In den modernen Gesellschaften ist die Behandlung der Kranken, die Ausbildung der Ungebildeten und die Unterstützung der Armen eine kollektive Angelegenheit und fällt in den Bereich der büro-kratischen Verwaltung unter der Autorität des Nationalstaates. In diesem Buch untersucht de Swaan die Kollektivierung im Gesundheits-, Bildungs- und Fürsorgewesen aus dem Gesichtspunkt einer historisch vergleichenden Soziologie, verknüpft mit der Theorie des kollektiven Handelns. Genauer gesagt untersucht er den Prozess der Kollektivierung in der Geschichte der Gesellschaften.
Er geht folgender Frage nach: „Wie und warum kamen Menschen dazu, kollektive, landesweite, verbindliche Arrangements gegen Risiken und Defizite zu treffen, die sie einzeln zu bedrohen und individuelle Lösungen zu erfordern schienen?“ (Swaan, 1993, S. 12). Er bietet Antwortmöglichkei-ten aus zwei unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Ein Ansatz entstammt aus der Wohl-fahrtsökonomik, es ist das Konzept der externen Effekte.
Inhaltsverzeichnis
1. Abram de Swaan und sein Buch „Der sorgende Staat“
1.1 Zum Autor Abram de Swaan
1.2 Einführung in „Der sorgende Staat“
2. Armut und die Institution des Eigentums
2.1 Definition der Begriffe „Armut“ und „Institution“
2.2 Der Zusammenhang zwischen Armut und der Institution des Eigentums
2.3 Die Einstufung der Armen
3. Kommunale Wohltätigkeitssysteme
3.1 Die Entstehung kommunaler Wohltätigkeitssysteme
3.2 Anfängliche Probleme kommunaler Wohltätigkeitssysteme
3.3 Die Lösung des internen Dilemmas freiwilligen, kollektiven Handelns
3.3.1 Norbert Elias’ Spielmodelle
3.3.2 Vielpersonenspiele auf mehreren Ebenen
3.3.3 Der oligarchische Typ als Beispiel eines zweistöckigen Spielmodells
3.3.4 Die kommunale Fürsorge am Beispiel des oligarchischen Typs
4. Der Zusammenbruch regionaler Fürsorgesysteme und das regionale Gleichgewicht der Fürsorge
4.1 Gründe für den Zusammenbruch
4.2 Die Entstehung des regionalen Gleichgewichts der Fürsorge
4.3 Arbeitshäuser als Lösung des Problems des regionalen Vagabundierens
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Abram de Swaan und sein Buch „Der sorgende Staat“
1.1 Zum Autor Abram de Swaan
Abram de Swaan wurde 1842 geboren. Er ist ein sehr angesehener Professor der Sozialwissenschaften an der Universität Amsterdam. An dieser Universität war er von 1973 bis 2001 der Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie. Er war einer der Mitbegründer, von 1987 bis 1997 auch der Dekan der Amsterdam School for Social Science Research und führt dort derzeit den Vorsitz.
Er erhielt zahlreiche wissenschaftliche Preise und Auszeichnungen. Weiterhin ist er Mitglied bei etlichen internationalen redaktionellen Gremien und bei verschiedenen Beiräten. Zudem war er schon Gastprofessor an diversen anderen Schulen und Universitäten, wie beispielsweise der Columbia University, der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales, dem Maison des Sciences de l’Homme in Paris und der Ecole des Sciences Politiques.[1]
De Swaan hat zahlreiche Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht und darüber hinaus auch einige Bücher geschrieben. Unter anderem das 1993 erschienene Werk „Der sorgende Staat“, um welches es auch in der folgenden Arbeit geht.
1.2 Einführung in „Der sorgende Staat“
De Swaan wollte die Entwicklung mannigfaltiger Institutionen von Beginn der Neuzeit bis in die Gegenwart in den Ländern Großbritannien, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und den USA verfolgen. Bei seinen Recherchen vermied er es Archive aufzusuchen. Stattdessen wertete er Sekundärquellen aus und, falls verfügbar, auch tertiäre Schriftstücke von Historikern und Sozialwissenschaftlern. Insofern stützte er sich bei seiner Untersuchung auf die Arbeiten anderer Forscher.
In den modernen Gesellschaften ist die Behandlung der Kranken, die Ausbildung der Ungebildeten und die Unterstützung der Armen eine kollektive Angelegenheit und fällt in den Bereich der bürokratischen Verwaltung unter der Autorität des Nationalstaates. In diesem Buch untersucht de Swaan die Kollektivierung im Gesundheits-, Bildungs- und Fürsorgewesen aus dem Gesichtspunkt einer historisch vergleichenden Soziologie, verknüpft mit der Theorie des kollektiven Handelns. Genauer gesagt untersucht er den Prozess der Kollektivierung in der Geschichte der Gesellschaften.
Er geht folgender Frage nach: „Wie und warum kamen Menschen dazu, kollektive, landesweite, verbindliche Arrangements gegen Risiken und Defizite zu treffen, die sie einzeln zu bedrohen und individuelle Lösungen zu erfordern schienen?“ (Swaan, 1993, S. 12). Er bietet Antwortmöglichkeiten aus zwei unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Ein Ansatz entstammt aus der Wohlfahrtsökonomik, es ist das Konzept der externen Effekte. Damit sind die Auswirkungen individueller Risiken und Defizite auf nicht direkt Betroffene gemeint. In diesem Fall sind es die Folgen der Armut und sozialer Notlagen, welche schließlich auf die Reichen und Etablierten wirken.
Der andere Ansatz geht zurück auf die historische Soziologie von Norbert Elias und seinen Vorläufern. Dieser sagt, dass Menschen durch Interdependenzketten aneinander gebunden sind. Diese Interdependenzketten bildeten sich in Laufe der Geschichte immer stärker aus und machten die Gesellschaftsschichten voneinander abhängig. Dadurch wurden auch die Probleme der Armen gleichzeitig zu Problemen der Reichen. Dieses Konzept wird auch „das Konzept der Figurationen von Menschen“ (Swaan, 1993, S.12) genannt, wobei der Begriff „Figuration“ genau dieses sich wandelnde Muster voneinander abhängiger Menschen bezeichnet.
Als Erklärungshintergrund der Studie ist die Staatenbildung, das Aufkommen des Kapitalismus und die Prozesse der Urbanisierung und Säkularisation zu sehen. Dadurch wurde die Balance der wechselseitigen Abhängigkeiten verschoben. Menschen wurden zu Bürgern, Unternehmer gründeten Märkte wodurch die Menschen zu Arbeitnehmern und Konsumenten wurden. Diese Vorgänge steigerten die Interdependenz. Eine sehr zentrale Rolle innerhalb des Prozesses der Kollektivierung spielen die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den Armen und Reichen oder den Mächtigen und Machtlosen. In den Feudalgesellschaften waren die Armen für die Reichen auf der einen Seite gefährlich und auf der anderen Seite nützlich. Sie konnten einerseits Angriffe der Armen befürchten und sie aber andererseits für sich arbeiten lassen. Die Armen waren eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, den Frieden und die Gesundheit, aber auch Arbeiter, Rekruten und Konsumenten.
Durch die externen Effekte der Armut nahm die Interdependenz der Reichen untereinander zu, da sie gemeinsam gegen die Externalitäten vorgehen mussten. Armut war somit ein kollektives Problem und erforderte kollektives Handeln. Das Dilemma jedoch hierbei war, dass auch diejenigen Reichen und Etablierten von den Anstrengungen zur Eindämmung der externen Effekte profitieren konnten, die keinen Beitrag dazu geleistet hatten. Aus soziogenetischer Sichtweise sind diese Konflikte des kollektiven Handelns allerdings nur eine vorübergehende Erscheinung, da sich die Handelnden sich ihrer Interdependenz bewusst sind, ohne das die Handlungen schon auf der Ebene eines Kollektivs koordiniert sind. Im Lauf der Zeit führt kollektives Handeln zu einem Kollektiv, dass dann die Schritte der Mitglieder koordiniert. Weiterhin führt es zu einem Kollektivgut, das jedoch nicht unabhängig vom Kollektiv bestehen kann. Die Voraussetzung für ein Kollektivgut ist ein Trägersubjekt, bei der Verteidigung beispielsweise ist es der Nationalstaat. Der Prozess der Kollektivierung ist so lange reversibel, bis die Kollektivierung so weit ist, dass Ausreißer dafür bestraft werden können. Doch selbst dann kann sie sich noch jederzeit wieder auflösen.
Bei der Kollektivierung der Fürsorgemaßnahmen für Arme gibt es drei wichtige Gesichtspunkte. Ihr Spektrum schloss entweder die ganze Nation und all ihre dazugehörigen Bürger ein oder grenzte bestimmte Gruppen formell ab. Kollektiver wurden die Maßnahmen als die Beiträge von den nach einem amtlichen Schema bewerteten Lebensverhältnissen abhängig gemacht wurden. Schließlich wurden die Maßnahmen hauptsächlich vom Staat oder öffentlichen Anstalten getragen, wodurch sie genug Autorität hatten um sich den nötigen Respekt und Verwaltungsapparat zu schaffen, der für die Durchführung der Maßnahmen nötig war.
Kollektive Zwangsvorkehrungen konnten sich dann schnell durchsetzen, wenn entweder der Zeitpunkt und das Ausmaß einer Notlage unklar waren oder wenn die Wirksamkeit der Gegenmaßnahmen nicht absehbar war. Außerdem auch dann, wenn das Ausmaß der externen Effekte von Risiken und Defiziten für nicht Betroffene ungewiss war. Auf der einen Seite lassen sich die beiden erstgenannten Ungewissheiten am besten in breit gefächerten Kollektiven bekämpfen, da bei steigender Größe einer Gruppe die Wahrscheinlichkeit einer Gleichverteilung der Risiken steigt. Auf der anderen Seite führt die ansteigende Größe auch zu einer Verschärfung der Konflikte kollektiven Handelns, da die wechselseitige Kontrolle nicht mehr so gut möglich ist und die Solidarität geschwächt wird. Das Ausmaß der externen Effekte hängt von der Dichte und Verzweigung des sozialen Netzes ab. Je mehr Menschen sich in einer Figuration befinden, umso stärker ist die Interdependenz. Folglich wirken sich auch zunehmend Risiken und Defizite auf nicht Betroffene aus.
Ungewissheiten und externe Effekte lassen sich zwar am besten in großen und kollektiven Institutionen lösen, sie werden aber auch mit den Konflikten kollektiven Handelns konfrontiert, welche nur durch wechselseitiges Vertrauen oder Zwang gelöst werden können. Die Kollektivierung des Gesundheits-, Bildungs- und Fürsorgewesens hatte einen starken Einfluss auf die Beziehungen zwischen den Menschen, deren Interaktionen und Grundeinstellung. Ohne kollektive Zwangsregelungen sprach die Not das Mitleid oder den Großmut an. Als die Fürsorge schließlich Aufgabe der Kollektive wurde, verlor die Not ihren Appellcharakter und wurde zum Problem bestimmter Institutionen, die unterstützt werden mussten.
In der neueren Zeit wurde eine Art soziales Bewusstsein erkennbar. Es kann auch als Wissen um die Interdependenz aller Angehörigen eines Volkes bezeichnet werden. Es beinhaltet ein Verantwortungsgefühl, das nicht zum eigenen Handeln zwingt sondern fordert, dass der Staat den Bedürftigen aus Steuereinnahmen helfen soll.
Eine weitere Folge der Kollektivierung war, dass sich die Gipfel des Überflusses und die Abgründe der Not einebneten. Allerdings wuchsen für die Menschen auch die alltäglichen Zwänge und sie mussten lernen, auch die Bedürfnisse möglichst vieler anderer in ihr Handeln einzubeziehen und für die Zukunft zu planen. Man kann sagen, dass sie zivilisierter wurden. Die Kollektivierung verläuft trotzdem noch sehr über den äußeren Zwang, kann sich keinesfalls nur auf die menschliche Einsichtsfähigkeit stützen.
Der heutige Staat ist in hohem Grade auf die Kollektivierung des Gesundheits-, Erziehungs- und Fürsorgewesens zurückzuführen. Der Kollektivierungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Somit begleitet uns das Dilemma des kollektiven Handelns immer noch. Die verschiedenen Nationalstaaten sind sich ihrer Interdependenz zwar bewusst, dennoch bildeten sie bisher kein supranationales Kollektiv um ihre Maßnahmen sinnvoll koordinieren zu können. (Swaan, 1993)
In diesem Buch beschäftigt sich de Swaan unter anderem mit der Wohltätigkeit im Mittelalter, den Armenhäusern der Neuzeit, Kommunikationsnetzen, der Elementarschulpflicht, der Wasserversorgung und Kanalisation, den Arbeiterhilfsvereinen und der Entwicklung der Sozialstaaten. In dieser Arbeit möchte ich jedoch nur auf das Thema der Armut, der Wohltätigkeit und der damit verbundenen aufkommenden regionalen Fürsorge genauer eingehen.
2. Armut und die Institution des Eigentums
2.1 Definition der Begriffe „Armut“ und „Institution“
Das Verständnis von Armut, das bei de Swaans Untersuchungen zugrunde liegt wird nun kurz dargestellt. Die Armut hat nichts mit dem Mangel an Besitz zu tun. Sie wird als Beziehung zwischen Menschen, sozusagen einem sozialen Status verstanden und ist zusammen mit der Zivilisation entstanden. Die Lage der Armen war immer auf ihre Gegenspieler, die Reichen und Etablierten, bezogen. Armut gibt es nur dann, wenn es einen Überschuss gibt und alle nicht nur für ihr Auskommen leben. (Swaan, 1993)
„Der Begriff Institution bezeichnet geltungsstarke, soziale Einrichtungen Leitinstanzen, die auf Dauer bestimmen, „was getan werden muss“. Institutionen schränken die Willkür, Beliebigkeit, Verfallsbereitschaft sozialen Handelns ein; sie geben dem Dasein Halt und Gestalt, ordnen und steigern es und üben anhaltende kulturschöpferische Wirkung aus“ (Endruweit & Trommsdorff, 2002, S. 246).
Auch Talcott Parsons hat sich mit dem Begriff der Institution beschäftigt. Für ihn stellt die Ordnung innerhalb sozialer Systeme ein Problem dar. Dieses Problem kann durch soziale Kontrolle und der Abhängigkeit des Handelnden von gewissen Regeln gelöst werden. Diese Regeln gebieten und verbieten bestimmte Arten von Handlungen, stecken deren Grenzen ab und setzen einen Teil der normativen Muster fest, von welchen das Handeln geleitet wird. Ein besonderer Typus handlungsleitender Regeln, der für das soziale System eine besondere funktionelle Bedeutung hat, wird von Parsons als Institution bezeichnet.
Ein Kriterium der Institution ist der Status. Damit ist die Position eines Individuums innerhalb der Sozialstruktur einer Gesellschaft gemeint. Durch den Status und normative Muster werden Erwartungen anderer Gesellschaftsmitglieder, beziehungsweise Aktoren, bezüglich der Handlung eines betreffenden Individuums festgelegt. Das zweite Kriterium enthält die Verbindlichkeit dieser Regeln, denn sobald eine Regel institutionalisiert wurde besteht die moralische Verpflichtung, sie zu befolgen. Andernfalls kann derjenige, der die Regeln nicht beachtet sanktioniert werden. Das dritte Kriterium besagt, das das Muster zu einem Teil der Sozialstruktur geworden ist. Jedoch können nur diejenigen Verpflichtungen als institutionell betrachtet werden, die im Rahmen eines bestimmten sozialen Systems allgemein anerkannt werden. Die Sanktionen bei nichtkonformen Verhaltensweisen hängen von den gemeinsamen (moralischen) Werten ab. Aus Angst vor Sanktionen verhalten sich die meisten Personen konform. Je nachdem, in welchem Maße ein normatives Muster institutionalisiert ist, wird es von den Individuen als selbstverständlich hingenommen und wird zum Teil der Persönlichkeitsstruktur des Individuums. Dadurch werden Konflikte vermieden und das normative Muster wurde mit den Interessen des Individuums verbunden. (Parsons, 1986)
Zusammenfassend könnte man sagen, dass eine Institution eine Einrichtung innerhalb einer Gesellschaft oder einer sozialen Struktur ist, die Regeln, Normen und Werte beinhaltet und dadurch ihren Mitgliedern einen verbindlichen Rahmen für das soziale Handeln absteckt. Genau das gilt auch für die Institution des Eigentums.
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[1] Abram de Swaan, http://www.deswaan.com/engels/uk_index.htm, abgerufen am 03.03.2006
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