Im Zuge der vielfältigen Globalisierungsdiskurse der 90er Jahre ist die Kategorie des Raumes auch in den Literaturwissenschaften wieder in den Blickpunkt des Interesses gerückt. Die seit Lessing postulierte These von der Literatur als zeitlicher Kunstform musste angesichts der immer zahlreicher erscheinenden Erzählwerke, die einen starken räumlichen Bezug aufweisen, allmählich redigiert werden. V.a. unter ostmitteleuropäischen Schriftstellern und Intellektuellen wurde nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die eng mit der eigenen Biografie verknüpfte Geografie zum Gegenstand verschiedener Prosawerke. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich unter diesem Aspekt mit dem Werk des polnischen Schriftstellers Andrzej Stasiuk, der in seinen 2004 erschienenen Reisefragmenten mit dem Titel Jadąc do Babadag (Unterwegs nach Babadag) nicht nur strukturell die Tendenzen der modernen polnischen Prosa aufgegriffen hat, sondern im Sinne des so genannten Topographical Turn den Raum selbst zum Erzählobjekt stilisiert. Die Einheit des durch Mental Mapping erschlossenen Raumes wird durch den Erzähler narrativ konstruiert. Dies geschieht durch den Verweis auf mentale, kulturelle, geografische und historische Gemeinsamkeiten, die sich in der Raumkonzeption des Werkes zu einem symbolisch-erlebbaren, geografisch motivierten Geflecht verdichten, das verschiedene Äquivalenzen zu dem durch Ernst Cassirer beschriebenen mythischen Raum aufweist. Die in der literaturwissenschaftlichen Forschung häufig evozierte Trennung zwischen bedeutungslosem faktischem Lokal und bedeutungstragendem Raum ist für Jadąc do Babadag nicht zu vollziehen. Die Geografie dient vielmehr als Nahtpunkt zwischen faktischer Welt, Fiktion, Erinnerung und Traum. Die mimetische Intention besteht nicht in der Nachahmung einer zusammenhängenden Wirklichkeit, deren Existenz durch den Erzähler verneint wird, sondern in der literarischen Verarbeitung verschiedener anthropologischer Wahrnehmungsstrategien, die allesamt Varianten einer als kontingent verstandenen Wirklichkeit aufzeigen. Die Auseinandersetzung mit dem mitteleuropäischen Raumkonzept Stasiuks bietet somit nicht nur eine Gelegenheit, über die tatsächliche Relevanz narrativer, struktureller Dichotomien nachzudenken, sondern eignet sich zudem dazu, das Spektrum menschlicher Weltwahrnehmung zu vertiefen und nicht mehr länger auf den einschneisigen Kategorien von Fakt und Fiktion zu beharren.
Inhalt
1. KURZBESCHREIBUNG
2. INHALTSVERZEICHNIS
3. EINLEITUNG
4. BEFREIUNG VOM BALLAST DER GESCHICHTE – STRATEGIEN
DER POLNISCHEN PROSA NACH 1989
4.1. 1989 – Ein Jahr des Umbruchs?
4.2. Mühsame Klassifizierungsversuche und der schwierige Begriff der „Generation“
4.3. Prosa am Wendepunkt – Drei neue Herausforderungen
4.3.1. Zaczarowania świata – Mythisierung als mimetisches Verfahren
4.3.2. Kwestia tożsamości - Biografie und Initiationsprosa
4.3.3. „Powrót fabuły“- Die neue Lust am Erzählen und die Entdeckung
der Metafiktionalität
5. ANDRZEJ STASIUK ALS PROSAIST DER 90ER JAHRE
6. LITERATUR- UND KULTURWISSENSCHAFTLICHE RAUMKON-ZEPTIONEN – ZU ENTWICKLUNG UND STAND DER MODERNEN RAUMFORSCHUNG
6.1. Literaturwissenschaftlich-narratologische Ansätze und Problem-stellungen
6.2. Die Bedeutung des Raumes für die Struktur narrativer Texte
6.3. Der Begriff des literarischen Raums
6.4. Der „Topographical Turn“ der 90er Jahre und der Einfluss kultur-wissenschaftlicher Raumkonzeptionen auf die literarische Herme-
Neutik
6.5. Der mythische Raum in der Philosophie Ernst Cassirers
6.6. Fazit und Untersuchungsaspekte
7. JADĄC DO BABADAG – DER GEOPOETISCHE KOSMOS DES
ANDRZEJ STASIUK ( Teil I: Inhaltliche Analyse)
7.1. Die Strukturierung und Konzeption des erzählten Raumes
7.1.1. Das ‚vergessene Mitteleuropa’ – Andrzej Stasiuks persönliche
Geografie und die Rolle des faktischen Lokals in Jadąc do Babadag
7.1.2.
Die literarische Verarbeitung des Mitteleuropa- Konzepts – Mental
Mapping als mimetisches Verfahren
7.1.3. Die Transgression nationaler Grenzen
7.2. Einheit in der Vielfalt – Die literarische Konstruktion eines homo-
genen Raumes Mitteleuropa
7.2.1. Die Äquivalenz geografischer Gegebenheiten
7.2.2. Armut und Verfall – similare Lebensräume
7.2.3. Kulturelle Defizienz als Verbindungsglied
7.2.4. Gemeinsame Erfahrungen der Vergangenheit – Die Beschwörung
des Habsburgmythos
7.2.5. Mitteleuropa als Schicksalsgemeinschaft – Das Erbe des Kommu-
nismus
7.2.6. Vergleichbarkeit und Austauschbarkeit als Kriterium räumlicher
Übereinstimmung
7.3. Räumliche Dezentralisierung und die Aufwertung der Peripherie
7.3.1. Die Umkehrung topografischer Hierarchien
7.3.2. Erhöhung der Provinz durch Degradierung der „klassischen
Zentren“
7.3.3. Ästhetik und Zeichenhaftigkeit der Provinz
7.3.4. Die Rolle des Lichts
7.3.5. Der individuelle Wert der Peripherie
7.4. Die Geografie als Schnittstelle zwischen Realität und Fiktion
7.4.1. Mitteleuropa als Erinnerungsraum
7.4.2. Mitteleuropa als mythischer Raum
8. JADĄC DO BABADAG – DER GEOPOETISCHE KOSMOS DES
ANDRZEJ STASIUK (Teil II: Formale Analyse)
8.1. Der Raum als Komponente der Textstruktur
8.1.1. Na co komu chronologia? – Raum und Tempus
8.1.2. Raum und Handlung
8.1.3. Raum und Gattung
8.1.4. Die Konstruktion des Raumes durch den Erzähler
8.1.5. Raum und Figuren
9. SCHLUSS
10. BIBLIOGRAFIE
11. SELBSTSTÄNDIGKEITSERKLÄRUNG
1. Kurzbeschreibung
Im Zuge der vielfältigen Globalisierungsdiskurse der 90er Jahre ist die Kategorie des Raumes auch in den Literaturwissenschaften wieder in den Blickpunkt des Interesses gerückt. Die seit Lessing postulierte These von der Literatur als zeitlicher Kunstform musste angesichts der immer zahlreicher erscheinenden Erzählwerke, die einen starken räumlichen Bezug aufweisen, allmählich redigiert werden. V.a. unter ostmitteleuropä-ischen Schriftstellern und Intellektuellen wurde nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die eng mit der eigenen Biografie verknüpfte Geografie zum Gegenstand verschiedener Prosawerke. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich unter diesem Aspekt mit dem Werk des polnischen Schriftstellers Andrzej Stasiuk, der in seinen 2004 erschienenen Reise-fragmenten mit dem Titel Jadąc do Babadag (Unterwegs nach Babadag) nicht nur strukturell die Tendenzen der modernen polnischen Prosa aufgegriffen hat, sondern im Sinne des so genannten Topographical Turn den Raum selbst zum Erzählobjekt stili-siert. Anhand einschlägiger literatur- und kulturwissenschaftlicher Sekundärliteratur und unter Einbeziehung weiterer Texte Stasiuks wird belegt, dass der geografische Rah-men, den das Werk umfasst, sich zwar auf faktisch existente und identifizierbare Lokale bezieht, in seiner Gesamtkontur jedoch ganz und gar einer persönlichen kognitiven Kar-te folgt, die das unmittelbare Lebensumfeld des Erzählers, den provinziellen mitteleu-ropäischen Raum, ungeachtet nationaler Grenzziehungen, miteinschließt, während die als irrelevant empfundenen Metropolen ausgeklammert bleiben. Die Einheit des durch Mental Mapping erschlossenen Raumes wird durch den Erzähler narrativ konstruiert. Dies geschieht durch den Verweis auf mentale, kulturelle, geografische und historische Gemeinsamkeiten, die sich in der Raumkonzeption des Werkes zu einem symbolisch-erlebbaren, geografisch motivierten Geflecht verdichten, das verschiedene Äquivalen-zen zu dem durch Ernst Cassirer beschriebenen mythischen Raum aufweist. Die in der literaturwissenschaftlichen Forschung häufig evozierte Trennung zwischen bedeutungs-losem faktischem Lokal und bedeutungstragendem Raum ist für Jadąc do Babadag nicht zu vollziehen. Die Geografie dient vielmehr als Nahtpunkt zwischen faktischer Welt, Fiktion, Erinnerung und Traum. Die mimetische Intention besteht nicht in der Nachahmung einer zusammenhängenden Wirklichkeit, deren Existenz durch den Erzäh-ler verneint wird, sondern in der literarischen Verarbeitung verschiedener anthropolo-gischer Wahrnehmungsstrategien, die allesamt Varianten einer als kontingent verstande-
nen Wirklichkeit aufzeigen. Doch der Raum ist nicht nur für die inhaltliche Ebene des Werkes von Bedeutung, sondern wirkt sich in seiner Konzeption ebenso auf die Text-struktur aus und wirkt am Ende, aufgrund seiner Dominanz über Tempus, Handlung und Figuren sogar gattungsbestimmend. Die Auseinandersetzung mit dem mitteleuropä-ischen Raumkonzept Stasiuks bietet somit nicht nur eine Gelegenheit, über die tatsäch-liche Relevanz narrativer, struktureller Dichotomien nachzudenken, sondern eignet sich zudem dazu, das Spektrum menschlicher Weltwahrnehmung zu vertiefen und nicht mehr länger auf den einschneisigen Kategorien von Fakt und Fiktion zu beharren.
3. Einleitung
Der Zusammenbruch des kommunistischen Systems und die politische Wende nach 1989 stellten auch für die polnische Literatur einen Wendepunkt dar, der v. a. die jünge-ren Schriftstellergenerationen vor neue Herausforderungen stellen sollte. Das Erbe der Romantik und die seit Adam Mickiewicz (1798-1855) vorherrschende enge Bindung zwischen Literatur und nationaler Verantwortung war angesichts der radikal veränder-ten politischen und gesellschaftlichen Lage, dem Fall des Eisernen Vorhangs, der Eta-blierung demokratischer Strukturen, der Öffnung hin zu einer freien Marktwirtschaft nicht mehr zeitgemäß. Die gesellschaftliche Rolle des Schriftstellers, der unter kommu-nistischer Rigide entweder dem sozialistischen Regime gehuldigt hatte oder als Wider-ständler althergebrachte Traditions- und Wertemuster zu konservieren bemüht war, er-forderte eine Neudefinition. In diesem Sinne wuchsen nach '89 zahlreiche neue litera-rische Strömungen empor. Eine Vielzahl von Poetiken, Themen und Stilen, die sich auf-grund ihrer großen Heterogenität zunächst jeglicher Schematisierung entzogen, berei-cherten die polnische Literaturszene. Ungeachtet ihrer literarischen Ausrichtung war den Schriftstellern, die nach 1989 debütierten, jedoch eines gemeinsam: die Ablehnung der bisherigen Rolle des Schriftstellers als ‚Gewissen und moralische Instanz der Na-tion’. An die Stelle der nationalen Geschichtsverarbeitung trat nun immer stärker die Auseinandersetzung mit der individuellen, regional geprägten Geschichte. Darüber hi-naus vollzog sich in den 90er Jahren auch ein Wandel der literarischen Landkarte Po-lens: Neue Orte tauchten auf, die zuvor noch kein literarisches Profil besaßen und die jetzt erschlossen und mit Vergangenheit, Mythen und einem individuellem Gepräge ver-sehen wurden. Dabei ist einerseits eine deutliche topografische Verschiebung von den ehemaligen östlichen Grenzgebieten, der so genannten Kresy, hin zu den Peripherien der Nachkriegszeit, zu beobachten, sowie eine gleichzeitig sich vollziehende Abkehr von den traditionellen kulturpolitischen und literarischen Zentren wie Warschau oder Krakau.
Zu den wohl radikalsten Verfechtern dieser neuen ästhetischen Aufwertung der osteuro-päischen Provinz gehört ohne Zweifel der Schriftsteller Andrzej Stasiuk, dessen 2004 im Verlag Czarne erschienes Buch Jadąc do Babadag (Unterwegs nach Babadag) im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen soll. Der Grund für die Wahl dieses Werkes besteht zum einen darin, dass Stasiuk die sein gesamtes bisheriges Schaffen
charakterisierende Verbindung zwischen Geografie und Poesie und seine damit verbun-dene ganz persönliche metaphysische Weltsicht gerade hier zu einem literarischen Hö-hepunkt führt und es sich daher besonders gut für eine textanalytische Erschließung des werkimmanenten Kosmos in all seinen Facetten und Darstellungsformen eignet. Ein weiterer Grund für die Untersuchung dieses Werkes liegt zudem darin, dass es innerhalb der gegenwärtigen, dem Sog der fortschreitenden Globalisierung unterworfenen, pol-nischen Literaturszene, aber auch der gesamtpolnischen Kultur, einen, freilich diskus-sionswürdigen, Ansatz bietet, die eigene Identität als Pole und Europäer neu zu bestim-men. Die Analyse der vorliegenden Reiseskizzen wird sich zwar zentral mit diesen aus-einandersetzen, ergänzend dazu Stasiuks frühere Werke aber immer im Blick behalten und miteinbeziehen. Die Untersuchung wird sich dabei vorrangig auf die erzählte Welt, genauer gesagt auf den Raum im Werk, konzentrieren und sich demnach mit einer nar-rativen Kategorie auseinandersetzen, die in der literaturwissenschaftlichen Forschung, im Gegensatz zur Kategorie des Tempus, lange Zeit vernachlässigt worden ist und die bis heute eines universell anwendbaren erzähltheoretischen Modelles entbehrt. Gerade aber in Bezug auf die polnische Literatur der 90er Jahre ist der Aspekt des Raumes und besonders dessen literarische Verarbeitung v. a. auch für die Erschließung kultureller Entwicklungen von großer Bedeutung. So hatte der nach dem Fall des Eisernen Vor-hangs einsetzende Prozess einer allmählichen Öffnung und Durchlässigwerdung staat-licher und kultureller Grenzen auch einen erheblichen Einfluss auf die allgemeine ge-sellschaftliche Raumerfahrung, deren vielfältige, teilweise mit Hoffnungen, aber auch mit Ängsten verbundene Schattierungen ihren Niederschlag in der jungen polnischen Literatur fanden. Andrzej Stasiuks Prosa ist insofern repräsentativ für diese Entwick-lung, als dass selbiger mittels der Narration einen geografischen Raum erstehen lässt, der zwar tatsächlich auf der Landkarte existiert, dessen Grenzen und Besonderheiten sich aber nicht von realen Gegebenheiten ableiten, sondern sich erst durch die individu-elle Erinnerungsarbeit des Erzählers, der Durchdringung mit poetischen, fiktionalen Elementen und metaphysischen Betrachtungen definieren lässt und in dem sich auf die-sem Wege letztlich eine Vielfalt von Erscheinungsweisen des Raumes ergibt, die über das rein Faktische weit hinausweisen. Die vorliegende Arbeit wird daher der Frage nachgehen, welche Formen von Raumkonzeptionen in Jadąc do Babadag (Unterwegs nach Babadag) entfaltet werden, welche inhaltlichen und formalen Gestaltungsmerkma-le sie aufweisen und welche Funktion der Raum innerhalb der Narration einnimmt. Da-bei soll es nicht nur um den erzählten Raum an sich, um Stasiuks persönliche Kon-zeption von Mitteleuropa, seine Ästhetik der Provinz und der ‚vergessenen Orte’ gehen, um die komplexe Beziehung zwischen Raum und Erinnerung, sondern ebenso darum, wie sich der Raum als Komponente der Textstruktur zu den erzähltheoretisch ebenso bedeutsamen Kategorien des Tempus, der Handlung und der Figuren verhält. Neben der Analyse der Figurenkonstellation und deren Bezug zu den Komponenten des Raumes in Stasiuks Prosa, d.h. der Funktion und Erscheinungsweise des Erzählers, der den Raum bewohnenden Bevölkerung und der spezifischen sozialen Gruppen, wie beispiels-weise der Zigeuner, soll auch die Frage nach autobiografischen und gattungsspezi-fischen Merkmalen, die mit der Raumthematik des Werkes eng verbunden sind, näher beleuchtet werden. Der eigentlichen Textanalyse ist ein Überblick über den literarhisto-rischen Kontext und die wichtigsten Entwicklungen in der polnischen Literatur der 90er Jahre vorangestellt, die sich letztlich auch im Werk von Andrzej Stasiuk widerspiegeln. Daran anschließen wird sich ein Kapitel, dass sich mit dem Stand der Raumforschung und den bisher entwickelten literatur- und kulturwissenschaftlichen Raumkonzeptionen und Begriffsinstrumentarien kritisch auseinandersetzen wird, um schließlich eine spe-ziell für die vorliegende Untersuchung brauchbare Analysemethodik zu entwickeln. Die für die erläuternden Einführungen verwandten Monografien und Überblicksdarstel-lungen sowie die zur Textanalyse herangezogene Forschungsliteratur wird im Rahmen der jeweiligen Kapitel vorgestellt. Den Abschluss der Untersuchung bildet eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Textanalyse sowie ein Ausblick hin-sichtlich der kulturpolitischen und identitätsstiftenden Bedeutung der Prosa von Andrzej Stasiuk im Kontext des gegenwärtigen Europäisierungsprozesses und der Zukunft Ost-mitteleuropas.
Auf eine inhaltliche Wiedergabe des Werkes sowie auf eine umfassende erzähltheore-tische Analyse der Narrationsebenen und Textkomponenten wird verzichtet, sofern sie sich für die Fragestellung der Arbeit als irrelevant erweisen. Ebenso kann ein Überblick über den Forschungsstand der Prosa Andrzej Stasiuks in Ermangelung entsprechender Sekundärliteratur nicht geleistet werden. Die wichtigsten der bis 2006 erschienenen the-menrelevanten Rezensionen und Aufsätze wurden jedoch ausgewertet und im bibliogra-fischen Verzeichnis erfasst.
Anmerkung zur Zitierweise:
Die Zitation der Sekundärliteratur erfolgt nach dem Muster: Nachname des Autors bzw. Herausgebers + Erscheinungsjahr, Seitenangabe. Die Auflösung erfolgt im bibliogra-fischen Verzeichnis. Die polnischen Passagen aus dem Werk Jadąc do Babadag erhal-ten die Zitation: Babadag p, Seitenangabe; die deutschen Passagen entsprechend: Baba-dag d, Seitenangabe. Die Zitierweise von Passagen aus weiteren Werken Stasiuks fol-gen dem Muster: Kurztitel des Werkes, Seitenangabe.
4. Befreiung vom Ballast der Geschichte – Strategien der polnischen Prosa nach 1989
4.1. 1989- Ein Jahr des Umbruchs?
Der politische Umbruch des Jahres 1989 und die damit verbundenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen stellten zweifellos auch die polnische Literatur vor eine völlig neue Ausgangslage, die nicht nur die externen institutionellen Rahmen-bedingungen des nun kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten (Angebot und Nachfrage) un-terworfenen literarischen Marktes betraf[1], sondern auch eine gewisse Neudefinition der Rolle des Schriftstellers und der Literatur an sich erforderlich werden ließ. Doch ange-sichts der Tatsache, dass sich ein literarischer Wandel im Hinblick auf die Verwendung neuer narrativer Verfahren und einer inhaltlichen Demontage tradierter Kultur- und Wahrnehmungsmuster, bereits einige Jahre vor dem Fall des Eisernen Vorhangs abzei-chnete[2], stellt sich die Frage, ob man nicht eher von einem allmählichen Prozess als von einem tatsächlichen Umbruch sprechen sollte[3]. Die Demokratisierung des Landes, die Öffnung der Märkte, die einsetzende Internationaliserung und die damit verbundenen Veränderungen des gesamten gesellschaftlichen Lebens schufen für die Literatur günsti-ge Bedingungen hinsichtlich einer Erneuerung, waren jedoch nicht ihre eigentliche Ursache, sondern gaben ihr lediglich die nötige Schubkraft, einen Weg zu beschreiten, den sie im Grunde längst bereit war zu gehen:
„Zbieżność przemian we wszystkich obszarach życia nie musi prowadzić do przełomu literackiego, ale stwarza dogodne dla niego warunki. Bo literatura jest uwarunkowana, to znaczy ani zdeterminowana, ani też absolutnie wolna – powiązana w swym rozwoju z życiem politycznym, gospodarczym i duchowym społeczeństwa, ze środkami maso-wego przekazu i środkami rozpowszechniania informacji, z filozofią i literaturą obcą. Im większa dynamika tych sfer, tym większe prawdopodobieństwo wpływu.” (Czapliń-ski / Śliwiński 2000, 212)[4]
Hinzu kommt, dass die enorme Fülle und Heterogenität an Stilen, Thematiken und Poe-tiken der nach 1989 entstehenden Werke, zunächst jegliche Einordungsversuche in kün-stlerische Gruppierungen und Strömungen unmöglich werden ließ. Wenngleich die Er-wartungshaltung des Lesepublikums auf eine neue literarhistorische Epoche unbestreit-bar groß war[5], so war insbesondere die jüngere polnische Literatur vorerst noch nicht genügend vorbereitet auf bahnbrechende Innovationen[6]. Antworten auf die Heausforde-rungen der neuen Zeit suchte sie zunächst noch in den tradierten Gattungsformen, um diese dann ganz allmählich um neue Ausdrucksformen und Themen, die sich mehr und mehr als von patriotischen Stereotypen und nationaler Symbolik befreit erwiesen, zu ergänzen.
4.2. Mühsame Klassifizierungsversuche und der schwierige Begriff der „Generation“
In der Forschung ist die Zäsur des Jahres 1989 vielfach mit der des Jahres 1918 vergli-chen worden, doch ein wesentlicher Unterschied blieb dabei vielfach unbeachtet, denn während nach 1918 relativ fest umrissene Gruppierungen wie die Skamandriten, die Fu-turisten oder die Krakauer Avantgarde das literarische Leben dominierten, sind an den literarischen Inventionen unmittelbar vor und nach 1989 Autoren verschiedenster Rich-tungen beteiligt, von denen niemandem eine wirkliche Vorreiterrolle zugesprochen wer-den könnte. Ebenso problematisch erscheint in diesem Zusammenhang auch der Begriff einer neuen ‚Generation’ von Schriftstellern, wie er etwa von Jarosław Klejnocki und Jerzy Sosnowski[7] postuliert wurde, zum Zwecke einer übergreifenden Terminierung des künstlerischen Schaffens der in den 60er Jahren geborenen Autoren. Sie beziehen sich dabei vorrangig auf die herausgehobene Rolle der Kulturzeitschrift bruLion im Prozess des literarhistorischen Wandels, wobei sie als grundlegendes verbindendes Element zwischen den zumindest bruLion- nahen Autoren die vehemente Weigerung ausmachen, sich in den Dienst der Politik bzw. der herrschenden Staatsmacht zu stellen. Die Be-freiung der Literatur von jeglicher politischer Instrumentalisierung und die Forderung nach uneingeschränkter Freiheit des Wortes waren jedoch weniger Programm als Aus-druck der neugewonnenen Unabhängigkeit von staatlicher Kontrolle. Problematisch ist der Begriff aber nicht nur, weil manche der jüngeren Literaten, die durchaus zur neuen literarhistorischen Entwicklung zu rechnen sind, niemals einen Text in der besagten Zeitschrift veröffentlicht haben[8], sondern auch deshalb, weil auch viele ältere Autoren Träger dieser literarischen Entwicklung waren und sind[9].
Unter den zahlreichen Monografien, die um die Mitte der 90er Jahre, als sich angesichts einer zunehmenden Übersichtlichkeit erste Versuche einer Auswertung und Klassifizie-rung der neueren Literatur zu lohnen schienen, veröffentlicht wurden, ragt die Habilita-tionsschrift Ślady przełomu: O prozie polskiej 1976-1996 des Posener Philologen Prze-mysław Czapliński besonders hervor, denn es ist der erste Versuch, die wichtigsten for-malen, inhaltlichen und axiologischen Entwicklungsrichtungen der polnischen Prosa vor und nach 1989 zu analysieren und mittels eines anschaulichen Modells darzustellen. Um den problematischen Begriff der ‚Generation’ zu umgehen, spricht Czapliński aller-dings allgemein von der Prosa nach 1989 bzw. von der proza na przełomie (Prosa des Umbruchs), um diese dann innerhalb seiner Untersuchung zu präzisieren. Für den fol-genden Überblick über die Tendenzen in der polnischen Prosa nach 1989 wird, vor-rangig aus Gründen der Aktualität, jedoch die von Czapliński in Gemeinschaftsarbeit mit Piotr Śliwiński im Jahre 2000 erschienene Monografie Literatura Polska 1976-1998: Przewodnik po prozie i poezji (Polnische Literatur 1976-1998: Handbuch der Pro-sa und Poesie), die im Wesentlichen auf den früheren Thesen Czaplińskis basiert, ver-wendet werden.
Ein weiteres wichtiges Werk, das sich der Problematik der polnischen Literatur nach der Wende auf eine etwas andere, weniger wissenschaftlich als essayistische Weise nähert, stellt das 1997 erschienene Buch Apetyt na przemianę: Notatki o polskiej prozie współ-czesnej (Appetit auf Wandel: Notizen über die zeitgenössische Prosa des Krakauer Lite-raturforschers Jerzy Jarzębski dar. Im Gegensatz zu Czapliński widmet sich dieser je-doch vorrangig der Besprechung verschiedener Einzelwerke. Sein Buch gestaltet sich im Ganzen als eine relativ lose Zusammenstellung von Aufsätzen über die soziokultu-rellen, institutionellen und innerliterarischen Entwicklungen und Diskurse vor und nach 1989 und enthält nebenbei eine Reihe von Rezensionen jüngerer polnischer Prosawerke. Einen ansatzweise einordnenden Versuch, der die Gemeinsamkeiten der Literatur nach 1989 herausstellt, entwickelt Jarzębski zum Teil in den entsprechenden Überblicks-kapiteln.
Im Folgenden soll mittels der soeben skizzierten Standardwerke der Forschungsliteratur sowie weiteren kleineren, spezifischen Abhandlungen, die an gegebener Stelle vorge-stellt werden, ein kurzer Überblick über die wichtigsten Entwicklungslinien in der pol-nischen Prosa nach 1989 gegeben werden. Dabei sollen jedoch nur jene Aspekte be-trachtet werden, die auch das Schaffen des Autors Andrzej Stasiuk berühren und sich in seinem Werk direkt oder indirekt widerspiegeln. Aus diesem Grunde erhebt dieser Ü-berblick keinen Anspruch auf gesamtliterarische Vollständigkeit, sondern dient vor-rangig der Einordnung des Werkes von Andrzej Stasiuk in den entsprechenden Kontext, aus dem heraus es betrachtet werden muss.
4.3. Prosa am Wendepunkt – Drei neue Herausforderungen
Angesichts einer veränderten Wirklichkeit stand die polnische Prosa nach dem Zusam-menbruch der kommunistischen Ära vor einer Reihe neu zu bewältigender Aufgaben. Ihre bisherige Rolle als gesellschaftlich-moralische Instanz, als Vermittlerin vorrangig nationaler Wertvorstellungen, die sie entweder im Dienste des Regimes oder in Oppo-sition zu selbigem ausübte, die aber immer eng mit politisch-historischen Großerei-gnissen der polnischen Gesamtgesellschaft und selten mit individuellen Schicksalen verbunden war, konnte sie mit den bisherigen, sich allmählich erschöpfenden Verfahren, nicht mehr ausüben:
„Około roku 1986 zarówno w prozie, jak i poezji nasiliły się zjawiska świadczące o wyczerpywaniu się formuły literatury zaangażowanej i rosnącej wśród pisarzy chęci zajęcia się czym innym niż jaruzelsko-polską wojną i wypowiadania się w innych językach niż te, które w pierwszej połowie dekady opanowały zakres patriotyczno-obywatelskich wysłowień.“ (Czapliński / Śliwiński 2000, 169)[10]
Die Suche nach neuen narrativen Strategien erfolgte, so die These Czaplińskis, im We-sentlichen auf drei Ebenen: der mimetischen, der biografischen und der gattungsbezo-genen.
4.3.1. Zaczarowania świata – Mythologisierung als mimetisches Verfahren
Das veränderte Verhältnis zur nationalen Geschichte nach dem Ende des „ideologischen Zeitalters“[11][12] schlug sich in der Prosa nicht nur in der Abwendung von einem als sub-jektlos empfundenen Makrokosmos und der Hinwendung zu einem stark individuali-sierten Mikrokosmos nieder, sondern fand ebenso seinen Ausdruck in der Abwahl tradi-tioneller nationalhistorischer Themen, die beinahe zwei Jahrhunderte lang in der pol-nischen Literatur präsent und normgebend waren. In den Prosatexten, die nach der Wen-de erschienen, entwickelten die Autoren hingegen einen neuen, weitaus privateren Zu-gang zur Geschichte, die nicht mehr als kollektive Nationalhistorie verhandelt, sondern aus der Perspektive der eigenen Gefühls- und Gedankenwelt sowie vor dem Hinter-grund der individuellen Biografie dargestellt wird. Dabei bedienten sich die Schrift-steller dieser Prosa, laut Czapliński, verschiedener Mythologisierungen, die die erzähl-ten Welten mit einer Schutzschicht aus Bedeutungen und zeitlicher Kontinuität umgeben (Schlott 2004, 109). Die Welterfahrung der Protagonisten hat sich dabei, so Czapliński, weit von nationaler Symbolik entfernt und bezieht sich nun vorrangig auf persönlichere Formen der Wirklichkeitsentdeckung, in denen verschiedene Initiationserfahrungen – die Kindheit, das Erwachsenwerden, die erste Liebe u. ä. eine herausragende, mythisch inszenierte Rolle einnehmen. Gemäß den Ausführungen Czaplińskis schöpfen die be-treffenden Autoren zudem aus einem reichen Repertoire literarischer Mittel aus Sagen, Legenden, Epen und Mythologien verschiedenster Herkunft und bilden auf diese Weise geradezu magisch wirkende Welten aus, die sie in oftmals starker Abgrenzung zu den modernen städtischen Metropolen entwerfen.[13] Die Form der Mythisierung als sinnstif-tendes Verfahren, wie sie Czapliński begreift, betrifft jedoch nicht nur die Schwellen-momente des Reifeprozesses an sich, sondern umfasst auch die konkreten bzw. empi-risch-geografischen Räume, in denen sie sich vollziehen:
„W przestrzeniach tych nie ma obszarów znaczeniowo pustych, ponieważ mit wyposaża każdą cząstkę rzeczywistości w znaczenie, likwidując podział na przedmioty i istoty ży-we.“ (Czapliński / Śliwiński 2000, 251)[14]
In den 90er Jahren wurde die literarische Landkarte Polens um Orte und Landschaften erweitert, die zuvor kein literarisches Profil besessen hatten und die sich v.a. durch ihre periphere Grenzlage und eine provinziell-ländliche Strukturiertheit ausweisen. Diese Regionen wurden nun, durch verschiedene Prosaisten, mit Vergangenheit, Legenden, individuellen Erinnerungen und Phantasien bestückt, sind jedoch keineswegs fiktiv, sondern existieren auf der realen Landkarte und sind somit verifizierbar:
„Wrocław, Gdańsk, beskidzka Dukla, kaszubskie lasy, podwarszawskie miasteczko – każde z tych miejsc jest „do wglądu”[…].” (Czapliński / Śliwiński 2000, 201)[15]
Doch nehmen diese geografischen Konkreta, trotz ihrer Nachweisbarkeit in der außerliterarischen Welt, in den Werken der Autoren sehr private, individuelle Züge an, indem sie aus einer stark subjektiven Perspektive der Protagonisten geschildert und bewertet werden und nicht selten auf die Biografien der Autoren selbst referieren.
In engem Zusammenhang steht der Bezug auf die Region, so heißt es bei Czapliński weiter, mit der von der polnischen Nachkriegsliteratur im Land sowie in der Emigration entwickelten Heimatliteratur der Małe Ojczyzny (kleinen Heimaten)[16], die einen oft nostalgisch verklärenden Blick auf das Leben in den verlorenen Ostgebieten Polens, den so genannten Kresy, warf. Die neuen Heimatorte unterscheiden sich jedoch, so Czap-liński, in verschiedener Hinsicht von denen der Nachkriegsliteratur: Hervorzuheben sei hierbei zunächst die deutliche geografische Verschiebung von den ehemaligen östlichen Grenzgebieten hin nach Polen in seinen Nachkriegsgrenzen. Die Kresy sind für die Au-toren der 90er Jahre kein literarischer Bezugspunkt mehr. Sie haben sich zur Heimat ih-rer Vorgänger, die sie als Ensemble (von der Literatur bereits, Anm.d.Verf.) besetzter Orte (Czapliński 2006, 64) betrachten, distanziert und beschreiben ihre Verwurzelung in anderen Räumen:
„Pisarze urodzeni po wojnie nie mogli zatem poprzestać – przynajmniej w narracjach bliskich autobiografiom – na powrotach do ojczyzn rodzinnych, ponieważ kresy, choć-by najpiękniejsze, były fragmentami opowieści ojców, rozdziałem z książek przeszłości, narracją o cudzej tożsamości.” (Czapliński / Śliwiński 2000, 200)[17]
Das charakteristischste Merkmal der Mały Ojczyzny (kleinen Heimaten) der jüngeren polnischen Prosa stellt für Czapliński deren Wählbarkeit dar, denn es handelt sich nicht mehr um verlorene, an die Herkunft geknüpfte, sondern vielmehr um gewonnene, er-wählte Heimaten, die einen engen Bezug zu den weltanschaulichen Überzeugungen und Lebenshaltungen der Protagonisten herstellen, d.h. die mentale Verwurzelung dominiert über die durch Geburt erworbene Bindung zu einem bestimmten Lokal.
Anders als in der Literatur der Kresy richten sich zudem die Verlustängste der Prota-gonisten weit weniger auf die Vergangenheit, als vielmehr auf eine, für die kleinen Hei-maten, bedrohlich empfundene Zukunft. Zwar sind es, so Czapliński, nicht mehr die großen historischen Entscheidungen, die das Schicksal dieser Landstriche auslöschen könnten, sondern der Zerfall bahne sich seinen Weg ganz allmählich, durch die Hinter-tür der Geschichte, durch die unifizierenden Prozesse einer mehr und mehr westlich orientierten Kultur, die das Land mit Mc`Donalds und Co. überzieht (Czapliński 2006, 70f.).
4.3.2. Kwestia tożsamości – Biografie und Initiationsprosa
Eine weitere Auffälligkeit der polnischen Prosa nach 1989 stellt für Czapliński die wei-ter oben schon angedeutete Häufigkeit so genannter Initiationsliteratur dar, einer Form der Prosa, in deren Mittelpunkt, in enger Anlehnung an die eigene Biografie, das Heran-reifen, der Übertritt von der Kindheit in das Erwachsenenalter steht. Przemysław Czap-liński unterscheidet hierbei zwei Modelle der Initiationsprosa: 1.) ein mythobiogra-fisches, das auf den mit biografischen Elementen durchsetzten Bildungsroman der goe-theanischen Zeit zurückgreift und 2.) ein mythografisches, das sich weitaus fiktiver ge-staltet und eher die Form eines Antibildungsromans annimmt. Im ersten Modell wird der Versuch unternommen, den individuellen Lebensweg mittels der mythisierten Er-fahrungen kindlicher Reifungsprozesse zu ordnen und die Kindheit mit dem Erwachsen-sein zu verbinden. Das zweite Modell hingegen fußt häufig auf den prosaischen Kon-ventionen des Thrillers, Sensations- bzw. Kriminalromans und verlegt sich auf den Ge-gensatz zwischen der Zeit vor und nach der Initiation, deren Moment einer Mythi-sierung unterzogen wird. Die gesellschaftlich institutionalisierten Reifeprozesse (Schu-le, Familie) werden als Zwang enttarnt und entwertet. Das Ende der Jugendzeit wird als Werteverlust markiert und die Zeit nach der Initiation stark abgewertet (Czapliński / Śliwiński 2000, 258ff.).[18]
4.3.3. Powrót fabuły – Die neue Lust am Erzählen und die Wiederentdeckung der Metafiktionalität
Schien die Prosa der vorangehenden Jahrzehnte noch ihre Fähigkeit, Geschichten zu er-zählen, verloren zu haben, so kehrte spätestens mit Ausgang der 80er Jahre die Lust am Fabulieren, mit einer Fülle an neuen Gestaltungsmöglichkeiten, auf die literarische Büh-ne zurück[19][20]. Der Rückgriff auf das traditionelle Erzählschema der Handlung, diente, so die Überzeugung Czaplińskis, einerseits dazu, den Leser wieder neugierig werden zu lassen auf attraktiv gestaltete und leichter lesbare Narrationen und bot andererseits ein erprobtes, oft auch unumgängliches Muster, den Roman wiederzubeleben und mit wich-tigen Inhalten zu füllen. So entstanden zunächst solche Romane, die sich stark an die Struktur der Populärprosa (Kriminal / Detektiv-Roman, Thriller, Liebesroman) anlehn-ten. Die Rückkehr der Fabel vollzog sich, gemäß Czapliński, allerdings in einem der Schemenhaftigkeit ausweichenden Sinne, ganz im Zeichen der Pasticcio-Poetik, inner-halb derer mehrere Gattungen miteinander vermengt werden und die es den Schrift-stellern erlaubt, Konventionen zu übertreten, indem sie den Erzählungen Reflexionen und Digressionen über existentielle und philosophische Grundfragen beifügen (Czap-liński / Śliwiński 2000, 264ff.):
„W partiach eseistycznych natomiast pisarze najczęściej snują refleksje dotyczące owej cząstki własnej tożsamości, która zrosła się z przestrzenia, szukając prywatnej formuły nostalgii, czyli wyjścia z sentymentalnej pułapki i literackiego ułatwienia, ale też[...] zgodności z prawdą własnego samopoczucia.” (Czapliński / Śliwiński 2000, 202)[21]
Die Werke dieser Poetik, die Czapliński durchaus zur Tradition der so genannten Syl-wa[22] rechnet, in der sämtliche Gattungsregeln zugunsten eines unverbindlichen Schreib-stils aufgegeben bzw. untrennbar und zufällig miteinander vermischt werden[23], stellen weder thematisch noch ästhetisch ein Ganzes dar. Der Erzählvorgang entwickelt sich von Zufall zu Zufall, wird angetrieben durch Assoziationen und Möglichkeiten, ist je nach Fall angereichert mit Porträts, Anekdoten, Skizzen, Essays, Kommentaren, Mi-kroerzählungen, Notizen, die zumeist auch Aussagen über die Werkkonstruktion enthalten. Dennoch werden die frei gestalteten Inhalte dieser Prosa in eine klare Ord-nung gefasst, deren Gestalt von Autor zu Autor variiert (Czapliński / Śliwiński, 276ff.).
5. Andrzej Stasiuk als Prosaist der 90er Jahre
Auf die Frage nach einem literarischen Grundsatz für sein Schaffen antwortete Andrzej Stasiuk einmal: Pisać, skreslać, myśleć, patrzeć, słuchać, pisać, skreslać, skreslać, skreslać ... A poza tym niezaleźnie od sytuacji dobrze jest się napić (Nycz 1996, 119). Mit dieser Aussage unterstrich Stasiuk nicht nur seinen verbreiteten Ruf, ein typischer Vertreter der rauhen, spezifisch männlichen Literatur zu sein, der ihm v.a. von den Fe-ministinnen seiner Zeit harsche Kritik eingetragen hat, sondern sie offenbart auch das Bekenntnis zu einer literarischen Praxis, die sich, frei von moralisch-ethischen sowie gattungstheoretischen Erwägungen, dem freien, assoziativen Schreiben widmet. Aber nicht nur in seiner Haltung zum Schreibprozess ist die Nähe Stasiuks zu den zeitgenös-sischen Prosaisten[24] zu sehen. Als repräsentativ für ihre Zeit ist seine Prosa vielmehr auch deshalb zu betrachten, da auch sie sich von den kollektiven Themen der National-geschichte, wie etwa dem gesamtpolnischem Schicksal im Zweiten Weltkrieg oder unter kommunistischer Diktatur und den traditionellen kulturellen Zentren Polens abwendet und sich, mit einer unbändigen Liebe für Details, den kleinen individuellen Schicksalen an den grenznahen Peripherien, den ‚vergessenen Landschaften’ tief im Os-ten des Landes und darüberhinaus, zuwendet.
Abgesehen von seinem früheren Werk, seinem Debütroman Mury Hebronu (Mauern von Hebron, 1992), in dem er seine Gefängniserlebnisse als Wehrdienstverweigerer ver-arbeitete und dem in Warschau Anfang der 90er Jahre angesiedelten Großstadtroman Dziewięć (Neun, 1999) sowie der autobiografischen Skizze Jak zostałem pisarzem (Wie ich Schriftsteller wurde, 1998), kehrt in Stasiuks Prosa[25] ein großes Thema immerfort wieder: die poetisch-ästhetische Ausgestaltung seines unmittelbaren, ostmitteleuropä-ischen Lebensumfeldes, randvoll mit längst abgeschriebenen Orten, herumliegendem Schrott und Gerümpel, zerbrochenen Existenzen, postkommunistischen Zerfallserschei-nungen, angereichert mit fragmentarischen Erinnerungen an aufmerksam beobachtete Details, metaphysischen Betrachtungen und assoziativen Gedanken über existentielle Grundkategorien der Welt. Stasiuk verwendet zudem eine zwischen ehrlicher Nostalgie und ironischer Distanzierung, zwischen zärtlicher Betrachtung und ungeschönter Detail-
treue schwankende Sprache, mit der es ihm, ganz ohne Pathos und falsches Mitleid, ge-lingt, der banalen und rauhen Wirklichkeit dennoch ein erstaunliches Maß an Erhaben-heit und Ästhetik abzugewinnen. Hervorzuheben sind hier besonders die Opowieści gal-icyjskie (Galizische Geschichten, 1995), ein Erzählband mit 15 kurzen, thematisch mit-einander verflochtenen Geschichten bzw. Porträts über die Einwohner eines Dorfes in einer der ärmsten und verwahrlosesten Regionen im südlichen Grenzgebiet Polens, der Prosaband Dukla (1997), eine metaphysisch reflektierende Entdeckungsreise durch die titelgebende, eng mit der Biografie des Autors verbundene, Ortschaft sowie eines seiner jüngsten Werke mit dem Titel Jadąc do Babadag (Unterwegs nach Babadag, 2004), einer Sammlung von Skizzen über das Unterwegssein in den entlegendsten Gefilden Ostmitteleuropas, die ihm Anfang Oktober 2005 den Nike-Literaturpreis für das beste polnische Buch des Jahres einbrachten . Aber auch in seinem Roman Bialy Kruk (Wei-ßer Rabe, 1995) nimmt die polnische Provinz, und hier besonders die Beskiden als Rückzugsort von der unaufhaltsam, alles Vertraute niederwalzenden, Modernisierungs-welle der Großstadt, eine wichtige Funktion ein. Einen anschaulichen Einblick in die geopoetische Konzeption und die persönliche Kartografie des Autors bietet zudem der gemeinsam mit dem ukrainischen Schriftsteller Jurij Andruchowytsch verfasste Essay-band Moja Europa: Dwa eseje o Europie zwanej Środkowa (Mein Europa: Zwei Essays über das so genannte Mitteleuropa, 2000) . Stasiuks Interesse an der ländlichen Region, in die er sich auch privat zurückgezogen hat, ist ein höchst ästhetisches und hat, wie er selbst bestätigt, nichts mit einer etwaigen besonderen Naturverbundenheit zu tun:
„Za cholerę nie chodzę na bosaka ani nie biję pokłonów naturze. Mój wybór nie miał nic wspólnego z ucieczką w naturę![...]Człowiek powinien mieszkać tam, gdzie znajdu-je przyjemność.[...]ja wolę góry.”(Bereś 2002, 406)[26]
Für Stasiuk bieten jene, vom Verschwinden bedrohten Landschaften und Orte, die alle-samt tatsächlich existieren, die man aber dennoch nur mit Mühe auf einer Karte ent-decken wird, jedoch keinerlei Anhaltspunkt für eine moralische Bewertung oder gar
Verurteilung des fortschreitenden Verwestlichungsprozesses. Stasiuks Stärke liegt in der Beschreibung der Welt wie sie sich ihm darbietet und nicht wie sie sein sollte:
„Ja nie jestem od akceptowania norm. Ten świat tak wygląda! Nie jestem od wartości, ja ten świat po prostu opisuję, a nie oceniam. A czy go akceptowałem, czy nie akcepto-wałem, to jest moja bardzo prywatna sprawa!” (Bereś 2002, 421)[27]
In Stasiuks Werk wird dabei ganz konsequent die Vermittlung eines kollektiven histo-rischen Gedächtnisses, durch die möglichst authentische Wiedergabe individueller Er-lebnisse, Erfahrungen und Entdeckungen, aufgebrochen und letztlich überwunden.
Wie an den vorangestellten Ausführungen gezeigt werden konnte, erfüllt das Prosawerk von Andrzej Stasiuk all jene für die Literatur der 90er Jahre kennzeichnenden Merkma-le: die Abwahl der großen, die gesamte Nation betreffenden, Geschichtsereignisse und die Hinwendung zu privaten Schicksalen in den peripher gelegenen Małe Ojczyzny (kleinen Heimaten), die Metafiktionalisierung der Prosa durch den Einbruch essay-istischer, kommentierender, reportagehafter, feuilletonistischer Verfahren, der Rückzug aus der moralischen Verantwortung des Schriftstellers innerhalb der Gesellschaft und v.a. eine schier ungebändigte Lust am unverbindlichen Erzählen.
6. Literatur- und kulturwissenschaftliche Raumkonzeptionen – Zu Entwicklung und Stand der modernen Raumforschung
6.1.Literaturwissenschaftlich-narratologische Ansätze und Problemstellungen
Im Gegensatz zur umfassend erforschten poetologischen Kategorie des Tempus blieb der Raum im literarischen Werk in der Forschung lange Zeit, genauer gesagt noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, größtenteils unbeachtet. Dieser Umstand lässt sich v.a. auf die in Lessings viel zitiertem Aufsatz Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie (1766) aufgeworfene These zurückführen, dass die Literatur eine rein zeit-lich dominierte Kunst sei und der Raum allein dem Gebiet der Malerei vorbehalten sei:
„Es bleibt dabei: Die Zeitfolge ist das Gebiet des Dichters, so wie der Raum das Gebiet des Malers.“ (Lessing 1968, 130 )[28]
Für eine lange Zeit sollte dieser Grundsatz in der Forschung unangefochten Bestand ha-ben. Erst 1945 gerät die Kategorie des Raumes durch Joseph Franks Buch Spatial Form in Modern Literature[29] wieder ins Blickfeld des literaturwissenschaftlichen Interesses. In seiner Abhandlung weist Frank auf eine zunehmende „Spatialisierung“, d.h. eine Verschiebung der Dominanz auf das Räumliche in der modernen Literatur, hin. Franks Abhandlung zog in der Folge eine Reihe von Untersuchungen nach sich, die sich unter verschiedenen Gesichtspunkten mit der Berechtigung der Frage nach dem Raum in der Literatur auseinandersetzten und die gleichzeitig den Beginn der literarischen Raum-forschung markierten. Zu den grundlegenden Werken, die hier nur der Vollständigkeit halber genannt seien, gehören v.a. Gaston Bachelards Poetik des Raumes[30], Michail Bachtins Formen der Zeit und des Chronotopos im Roman[31], Jurij M. Lotmans Pu-blikationen der 60er-80er Jahre[32], Gerhard Hoffmanns Raum, Situation, erzählte Wir-lichkeit[33], Jan Joost van Baaks The Place of Space in Narration: A Semiotic Approach to the Problem of Literary Space[34], Norbert Reichels Der erzählte Raum: Zur Verflech-tung von sozialem und poetischem Raum in erzählender Literatur[35], Knut Brynhild-volls Der literarische Raum. Konzepte und Entwürfe[36], Katharina Hansen-Löves The E-volution of Space in Russian Literature[37] sowie die Sammelbände Landschaft und Raum in der Erzählkunst (herausgegeben von Alexander Ritter)[38] und Spatial Form in Narra-tive (herausgegeben von Jeffrey R. Smitten und Ann Daghistany)[39].
Die Schwerpunkte der literarischen Raumforschung liegen dabei vorrangig in der Untersuchung von Wesen und Funktion des literarischen Raums, der Analyse von Raumstrukturen und -darstellungen sowie in der Betrachtung seiner Entwicklung und gattungspoetischer Merkmale. In neuester Zeit gehört der literarische Raum auch zu einem Forschungsgebiet der Gender Studies. Das bislang am wenigsten erforschte Ge-biet stellt dabei die Gattungspoetik des literarischen Raums dar, wobei der Raum in der Lyrik noch weitgehend vernachlässigt worden ist. Erste, noch ausbaufähige, Unter-suchungsansätze finden sich dazu in Frank C. Maatjes Versuch einer Poetik des Raumes: Der lyrische, epische und dramatische Raum[40] und in Lars Gustafssons Über die Räumlichkeit der Literatur[41]. Abgesehen von den Nachwirkungen der kategorischen Trennung Lessings, sind Forschungsarbeiten, die sich primär mit der räumlichen Struktur literarischer Werke beschäftigen, mit weiteren Problemen konfrontiert. Schwierigkeiten ergeben sich dabei v.a. bei dem Versuch, den literarischen Raum zu kategorisieren und für eine wissenschaftliche Untersuchung greifbar zu machen. Räumliche Kategorien weisen oftmals einen hohen Grad an Subjektivität auf, so kann die Raumdarstellung stark an die wahrnehmende Perspektive gebunden sein. Subjektive Raumvorstellungen auf der rezeptionsästhetischen Ebene sind schlechterdings nun einmal nicht kategorisierbar. Aufgrund einer, aus der fehlenden Objektivierbarkeit des Raumes resultierenden, uneinheitlichen Terminologie und einer oftmals zu starken Aus-differenzierung der Raumkonzeptionen mangelt es bisher an einer zuverlässigen analytischen Basis. Hinzu kommt, dass sich die bisherigen Untersuchungen noch zu stark auf Einzelaspekte der Räumlichkeit beziehen und deren Gesamtstruktur größten-teils vernachlässigen.
6.2. Die Bedeutung des Raumes für die Struktur narrativer Texte
Als einer der ersten, die den Raum, neben der Zeit, als eigenständiges Strukturmerkmal narrativer Texte betrachtet haben, hat Herman Meyer in seiner Abhandlung Raum und Zeit in Wilhelm Raabes Erzählkunst[42] dahingehend zwei wichtige Fragen aufgeworfen: Zum einen, ob es tatsächlich eine spezifisch epische Raumgestaltung gibt, die als eige-ner Strukturwert erfasst und der Analyse der Gesamtstruktur dienstbar gemacht werden kann und zum zweiten, wie sich Raum- und Zeitgestaltung in diesem Falle zueinander verhalten. Anhand des von ihm gewählten Untersuchungsmaterials gelangte Meyer schließlich zu dem Schluss, dass der Raum in der Dichtung keineswegs nur faktische Gegebenheit, sondern v.a. ein eigenständiges Gestaltungselement sei, das zusammen mit der Zeit, der Erzählperspektive, der Figur und Handlungsfolge den intendierten Ge-halt und die Struktur des Werkes bestimmt. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte auch Franz C. Maatje in seinem Versuch einer Poetik des Raumes (1975). Zwar werde, so Maatje, die literarische Welt maßgeblich durch die Lese-, Rezitier- bzw. Aufführungs-zeit konstituiert, das literarische Werk an sich sei jedoch kein reines ‚Zeit-Kunstwerk’, in dem lediglich ein Raum dargestellt wird, sondern der Raum-im-Werk tritt als voll-kommen gleichwertige, die literarische Welt in gleichem Maße konstituierende Katego-rie neben die Zeit-im-Werk (Maatje 1975, 392ff.). Somit läge der Unterschied zwischen beiden Kategorien nicht in ihrer Relevanz für die Werkinterpretation begründet, sondern ergebe sich ausschließlich aus dem Prozess ihrer unterschiedlichen schöpferischen Gestaltbarkeit:
[...]
[1] V. a. im Bereich des Verlags- und Zeitschriftenwesens vollzog sich der fast vollständige Zerfall der bis-herigen Zentralisationsstrukturen. An die Stelle der staatlichen Verlage traten hunderte kleinerer Regio-nalverlage. Die streng zensierten staatlichen Wochenzeitschriften wurden von einer Reihe neuer Monats-zeitschriften und den Literaturbeilagen der Tageszeitschriften abgelöst. Einen Überblick über diese Entwicklungen bieten: Czapliński / Śliwiński 2000, 216ff.; Schlott 2004, 33ff. und 130f.
[2] In der Forschung ist oft sogar die Rede von einer „Krise der Literatur“, die sich v.a.in einer Erschöpfung literarischer Formeln bezüglich einer befriedigenden Darstellung der Wirklichkeit offenbare. Vgl. dazu: Czapliński / Śliwiński 2000, 169f.; Schlott 2004, 24ff.
[3] In den 90er Jahren entbrannte unter renommierten Literaten und Literaturwissenschaftlern eine Debatte um den Stellenwert des politischen Umbruchs für die polnische Literatur. Die Gegner der These eines gleichzeitig sich ereignenden literarischen Umbruches bestreiten einen Zusammenhang zwischen Politik und Literatur, da dieser zu Zeiten der Volksrepublik von den kommunistischen Machthabern in deren Sin-ne bewusst konstruiert worden war, ohne die gattungsinterne Dynamik zu berücksichtigen. Vgl hierzu: Kornhauser 1995, 19; Uniłowski 1998.
[4] „Die Konvergenz der Veränderungen in allen Lebensbereichen muss nicht zu einem literarischen Um-bruch führen, aber es schafft für die Literatur günstige Bedingungen. Denn Literatur ist bedingt, d.h. sie ist weder determiniert, noch ist sie absolut frei – in ihrer Entwicklung ist sie abhängig vom politischen, wirtschaftlichen und geistigen Leben der Gesellschaft, von den Massenmedien und den Mitteln der Infor-mationsverbreitung, von der ausländischen Philosophie und Literatur. Je größer die Dynamik dieser Be-reiche ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Beeinflussung.” (Übers.d.Verf.).
[5] Vgl. Jarzębski 1997.
[6] Die polnische Literatur sei sogar, so meint beispielsweise Stefan Chwin, vom Fall des Kommunismus, von dem man allgemeinhin glaubte, er würde ewig regieren, regelrecht überrascht worden. Vgl. dazu: Chwin 1994, 5-28.
[7] Klejnocki / Sosnowski 1996.
[8] Zum Beispiel Olga Tokarczuk.
[9] Wie etwa Czesław Miłosz, Tadeusz Różewicz oder auch Wisława Szymborska.
[10] „Um 1986 traten sowohl in der Prosa als auch in der Poesie verstärkt Phänomene auf, die von einer Er-schöpfung der Ausdrucksweisen der engagierten Literatur zeugen und belegen, dass unter den Schrift-stellern der Wille wuchs, sich mit etwas anderem als dem jaruzelskisch-polnischen Krieg zu beschäftigen und sich in anderen Sprachen auszudrücken als denen, die in der ersten Jahrhunderthälfte von einem pat-riotisch-nationalen Tonfall beherrscht wurden.“; (Übers.d.Verf.).
[11] Der Begriff der Mythisierung folgt hier dem Prosamodell Czaplińskis. Vgl dazu: Czapliński / Śliwiński 2000, 247f.
[12] Diesen Terminus prägte der Politikwissenschaftler Karl-Dietrich Bracher. Vgl. dazu: Bracher 1984.
[13] Vgl. Czapliński / Śliwiński 2000, 248ff. Zu den Schriftstellern dieser mythisierenden Prosa gehören u. a.: Tadeusz Konwicki, Piotr Szewc, Stefan Chwin, Pawel Huelle, Andrzej Zawada, Anna Bolecka, Jerzy Pilch, Andrzej Stasiuk, Olga Tokarczuk und Magdalena Tulli.
[14] „In diesen Räumen gibt es keine bedeutungslosen Bereiche, denn der Mythos stattet jedes Teilchen der Wirklichkeit mit Bedeutung aus, indem er die Grenzen zwischen Objekten und Lebewesen aufhebt.“; (Übers.d.Verf.).
[15] „Wrocław, Gdańsk, das Dukla der Beskiden, die kaschubischen Wälder, die kleinen Warschauer Vor-städte – jeder dieser Orte ist , einsehbar ’. ” (Übers. d. Verf.).
[16] Einen Überblick über die Tendenzen in der älteren und neueren Literatur der Mały Ojczyzny bietet: Chojnowski 2002, 11ff.
[17] „Die nach dem Krieg geborenen Schriftsteller können sich demnach nicht damit begnügen – v.a. in den autobiografienahen Erzählungen – in die Heimaten der Familie zurückzukehren, denn die Kresy sind, trotz ihrer Schönheit, nur Fragmente von Geschichten ihrer Vorfahren, ein Kapitel aus dem Buch der Ver-gangenheit, eine Erzählung über eine fremde Identität.”; (Übers. d. Verf.).
[18] Czapliński / Śliwiński 2000, 258.
[19] Ebd., 262.
[20] Die Wiederentdeckung der Fabel war in den 90er Jahren jedoch nicht für jeden Schriftsteller ein ver-tretbarer Weg. Laut Czapliński ließen sich für diese Zeit sogar zwei gegenläufige Tendenzen beobachten, die gleichberechtigt neben der Fabelprosa auftraten, hier jedoch aus Gründen der Themenrelevanz nicht weiter ausgeführt werden sollen: 1.) das Parodieren des Romans (bei Paweł Dunin-Wasowicz, Marcin Wroński, Andrzej Tuziak, Cezary Domarus, Marek Gajdziński, Anna Burzyńska) und 2.) der Rückgriff auf nichtepische Prosaformen (so im Werk von Marek Bieńczyk, Natasza Goerke, Aleksander Jurowicz, Zbigniew Kruszyński, Jerzy Pilch, Grzegorz Strumyk, Magdalena Tulli u.a.). Vgl. dazu: Czapliński / Śli-wiński 2000, S.269ff.
[21] „In den essayistischen Abschnitten wiederum stellen die Schriftsteller am häufigsten Betrachtungen an, die jenen Teil der eigenen Identität berühren, der mit dem Raum zusammenhängt. Sie tun dies, indem sie nach privaten, nostalgischen Ausdrucksformen suchen, bzw. nach einem Ausweg aus der Sentimenta-lismusfalle und literarischer Vereinfachung, aber auch[...]nach einem Einklang mit dem wahren eigenen Befinden.”; (Übers.d.Verf.).
[22] Die literarische Gattung der Sylwa (lat. silvae, dt. Wälder), die bereits in der altpolnischen Epoche zu finden ist, bezeichnete ursprünglich eine Sammlung von Entwürfen, Gedichten oder Prosatexten zu einem bestimmten Thema und erlangte v.a. Bekanntheit durch die Silvae des Statius aus dem 1. Jh.n.Chr.
[23] Die in der polnischen Literaturwissenschaft als Sylwa bezeichnete Prosaform findet sich u.a. im Werk von: Tadeusz Konwicki, Manuela Gretkowska, Anna Nasiłowska, Zbigniew Żakiewicz, Czesław Miłosz, Andrzej Stasiuk, Olga Tokarczuk, Krzysztof Rutkowski und Paweł Huelle.
[24] Stasiuk selbst sieht sich zwar eher als Poet und weniger als Prosaist: „[…]w mojej prozie ujawnia się coraz bardziej poetycki stosunek do języka.[…]Jeśli chodzi o konstrukcje zdań lub obrazów, one są bard-ziej poetyckie niż prozatorskie.”; (Bereś 2002, 425). Da die äußere Form seiner Erzählwerke jedoch nicht jener der Poesie entspricht, soll hier weiterhin die Rede von Prosa sein.
[25] Angeführt seien hier nur jene Werke, die für die vorliegende Arbeit von Bedeutung sind. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird daher bewusst nicht erhoben.
[26] „Zum Teufel, ich gehe nicht barfuß und ich verbeuge mich nicht vor der Natur. Meine Wahl hatte nichts zu tun mit einer Flucht in die Natur![...]Der Mensch sollte da wohnen, wo er sich wohl fühlt. [...]ich bevorzuge die Berge.”; (Übers.d.Verf.).
[27] „Ich bin gegen die Akzepanz von Normen. Diese Welt sieht so aus! Ich bin gegen Werte, ich beschrei-be diese Welt einfach, ohne sie zu bewerten. Und ob ich sie akzeptiere oder nicht akzeptiere, das ist mei-ne ganz private Sache!“; (Übers.d.Verf.).
[28] In seinem Aufsatz vergleicht Lessing die spätantike Laokoon-Gruppe mit Vergils Schilderung der Lao-koon- Episode in der Aeneis und entwickelt an den Unterschieden in der Ausdrucksintensität des Schmer-zes von Lakoon seine Kunsttypologie.
[29] Frank 1958.
[30] Bachelard 1960.
[31] Bachtin 1986.
[32] Hier sei v.a. verwiesen auf: Lotman 1972.
[33] Hoffmann 1978.
[34] Baak 1983.
[35] Reichel 1991.
[36] Brynhildsvoll 1993.
[37] Hansen-Löve 1994.
[38] Ritter 1975.
[39] Smitten / Daghistany 1981.
[40] Maatje 1975.
[41] Gustafsson 1985.
[42] Meyer 1968.
- Arbeit zitieren
- Stefanie Röfke (Autor:in), 2007, „Magie des Zerfalls“ - Der geopoetische Kosmos des Andrzej Stasiuk, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83061
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