Die Bedeutung von Religion als grundlegendes Muster menschlichen Handelns wurde in den achtziger Jahren des 20 Jahrhunderts verstärkt wahrgenommen, u.a. sowohl von der Geschichtswissenschaft als auch von den »ökonomischen Wissenschaften«. Kultur wurde als handlungsbestimmende Kraft wiederentdeckt. Anschließend an Max Weber und Clifford Geertz wurden Kultur und Religion als prägende Elemente der Menschlichen Lebensführung begriffen. Insbesondere der Religion kommt »als einer letzten Rückbindung menschlichen Handelns« hoher Stellenwert zu, was sich in Handlungen in wirtschaftlichem Kontext nachweisen lässt. Religion wird dabei als intersubjektiv verstanden. Sie erlangt durch kommunikative Akte Bedeutung. Von Religion zu differenzieren ist subjektive Frömmigkeit oder Spiritualität, die Teil einer aber auch mehrerer Religionen sein kann. Sie besteht zum Großteil aus Kommunikation – sonst könnte sie nicht Teil von Kultur sein. Sie manifestiert sich in Symbolen und Texten, Gesten und Sprechakten und in Handlungen, durch die der Glaubende seinen Glauben kommuniziert. Erst das Teilen von persönlichem Glauben mit anderen lässt Religion entstehen. Insofern nimmt Religion/Spiritualität Einfluss auf Handeln in wirtschaftlichen Zusammenhängen.
In den 1990er Jahren entwickelte sich hieran anschließend die Religionsökonomie als Unterdisziplin der Religionswissenschaft. Sie behandelt u.a. die Fragestellung, ob Religiöses Handeln und Verhalten von Einzelnen und Gemeinschaften wirtschaftlich relevant ist. Die Religionswissenschaft beansprucht bei ihrem Vorgehen keine Wirtschaftswissenschaftliche Kompetenz, versteht sich aber als Kulturwissenschaft, die die ökonomische Relevanz als auch die spezifischen ökonomischen Dimensionen religiösen Handelns untersucht.
Als Mitbegründer der Religionssoziologie bietet Max Weber der Religionswissenschaft resp. ihrer Unterdisziplin Religionsökonomie mit seiner Studie Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus Anschlussmöglichkeiten. Er war einer der ersten, die sich mit dem Verhältnis von Religion und Wirtschaft auseinander gesetzt haben. Im Gegensatz zu seinen Mitstreitern Sombart und Gothein ist er es allerdings, der bis heute rezipiert wird. Zu fragen ist also, was Webers These auszeichnet, worin sie sich von den Gedanken seiner Zeitgenossen unterscheidet und warum er bis heute rezipiert wird.
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Hinführung zum Thema
1.2 Aufbau der Arbeit
2 Darstellung der »Weberthese«
2.1 »Das Problem«
2.2 »Die Berufsethik des asketischen Protestantismus«
2.3 Fazit
3 Einordnung der PE
3.1 Zur Person Max Webers
3.2 Gesamtwerkliche Einordnung
3.3 Diskurs zur Zeit der Entstehung der PE I
3.3.1 Historischer Kontext
3.3.2 Gothein-Sombart-Weber
3.3.3 Zusätzliche Hauptquellen
3.4 Auf dem Weg zur PE II
3.5 Fazit
4 Kritik der Weberthese
4.1 Inhaltliche Kritik
4.1.1 Kritik am Zusammenhang zwischen Protestantismus und Kapitalismus
4.1.2 Kritik einzelner Begriffe
4.2 Methodologische Kritik
4.2.1 mangelhafte Quellenlage
4.2.2 Nicht-Greifbarkeit der PE
4.3 Fazit
5 Rezeption der Weberthese
5.1 Verschiedene Rezipienten
5.2 Art der Rezeption
5.3 Nach Übersee und wieder zurück
5.4 Begründung wissenschaftlicher Disziplinen
5.5 Fazit
6 Schlussbetrachtung
6.1 Zusammenfassung
6.2 Ausblick
7 Literatur
1 Einleitung
1.1 Hinführung zum Thema
Die Bedeutung von Religion als grundlegendes Muster menschlichen Handelns wurde in den achtziger Jahren des 20 Jahrhunderts verstärkt wahrgenommen, u.a. sowohl von der Geschichtswissenschaft als auch von den »ökonomischen Wissenschaften« (Graf 2004). Zu dieser Zeit des cultural turn wurde die Kultur als handlungsbestimmende Kraft wiederentdeckt. Anschließend an Max Weber und Clifford Geertz wurden Kultur und Religion in größerem Maße als prägende Elemente der Menschlichen Lebensführung begriffen. (Kuhlemann/Schmuhl 2003, S. 14) Insbesondere der Religion kommt »als einer letzten Rückbindung menschlichen Handelns« ein hoher Stellenwert zu, was sich auch in Handlungen in wirtschaftlichem Kontext nachweisen lässt. Religion muss dabei als intersubjektiv verstanden werden. Sie erlangt durch kommunikative Akte Bedeutung. Von Religion zu differenzieren ist subjektive Frömmigkeit oder Spiritualität, die Teil einer aber auch mehrerer Religionen gleichzeitig sein kann. Religion besteht also zum Großteil aus Kommunikation – sonst könnte sie nicht Teil von Kultur sein. Sie manifestiert sich in Symbolen und Texten, Gesten und Sprechakten, sowie in Handlungen, durch die der Glaubende seinen Glauben kommuniziert. Erst das Teilen von persönlichem Glauben mit anderen lässt Religion entstehen. (vgl. dazu auch Kippenberg/Stuckrad, Einführung in die Religionswissenschaft) Insofern kann Religion/Spiritualität Einfluss nehmen auf Handeln in wirtschaftlichen Zusammenhängen nehmen.
Seit den 1990er Jahren entwickelte sich hieran anschließend die Religionsökonomie als Unterdisziplin der Religionswissenschaft. Neben der Finanzierungsfragen von Religion, der Beschreibung von Religon mittels ökonomischer Modelle behandelt sie die Fragestellung, in wie weit »Religiöses Handeln und Verhalten von Einzelnen und Gemeinschaften wirtschaftlich relevant ist. (vgl. Schulz, 2006 a) Die Religionswissenschaft beansprucht bei ihrem Vorgehen keine Wirtschaftswissenschaftliche Kompetenz, versteht sich jedoch als Kulturwissenschaft, die sowohl die ökonomische Relevanz als auch die spezifischen ökonomischen Dimensionen religiösen Handelns und Verhaltens untersucht. In modernen Gesellschaften sind die Wechselbeziehungen zwischen ausdifferenzierten Lebensbereichen alltäglich national und global zu erfahren, z.B. auf den miteinander verflochtenen Konsumgüter-, Produktionsmittel- und Finanzmärkten. (Schulz, 2006 b)
Als Mitbegründer der Religionssoziologie bietet Max Weber der Religionswissenschaft resp. ihrer Unterdisziplin Religionsökonomie insbesodere mit seiner Studie Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus[1] Anschlussmöglichkeiten. Er war einer der ersten, die sich mit dem Verhältnis von Religion und Wirtschaft auf wissenschaftlicher Ebene ausgesetzt haben. Im Gegensatz zu seinen Mitstreitern Werner Sombart und Eberhard Gothein ist er es allerdings, der bis heute rezipiert wird. Zu fragen ist also, was Webers These auszeichnet, worin sie sich von den Gedanken seiner Zeitgenossen unterscheidet und warum er bis heute rezipiert wird.
1.2 Aufbau der Arbeit
Ich werde zunächst darstellen, was Weber in seiner Studie zur Kulturbedeutung des Protestantismus aussagen wollte. Darauf aufbauend stelle ich im dritten Kapitel die Umstände dar, unter denen die PE entstanden ist. ›Wer war Weber?‹, ›In welchen Zeit hat er gelebt?‹, ›Mit welchen Zeitgenossen hat Weber auseinandergesetzt?‹, und ›Was hat ihn bei seiner Studie beeinflusst?‹ sind die Fragen, die beantwortet werden sollen. Kapitel vier behandelt die Kritik, die an Webers These geäußert wird. Kapitel fünf beschäftigt sich daran anschließend mit der Rezeption von Webers Text bis in die heutige Zeit.
2 Darstellung der »Weberthese«
Webers 162 Seiten starke Abhandlung ist in zwei Teile gegliedert, denen eine Vorbemerkung vorausgeht und, in der zweiten Auflage, ein enormer Anmerkungapparat von über 100 Seiten folgt. Im ersten Teil mit der Überschrift »Das Problem« stellt Weber seine Forschungsfrage dar. Im zweiten Teil »Die Berufsethik des asketischen Protestantismus« arbeitet Weber an einer Antwort auf diese Frage.
2.1 »Das Problem«
In den ersten beiden Kapitel des ersten Teil stellt Weber jeweils eine thesenartige Beobachtungen dar. Im dritten, den ersten Teil beschließenden Kapitel folgt dann eine Synthese der dargestellten Thesen.
Die im ersten Kapitel »Konfession und soziale Schichtung« formulierte Beobachtung lautet, dass die Länder, die seit der Reformation als ökonomisch erfolgreich zu bezeichnen sind und in diesen wiederum besonders die bürgerlichen Mittelschichten sich dem Protestantismus calvinistischer Prägung angeschlossen haben.
Die im zweiten Kapitel »Der Geist des Kapitalismus« dargestellte Beobachtung ist die, dass die treibende Kraft des Kapitalismus nicht allein die schrankenlose Gier nach Geld ist; diese hat es nach Weber schon immer gegeben. Ein »Erwerbstrieb« war in präkapitalistischen Epochen durchaus vorhanden (Weber 2006, 44), ebenso »Habgier« und »Skrupellosigkeit« von einzelnen Wirtschaftssubjekten. (Weber 2006, 45) Diese Erscheinungen stellen aber nicht das Moment dar, das den modernen kapitalistischen Geist hervorbrachte. »In der verschieden starken Entwicklung irgendeines ›Triebes‹ nach dem Geld also liegt der Unterschied nicht.« (Weber 2006, 45). Dies begründet Weber damit, dass die Motive in der präkapitalistischen Zeit andere waren. Die präkapitalistische Wirtschaftsweise nennt Weber »Tradtionalismus«. Er geht davon aus, dass dieser »natürlich« ist und beschreibt ihn folgendermaßen: »Der Mensch will ›von Natur‹ nicht Geld und mehr Geld verdienen, sondern einfach leben, so leben, wie er zu leben gewohnt ist, und soviel erwerben, wie dazu erforderlich ist.« (Weber 2006, 48) Dagegen sei für das moderne kapitalistische Wirtschaften »eine ethisch gefärbte Maxime der Lebensführung« konstitutiv gewesen, bei der der Erwerb von Gütern nicht mehr nur dem Erhalt des Lebens diente, sondern sich zum Selbstzweck entwickelte, gewissermaßen zum »Zweck des Lebens«. (von Dülmen, 91) Hinzu kam das Motiv der Berufspflicht: eine Verpflichtung, die der einzelne, sei er Unternehmer, sei er Arbeiter, gegenüber seinem Beruf empfinden soll, eigentlich sogar empfinden muss, da der Kapitalismus sich mittlerweile seine Wirtschaftssubjekte schuf, und alle, die in diese seine Ordnung nicht hineinpassten, aus las. Der Begriff der Auslese ist für den Fortgang der Weberschen Abhandlung grundlegend, da eine dem Kapitalismus angepasste Lebensführung, soll sie den ausgelesen werden können, zunächst entstanden sein muss. (Weber 2006, 43)
Die in Kapitel drei »Luthers Berufskonzeption. Aufgabe der Untersuchung« beschriebene dritte und letzte, nun aber synthetische Beobachtung ist, dass sich im Protestantismus und dort besonders in calvinistischen Strömungen eine ausgeprägt rationale und damit dem »Geist« des Kapitalismus nahe Gestaltung des Lebens wiederfindet. Um dies zu verdeutlichen, verfolgt Weber das Wort und den Gedanken des Berufs zunächst zurück bis zur Zeit der Reformation. Zuerst von Luther in seiner Übersetzung der Bibel benutzt, breitete es sich alsbald in der Profansprache der protestantischen Völker aus – die »katholische Welt« kannte zu dieser Zeit das Wort oder eines mit vergleichbarem Wortsinn nicht. (Weber 2006, 66) Weber wendet sich jedoch von der lutherischen Berufskonzeption ab und einem weiterführenden Gedanken zu: dem Berufskonzept Calvins, dessen Berufsbegriff ihm als dem Kapitalismus adäquater erscheint: »Für Luther ist der Beruf das, was der Mensch als göttliche Fügung hinzunehmen, worein er sich zu schicken hat – diese Färbung übertönt den auch vorhandenen anderen Gedanken, dass die Berufsarbeit eine oder vielmehr die von Gott gestellte Aufgabe sei.« (Weber 2006, 72)
Aufgrund der Ausführungen in den Kapiteln eins bis drei kommt Weber zu dem Schluss, dass die calvinistische Ausprägung des Protestantismus in einem Verhältnis stehen muss zu jener Art des Wirtschaftens, deren Bezeichnung als »Kapitalismus« im deutschsprachigen Raum Mitte des 19. Jahrhunderts auf kam. (Duden, Bd. 7)
Weber zieht also Parallelen zwischen diesem von ihm sog. »Geist« des Kapitalismus und dem Protestantismus calvinistischer Prägung. Der Begriff »Geist« bedarf der Erklärung. Weber meint hier nicht, wie man vermuten könnte, etwas rein Spirituelles, sondern einen »Habitus«, also »irgendwie verfestigte Einstellungen, Motive und Handlungsmuster. Geist bzw. Habitus steht für eine spezifische psychische Disposition, die sich der einzelne im Laufe seines Lebens aneignet, und die sich in Verhaltens- und Orientierungsmustern niederschlägt.« (Guttandin 1998, 30) Zwischen den Deutungs- und Verhaltensmustern, die der Kapitalismus bereitstellt und jenen, die vom Calvinismus herrühren, versucht Weber nun eine Beziehung herzustellen. Solch eine Relation sei aber nicht kausaler, erst recht nicht monokausaler Natur.[2] Er möchte dagegen untersuchen, »ob und in wieweit religiöse Einflüsse bei der qualitativen Prägung und quantitativen Expansion jenes »Geistes« über die Welt mitbeteiligt gewesen sind und welche konkreten Seiten der auf kapitalistischer Basis ruhenden Kultur auf sie zurückgehen.« (Weber 2006, 78) Es geht ihm also nicht um die Entstehung des Kapitalismus als Wirtschaftsform sondern um den Geist, die psychische Disposition, die hinter dieser Entwicklung steht. Diesen unintendierten Einfluss von Religion auf das menschliche Verhalten und damit auf Handlungsakte der Wirtschaftssubjekte[3] versucht Weber im zweiten Teil seiner Abhandlung herauszuarbeiten[4].
2.2 »Die Berufsethik des asketischen Protestantismus«
Der zweite Teil der PE ist wiederum in zwei Kapitel untergliedert. Im ersten Kapitel »Die religiösen Grundlagen innerweltlicher Askese«, verfolgt Weber die durch Glauben und Relgionsausübung geprägten psychologischen Antriebe. Sie weisen als Grundlage der Wahrnehmung des Einzelnen der »Lebensführung die Richtung« und halten »das Individuum in ihr« fest. (Weber 2006, 117) Er arbeitet heraus, dass im Calvinismus die Prädestinationslehre derjenige Antrieb ist, der bei den Glaubenden ein rationales Verhalten hervorruft. An die Prädestinationslehre glaubende Calvinisten können nach Weber weder mit Heilsmitteln rechnen noch wissen, ob sie zu den Erwählten zählen. Daher strebt der idealtypische Calvinist auch nicht nach seinem persönlichen Heil, sondern nach der ständigen Verherrlichung seines Gottes, indem er ein gottgefälliges Leben führt. Dieses besteht nicht aus »guten Taten« an sich, sondern aus einer rationalen Lebensführung, da der Grad der Erwähltheit sich für Calvinisten am Grad des beruflichen Erfolg misst. Und deswegen, so Weber weiter, führen Calvinisten ein arbeitsames Leben unter Verzicht auf Luxus und Genuss. Beruflicher Misserfolg oder auch nur »(...)Arbeitsunlust ist Symptom fehlenden Gnadenstandes.« (Weber 2006, 138) Diese Haltung nennt Weber innerweltliche Askese und unterscheidet sie von mönchischer Askese: »Im Unterschied zur mönchisch-katholischen Askese, die aus dem Alltagsleben herausdrängt, verlangt die calvinistisch-protestantische Askese die Bewährung des Glaubens im weltlichen Berufsleben.« (Weber 2006, 138)
In dem seine Abhandlung beschließenden Kapitel »Askese und kapitalistischer Geist« beschreibt Weber die Zusammenhänge zwischen dem innerweltlich-asktetischen Weltbild des Calvinismus und den ökonomischen Maximen des kapitalistischen Erwerbsleben. Er stellt fest, dass eine durch den Calvinismus mitbestimmte Lebensauffassung der für den Kapitalismus wichtigen ökonomisch-rationalen Lebensführung wie kaum eine andere adäquat und neben dem Staat eine wichtige Wegbereiterin für den Kapitalismus in dessen Frühzeit war: »Die innerweltliche protestantische Askese – so können wir das bisher Gesagte wohl zusammenfassen – wirkte also mit voller Wucht gegen den unbefangenen Genuss des Besitzes, sie schnürte die Konsumtion, speziell die Luxuskonsumtion, ein. Dagegen entlastete sie im psychologischen Effekt den Gütererwerb von den Hemmungen der traditionalistischen Ethik, sie sprengte die Fesseln des Gewinnstrebens, indem sie es nicht nur legalisierte, sondern (in dem dargestellten Sinn) direkt als gottgewollt ansah. Der Kampf gegen Fleischeslust und das Hängen an äußeren Gütern war, wie neben den Puritanern auch der große Apologet des Quäkertums, Barclay ausdrücklich bezeugt, kein Kampf gegen rationalen Erwerb, sondern gegen irrationale Verwendung.« (Weber 2006, 150, Hervorhebungen im Original) Im Laufe der Zeit habe sich der Kapitalismus jedoch von seinen Wegbereitern Staat und Religion emanzipiert und geht beiden Gewalten aus dem Weg, da sie für die schrankenlose Ausbreitung des Kapitalismus hinderlich sind.[5]
2.3 Fazit
Im Calvinismus werden nach Weber bestimmte Verhaltensweisen prämiert. Der Glaubende hält sich an diese Maximen, um ein gottgefälliges Leben zu führen. Die Schwierigkeit für den idealtypischen Calvinsten besteht nun darin, dass er sich nicht sicher sein kann, dass er die Maßgaben seiner Religion erfüllt. Lediglich Erfolg im Beruf gilt als ein Indikator für die gelungene Erfüllung der religiösen Pflichten. Aus diesem Grund wird beruflicher Erfolg angestrebt. Dies gelingt durch rationale Lebensführung und durch Verzicht auf Konsum und Luxus. Diese Art der Lebensführung nennt Weber innerweltliche Askese.
Der Kapitalismus prämiert ebenfalls eine rationale Lebensführung und den Verzicht auf Luxus und Genuss – doch nur, um das dadurch erarbeitete und aufgesparte Kapital reinvestieren und noch mehr Gewinn zu erwirtschaften zu können.
Weber folgend lässt sich also bei Kapitalisten wie bei Calvinisten das gleiche Verhalten beobachten, die Motive sind jedoch jeweils andere. Fallen beide Strömungen auf eine Person, entstehen Synergieeffekte. Der gleichermaßen von Kapitalismus und Calvinismus geprägte Mensch ist sowohl erfolgreich im Beruf als auch – und gerade dadurch – ein guter, angesehener Glaubender und gilt als der Erlösung nah. Der Calvinismus stellte also ein Weltbild zu Verfügung, welches dem Kapitalismus adäquat ist und, ohne das dies intendiert gewesen wäre, die wirtschaftlichen Akteure in der Frühzeit des Kapitalismus so agieren ließ, dass sich der Kapitalismus ausbreiten konnte.
[...]
[1] Nachfolgend in der Regel mit »PE« abgekürzt, wenn die Bedeutung der konkreten Auflage als nachrangig erscheint. Mit »PE I« ist dahingegen die erste Auflage aus dem Jahr 1904/1905 gemeint. »PE II« bezeichnet die zweite Auflage der Studie Webers, die 1920 erschienen ist.
[2] »Aber andererseits soll ganz und gar nicht eine so töricht-doktrinäre These verfochten werden wie etwa die: daß der »kapitalistische Geist« (immer in dem provisorisch hier verwendeten Sinn dieses Wortes) nur als Ausfluß bestimmter Einflüsse der Reformation habe entstehen können oder wohl gar: daß der Kapitalismus als Wirtschaftssystem ein Erzeugnis der Reformation sei. Schon daß gewisse wichtige Formen kapitalistischen Geschäftsbetriebs notorisch erheblich älter sind als die Reformation, stände einer solchen Ansicht ein für allemal im Wege.« (Weber 2006 77-78)
[3] Max Weber geht hierbei grundsätzlich davon aus, »dass die anerzogene geistige Eigenart, und zwar hier durch die religiöse Atmosphäre der Heimat und des Elternhauses bedingte Richtung der Erziehung, die Berufswahl und die weiteren beruflichen Schicksale bestimmt.« (Weber 2006, 29) Als Beispiel führt er an, dass katholische Handwerksgesellen eher in handwerklichen Betrieben verbleiben und dort ihren Meister machen, während ihre protestantischen Kollegen »in die Fabriken abströmen, um hier die oberen Staffeln der Arbeiterschaft und des gewerblichen Beamtentums zu füllen.« (Weber 2006, 29) Schon vorher, in der Art der Schulbildung, erkennt Weber die Prägung der Schüler durch ihre religiöse Erziehung im Elternhau So besuchen katholische Schüler eher humanistische Gymnasien, wohingegen protestantische Schüler vergleichsweise häufig Realgymnasien, Realschulen, sowie höhere Bürgerschulen besuchen, die laut Weber speziell für die Vorbereitung auf ein bürgerliches Erwerbsleben konzipiert sind. (Weber 2006, 28)
[4] In seiner Anmerkung 40 setzt sich Weber kritisch mit einer Gegenthese Sombarts auseinander, und bringt seine These auf den Punkt:
»Das Entscheidende des Unterschiedes ist (um das vorwegzunehmen), dass eine religiös verankerte Ethik auf das von ihr hervorgerufene Verhalten ganz bestimmte, und, solange der religiöse Glaube lebendig bleibt, höchst wirksame psychologische Prämien (nicht ökonomischen Charakters) setzt, welche eine bloße Lebenskunstlehre wie die Albertis eben nicht zur Verfügung hat. Nur soweit diese Prämien wirken und – vor allem – in derjenigen, oft (das ist das Entscheidende) von der Theologie-Lehre (die ihrerseits ja auch nur »Lehre« ist) weit abweichenden Richtung, in der sie wirken, gewinnt sie einen eigengesetzlichen Einfluss auf die Lebensführung und dadurch auf Wirtschaft; dies ist, um es deutlich zu sagen, ja die Pointe dieses ganzen Aufsatzes, von der ich nicht erwartet hätte, dass sie so völlig übersehen werden würde.« (Weber 2006, Anmerkung 40)
[5] »Die kapitalistische Wirtschaftsordnung (...) hat es namentlich nicht mehr nötig, sich von der Billigung irgendwelcher religiöser Potenzen tragen zu lassen, und empfindet die Beeinflussung des Wirtschaftslebens durch die kirchlichen Normen, soweit sie überhaupt noch fühlbar ist, ebenso als Hemmnis wie dessen staatliche Reglementierung. (...) Aber das sind Erscheinungen einer Zeit, in welcher der moderne Kapitalismus, zum Sieg gelangt, sich von den alten Stützen emanzipiert hat. Wie er dereinst nur im Bund mit der werdenden modernen Staatsgewalt die alten Formen mittelalterlicher Wirtschaftsregulierung sprengte, so könnte – wollen wir vorläufig sagen – das gleiche auch für seine Beziehungen zu den religiösen Mächten der Fall gewesen sein.« ( Weber 2006, 60–61)
- Arbeit zitieren
- Christian Holtbrügger (Autor:in), 2007, Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83053
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