (mehrere Wahlgänge sind die Regel), das Parlament wird in Verhältniswahl gewählt. Die Abgeordneten des Parlamentes bestehen aus den 20‚Nationalen Abgeordneten’, den disputatos nacionales und den 80 regionalen Abgeordneten, den disputados regionales: erstere werden für die gleiche vierjährige Amtsperiode wie die des Präsidenten gewählt, letztere werden nach zwei Jahren komplett ausgetauscht (eine direkte Wiederwahl ist durch die ecuadorianische Verfassung sowohl für die Abgeordneten als auch für den Präsidenten ausgeschlossen).
Das Problem der Partizipation
Was bedeutet aber im ecuadorianischem Fall ‚Demokratie’? Oder anders: Welche Volksgruppen nehmen an ihr Teil?
Generell muss bei funktionierenden Demokratien auch allen Bevölkerungsgruppen, nicht nur in der Theorie, sondern auch de facto Zugang zu aktivem und passivem Wahlrecht gewährt werden; nur so lässt sich sicherstellen, dass die Partien tatsächlich auch als „Vermittlungsagentur zwischen dem gesellschaftlichen und politischen System“[4] wirken und sich Robert Michels „ehernes Gesetz der Oligarchie“[5] von der Parteiführung nicht auf das komplette Wesen der Partei ausbreitet.
Ein oligarchisches Herrschaftsmuster war für Ecuador jedoch lange Zeit der Regelfall, trotz offizieller Demokratie. Daher blieb den marginalisierten Bevölkerungsschichten, allen voran der indianisch-indigenen Bevölkerung (Indigenas), Schwarzen und Armen lange Zeit die politische Mitbestimmung verwehrt. Abad schreibt hierzu 1974:
Die repräsentative Demokratie Ecuadors ist eine Demokratie der Weißen.
Und weiter:
The ruling classes, consituting aproximately 20 percent of the population of the republic, monopolize control of the legislative function […]. Members of congress are the landowners, officers of the armed forces […] and men of letters and the liberal professions.[6]
Diesen 20% stehen 80% indigene Bevölkerung, Mestizen, Mulatten und Schwarze gegenüber. Ebenfalls leben ca. 75% der Bevölkerung in Armut. Diese Bevölkerungsgruppen besaßen lange Zeit de facto allenfalls das aktive Wahlrecht, während die politischen Ämter in der Hand weniger Familien blieben.
Zwar hat sich gerade in diesem Bereich vieles in den letzten Dekaden bewegt: an die Stelle des von Abad beschriebenen traditionellen Patronageverhältnis zwischen Großgrundbesitzer und seinen landlosen Pächtern, die sich der Anweisungen des ‚Patróns’ und des Ortspfarrers[7] zu beugen hätten, sind selbstbewusste Indigenas -Verbände getreten, die es v.a. durch ihre Verbände Pachakutik und CONAIE immer besser schaffen, die Interessen ihrer Mitglieder politisch zu artikulieren[8].
Dennoch: an ihrer weitgehend isolierten politischen und sozioökonomischen Stellung im ecuadorianischen System hat sich für die marginalisierten Bevölkerungsgruppen kaum etwas Grundlegendes geändert[9], weswegen die ecuadorianische Demokratie nur einen geringen Rückhalt in der Bevölkerung[10] genießt.
Die Problemfelder ecuadorianischer Parteien
Parteien nach Sutor / Oberreuther und ecuadorianische Parteien
Der Grund für den mangelnden Rückhalt der Demokratie ist in dem Handeln der zentralen demokratischen Akteure, den Parteien zu suchen. Es ergeben sich dabei deutliche Unterschiede zu den Parteien deutscher Prägung nach dem Schema von Sutor und Oberreuther. Dessen zentrale Punkte sind:
- eine Interessensvertetung (mit Interessensselektion, -aggregation und – artikulation)
- eine Programmfunktion
- eine Partizipation und damit Legitimation und Integration der Bevölkerung und
- eine Personalrekrutierung.[11]
Die Bildung von ecuadorianischen Parteien
Eine Partei in westlichen Demokratien der ‚1.Welt’ zeichnet sich im Regelfall dadurch aus, dass sie nicht ‚über Nacht’ entsteht, sondern ihr klare Parteibildungsprozesse vorauslaufen. Aus Gruppeninteressen bilden sich organisierte Interessensgruppen, aus ihnen wiederum entstehen zum Zweck der politischen Anteilnahme Parteien[12]. Anhand dieses Prozesses ist garantiert, dass die Partei einen klaren Bezug zur Bevölkerung bewahrt und der Kontakt zur Basis und damit ihre Funktion als Interessensvertretung nicht verloren geht[13].
Dies ist jedoch für den ecuadorianischen Fall nicht zutreffend. Die Mehrzahl der Parteien weist einen Bezug zur Basis nicht auf, vielmehr sind sie Vereinigungen der gesellschaftlichen Eliten, davon v.a. der Großgrundbesitzer und Handelselite, zum Zweck der Konsolidierung ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Macht[14]. Dabei spielt die Art der Partei keine Rolle: egal, ob Links-, Mitte- oder Rechtspartei, ihre Spitze rekrutiert(e)[15] sich alleine aus den Spitzen der Gesellschaft, was v.a. bei der Kommunistischen und Sozialistischen Partei Ecuadors (die ja eigentlich Bauern- und Arbeiterparteien sind) teils skurrile Züge trägt[16].
Ebenso sind aufgrund der fehlenden Entwicklungsprozesse Adhoc -Gründungen politischer Parteien kurz vor Wahlen mit so klangvollen Namen wie Nuevo País (Neues Land, 1996) oder Partido Unidad Republicano (Partei Republikanische Einheit, 1991) keine Seltenheit, die nach Erreichung ihres Zieles (Einzug ins Parlament) auch rasch wieder verschwinden. Wegen der hohen Anzahl dieser Adhoc -Gründungen ist die Parteienlandschaft unübersichtlich und von einer hohen Parteienanzahl geprägt (Multipartidismo genannt ).
Daher bleiben ecuadorianische Parteien größtenteils in sich geschlossene und von der Gesellschaft isolierte Gebilde, ohne auf die Basis bezogene Interessensselektion, -aggregation und –artikulation. Durch den Multipartidismo ist die Parteienlandschaft zudem zersplittert, eine Einteilung in klare politische Lager kaum möglich.
Die Bindung an politische Parteien
Durch den mangelhaften Bezug der Partei zur Bevölkerung verfügen ecuadorianische Parteien als Folge nur über eine geringe Bindung an gesellschaftliche Gruppen. Ein Stammwählerpotential besitzen die meisten Parteien nicht[17], wodurch Ecuador nach Mainward und Scully einen der geringsten Institutionalisierungsgrade Lateinamerikas aufweist[18]. Diese Wählerschwankungen wirken sich besonders dramatisch auf die Regierungsparteien aus, die in der folgenden Wahlperiode in der Regel den größten Teil ihrer Wähler wieder verlieren[19].
[...]
[1] Siehe Steinhauf, S.11.
[2] Der Putschversuch unter Oberst Lucio Gutierrez im Jahr 2000 blieb erfolglos, vgl. Minkner-Bünjer, Mechthild: „Ecuador auf dem Pulverfass oder der weite Weg zur Demokratie“ in: Brennpunkt Lateinamerik a, Nr.1 (Februar2000), S. 19ff.
[3] Vgl. Hoffmann, Karl-Dieter: Pugna de Poderes, Eichstätt 1998, S. 27ff.
[4] Siehe Schreyer, Berhard: Grundkurs Politikwissenschaft: Studium der politischen Systeme,
Wiesbaden 2000, S. 122.
[5] siehe Michelsen, Robert, zitiert nach Schreyer, S. 136
[6] siehe Abad Franco, Armado: Parteiensystem und Oligarchie in Ecuador, Berlin 1974, S.12.
[7] Vgl. Abad, S.36.
[8] Ecuadors Indigena -Verbände gelten als die bestorganisierten Lateinamerikas. Sie waren maßgeblich am letzten Putschversuch des derzeitigen Präsidenten Lucio Gutierrez im Januar 2000 beteiligt, vgl. Minkner-Bunjer, „ Ecuador auf dem Pulverfass“, S.20 ff.
[9] Vgl. Minkner-Bünjer, „Ecuador auf dem Pulverfass“, S.22.
[10] 50 % der Ecuadorianer wünschen sich anstatt einer demokratischen eine autoritäre Regierung, die ihrer Ansicht nach besser mit den aktuelle Problemen umzugehen weiß als die oligarchischen Strukturen, vgl. Minkner-Bünjer, „Ecuadors wirtschaftliche Dauerkrise“, S.211
[11] Vgl. Schreyer, S. 125.
[12] Vgl. Schreyer, S. 103ff.
[13] Vgl. Hoffmann, Karl-Dieter: „Ecuador – ein unregierbares Land?“ in KAS Auslandsinformation, Nr. 1 (Januar 1998), S.57. Die Bestätigung dieser Theorie ist ebenfalls gut an den Problemen der SPD im Mai / Juni 2003 zu sehen, den Bezug zur Basis aufgrund eines basisfernen politischen Programms aufrecht zu erhalten.
[14] Vgl. Abad, S. 61ff.
[15] Die Vergangenheitsform steht hier für alle Parteien, die zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Arbeit (März bis August 2003) nicht mehr existierten.
[16] Nach Abad rekrutiert sich ihre Spitze aus der „Kleinburgeoisie“, siehe und vgl. Abad, S. 195.
[17] Eine Ausnahme bilden die zwei modernen Volksparteien Izquierda Democrática (ID) und Democracia Popular (DP) seit dem Ende der 1960er Jahre. Ihr Stammwählerpotiental befindet sich v.a. in der Sierra. Siehe dazu auch den Punkt: Regionalsimo
[18] „Nach Mainward / Scully ist der Institutionalisierungsgrad eines Parteiensystems gering, wenn die relative Stärke der Parteien innerhalb des Parteiengefüges […] von Wahl zu Wahl nicht eine gewisse Stabilität aufweist.“, siehe Hoffmann, Pugna de Poderes, S.22.
[19] So erzielte die ID (= Izquierda Democratica) 1988 30 Mandate, in der folgenden Wahlperiode 1992 nur noch acht. Das gleiche Schicksal ereilte die CFP (= Concentración de Fuerzas Populares), die nach 24 Mandaten im Jahr 1992 nur noch ein Mandat im Jahr 1996 erreichte, vgl. Hoffmann, „Ecuador – ein unregierbares Land?“, S. 59
- Arbeit zitieren
- Florian Schwarz (Autor:in), 2003, Welches sind die typischen Eigenschaften der ecuadorianischen Parteien?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83455
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