aus der Einleitung:
Mit La Locandiera (1752) und I Rusteghi (1760) hat sich Carlo Goldoni von den moraldidaktischen Zielen seiner Komödienreform distanziert. Während in La Bottega del Caffè (1750) mit Ridolfo noch ein optimistischer Hüter bürgerlicher Werte im Mittelpunkt stand, rückt zwei Jahre später die Figur der Mirandolina ins Zentrum seines Interesses: eine den bürgerlichen Normen nicht vollständig geneigte Person, deren spielerischer und zugleich sympathischer Umgang mit Moral und Sitte hier besonders interessieren. In I Rusteghi ist dann die Entwicklung hin zu einer offenen Kritik an der mittlerweile extrem übersteigerten Befolgung bürgerlicher Normen erkennbar, die sich auch in der Lächerlichkeit, die dem Rustego als strengem Verteidiger dieser Werte zufällt, äußert. Diese unterschiedlichen Ansätze kritischer Gesellschaftsbetrachtung – zum einen die indirekte, weil unter den Vorzeichen der Karnevalisierung stehende Problematisierung bürgerlicher Normen in La Locandiera und zum anderen deren direkte Kritik in I Rusteghi – dienen als Zugang zu einer genaueren Analyse der beiden Stücke.
In Bezug auf La Locandiera soll dabei zunächst Mirandolinas normkonträres Handeln unter Berücksichtigung sowohl der dafür nötigen Voraussetzung als auch der betroffenen Normen untersucht werden. Die daran anschließende Darstellung und Erläuterung der sympathischen Wirkung Mirandolinas auf das Publikum soll verdeutlichen, dass die indirekte Kritik an den bürgerlichen Werten sich im Prinzip durch die Unterstützung des amoralischen Handelns ausdrückt. Die Attraktivität, die in diesem Kontext auch die Koketterie Mirandolinas ausstrahlt, stellt die Weichen für eine indirekte Standesreflexion. Dieser folgt ein Blick auf die insgesamt ‚mangelhafte’ Umsetzung moraldidaktischer Gesichtspunkte in La Locandiera. Die nähere Betrachtung der für den Zuschauer unbefriedigend ausfallenden Normenrestitution im dritten Akt sowie die Interpretation aller genannten Punkte vor dem Hintergrund des Karnevals und der Karnevalisierung, runden meine Ausführungen zu La Locandiera ab.
In I Rusteghi sollen zuerst Verzerrungen und Exzesse bürgerlicher Normbefolgung unter Einbeziehung einer Definition der Figur des Rustego sowie dessen exponierter Vergnügungsfeindlichkeit aufgezeigt werden. Im Anschluss daran wird die Opposition der von den Rusteghi unterdrückten, in ihrem Wesen aber sehr viel rationaleren Frauen erörtert, wobei ein besonderes Interesse der als Privattheater getarnten Intrige und Felices kritischer Schlussrede gilt. Überlegungen zu der widersprüchlichen und daher lächerlichen Anlage der Rusteghi und den Einschränkungen, die Felices Resümee und die darin bezogenen rationalen und modernen Positionen im Rahmen des letzten Karnevalstages erfahren, komplettieren die Analyse der Rusteghi.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die indirekte Problematisierung bürgerlicher Normen in La Locandiera
- 2.1. Mirandolinas normkonträres Handeln
- 2.1.1. Voraussetzung und betroffene Normen
- 2.1.2. Mirandolinas Wirkung auf das Publikum
- 2.1.2.1. Mirandolinas Koketterie als Ausdruck indirekter Standesreflexion
- 2.1.3. Moraldidaxe in La Locandiera
- 2.2. Die Restitution der Normen im dritten Akt
- 2.3. Die 'locanda' als karnevalistischer Lizenzraum
- 2.1. Mirandolinas normkonträres Handeln
- 3. Die direkte Kritik bürgerlicher Normen in I Rusteghi
- 3.1. Verzerrungen und Exzesse bürgerlicher Normbefolgung
- 3.1.1. Die Definition des Rustego
- 3.1.2. Von der Verzerrung betroffene Normen
- 3.1.3. Die Vergnügungsfeindlichkeit der Rusteghi
- 3.2. Die Opposition der Frauen
- 3.2.1. Das Privattheater der Frauen
- 3.2.2. Felices Resümee
- 3.3. Widersprüche und Einschränkungen
- 3.3.1. Widersprüche innerhalb der Rusteghi
- 3.3.2. Die Einschränkungen des Schlusses
- 3.1. Verzerrungen und Exzesse bürgerlicher Normbefolgung
- 4. Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die kritische Gesellschaftsbetrachtung in Carlo Goldonis Stücken „La Locandiera“ und „I Rusteghi“, wobei der Fokus auf der Auseinandersetzung mit bürgerlichen Normen liegt. Es wird analysiert, wie Goldoni diese Normen in den beiden Komödien unterschiedlich darstellt: indirekt und karnevalisiert in „La Locandiera“ und direkt und kritisch in „I Rusteghi“.
- Indirekte Kritik bürgerlicher Normen durch Karnevalisierung in La Locandiera
- Mirandolinas normkonträres Handeln und seine Wirkung auf das Publikum
- Direkte Kritik an übersteigerter Normbefolgung in I Rusteghi
- Opposition der Frauen gegen die Vergnügungsfeindlichkeit der Rusteghi
- Widersprüche und Einschränkungen in der Darstellung bürgerlicher Normen
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik ein und stellt die beiden Goldoni-Stücke „La Locandiera“ und „I Rusteghi“ als zentrale Untersuchungsobjekte vor. Sie betont die Abkehr Goldonis von der moraldidaktischen Komödie und die unterschiedlichen Ansätze der Kritik an bürgerlichen Normen in den beiden Werken: indirekte Kritik in „La Locandiera“ und direkte Kritik in „I Rusteghi“. Diese unterschiedlichen Ansätze bilden die Grundlage der weiteren Analyse.
2. Die indirekte Problematisierung bürgerlicher Normen in La Locandiera: Dieses Kapitel untersucht Mirandolinas normkonträres Handeln, die Voraussetzungen dafür und die betroffenen Normen. Es analysiert ihre Wirkung auf das Publikum und die Rolle der Koketterie als Ausdruck indirekter Standesreflexion. Der Mangel an moraldidaktischer Umsetzung und die Restitution der Normen im dritten Akt werden ebenfalls beleuchtet, alles im Kontext des karnevalistischen Lizenzraums der „locanda“. Die Analyse konzentriert sich auf die spielerische und sympathische Art, wie Mirandolina mit Moral und Sitte umgeht, und wie dies eine indirekte Kritik an bürgerlichen Werten darstellt.
3. Die direkte Kritik bürgerlicher Normen in I Rusteghi: Dieses Kapitel analysiert die Verzerrungen und Exzesse bürgerlicher Normbefolgung in „I Rusteghi“, fokussiert auf die Figur des Rustego und seine Vergnügungsfeindlichkeit. Es untersucht die Opposition der Frauen, ihre Intrigen und Felices Schlussrede als kritische Stellungnahme. Die widersprüchliche Anlage der Rusteghi und die Einschränkungen, die Felices Resümee erfährt, runden die Analyse ab. Die Kapitel analysiert, wie die übersteigerte Befolgung bürgerlicher Normen durch die Rusteghi lächerlich dargestellt wird und wie die Frauenfigur diesen entgegenwirken.
Schlüsselwörter
Carlo Goldoni, La Locandiera, I Rusteghi, bürgerliche Normen, Komödie, Karnevalisierung, Moraldidaktik, Standesreflexion, normkonträres Handeln, Vergnügungsfeindlichkeit, Frauenopposition, Kritik, Gesellschaft.
Häufig gestellte Fragen zu: Analyse der bürgerlichen Normen in Goldonis "La Locandiera" und "I Rusteghi"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die kritische Gesellschaftsbetrachtung in Carlo Goldonis Komödien "La Locandiera" und "I Rusteghi", insbesondere die Auseinandersetzung mit bürgerlichen Normen. Der Fokus liegt auf den unterschiedlichen Darstellungsweisen: indirekt und karnevalisiert in "La Locandiera" und direkt und kritisch in "I Rusteghi".
Welche Themen werden in den einzelnen Kapiteln behandelt?
Die Arbeit gliedert sich in vier Kapitel: Kapitel 1 (Einleitung) führt in die Thematik ein und stellt die beiden Stücke vor. Kapitel 2 analysiert die indirekte Kritik an bürgerlichen Normen in "La Locandiera" durch Mirandolinas Handeln und die karnevalistische Atmosphäre der "Locanda". Kapitel 3 untersucht die direkte Kritik an übersteigerter Normbefolgung in "I Rusteghi", fokussiert auf die Rusteghi und die Opposition der Frauen. Kapitel 4 bietet eine Zusammenfassung der Ergebnisse.
Wie wird die Kritik an bürgerlichen Normen in "La Locandiera" dargestellt?
In "La Locandiera" wird die Kritik indirekt und karnevalisiert dargestellt. Mirandolinas normkonträres Verhalten, ihre Koketterie und die Atmosphäre der "Locanda" als Lizenzraum ermöglichen eine spielerische und sympathische Auseinandersetzung mit Moral und Sitte, welche eine indirekte Kritik an bürgerlichen Werten darstellt. Die scheinbare Restitution der Normen am Ende des Stücks wird ebenfalls diskutiert.
Wie wird die Kritik an bürgerlichen Normen in "I Rusteghi" dargestellt?
In "I Rusteghi" wird die Kritik an bürgerlichen Normen direkt und offen geäußert. Die übertriebene und lächerliche Normbefolgung der Rusteghi und der Kontrast dazu durch die Opposition der Frauen, insbesondere durch Felices Schlussrede, bildet den Kern der Kritik. Die Arbeit analysiert die Widersprüche innerhalb der Gruppe der Rusteghi und die Einschränkungen, denen die weibliche Opposition begegnet.
Welche Schlüsselbegriffe sind zentral für die Analyse?
Zentrale Begriffe sind: Carlo Goldoni, La Locandiera, I Rusteghi, bürgerliche Normen, Komödie, Karnevalisierung, Moraldidaktik, Standesreflexion, normkonträres Handeln, Vergnügungsfeindlichkeit, Frauenopposition, Kritik und Gesellschaft.
Welche Zielsetzung verfolgt die Arbeit?
Die Arbeit zielt darauf ab, die unterschiedlichen Strategien Goldonis bei der Kritik an bürgerlichen Normen in seinen beiden Komödien zu analysieren und zu vergleichen. Sie untersucht, wie Goldoni durch verschiedene Darstellungstechniken – indirekte Kritik und Karnevalisierung in "La Locandiera" versus direkte Kritik in "I Rusteghi" – ein kritisches Bild der bürgerlichen Gesellschaft zeichnet.
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- Stephanie Pfeiffer (Author), 2005, Grenzen der Aufklärung: Komödie, Karnevalisierung und die Kritik bürgerlicher Normen in "La Locandiera" und in "I Rusteghi", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83056