Kaum eine Frage ist, insbesondere seit den 1970er Jahren, in der deutschen Literaturwissenschaft
bei der Betrachtung der Romantik stärker betrachtet und diskutiert
worden, als das ‚Emanzipatorische’ im Frauenbild jener Epoche, die literarisch und
philosophisch maßgeblich von den Vorlesungen und Schriften der Brüder Friedrich und
Wilhelm Schlegel beeinflusst worden ist.
Distanzieren sich in der neuesten Forschung auch zunehmend Literaturwissenschaftler
von der emphatischen Feier vor allem Friedrich Schlegels als einem Vorreiter der
Emanzipation und schlagen gemäßigtere und wohl auch reflektiertere Töne an, gehört
die beginnende Abwendung von der Superiorität des Mannes über die Frau doch zu
einer der Hauptneuerungen der Romantik. Die Ausführungen Goethes zum Beispiel zu
Aufgabe und Bestimmung des weiblichen Geschlechtes stellen das Gegenteil dessen dar,
was Schlegel in seinem Werk ‚Lucinde’ vertritt.
Die Kontakte, die nicht nur die Brüder Schlegel, sondern auch weitere Mitglieder des
Jenaer Kreises und anderer Zeitgenossen zu körperlich und geistig reiferen Frauen
unterhielten, waren grundlegend für die Erkenntnis der Ebenbürtigkeit der
Geschlechter. Leibschaften wie Dorothea Veith und Caroline Böhmer, die später die
Frauen Friedrich und Wilhelm Schlegels wurden und gleichzeitig zu deren Entfremdung
beitrugen, nahmen so als Rückprojektionsfläche großen Einfluss auf die
Literaturgeschichte, auch wenn ihr eigenes Werk kaum Beachtung fand
Diese Ausführungen legen nun den Schluss nahe, dass mit der Veröffentlichung der
Lucinde und den Wiener Vorlesungen der Geist der emanzipatorischen Romantik über
das literarische Deutschland hereingebrochen sei. Doch nicht nur an der oft kritischen,
manchmal polemischen, jedoch in jedem Fall reichlichen Rezeption dieses
Schlüsselwerks der schlegelschen „Symphilosophie“ lässt sich die Gegnerschaft zu
diesem Gedanken ersehen.
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Die so genannte Romantik
1.2 Weiblichkeit in der Romantik
2 Vergleichende Analyse der Protagonistinnen der ‚Klausenburg’
2.1 Sidonie
2.2 Hannchen
2.3 Ernestine
2.4 Elisabeth
3 Die hässliche Bildung, die schöne Naivität? Tiecks Bild von der Frau im Spiegel der Klausenburg und sein Verhältnis zur Romantik
4 Quellen- und Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Kaum eine Frage ist, insbesondere seit den 1970er Jahren, in der deutschen Literaturwissenschaft bei der Betrachtung der Romantik stärker betrachtet und diskutiert worden, als das ‚Emanzipatorische’ im Frauenbild jener Epoche,[1] die literarisch und philosophisch maßgeblich von den Vorlesungen und Schriften[2] der Brüder Friedrich und Wilhelm Schlegel beeinflusst worden ist.
Distanzieren sich in der neuesten Forschung auch zunehmend Literaturwissenschaftler von der emphatischen Feier vor allem Friedrich Schlegels als einem Vorreiter der Emanzipation[3] und schlagen gemäßigtere und wohl auch reflektiertere Töne an, gehört die beginnende Abwendung von der Superiorität des Mannes über die Frau doch zu einer der Hauptneuerungen der Romantik. Die Ausführungen Goethes[4] zum Beispiel zu Aufgabe und Bestimmung des weiblichen Geschlechtes stellen das Gegenteil dessen dar, was Schlegel in seinem Werk ‚Lucinde’ vertritt.
Die Kontakte, die nicht nur die Brüder Schlegel, sondern auch weitere Mitglieder des Jenaer Kreises[5] und anderer Zeitgenossen zu körperlich und geistig reiferen Frauen unterhielten, waren grundlegend für die Erkenntnis der Ebenbürtigkeit der Geschlechter.[6] Leibschaften wie Dorothea Veith und Caroline Böhmer, die später die Frauen Friedrich und Wilhelm Schlegels wurden und gleichzeitig zu deren Entfremdung beitrugen, nahmen so als Rückprojektionsfläche großen Einfluss auf die Literaturgeschichte, auch wenn ihr eigenes Werk kaum Beachtung fand.[7]
Diese Ausführungen legen nun den Schluss nahe, dass mit der Veröffentlichung der Lucinde und den Wiener Vorlesungen der Geist der emanzipatorischen Romantik über das literarische Deutschland hereingebrochen sei. Doch nicht nur an der oft kritischen, manchmal polemischen, jedoch in jedem Fall reichlichen Rezeption dieses Schlüsselwerks der schlegelschen „Symphilosophie“[8] lässt sich die Gegnerschaft zu diesem Gedanken ersehen.
So erschienen zahlreiche Novellen, Romane und Abhandlungen[9] zur so genannten Zeit der Romantik, die eben das Gegenteil ausdrücken.
Inwieweit sich nun Tieck, der, aus dem Jenaer Kreis stammend, zu den Frühromantikern gezählt werden kann, an diesem Vorbild orientiert oder aber in Opposition zur schlegelschen Philosophie ging, soll im Folgenden behandelt werden.
Nach einer Klärung des Epochenbegriffs der Romantik soll noch einmal dezidiert auf die Vorstellung von und die Wahrnehmung der Frau durch die Gesellschaft der Romantik eingegangen werden. Im Hauptteil wird dann anhand vierer Beispiele weiblicher Protagonisten aus Ludwig Tiecks ‚Klausenburg’ dessen Weiblichkeitsbild ermittelt, um im Fazit dieses ausführlich darzustellen und epochal einzuordnen.
1.1 Die so genannte Romantik
Die Begriffe ‚Romantik’ und ‚romantisch’ sind nicht nur in der alltäglichen Sprache vermeintlich feste Begriffe, die bei genauerem Hinsehen eine mannigfaltige Bedeutungsbreite erhalten.[10] Auch in der wissenschaftlichen Begrifflichkeit findet sich eine außergewöhnliche Bedeutungsbreite, die sich in der für jedes Land unterschiedlichen Epochendauer ebenso widerspiegelt wie in den verschiedenen Romantikdefinitionen der Kulturwissenschaften,[11] die den Begriff als einzige wissenschaftlich verwenden.[12]
Schon die geschichtliche Entwicklung dieses Begriffes, der später einmal als Strömungsbegriff des literarischen Schaffens vieler Künstler zwischen 1790 und 1840 Eingang in den Sprachgebrauch finden sollte, deutet die proteische Eigenschaft an.
Ist der etymologische Ursprung in der Bezeichnung der Volkssprache des westlichen Frankenreichs, dem Romanischen, zu finden und stand in, noch, rein begrifflicher Opposition zum klassischen Latein der Liturgie und Gelehrsamkeit, änderte sich dies bald mit dem Aufkommen der provenzalischen Ritterepen. Diese in der Volkssprache verfassten Epen wurden bald als ‚romances’ bezeichnet, wodurch der Begriff erstmals eine Verbindung zur Literatur erhielt.[13] Durch die abenteuerlichen und in der Regel erdichteten Inhalte der Epen erhielt der Begriff der Romantik das Archaische und Schwärmerische, das ihm auch im allgemeinen Sprachgebrauch der heutigen Zeit noch immer anhängt. Auch die Verbindung zur Kultur abgewandten Natürlichkeit stammt daher.[14]
Doch wurde, gerade aufgrund dieser Bedeutungen, der Begriff auch als Kritik und Abqualifikation genutzt, um gegen die unhistorische Fiktionalität zu polemisieren.[15]
Die Opposition des Romantischen zur klassischen Antike, die schon in der Etymologie angelegt ist und auch im gesellschaftlichen Bewusstsein heutiger Tage manifest ist, fand im Ausgang des 18. Jahrhunderts schließlich in Deutschland erste Ausdrucksformen.[16] Das Heidentum der Antike, das in der Aufklärung mit der Antikenrezeiption ins Bewusstsein der Gelehrten stieg,[17] wurde nunmehr als nicht zeitgemäß im Vergleich zum aktuellen, europäischen Christentum angesehen, das in der vorkonfessionellen Zeit, in der auch die romances ihren Ursprung haben, seinen Höhepunkt hatte.[18]
Dies alles förderte eine gewisse Romantisierung von Teilen der Literatur schaffenden Gesellschaft. Allerdings, und hier setzt nun die Problematik der Romantik als Epochenbegriff an, verlief diese Entwicklung parallel zu der Schaffensperiode der Weimarer Klassik, die sich besonders auf das Zeitlose in der antiken Kultur berief.[19] Kam es auch zu häufigen, gegenseitigen Kritiken, die sich teilweise zu Hohn und Spott steigerten, können beide Richtungen nicht ohneeinander gedacht werden, was sich nicht nur in der Verwendung des aus der nichtlateinischen Literatur stammenden Sonetts durch Goethe, sondern auch in der vor allem in der Anfangszeit als Grecomanie belächelten Begeisterung Friedrich Schlegels für die griechische Kultur widerspiegelt.[20]
Dass die Romantik in Deutschland einen so hohen Stellenwert einnahm, ist wohl nicht zuletzt ein Verdienst Napoleons, der, unter den Vorzeichen von überkommenem Klassizismus und in Ablehnung des Christentums, Europa mit Krieg überzog und damit gerade die nationale Romantik beförderte.[21]
Aufgrund des proteischen Charakters des Begriffs Romantik ist somit kaum zu einer geschlossenen Definition zu kommen.[22]
So gibt es laut Schulz „[…] keinen durch bestimmte Symptome eindeutig beschreibbaren romantischen Stil“,[23] was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass sich die Romantik nicht auf alle Lebens- und Denkbereiche auswirkte, sondern lediglich eine ästhetische Bewegung war. Zudem gab es keinen eindeutigen, festen Personenkreis, der ausschließlich ‚romantisch’ geschrieben hätte. Deshalb, und weil zeitgleich die fast ambivalente Klassik in Deutschland weite Teile der literarisch Tätigen beeinflusste, ist also kaum von einer Epoche wie dem Barock oder dem Expressionismus zu sprechen.[24]
1.2 Weiblichkeit in der Romantik
Dementsprechend ist das Bild der Frau in der Romantik nicht ein gesellschaftlich unangefochtenes. Vielmehr wurde es oft und heftig ebenso von Zeitgenossen wie von Nachgeborenen kritisiert und verspottet.
Anlass vor allem zu letzterem hat die als programmatisch geltende Schrift Friedrich Schlegels ‚Lucinde’ gegeben.[25] Diese Geschichte, in der Schlegel seine Beziehung zu der wesentlich älteren und physisch wie psychisch reiferen Dorothea Veith literarisch verarbeitet hat, galt den Zeitgenossen nicht nur als öffentliche Bloßlegung der Intimitäten dieser Beziehung.[26] Darüber hinaus nahm man auch Anstoß daran, dass darin ein bis dahin kaum in der Öffentlichkeit vertretenes Bild von der Frau zelebriert wurde.
Was war geschehen? Das allgemein von der Gesellschaft akzeptierte Bild von Weiblichkeit, das bei Schopenhauer auch seinen philosophischen Niederschlag erhalten hatte, sah eine klare Rollenverteilung zu Ungunsten der Frau vor.
[...]
[1] zur Problematik der Romantik als Epoche siehe Kapitel 1.1
[2] v. a. den frühen Schriften und den Wiener Vorlesungen, welche auf diesen beruhen; vgl. Becker-Cantarino 1997, Seite 36ff und Eichner 1997, Seite 2
[3] Becker-Cantarino 1997, Seite
[4] Eichner 1997, Seite
[5] zu denen auch Tieck kurzzeitig zählte; vgl. Eichner 1997, Seite 17
[6] Eichner 1997, Seite 4
[7] ebd., Seite 18
[8] ebd., Seite 18
[9] z.B. Schopenhauer, Arthur: Über die Weiber
[10] Schulz 1996, Seite 7
[11] gemeint sind Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft
[12] Schulz 1996, Seite 8
[13] ebd., Seite 10
[14] Schulz 1996, Seite 10f
[15] ebd., Seite 10
[16] vgl. Christoph Wielands Oberon
[17] und in der Französischen Revolution zur ersten großflächigen Ausprägung kam
[18] Schulz 1996. Seite 12ff
[19] ebd., Seite 18f
[20] ebd., Seite 19
[21] ebd., Seite 24
[22] Prang 1972, Seite 1f; zu verschiedenen Lösungsansätzen der Literaturwissenschaft des 20. Jahrhunderts vgl. auch dessen Aufsatzsammlung Prang, Helmut (Hg.): „Begriffsbestimmung der Romantik“. Darmstadt 1972
[23] Schulz 1996, Seite 27
[24] ebd., Seite 27
[25] Eichner 1997, Seite 2
[26] was allein schon Grund für Aufregung gewesen wäre
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.