Geleitet von Stereotypen und durch das eigene Annehmen einer Geschlechterrolle, befinden sich die Menschen in einer Endlosspirale von Rollenerwartungen und dem Versuch, diesen Erwartungen gerecht zu werden oder auch nicht gerecht zu werden. Die Konsequenzen dieser Spirale sind auch in der Erwachsenenbildung sichtbar. Das unterschiedliche Verhalten von Männern und Frauen beeinflusst das Seminargeschehen. Deshalb ist es wichtig, sowohl die Teilnehmenden als auch die Lehrenden auf die Problematik der Geschlechterrollen und des geschlechtsspezifischen Seminarverhaltens aufmerksam zu machen. Diese Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, indem sie Einblick in die aktuelle Diskussion zum Thema gibt, eine eigene Untersuchung an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät Leipzig vorstellt sowie ableitend Vorschläge für die Sensibilisierung von Lernenden und Lehrenden gibt.Ziel dieser Magisterarbeit ist es somit, geschlechtsspezifisches Seminarverhalten von Studierenden sowie die Wahrnehmung dessen bei den Lehrenden sowie Lernenden zu untersuchen und darzulegen. Demgemäß leiten sich folgende Forschungsfragen ab:
1) Was für Unterschiede gibt es im Verhalten von Frauen und Männern in Seminaren?
2) Wie wird das unterschiedliche Verhalten sowohl von Lehrenden als auch von Lernenden wahrgenommen?
Die daraus resultieren Arbeitshypothesen lauten:
1) Es gibt keine geschlechtsspezifischen Unterschiede im Seminarverhalten der
Studierenden.
2) Demzufolge werden auch keine geschlechtsspezifischen Unterschiede
wahrgenommen.
Gegenstand der Untersuchung ist also die soziale Interaktion im Seminar sowie das diesbezügliche Empfinden bei Teilnehmenden und Dozierenden. Die
Forschungsfragen sollen anhand einer intensiven Literaturrecherche sowie einer empirischen Untersuchung, d.h. mit Hilfe von Leitfadeninterviews beantwortet werden.
Die Interviews sind auf den erziehungswissenschaftlichen Lehrstuhl der Universität Leipzig begrenzt.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Gender
2.1 Biologisches Geschlecht und soziales Geschlecht
2.2 Doing Gender
2.3 Geschlechtsidentität und Geschlechtsrollenidentität
2.4 Geschlechterrollen und die damit verbundenen Erwartungen
2.4.1 Geschlechterrollen
2.4.2 Geschlechtsrollenerwartungen und Geschlechterschemata
2.4.2.1 Geschlechtsrollenerwartungen
2.4.2.2 Geschlechterschemata
2.4.3 Die Geschlechterstereotype
2.5 Geschlechterrollen und Verhalten
2.5.1 Geschlechterschematisches Verhalten
2.5.2 Maskulinität, Femininität und Androgynität
2.6 Die Endlosspirale der Geschlechtsrollenerwartungen
2.7 Gender Mainstreaming
2.8 Kritik
2.9 Zusammenfassung
3. Geschlechtstypisches Seminarverhalten
3.1. Geschlechtsunterschiede in der Kommunikation
3.2 Geschlechtsunterschiede in der Interaktion in Gruppen
3.2.1 Untersuchung im Rahmen des Projektes „Gender Mainstreaming“
3.2.2 In der Literatur vorgestellte Ergebnisse
3.2.2.1 Position von Dorothee Alfermann
3.2.2.2 Position von Elizabeth Aries
3.2.2.3 Position von Elisabeth Beck-Gernsheim
3.2.2.4 Position von Karin Derichs-Kunstmann et al
3.2.2.5 Position von Claudia Schmidt
3.2.2.6 Position von Wendy Wood und Nancy Rhodes
3.3 Geschlechtsunterschiede im Führungsverhalten
3.4 Ursachen für Geschlechtsunterschiede
3.4.1 Statustheorie
3.4.2 Geschlechterrollentheorie
3.4.3 Theorie der zwei Kulturen
3.4.4 Andere Erklärungen
3.5 Kritik
3.6 Zusammenfassung
4. Erhebung
4.1 Vorbemerkungen
4.2. Methodische Vorgehensweise
4.2.1 Das Leitfadeninterview
4.2.1.1 Interviewleitfaden Lehrende
4.2.1.2 Interviewleitfaden Lernende
4.2.2 Gütekriterien
4.2.3 Methodenkritik
4.2.4 Interviewdurchführung
4.2.5 Interviewtranskription
4.2.6 Interviewauswertung
4.3 Ergebnisdarstellungen
4.4 Interpretation und Diskussion der Ergebnisse
4.5 Zusammenfassung
5. Implementierung/Sensibilisierung
5.1 Vorbemerkungen
5.2 Das Konzept von Karin Derichs-Kunstmann et al
5.3 Weitere Literaturvorschläge
5.4 Zusammenfassung und Kritik
6. Fazit
7. Quellenverzeichnis
8. Anhang
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1: Biologisches und soziales Geschlecht
Abbildung 2: Typeneinteilung der Geschlechtsrollenidentität nach dem Androgyniekonzept
Abbildung 3: Soziale Rollentheorie zur Erklärung von Geschlechts-unterschieden im sozialen Handeln (nach Eagly)
Abbildung 4: Übersicht: Formen der Befragung
Tabelle 1: Pädagogische Interventionsmöglichkeiten im Unterricht nach Derichs-Kunstmann
1. Einleitung
Artikel 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland besagt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“[1] Diese Gleichberechtigung ist nicht immer gegeben. Eher noch als die Gleichheit, sind es vor allem die Unterschiede zwischen Mann und Frau, die unser tägliches Leben beeinflussen, wie es Sigmund Freud in seinem Aufsatz Die Weiblichkeit schon angedeutet hat: „Männlich oder weiblich ist die erste Unterscheidung, die Sie machen, wenn Sie mit einem anderen menschlichen Wesen zusammentreffen.“[2] Geleitet von Stereotypen und durch das eigene Annehmen einer Geschlechterrolle, befinden sich die Menschen in einer Endlosspirale von Rollenerwartungen und dem Versuch, diesen Erwartungen gerecht zu werden oder auch nicht gerecht zu werden. Die Konsequenzen dieser Spirale sind auch in der Erwachsenenbildung sichtbar. Das unterschiedliche Verhalten[3] von Männern und Frauen beeinflusst das Seminargeschehen[4]. Deshalb ist es wichtig, sowohl die Teilnehmenden als auch die Lehrenden auf die Problematik der Geschlechterrollen und des geschlechtsspezifischen Seminarverhaltens aufmerksam zu machen. Diese Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, indem sie Einblick in die aktuelle Diskussion zum Thema gibt[5], eine eigene Untersuchung an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät Leipzig vorstellt sowie ableitend Vorschläge für die Sensibilisierung von Lernenden und Lehrenden gibt.
Das eigene Interesse für diese Thematik wurde durch das Projekt ‚Gender Mainstreaming’ im Seminar ‚Frauenbildung in Leipzig’[6] geweckt. Dort wurden verdeckt-teilnehmende[7] Beobachtungen überwiegend in Seminaren der Erwachsenen-pädagogik durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung konnten im Rahmen der Möglichkeiten zwar nur Tendenzen darstellen, entsprachen aber dennoch den Aussagen in der Literatur (vgl. Kap.3). Als die Untersuchungsergebnisse im Seminar ‚Die eigene Person als Instrument der Arbeit’ einmal im Plenum diskutiert wurden, gab es die unterschiedlichsten Reaktionen. Unter anderem äußerte ein Teilnehmer, er fühle sich manchmal in seine dominierende Rolle (z.B. als Präsentierender) im Seminar gedrängt. Dies zeigte, wie unbewusst viele Prozesse und Einschätzungen hinsichtlich geschlechtsspezifischen Verhaltens ablaufen und wie wichtig eine Aufdeckung dieser Prozesse für die soziale Interaktion[8] in Seminaren ist.
Die oben angeführte Aussage des Teilnehmers war die Motivation für eine alleinige Weiterführung des ‚Gender-Projektes’, im Sommersemester 2006 im Rahmen des Seminars ‚Frauenbildung in Leipzig 2’. Gleich zu Beginn der Untersuchung wurde mit Frau Lehnert vereinbart, dass dieses Projekt den Grundstein für eine Magisterarbeit legen würde. Ziel war es, die Wahrnehmung der Studierenden und Dozierenden zu erforschen, wie sie sich in bestimmten Seminarsituationen fühlen. Die genaue Vorgehensweise wird in Kapitel 4 erläutert. Ziel dieser Magisterarbeit ist es somit, geschlechtsspezifisches Seminarverhalten von Studierenden sowie die Wahrnehmung dessen bei den Lehrenden sowie Lernenden zu untersuchen und darzulegen. Demgemäß leiten sich folgende Forschungsfragen ab:
1) Was für Unterschiede gibt es im Verhalten von Frauen und Männern in Seminaren?
2) Wie wird das unterschiedliche Verhalten sowohl von Lehrenden als auch von Lernenden wahrgenommen?
Die daraus resultieren Arbeitshypothesen lauten:
1) Es gibt keine geschlechtsspezifischen Unterschiede im Seminarverhalten der Studierenden.
2) Demzufolge werden auch keine geschlechtsspezifischen Unterschiede wahrgenommen.
Gegenstand der Untersuchung ist also die soziale Interaktion im Seminar sowie das diesbezügliche Empfinden bei Teilnehmenden und Dozierenden. Die Forschungsfragen sollen anhand einer intensiven Literaturrecherche sowie einer empirischen Untersuchung, d.h. mit Hilfe von Leitfadeninterviews beantwortet werden. Die Interviews sind auf den erziehungswissenschaftlichen Lehrstuhl der Universität Leipzig begrenzt, was aus der Vorarbeit in den Seminaren ‚Frauenbildung in Leipzig’ resultiert (vgl. Kap.4).
Kapitel 2 setzt sich mit den Begriffen zum Thema ‚Gender’ auseinander. Es wird die Unterscheidung zwischen den Begriffen ‚Sex’ und ‚Gender’ vorgestellt sowie die Konzepte ‚Gender Mainstreaming’, ‚Doing Gender’ als auch das ‚Androgyniekonzept’. Darüber hinaus soll die Spirale von ‚Geschlechterrollen’, ‚Geschlechterstereotypen’ und ‚Geschlechtsrollenerwartungen’ aufgezeigt werden. Dieses Kapitel bildet die Grundlage für das Verständnis der Problematik und damit auch der folgenden Abschnitte. Konkrete Forschungsergebnisse zum geschlechtsspezifischen Seminarverhalten sollen in Kapitel 3 angeführt werden. Da es nur sehr wenig Veröffentlichungen von Untersuchungen an Universitäten gibt, wird hier auf Studien im Bereich der Weiterbildung zurückgegriffen. Außerdem werden die Ergebnisse der im Rahmen des Seminars ‚Frauenbildung in Leipzig’ durchgeführten Projektarbeit einfließen. Um die Übersichtlichkeit des Unterkapitels 3.2 zu wahren, wurde es nach den Autoren gegliedert. Außerdem sollen im Abschnitt 3.4 exemplarisch einige Theorien für die Ursache von Geschlechtsunterschieden im Verhalten von Personen vorgestellt werden. Das darauf folgende Kapitel 4 stellt die qualitative Untersuchung vor. Nachdem die Vorgehensweise offen gelegt worden ist, werden die Interviews mit einer Dozentin, einem Dozenten, einer Studentin und einem Studenten analysiert, interpretiert sowie mithilfe der Literatur ausgewertet. Aufgrund der Relevanz des Themas wurde noch ein gesondertes Kapitel zur Sensibilisierung und Implementierung eingefügt (vgl. Kap.5). Hier sollen Wege aufgezeigt werden, eine geschlechtergerechte Bildung zu ermöglichen und umzusetzen; außerdem werden konkrete, weiterführende Werke, die auf diesem Gebiet nützliche Hilfestellung leisten können genannt. Im abschließenden Kapitel 6 dieser Magisterarbeit werden noch einmal die wichtigsten Fakten zusammengefasst und eine persönliche Quintessenz formuliert.
Dank des oben erwähnten Projektes ‚Gender Mainstreaming’ fiel der konkrete Einstieg in die Literaturrecherche für die Magisterarbeit weniger schwer. Es konnte auf bereits erfasste Quellen zurückgegriffen werden. Die Arbeit im Seminar ‚Frauenbildung in Leipzig 2’ erleichterte die Eingrenzung des Themas. Anhand von Stichwortsuchen in den Katalogen der Universitätsbibliothek Leipzig, vor allem aber der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig konnten zahlreiche Werke bezüglich ‚Gender’, ‚Gender Mainstreaming’ oder ‚Geschlechterrollen’ gefunden werden. Schnell wurde klar, dass diese Suche zu grob gerastert ist, daher wurde spezifischer nach ‚Geschlecht und Interaktion’, ‚geschlechtsspezifisches Verhalten’ und Ähnlichem gesucht. Die Auswertung der Literatur bezüglich der Forschungsfragen geschah annähernd immer auf ein und dieselbe Weise. Eine erste Auswahl erfolgte über die Titel der Werke, anschließend wurde das Inhaltsverzeichnis durchgesehen und die einzelnen Kapitel überflogen. Bücher, die als relevant für das vorliegende Thema bewertet wurden, wurden intensiv durchgeschaut und zentrale Aussagen festgehalten. Die Quellen- und Literaturverzeichnisse der relevanten Werke sowie Derichs-Kunstmanns Bibliografie Frauenbildung, Männerbildung, geschlechtsbezogene Erwachsenenbildung (1999) halfen weiterführende Titel zu finden. Leider gab es nicht sehr viele Werke, die wirklich das Thema ‚Geschlechtsspezifisches Seminarverhalten’ oder ‚Interaktion der Geschlechter in Seminaren’ bearbeiteten. Zahlreiche Werke befassten sich mit anderen Gegenstandsbereichen oder Spezialgebieten, so z.B. Hassauer (1994), Mader (1980), Gehlen (1988), Nötzel (1987) oder Böhm (1989). Baer und Hildebrandt (2007) schreiben in ihrem Buch Gender Works! über Gender Mainstreaming in betrieblichen Organisationen und anderen Bereichen. Auch dies ist zu weit vom Thema dieser Magisterarbeit entfernt. Ebenso wie Wawras Genderforschung multidisziplinär (2007), wo in Bezug auf Bildung nur im Bereich e-learning etwas geäußert wird; aber der Fokus der Magisterarbeit liegt auf dem unterschiedlichen Seminarverhalten, was beim e-learning nur eingeschränkt möglich ist. Darauf bezieht sich auch die Kritik der Artikelautoren Kammerl et al[9]. Rendtorff (2006) konzentriert sich in Erziehung und Geschlecht auf die Schulbildung. Seine Ergebnisse lassen sich kaum auf die Erwachsenenpädagogik übertragen und sind deshalb für diese Arbeit auch nicht relevant. Zwei Werke sollen an dieser Stelle noch genannt sein, die zwar nicht direkt in diese Arbeit einfließen, aber dennoch äußerst interessant für weitere Arbeiten wären. Zum einen ist Herold Eine Frau muss eine Frau bleiben (2007) zu nennen. Herold schreibt über das Thema ‚Frauen in Führungspositionen’ bzw. wie ‚Karriere-Frauen’ und ‚Karriere-Männer’ die moderne Frauenbewegung beurteilen, welche Hindernisse es für Frauen auf ihrem Karriereweg gibt etc. Zwar ist dieses Buch für das hier gewählte Thema eher ungeeignet, wäre aber eine sehr gute Quelle für das Projekt ‚Frauenkarrieren an der Hochschule’ im Seminar ‚Frauenbildung in Leipzig 2’ gewesen. Das zweite Werk ist Gender-Kompetenz für das Change Management von Lange (2006). Hier geht es vorrangig um organisationales Lernen, was ebenfalls zu stark vom zu bearbeitenden Thema abweicht, aber Lange macht einige interessante Aussagen zum erwachsenenpädagogisches Arbeitsfeld der Implementierung von Gender Mainstreaming. Ein Problem der Literaturrecherche war, das Bücher aufgrund von Baumaßnahmen oder ständiger Benutzung nicht verfügbar waren. Dadurch wurde die Recherche deutlich verkompliziert, da man nach alternativen Zugängen zur Literatur suchen musste. Alle verwendeten Werke sind im angehängten Quellenverzeichnis aufgelistet.
Diese Arbeit wird nicht näher auf das Geschlecht in der deutschen Sprache eingehen, da dies zu weit schweifend wäre. Außerdem wird die Implementierung von Gender Mainstreaming in betrieblichen oder schulischen Einrichtungen keine Rolle spielen. Ebenso wenig werden interkulturelle Untersuchungen zum Thema ‚Gender’ betrachtet. Auch die geschlechtsspezifische Arbeits- und Rollenverteilung in Ehen und Familien soll an dieser Stelle nicht integriert werden, da auch dies den Rahmen sprengen würde. Ein Anliegen dieser Arbeit ist es, klar und fokussiert auf das Thema ‘Geschlechtsspezifisches Seminarverhalten’ einzugehen, ohne durch Erwähnung von Ergebnissen auf anderen Gebieten abzulenken.
In der Form folgt diese Magisterarbeit den Anmerkungen des Readers Hinweise zur Erstellung einer Magisterarbeit[10] sowie den Regeln der Rechtschreibung, welche 1996 in Kraft getreten ist. Gängige Abkürzungen werden benutzt. Zitate sind als solche gekennzeichnet. Angleichungen der Rechtschreibung dieser sowie Korrekturen der Fehler finden nicht statt, letztere sind durch ein „(sic)“ gekennzeichnet. Auslassungen werden durch runde Klammern (…) abgetrennt, Hinzufügungen tragen zudem das Kürzel S.J.
2. Gender
2.1 Biologisches Geschlecht und soziales Geschlecht
„Das Geschlecht eines Menschen ist ein Merkmal, das nicht nur die biologische und sexuelle Entwicklung entscheidend beeinflusst, sondern auch für die psychosoziale Entwicklung eines Menschen große Bedeutung hat.“[11] Tatsächlich wird das komplette Leben eines jeden Individuums oft durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht beeinflusst – die Trennung öffentlicher Toiletten, die statistische Angabe „Sind Sie männlich oder weiblich?“ in fast jedem Fragebogen bis hin zu Stereotypen wie „Frauen/Männer sind so.“ sind beispielhafte Äußerungen dieser Unterscheidung. Im Gegensatz zum biologischen Geschlecht (Sex), impliziert das soziale Geschlecht (Gender) auch scheinbar uneindeutige Formen wie Transsexualität und Androgynität.
In der Wissenschaft unterscheidet man biologisches und soziales Geschlecht, wie die folgende Tabelle übersichtlich erklärt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1: Biologisches und soziales Geschlecht im Vergleich; selbst erarbeitet in Anlehnung an Projektarbeit Gender Mainstreaming[13]
2.2 Doing Gender
Der Begriff ‚Doing Gender’ geht zurück auf West und Zimmermann[15]. ‚Doing’ signalisiert, dass es sich bei Gender nicht um starre, den Individuen inhärenten Eigenschaften handelt, sondern dass diese selbst durch ihre Interaktion, ihr ‚Tun’ ihr soziales Geschlecht definieren. Aufgrund dessen, wie eine Person sich kleidet, unterhält und wie sie handelt, definiert sie ihr Gender und gibt damit auch anderen die Möglichkeit der Wahrnehmung und Bewertung. Kaiser[16] macht dies noch einmal deutlich:[14]
„(…), dass der ´Inhalt´ und die Bedeutung des sozialen Geschlechts über die Dimensionen Hierarchie und Differenz konstituiert wird. Diese Dimensionen von Geschlecht können damit als zentral für die soziale Konstruktion gelten. Sie weisen darauf hin, dass es sich bei Geschlecht immer um ein Verhältnis zwischen Menschen handelt. Nicht etwas Vorhandenes wird darüber expliziert, sondern über eine Beziehung wird etwas bestimmt und zugewiesen, was das scheinbar Vorhandene wieder bestätigt.“ (2004, S. 79)
‚Doing Gender’ ist also der aktive Prozess im Alltag eines jeden Menschen, sich in Anlehnung an seine Geschlechtsidentität in verschiedenen Kontexten mittels Handlungen, Sprache und Kleidung darzustellen.
2.3 Geschlechtsidentität und Geschlechtsrollenidentität
Geschlechtsidentität[17] meint die persönliche Identifikation bzw. Einstufung als männlich oder weiblich. (vgl. Alfermann 1996, S.57). Für Alfermann bedeutet dieser „notwendige Bestandteil der Entwicklung“ (ebd.) eine „kognitive Erkenntnis“ (ebd., S.58). Ein Mädchen erkennt also beim Heranwachsen, dass es ein solches ist, da es sich von den Jungen biologisch unterscheidet. Hieran schließt sich die Identifikation mit der Geschlechterrolle an. Diese Geschlechtsrollenidentität oder auch Geschlechtsrollen-orientierung (sex role identity bzw. gender role identity) beschreibt Alfermann als psychologisch sowie gesellschaftlich determiniert (vgl. ebd.) aufgrund von Erziehung und Sozialisation. Die Geschlechtsrollenidentität meint die „Übernahme von als maskulin und/oder feminin geltenden Attributen, Interessen, äußeren Symbolen, interpersonalen Präferenzen usw.“ (ebd., S. 58) wobei das Ausmaß der Stereotypisierung und Übernahme von stereotypen Merkmalen in das Selbstkonzept interindividuell unterschiedlich ist (vgl. ebd., S.29f).
2.4 Geschlechterrollen und die damit verbundenen Erwartungen
2.4.1 Geschlechterrollen
Für Alfermann (1996) stellt die Geschlechterrolle „nicht nur die Beschreibung, sondern auch die normativen Erwartungen bestimmter Eigenschaften und insbesondere Handlungsweisen“ (S. 31) des Gegenübers dar. Die Rollen selbst sind also immer eng mit den dazugehörigen Erwartungen verknüpft (vgl. Kap.2.4.2). So sind zum Beispiel an die Rolle der Ehefrau und Mutter im Allgemeinen die Erwartungen geknüpft, dass sie fürsorglich, liebevoll und aufopfernd ist. Im öffentlichen, sozialen Leben, kann sich niemand der Übernahme bzw. Zuschreibung zu einer Geschlechterrolle entziehen. Jeder Person wird eine bestimmte Position zugesprochen und diese stellt Erwartungen an den Inhaber/die Inhaberin (vgl. Alfermann 1996, S.31). „Die Geschlechterrolle ist immer zugeschrieben, sie ist zudem universal und zeitlich immer vorhanden. Sie kann allerdings je nach Kontext mehr oder weniger stark hervortreten.“ (ebd.) Alfermann schreibt weiter: „Geschlechterrollen sind von großer Reichweite (…). Das heißt, sie sind omnipräsent und die Geschlechtsrollenerwartungen sind eher allgemeiner Art (…) und nicht spezifischer Natur (…).“ (ebd., S.32). Die Geschlechtsrollen beeinflussen das Wahrnehmen und Handeln in vielen Kontexten, auch da wo sie eigentlich unbedeutend sein könnten. Somit wirken sie auch auf die Gestaltung spezifischer Rollen (z.B. der Berufsrolle). Mit anderen Worten, die spezifischen Rollen und die Geschlechterrollen korrelieren. Die Übernahme dieser Rollen hängt sowohl davon ab, ob man die gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen will, als auch davon, wie die eigene Auffassung ist (vgl. ebd.).
Neuendorff-Bub[18] meint dazu, die klassischen Geschlechterrollen sind heutzutage nicht mehr universell. Diese Aussage der Autorin von 1979 hat 2007 noch immer Bestand. Auch ein Mann kann im 21. Jahrhundert die Rolle des Haushaltsführenden übernehmen und die Frau kann für das Familieneinkommen zuständig sein; die Geschlechterrollen nähern sich an. Größtenteils gibt es aber immer noch die ‚klassische’ Arbeitsteilung. Sie wird üblicherweise als ‚normal’ angesehen (vgl. Neuendorf-Bub 1979). Die Autorin gibt als Grund unter anderem die „Typisierungsschemata von Weiblichkeit und Männlichkeit“ (ebd., S.78) an (vgl. Kap.2.4.2.2).
2.4.2 Geschlechtsrollenerwartungen und Geschlechterschemata
2.4.2.1 Geschlechtsrollenerwartungen
Nach Alfermann beinhalten Geschlechtsrollenerwartungen „verbindliche Regeln über den sozialen Umgang und über die familiale und berufliche Arbeitsteilung“ (Alfermann 1996, S. 33). Aufgrund ihrer „normativen und präskriptiven Komponente“ (ebd.) definieren sie, wie sich Personen in bestimmten Kontexten der sozialen Interaktion zu verhalten haben. Ebenso wie Geschlechterstereotype stellen Geschlechtsrollen-erwartungen ein „kognitives Konstrukt“ (ebd.) dar. Sie entsprechen dem sozialen Umfeld, das diese Rollenerwartungen zwangsläufig hervorruft, weil die Erfüllung dieser notwendig ist. Werner (1983) gibt dafür ein Beispiel: „Wenn Frauen auch kompetitiv und unabhängig in der Beziehungsarbeit wären und Männer auch sanft und nachgiebig in der beruflichen, würde beides unter den gegebenen Umständen negative Konsequenzen für sie haben.“ (S.28).
Ein Problem der Geschlechtsrollenerwartungen ist die Gebundenheit an Status. Da Männer in der heutigen Gesellschaft häufig den höheren Status besitzen, werden die Erwartungen auch von ihnen dominiert (vgl. Kap.3.4.1 Statustheorie). Werner verschlimmert diese Sichtweise noch, indem er meint: „Von Frauen wird vor allem ein angepasstes Verhalten in der Öffentlichkeit erwartet. Wenn sie nicht freundlich und zurückhaltend sind, können sie von Männern jederzeit an ihre untergeordnete Stellung ´erinnert´ werden.“ (ebd., S. 87) Dies könnte unter anderem ein Grund für die teilweise immer noch vorherrschende Benachteiligung von Frauen in verschieden Bereichen des sozialen Lebens sein.
Aber die Geschlechtsrollenerwartungen beeinflussen auch die Berufswahl bzw. das Berufsfeld. So werden z.B. Pflegeberufe von Frauen dominiert, da man ihnen eine bessere soziale Kompetenz und Fürsorglichkeit zuschreibt als Männern. Auch Alfermann gibt an, dass die Geschlechtsrollenerwartungen an Frauen immer noch dem klassischen Klischee der Fürsorge um Haushalt und Familie entsprechen, während Männern weiter die Ernährerrolle zugeschrieben wird. Zudem müssen Mütter heutzutage vermehrt den schwierigen Balanceakt zwischen der beruflichen und der familiären Rolle meistern (vgl. Alfermann 1996, S.46).
Ein Problem der Geschlechterkategorisierung und damit auch der Geschlechtsrollenerwartungen ist die Aufweichung des Individuellen, das oft zitierte „Schubladendenken“ setzt ein:
„Die Kategorisierung führt dazu, dass die Unterschiede innerhalb von Kategorien unter- und die zwischen Kategorien überschätzt werden. Menschen innerhalb einer Kategorie werden somit als ähnlich, Menschen verschiedener Kategorien als unähnlich angesehen. Mit der Kategorie werden sodann auch Eigenschaften verknüpft, die Annahmen und Überzeugungen über die Menschen der Kategorien darstellen, die Stereotype.“ (Alfermann 1996, S.10)
2.4.2.2 Geschlechterschemata
Neuendorff-Bub beschreibt das Konzept der Geschlechterschemata. Diese werden wie ein Raster genutzt und definieren die stereotypen Eigenschaften von Mann und Frau: „Diese Schemata legen fest, was als angemessenes und wünschenswertes, als typisches und als abweichendes Verhalten bei dem jeweiligen Geschlecht zu gelten hat.“ (Neuendorff-Bub 1979, S.78.) Menschen ordnen ihr Gegenüber in eine der beiden Geschlechterkategorien ein und bedienen sich dabei der Geschlechterrollen bzw. Geschlechtsrollenerwartungen. Dazu meint die Autorin:
„(Die Schemata, S.J.) reflektieren die geschlechtliche Arbeitsteilung, sie sind jedoch nicht mehr an die spezifischen, dem einen oder dem anderen Geschlecht zugewiesenen Rollen gebunden, vielmehr leiten sie die Integration multipler Rollen, indem sie die Hierarchie der Rollen und die Art des angemessenen Rollenverhaltens festlegen.“ (ebd., S.78f)
Die Problematik liegt darin, dass diese Schemata den Agierenden nicht immer bewusst sind, da sie als „’selbstverständlich’“ (ebd., S. 79) gelten. Das Gegenüber wird also typisiert und damit wird mehr oder minder unbewusst das eigene wie auch das Verhalten des Gegenübers beeinflusst.
2.4.3 Die Geschlechterstereotype
Die Geschlechtsrollenerwartungen sind eng verknüpft mit den Geschlechterstereotypen. „Unter stereotypen Merkmalen werden, der Sozialpsychologie folgend, typisierende Merkmale und Charakterisierungen von Verhaltensunterschieden der Geschlechter verstanden.“ (Werner 1983, S.15) Diese Stereotype basieren auf den biologischen Unterschieden von Mann und Frau. Bei der Kategorisierung der Geschlechter wird grob generalisiert: „Im Verhalten werden Unterschiede übertrieben, Ähnlichkeiten vernachlässigt und Nichtpassendes abgewertet.“ (ebd., S.19). Allerdings sind die Stereotype eines jeden Menschen nicht gleichmäßig verteilt, wie Werner erläutert: „Da wir das eigene Geschlecht besser kennen, ist der stereotype Gehalt der Vorstellungen über geschlechtsangemessenes Verhalten gegenüber dem Gegengeschlecht stärker ausgeprägt als gegenüber dem gleichen.“ (ebd., S.13f)
Männer werden gemeinhin als selbstherrlich empfunden und ihnen wird eine große Begabung für technische Dinge zugesprochen. Frauen dagegen sind eher unterwürfig, dafür aber sehr sensibel für die Bedürfnisse anderer (vgl. Alfermann 1996, S.16f). Forster beschreibt die Geschlechtsstereotype sehr treffend:
„Die aktuellen wie gleichsam klassischen Klischees der weiblichen und männlichen Rollenperformanz umfassen noch mehr eindeutige Zuordnungen: Frauen und Mädchen sind typischerweise kommunikativ, empathisch, sozial kompetent, sicherheitsorientiert und liebenswürdig sowie möglichst attraktiv. Männer und Jungen sind typischerweise stark, durchsetzungsfreudig, sachorientiert, bemüht um Status und Ressourcen sowie gut in technischen Problemlösungen usw.“ (Forster 2007, S.199)
Die Autorin bezeichnet diese „Etikettierungen“ jedoch als „plakative Überzeichnungen“ (ebd.) und tatsächlich konnten mehrere Studien nachweisen, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen immer geringer werden und/oder gar nicht so erheblich sind. (vgl. ebd., S. 205ff sowie Braun 1997, Kaiser 2004, u.a.). Allerdings, so Forster, „öffnen (diese Zuschreibungen, S.J.) sehr subtil den Weg zu normativen Konnotationen“ (Forster 2007, S.199f), das heißt den Geschlechtsrollenerwartungen.
Laut Alfermann (1996) werden Stereotype als „kognitive Wissensbestände im Laufe der Sozialisation erworben (Beobachtungen, Aussagen, Medien, …)“ (S.9). Sie stellen die „strukturierten Sätze von Annahmen über die personalen Eigenschaften von Frauen und von Männern“ (ebd., S. 10) dar. Dieser Prozess geschieht jedoch nicht ohne Grund. Stereotype können auch eine Hilfe sein, denn die Erwartungen wie sich ein Gegenüber aufgrund seines/ihres Geschlechts verhält, helfen die eigenen Handlungen darauf abzustimmen (vgl. Werner 1983). Sie sind eine „Orientierungsgrundlage“, die in „normativer Weise“ gebildet wurde (Werner 1983, S.14) Auch Forster[19] sieht das so: „Ganz allgemein unterstützen typisierte Annahmen und Zuschreibungen dabei, komplexe Umweltinformationen zu strukturieren und damit zu reduzieren.“ (2007, S.200) Das bedeutet, Stereotype und deren Zuordnungen sind wichtig für die Menschen und umgeben diese permanent, denn sie helfen, eine Klarheit in die zahlreich auf sie wirkenden Umwelteinflüsse zu bringen. Laut Forster steht dieser Wunsch nach Vorhersagbarkeit mit dem nach Sicherheit in Verbindung. (vgl. ebd.) Da die stereotypen Prognosen oft durch das Gegenüber bestätigt werden (vgl. ebd.) oder zumindest das Verhalten der anderen Person so gedeutet werden kann, dass es zu den eignen Erwartungen passt, werden diese folglich als nützlich eingestuft und beibehalten. „Stereotype sind somit ein Hilfsmittel für die Orientierung und letztlich für die Kommunikation.“ (ebd.)
Ein Problem der Geschlechterstereotype liegt in der inhärenten Bewertung des Verhaltens anderer Personen. „Im Prozess der Verallgemeinerung wird aus beobachteten Verhaltensunterschieden eine Verhaltensbewertung im Sinne der stereotypen Merkmale.“ (Werner 1983, S.14.) Können Personen das Verhalten eines Menschen keiner Geschlechterkategorie zuordnen, sind sie irritiert und reagieren oftmals negativ. Werner meint dazu: „Einerseits muss das Verhalten anderer Personen ihnen nicht genau entsprechen, wenn es nur dem ´richtigen´ Geschlechtsstereotyp zuordenbar ist, und andererseits wird auf Verhaltensweisen des einen Geschlechts, die den stereotypen Merkmalen des anderen Geschlechts näher sind, normalerweise sofort negativ bzw. auffallend reagiert.“ (ebd.) Auch Forster (2007) weist auf diese Gefahr hin:
„Im Falle der Geschlechterstereotypen ist eine kritische Reflexion der alltäglichen Klischees unverzichtbar, auch weil die normativen Konsequenzen für das Individuum und zugleich für den Dialog zwischen den Geschlechtern äußert weit tragen. Eine fehlende Übereinstimmung von stereotyper Annahme und wahrgenommener Rollenperformanz mündet nicht selten in gesellschaftlicher Distanzierung, Ausgrenzung und Abwertung des nicht geschlechtskonformen Verhaltens, letztlich des Menschen.“ (S. 200)
2.5 Geschlechterrollen und Verhalten
2.5.1 Geschlechterschematisches Verhalten
Geschlechterschematisches Verhalten bedeutet die Fremd- und Selbstwahrnehmung bzw. -beurteilung nach dem Geschlechterschema, d.h. die eigene Geschlechtsrollen-identität versucht sich den Erwartungen anderer anzupassen und umgekehrt erwartet die Person selbst von ihrem Gegenüber ein dem Geschlecht angemessenes bzw. ein geschlechtstypisches Verhalten. (vgl. Alfermann 1996, S.33f)
Eine Person, die sich gegensätzlich, also geschlechteraschematisch verhält, unterscheidet sich und ihre Umwelt mit Hilfe von anderen Kategorien als der Geschlechterkategorie. Sie ist „weniger motiviert, sich entsprechend geschlechtstypisch zu verhalten“ (Alfermann 1996, S. 34) Geschlechteraschematische Menschen orientieren sich weniger an Geschlechtsrollenerwartungen, wie Alfermann es treffend beschreibt:
„Für solche geschlechteraschematischen Personen sind Geschlechtsrollenerwartungen zum einen weniger bedeutsam und wichtig, und damit auch in der Wahrnehmung eher unterrangig repräsentiert. Geschlechteraschematische Personen sind zum anderen auch weniger motiviert, den Geschlechtsrollenerwartungen zu entsprechen.“ (ebd.)
Dieses geschlechteraschematische Verhalten findet sich im Androgyniekonzept wieder.
2.5.2 Maskulinität, Femininität und Androgynität
Üblicherweise werden Verhaltensweisen von Menschen in maskulin und feminin unterschieden. Wenn ein Mensch als maskulin bezeichnet wird, bedeutet das, dass sein Charakter und Verhalten dem stereotypen Bild von Männern entspricht. (vgl. Alfermann 1996, S.58f) Analog bedeutet Femininität das Tragen von Eigenschaften, die als typisch weiblich beurteilt werden. Diese Beurteilung nach Stereotypen kann allerdings oft auch zum Nachteil für die Agierenden geschehen. (vgl. Forster 2007) Die Überwindung dieser Typisierungen könnte eine neue Freiheit bedeuten.[20]
Ziel muss es sein, dass die Individuen je nach ihren persönlichen Kompetenzen und nicht wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmen Geschlechterkategorie ihre Rollen annehmen können. (vgl. Alfermann 1996, S.60) Das Konzept der Androgynität soll hier weiterhelfen. In ihm zählen andere Eigenschaften als die des Geschlechts, wie Alfermann beschreibt:
„Auf der Ebene der Kognition müssten Androgyne die Welt nicht in männlich oder weiblich unterteilen, nicht nach Geschlechterkategorien wahrnehmen und beurteilen, sondern nach Sachkriterien. (…) Auf der Ebene des Verhaltens müssten Androgyne situationsangepasster und flexibler handeln können, da sie je nach den Erfordernissen der Situation (…) handeln können. Androgynie heißt somit, ein breiteres Spektrum von Handlungsalternativen zur Verfügung zu haben, als wenn man ausgeprägt einseitig maskulin oder feminin orientiert ist.“ (ebd., S.61f)
Androgynität könnte daher als eine Art positive, soziale ‚Weiterentwicklung’ betrachtet werden.
Androgynie setzt sich aus dem altgriechischen Wort andro (Mann) und gyne (Frau) zusammen. Bock (1992) bezeichnet das Phänomen als eine vollendete Synthese aus den zwei Geschlechtern: „Als Ideal sind in ihm Weiblichkeit und Männlichkeit symmetrisch aufeinander bezogen und bilden als gleichwertige Aspekte eines Ganzen eine neue Qualität des menschlichen Seins.“ (S. 36)
Die folgende Abbildung zeigt die Typeneinteilung der Geschlechtsrollenidentität und bedient sich dabei der beiden stereotypen Haupteigenschaften Expressivität (für feminine Typen) und Instrumentalität (für maskuline Typen). Androgyne Menschen haben nach diesem Schema sowohl eine hohe Expressivität als auch Instrumentalität, mit anderen Worten die zwei positiven Haupteigenschaften der Geschlechter sind hier ideal vereinbart.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.2: „Typeneinteilung der Geschlechtsrollenidentität nach dem Androgyniekonzept“ Quelle: Alfermann 1996, S. 61, Abb. 4.1
Leider wird das Konzept der Androgynität zwischen den Geschlechtern verschiedenartig bewertet.[21] „Wenn Männer sich emotional unterstützend verhalten können, wird das ungleich positiver bewertet, als wenn Frauen zusätzlich unabhängiger sind.“ (Werner 1983, S.27.) Den Grund dafür sieht Werner darin, dass auch Androgynität an Erwartungen geknüpft ist: „Androgynität ist auf wünschenswerte Geschlechtstypisierungen eingeschränkt.“ (ebd.)
2.6 Die Endlosspirale der Geschlechtsrollenerwartungen
Die Beschreibung typischer Eigenschaften von Männern und Frauen geht auf das Alltagswissen eines/einer jeden zurück. Da jeder Mensch oftmals selbst nach diesen Geschlechterstereotypen und Rollenerwartungen handelt, beeinflusst er oder sie das Gegenüber und daraus resultieren selbst erfüllende Prophezeiungen (vgl. Alfermann 1996). Ein Beispiel ist die Erziehung von Kindern, wo Mädchen mit Puppen und Jungen mit Autos spielen sollen, was sich später in der Schule durch eine Stereotypisierung in ‚eher technisch begabt’ sowie ‚eher sprachlich und sozial begabt’ niederschlägt. In der Folge werden Frauen soziale Kompetenzen zu- und technische Kompetenzen abgesprochen, wobei erstere oftmals nicht als ebenso wertvoll bewertet werden wie letztere (vgl. Templin 1999, S.78). Dies hat wiederum Auswirkungen auf die unterschiedlichen Karrieren der Geschlechter und die partielle Benachteiligung der Frauen im männlich dominierten Berufsfeld. In weiten Teilen der modernen Gesellschaft wird dabei die Frau gemeinhin als „schwächeres Geschlecht“ abgewertet. Templin[22] schreibt hierzu:
„Die berufliche Benachteiligung resultiert jedoch nicht allein aus der von der Gesellschaft an die Frau herangetragenen Forderung, die Verantwortung für den häuslichen Bereich und hier insbesondere für die Kindererziehung, weitgehend allein zu tragen; eine entscheidende Rolle spielen zudem die gesellschaftlichen Zuschreibungen geschlechtsspezifischer Eigenschaften und Fähigkeiten.“ (S.78)
Der Prozess der Typisierung und Kategorisierung ist beeinflusst durch die Aufweichung des Individuellen sowie das Verschwimmen der Unterschiede, wie oben bereits erklärt wurde. Es wird nur das am Gegenüber erkannt, was man erkennen möchte. Demzufolge entsteht eine Endlosspirale, die den Handelnden nicht bewusst ist, sie aber dennoch tagtäglich kontrolliert: Die geschlechtstypischen, teils auch nur zugeschriebenen Kompetenzen haben Einfluss auf die Arbeitsteilung in Berufs- und Alltagsleben. Durch diese Arbeitsteilung fügen sich die Agierenden konsequenterweise ihren Geschlechterrollen, die wiederum zur Wahrnehmung und Kategorisierung von Geschlechterstereotypen führen. Diese Stereotype rufen durch die selbst erfüllende Prophezeiungen wieder geschlechtstypische Eigenschaften und Kompetenzen hervor.
Goffmans[23] Konzept der Institutionellen Reflexivität ähnelt dieser Endlosspirale. Nach der Meinung des Autors werden Geschlechtsunterschiede durch verschiedenste Institutionen überzeichnet, sogar eigentlich erst von jenen gebildet. Die Differenzen der Geschlechter sind in dem wahrgenommenen hohen Maße nicht naturgegeben, sondern von der Gesellschaft selbst geprägt aufgrund ihrer Auffassung von der Natur.
Wird also dieser Prozess den Agierenden nicht bewusst gemacht, können diese nie der Spirale entkommen und es wird für die Geschlechter in bestimmten Situationen immer wieder Benachteiligungen und Geringschätzung entstehen. Die selbst erfüllenden Prophezeiungen werden zu einer stetigen Erneuerung der Stereotype führen, die letztendlich nahezu alle Individuen in der Gesellschaft in ihren Erwartungen und Handlungen beeinflusst.
2.7 Gender Mainstreaming
Die oben angeführte Problematik der Kategorisierung, Stereotypisierung, Bewertung und damit verbundenen Benachteiligung von Geschlechtergruppen soll durch Gender Mainstreaming behoben werden. Pinl[24] meint dazu: „Die Strategie des Gender Mainstreaming bedeutet zunächst, dass staatliches Handeln auf allen Ebenen und in allen Bereichen ständig auf seine geschlechtsspezifischen Auswirkungen überprüft und die Benachteiligung von Frauen (und Männern, soweit sie sich ergibt) beseitigt wird.“ (ebd., S.3)
Doch Gender Mainstreaming geht noch über die staatliche Verantwortung hinaus. Auch in betrieblichen, schulischen und anderen Organisationen soll eine Sensibilisierung hinsichtlich der Geschlechterproblematik geschehen, um gemeinsam eine Gleichberechtigung für alle zu schaffen und die möglicherweise vorherrschende Benachteiligung von bestimmten (Geschlechter-) Gruppen anzugehen. Zwar ist dies auf weite Strecken noch ein Ideal, dennoch gibt es bereits zahlreiche Institutionen die versuchen ‚Gender Mainstreaming’ umzusetzen oder anderen bei dieser Umsetzung zu helfen.
Im Vergleich der alten und neuen Bundesländer schneiden letztere bezüglich Gender Mainstreaming besser ab:
„Tatsache ist aber, dass die politische Entwicklung der Bundesrepublik und noch stärker die der ehemaligen DDR eine Gleichberechtigung der Frauen insbesondere durch gleiche Bildungschancen und die (gleichberechtigte) Teilhabe am Berufsleben propagiert und gefördert hat.“ (Alfermann 1996, S. 34)
In der DDR gab es eine „höhere Frauenerwerbstätigkeit und positivere Einstellungen zur Gleichberechtigung (…) als in Westdeutschland“ (ebd., S. 36) Dies trug auch zum Rollenwandel der Frau bei, denn da es keinen Bildungsrückstand mehr gab, konnten die Frauen auch erfolgreicher in ihren beruflichen Karrieren sein (vgl. ebd., S. 34f).
Nichtsdestotrotz ist eine Bewegung hin zur Gleichberechtigung der Geschlechter in vielen Bereichen in der gesamten Bundesrepublik und darüber hinaus noch immer notwendig. Auch in den Lehrveranstaltungen von Universitäten könnte die Implementierung von Gender Mainstreaming und Sensibilisierung für das Thema von großem Nutzen sein (vgl. Kap.5), da hier zum Teil noch die geschlechtstypischen Verhaltensweisen von Lernenden und Lehrenden in Seminaren der ‚Endlosspirale’ folgen. (vgl. Kap.3 und 4).
2.8 Kritik
Zuerst ist auffällig, dass immer nur in zwei Geschlechtsklassen eingeordnet wird (vgl. Alfermann 1996, S.24). Die Gesellschaft verlangt in vielen Bereichen eine eindeutige Zuordnung zur männlichen oder weiblichen Geschlechterkategorie. Es sei hier noch einmal kurz an das oben genannte Beispiel ‚Fragebogen’ erinnert. Sowohl biologische Phänomene wie Intersexualität[25] als auch soziale Mischformen wie Transsexualität oder Androgynität werden gemeinhin bei dieser Zuordnung unterschlagen bzw. wird versucht, das Gegenüber in eine der beiden Kategorien ‚männlich’ oder ‚weiblich’ zu pressen, selbst wenn die Person offensichtlich Merkmale aufweist, die nicht in eine der beiden Klassen zuordenbar sind. Alfermann (1996) beschreibt dies sehr treffend: „Ausgehend von biologischen Unterschieden, werden Personen zwei Geschlechtsklassen zugeordnet. Im Verhalten werden Unterschiede übertrieben, Ähnlichkeiten vernachlässigt und Nichtpassendes abgewertet.“ (S.19)
2.9 Zusammenfassung
Jedes Kind, das auf die Welt kommt, wird spätestens bei der Geburt nach männlich oder weiblich unterschieden. Diese Typisierung wird durch die Namensgebung fixiert und der Grundstein für die eigene Geschlechtsidentifikation bzw. Geschlechtsrollen-identifikation ist gelegt. Der/Die Heranwachsende wird im Laufe der Sozialisation und Erziehung immer wieder durch die Geschlechterrollen respektive den Stereotypen geprägt – in der Schule, durch die elterlichen Vorbilder usw. Diese Prägung hat schließlich Einfluss auf das eigene Verhalten des Menschen gegenüber anderen. Geschlechtsrollenerwartungen werden übernommen, angewendet, gegebenenfalls modifiziert und wieder angewendet. Es entsteht eine Endlosspirale, deren man sich nur entziehen kann, wenn man sich diese im Unbewussten ablaufenden Prozesse bewusst macht. Dann steht es einem frei, ob und in welchem Maße man diese Einstellungen übernimmt oder nicht, ob man sich maskulin, feminin oder androgyn verhält, ob man die Geschlechterkategorie oder individuelle Merkmale bei sich selbst und anderen in den Vordergrund rückt.
Der Idealzustand wäre eine Gesellschaft, die sich weitestgehend nach persönlichen Kompetenzen orientiert, nicht durch Typisierung und Bewertung Benachteiligungen in verschiedenen Bereichen hervorruft. Gender Mainstreaming ist der Versuch, sich diesem Ideal zu nähern, indem eine Sensibilisierung der Menschen und sukzessive Behebung der Problematik angestrebt wird.
3. Geschlechtstypisches Seminarverhalten
3.1. Geschlechtsunterschiede in der Kommunikation
Ein signifikant wiederkehrendes Ergebnis von Untersuchungen bezüglich der Kommunikation von Frauen und Männern ist, dass Frauen „entschuldigende Einleitungsfloskeln“ benutzen oder ihre Äußerungen als Fragen formulieren (vgl. u.a. Neuendorff-Bub, S. 90). Dies ist im englischsprachigen Raum noch häufiger der Fall als in Deutschland, da dort die rhetorischen ‚taq questions’ üblich sind, die im Deutschen etwa der Bedeutung von „Nicht wahr?“, „Stimmt’s?“ respektive „Oder nicht?“ entsprechen. Frauen werden diese Formulierungen oft als Schwäche zugeschrieben, wahrscheinlicher ist aber, dass sie damit Aufmerksamkeit oder sogar die Sympathie der Gruppe erhalten möchten und für ein positives Gruppenklima sorgen wollen (vgl. Wood, Rhodes 1992).
Weibliche Gesprächsteilnehmer beachten Aussagen anderer, die inhaltlich von den ihren abweichen, stellen ihre Perspektive noch einmal deutlich dar und versuchen die Konsequenzen auf der Beziehungsebene abzuschwächen, das Gesprächsklima positiv zu halten, es entsteht möglicherweise ‚Geschwafel’ (Werner 1983, S.253f). Männliche Gesprächsteilnehmer dagegen ignorieren andere Meinungen oder sehen sie als Entfernung von der „richtigen Sichtweise“ (ebd., S. 254), in der Konsequenz entsteht ein „Aneinander-vorbei-Reden“ (ebd.) Ferner schlussfolgert Werner: „Aus beiden entsteht dann die normale heterosexuelle Unklarheit, die dringend der weiteren Klärung bedarf.“ (ebd.)
Kotthoff[26] führte eine Untersuchung an der Universität Konstanz durch. Ein Dozent unterhielt sich jeweils mit einem Studenten und einer Studentin. Es war ein Rollenspiel, jedoch mit den natürlichen Rollen, d.h. der Dozent blieb der Dozent usw. Die Gesprächsteilnehmer kannten sich vorher nicht. Ziel der Studierenden sollte es sein, den Dozenten von einem fiktiven Sachverhalt zu überzeugen. Die Dialoge wurden transkribiert und per Video aufgezeichnet. Die Auswertung der Materialien ergab, dass der Student direkt, angriffslustig, forsch und letztendlich auch erfolgreich war. Die Studentin dagegen war eher nachgiebig, vorsichtiger, verständnisvoller, äußerte sich höflich, scheiterte aber dadurch, da sie den Dozenten nicht überzeugen konnte. Kotthoff interpretierte dies mithilfe von Horners „Motiv der Erfolgsvermeidung“ von Frauen.[27]
3.2 Geschlechtsunterschiede in der Interaktion in Gruppen
3.2.1 Untersuchung im Rahmen des Projektes „Gender Mainstreaming“
Die Ergebnisse der verdeckt-teilnehmenden Beobachtung im Wintersemester 2005/2006 in Seminaren der Erwachsenenpädagogik können zwar nur als Tendenzen gelten, sind aber dennoch an dieser Stelle erwähnenswert: Trotz der durchschnittlich dreimal so großen Teilnehmerzahl der Frauen gegenüber den Männern, dominierten die Männer die Gespräche, indem sie sich häufiger zu Wort meldeten. Da sich die Studenten häufiger meldeten, wurden sie auch häufiger aufgerufen. Doch selbst ohne Meldung wurden die Teilnehmer etwa dreimal so oft wie die Teilnehmerinnen aufgefordert einen Redebeitrag zu leisten (vgl. Fenske et al. 2006, S. 5-6). Die Rollenverteilung in Gruppenarbeiten sowie das Verhalten der Teilnehmenden wenn Studenten und Studentinnen in der Leitungsrolle sind, konnten im Rahmen der Möglichkeiten leider nicht untersucht werden.
3.2.2 In der Literatur vorgestellte Ergebnisse
3.2.2.1 Position von Dorothee Alfermann
Alfermann (1996) erwähnt zunächst die Bedeutung der Geschlechterverteilung in gemischtgeschlechtlichen Gruppen: „Die Geschlechterzusammensetzung einer Gruppe übt offenbar einen Einfluss auf die soziale Wahrnehmung und auf das Interaktionsgeschehen aus.“ (S.143) Sie erkannte, dass Geschlechts-Rollenerwartungen in gemischgeschlechtlichen Gruppen deutlicher hervortreten als in homogenen Gruppen (ebd., S.32). Gerade die Stereotypisierung ist höher, je niedriger der Anteil derjenigen Geschlechtergruppe ist, die stereotypisiert wird. Alfermann bemerkt, dass ein Mann, wenn er allein in einer Gruppe mit Frauen ist, die Aufmerksamkeit stärker auf sich zieht und auch „geschlechtsstereotyper charakterisiert wird“. (ebd., S.144) Ebenso wird die Wahrnehmung der Teilnehmenden durch die Geschlechterverteilung beeinflusst: „Männer fühlen sich in gemischtgeschlechtlichen Gruppen wohler als in reinen Männergruppen, Frauen eher umgekehrt.“ (ebd., S.145)
Ähnlich wie die anderen Autoren und Autorinnen erkennt auch Alfermann, dass männliche Teilnehmer in geschlechtsheterogenen Gruppen „den größeren Anteil an der Interaktion (einnehmen, S.J.), gemessen an der Redezeit und dem Einfluss auf die Gruppenthemen und –entscheidungen“ (ebd., S.144). Männer sind eher auf Konfrontation bedacht, Frauen versuchen mit den anderen Teilnehmenden einen Konsens zu finden (vgl. ebd., S.146). Die Diskussionsbeiträge der Frauen in gemischtgeschlechtlichen Gruppen richten sich an Männer, da diese „ranghöher“ sind (vgl. ebd., S.146).
3.2.2.2 Position von Elizabeth Aries
Auch Aries[28] kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie Alfermann:
„Die Mitglieder, die die meiste Interaktion initiieren, nehmen die meiste Zeit in Anspruch und versuchen, eine Führungsposition einzunehmen. Die Daten zeigten, dass in gemischten Gruppen die Männer sowohl mehr Interaktion initiierten als auch erhielten als die Frauen und dass sie mindestens zwei der ersten drei Ränge in jeder Gruppensitzung einnahmen.“ (Aries 2004, S. 127)
Wie die anderen Autorinnen und Autoren stellt auch Aries fest, dass Frauen ihre Redebeiträge an die Männer richten (vgl. ebd.).
Aries kritisiert, dass Männer das Interaktionsverhalten von Frauen unterschätzen:
„Frauen haben einen persönlicheren Stil und ein Interesse an Affiliation und zwischenmenschlichen Beziehungen, während Männer weniger intim sind, Wettstreit, Status und Leistung betonen. Was diesen Geschlechtsunterschied anbelangt, ist es wichtig zu sehen, dass die Art von Konversation und Beziehung, die Frauen miteinander haben, typisch von Männern unterschätzt wurde und auf stereotype Weise inkorrekt dargestellt wurde.“ (ebd., S. 134)
Stattdessen schlägt die Autorin vor, diese Fähigkeit als gewinnbringend anzusehen (vgl. ebd., S.135).
3.2.2.3 Position von Elisabeth Beck-Gernsheim
Auch Beck-Gernsheim[29] erwähnt noch einmal die Punkte, wie sie schon bei anderen Autoren/Autorinnen geäußert wurden. Das soziale Verhalten und die Sozialkontakte von Männern und Frauen gestalten sich unterschiedlich. Die männliche „Aggressivität“ steht gegenüber der weiblichen „Abhängigkeit“ (vgl. S.192). Die Motivationen der Geschlechter in Bezug auf Leistung und Erfolg sind unterschiedlich. Auch hier findet das „Motiv der Erfolgsvermeidung“ von Horner Anklang. Außerdem schreibt Beck-Gernsheim, dass weibliche und männliche Teilnehmer “unterschiedliche kognitive Stile und emotionale Orientierungen” (ebd., S.194) haben.
3.2.2.4 Position von Karin Derichs-Kunstmann et al.
Derichs-Kunstmann[30] et al. stellen fest, „dass die soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern im koedukativen Unterricht alltäglich reproduziert wird.“ (S.15) Auch hier gibt es ähnliche Ergebnisse wie in der oben genannten Projektarbeit (vgl. Kap.3.2.1) und den anderen Autoren und Autorinnen: „Männer dominieren (zahlenmäßig, S.J.) in der beruflichen Weiterbildung, Frauen sind dagegen häufiger in der allgemeinen Weiterbildung anzutreffen.“ (Derichs-Kunstmann et al. 1999, S.29) Es herrschen ähnliche Verhältnisse wie an einer Universität, d.h. es gibt eine relativ große Anzahl an Menschen im Plenum und die Gestaltung der Plenumsdiskussionen wird vorrangig vom Dozierenden übernommen (vgl. ebd., S.44).
„Unter gruppendynamischer Perspektive betrachtet werden innerhalb der Plenumssitzungen die Rollen der einzelnen ausgehandelt, die Teilnehmenden verorten sich in der eher zufällig zusammen gekommenen Lerngruppe und auch das Geschlechterverhältnis im Seminar wird abgeklärt. (…) Der Dozent bzw. die Dozentin „geben Inhalte vor, machen Vorschläge für die Gestaltung der Arbeit, greifen in Kommunikationsabläufe ein und oft reglementieren sie diese auch.“ (ebd.)
Plenumssituationen dienen also für Seminarteilnehmende auch dazu, den eigenen Platz in der Gruppe der Seminarteilnehmenden zu finden (vgl. ebd.)
In ihrer Untersuchung in gewerkschaftlichen/betrieblichen Seminaren stellten die Autorinnen fest, dass sich mehr als die Hälfte der weiblichen Teilnehmenden mindestens einmal (kurz) an der Plenumsdiskussion beteiligten, unabhängig vom gesamten Frauenanteil. Damit hatten sie ihre aktive Teilnahme zum Ausdruck gebracht (vgl. ebd., S. 52) Bei den männlichen Teilnehmenden gestalteten sich die Redebeiträge anders. Einige schwiegen hauptsächlich, andere machten einen Großteil der Diskussionsbeiträge aus (vgl. ebd., S.53). Derichs-Kunstmann et al. stellten fest, dass hauptsächlich Männer lange und ausführlich redeten: „Ihre Beiträge waren in der Regel um einiges ausführlicher (…) – vielfach doppelt so lang wie die längsten Teilnehmerinnenbeiträge.“ (ebd., S.53) Auch die Rollenverteilungen innerhalb der Diskussion sind unterschiedlich. Frauen bauen „Gesprächsbrücken“ um Diskussionen am Laufen zu halten (vgl. ebd.), Männer beleben die Diskussion eher durch ‚witzige Bemerkungen’ (d.h. die Teilnehmenden lachen). Sogar die Witze selbst waren von unterschiedlichem Charakter: „Weibliche Teilnehmende hatten einen Hang, in ihren witzigen Bemerkungen sich selbst mit negativ besetzten Adjektiven (…) zu beschreiben. Im Gegensatz dazu neigten Männer zu witzigen Überhöhungen ihrer selbst (…).“ (ebd., S.55) Außerdem konnten Derichs-Kunstmann et al. feststellen „dass Teilnehmer häufiger unterbrachen als die Teilnehmerinnen und das Objekt der Unterbrechungen vorwiegend die Teamenden waren.“ (ebd., S. 57) Mit Unterbrechung ist hier eine Störung des Redeflusses sowie eine „gravierende und störende Handlung“ (ebd., S.56f) gemeint. Es ist jedoch umstritten, ob man diese Unterbrechungen als Machtdemonstration deuten kann (vgl. ebd.).
Außerdem ist auch hier ähnlich wie bei Wood und Rhodes der Einfluss des positiven Sozialverhaltens der Frauen zu merken. Teamende und männliche Teilnehmende profitierten in Seminaren mit überwiegendem Frauenanteil (vgl. S. 72). Weiter lässt sich festhalten, dass „selbst ruhige und zurückhaltende Männer von den Frauen stärker unterstützt wurden als andere Teilnehmerinnen.“ (ebd., S.72) Dies könnte zum scheinbar männlichen Dominanzverhalten beitragen. Gesteigert wird dieses Resultat durch die Dozierenden: „Auch die Teamenden förderten eher männliche als weibliche Teilnehmende.“ (ebd., S. 72) Männer nehmen sich also scheinbar nicht nur die Dominanz, sondern sie wird ihnen zugeteilt. „Die teilnehmenden Frauen richteten ihre Anstrengungen immer stärker darauf, männliche Teilnehmer zu unterstützen und deren Aktivität zu bestärken. (…) Sie waren maßgeblich daran beteiligt, führende Rollen und Positionen an Männer zu vergeben.“ (ebd., S.73) Ein weiterer Faktor für die resultierende Dominanz der männlichen Teilnehmenden ist der gleichgeschlechtliche Zusammenhalt. „Teilnehmende Männer verstärkten ihr dominierendes Verhalten darüber hinaus durch eine Strategie, die von Frauen nicht angewendet wurde, sie suchten sich in den Seminaren männliche Bündnispartner für ihre inhaltlichen Vorstellungen.“ (ebd., S. 179).
Zur Wahrnehmung der Teamenden schreiben Derichs-Kunstmann et al: „War in den Aussagen der männlichen Teamer manchmal etwas wie die Anerkennung einer „anderen Herangehensweise von Frauen“ zu erkennen, so beurteilten die Teamerinnen die Teilnehmerinnen zurückhaltend bis eher kritisch.“ (ebd., S. 149). Die vorherrschende Hierarchieverteilung der Teilnehmenden wurde ebenfalls bemerkt:
„Alle Teamer und Teamerinnen, die Unterschiede im Verhalten zwischen Männern und Frauen benannten, waren sich dahingehend einig, dass Männer eher zur Dominanz neigten und Frauen eher zur Zurückhaltung (…), so werden den männlichen Teilnehmenden die längsten Redebeiträge, Konkurrenzverhalten und Störungen des Unterrichts zugeschrieben. Frauen lassen sich danach eher auf kreative Methoden ein, sind eher kooperationsbereite und stille Teilnehmerinnen und verfügen über die Fähigkeit des Zuhörens. Männlichen wie weiblichen Teilnehmenden werden inhaltliches Interesse, positiver Zuspruch und kritische Äußerungen zum Seminar gleichermaßen zugetraut.“ (ebd., S.150ff.)
Die Teamenden bewerteten dieses geschlechtsspezifische Verhalten jedoch unterschiedlich:
„Bei den Teamenden zeigt sich, dass ihnen die Geschlechterdifferenz im Seminar durchaus präsent war und sie brachten diese vor allen Dingen in der sehr unterschiedlichen Einschätzung männlicher und weiblicher Teilnehmender zum Ausdruck. Teamer und Teamerinnen waren fast einstimmig der Meinung, dass koedukative Seminare durch Frauen an Qualität gewönnen und die Anwesenheit von Frauen für das Seminarklima förderlich sei.“ (ebd., S.175)
3.2.2.5 Position von Claudia Schmidt
Schmidt[31] hat in ihrer Studie in Kleingruppenarbeiten mit Studenten und Studentinnen ähnliche Ergebnisse erhalten wie die oben genannten Studien. Frauen zeigten mehr ‚Höreraktivitäten’, das sind Aktivitäten „mit denen der aktuelle Sprecher/die Sprecherin unterstützt wird.“ (S.127) Sie ergänzen Sätze und beeinflussen somit, vielleicht sogar unbewusst, die Themenentwicklung. (vgl. ebd.) Wie schon in Kapitel 3.1 erwähnt, spielen Fragen bei weiblichen Gesprächsteilnehmern eine entscheidende Rolle:
„Frauen setzen signifikant häufiger als die Männer Fragen zur gesprächsthematischen Steuerung ein, wobei es sich insbesondere um den Typus der Problematisierungsfrage handelt, deren Einsatz einer die Gemeinsamkeit betonenden Texterarbeitung dient.“ (ebd., S. 127).
Allerdings dominieren Frauen nicht die Themenfindung, sondern sind Konsens bedacht. Hierzu schreibt Schmidt:
„Die weiblichen Kommunikationsteilnehmer (…) lassen sich in einem stärkerem (sic) Maße als die Männer auf die Themenausrichtung von Vorgängeräußerungen ein und unterstützen so eine gemeinsame Themenerarbeitung.“ (ebd., S.128)
Die Autorin sieht den „Aspekt des Sich-in-Frage-stellen-lassens als Möglichkeit zu einer kooperativeren Diskussionsgestaltung“ (ebd., S.128) und betont das dieser Aspekt keine Unsicherheit darstellt. (vgl. ebd.) Im Gegensatz zu den Studentinnen, verhalten sich die Stundenten vergleichsweise ignorant:
„(Männer, S.J.) beachten also in einem geringeren Maße die Themenausrichtungen der Äußerungen anderer Gesprächsteilnehmer/-innen und setzen mit teilresponsiven und nonresponsiven Antworten ihre spezifischen Themenakzente. Die gemeinsame Themenerarbeitung tritt hinter die stärker beachtete Durchsetzung eigener thematischer Interessenslagen zurück.“ (ebd.)
Ähnlich wie in der oben erwähnten Untersuchung im Rahmen des Gender-Mainstreaming-Projektes erkennt auch Schmidt eine „Tendenz (…), dass die männlichen Kommunikationsteilnehmer länger und häufiger sprechen als die weiblichen Teilnehmer sowie häufiger versuchen ihre Gesprächsteilnehmer zu unterbrechen, aber die Daten (…) zeigen kein einheitliches Bild.“ (ebd., S.129).
Schmidt weist auf die „Problematik der Bestimmung von Dominanz“ (ebd., S.40) hin. „Das bedeutet, man/frau kann nur dominant sein, wenn andere ihm/ihr Dominanz zugestehen. Dieser Aspekt weist deutlich auf den Zusammenhang von männlicher Gesprächsdominanz und dem der männlichen Geschlechtsrolle zugeschriebenen höheren Status hin.“ (ebd., S.40f) Tatsächlich konnte die Autorin in ihrer Studie feststellen: „(Männern, S.J.) wird von den weiblichen Gesprächsteilnehmern häufiger die Sprecherrolle übergeben als dies umgekehrt der Fall ist.“ (Schmidt 1988, S. 129) Frauen fügen sich also scheinbar freiwillig in ihre untergeordnete Rolle. Schmidt fasst zusammen:
„Die Ausrichtung auf die Verfolgung eigener Themeninteressen und das Streben nach Möglichkeiten der Profilierung zeigen sich in der Nichtbeachtung bzw. in dem mangelnden Eingehen auf Gegenpositionen, das sich in der Anwendung von Gesprächsstrategien wie ‚Drumherumreden’ und der Einführung eines neuen Themas manifestiert. Dieses Diskussionsverhalten führt in gemischtgeschlechtlichen Gruppen dazu, dass die Männer gegenüber den Frauen dominieren, wobei unter Gesprächsdominanz in diesem Fall die Einflussnahme auf die thematische Gesprächsentwicklung zu verstehen ist.“ (ebd., S.151)
Und an anderer Stelle ergänzt die Autorin, nicht ganz frei von Subjektivität: „Das ‚bessere’ kommunikative Verhalten der Frau wird für sie zum Nachteil, denn sie hat dadurch weniger Möglichkeiten, ihre Ideen einzubringen und darzulegen.“ (ebd., S.163)
3.2.2.6 Position von Wendy Wood und Nancy Rhodes
Wood und Rhodes[32] untersuchten die Geschlechtsunterschiede in Interaktionsstilen in Arbeitsgruppen und beziehen sich dabei auf diverse Studien. Am auffälligsten in dem Artikel der beiden Autoren ist die Unterscheidung von sozialen Tätigkeiten und Aufgabentätigkeiten in Gruppen. Frauen sind im Vergleich zum anderen Geschlecht eher unterstützend, freundlich orientiert, übernehmen häufiger als Männer soziale Tätigkeiten (vgl. S. 101). Männer sind im Vergleich zum anderen Geschlecht eher kritisch, leistungsorientiert und übernehmen öfter als Frauen Aufgabentätigkeiten (vgl. S.101f). In der Relation konzentrieren sich beide Geschlechter am meisten auf ihre Mitarbeit zur Problemlösung; gleich danach richtet sich die Aufmerksamkeit auf das eigene positive soziale Verhalten in der Gruppe. Diese Geschlechtsunterschiede haben Konsequenzen auf den Erfolg der Gruppenarbeiten. Ist eher eine aktive Arbeit zur Problemlösung notwendig, haben Gruppen, die ausschließlich aus männlichen Teilnehmern bestehen, den Vorrang vor Gruppen, die ausschließlich aus weiblichen Teilnehmern bestehen. Genau anders herum verhält es sich bei Gruppen, wo es zur Problemlösung wichtig ist, ein positives soziales Verhalten an den Tag zu legen. Dieser Umstand trifft ebenso auf Individuen zu, d.h. Männer übertreffen Frauen, wenn es um aktive Problemlösung geht etc. (vgl. S. 109ff). Zum Gruppenklima ist zu sagen, dass die Zufriedenheit der einzelnen Teilnehmer und ihr Zusammenhalt durch das positive soziale Verhalten von Frauen gesteigert werden kann: „(…) women’s higher levels of positive social behavior might enhance member satisfaction and group cohesivness.“ (Wood, Rhodes 1992, S. 115)
3.3 Geschlechtsunterschiede im Führungsverhalten
Alle Autoren und Autorinnen beschreiben den Umstand, dass in der Mehrzahl der Fälle ein Mann die Führung einer Gruppe übernimmt bzw. die Frauen den Männern die Führung überlassen.
In Bezug auf die Arbeit in Kleingruppen haben die Autorinnen Derichs-Kunstmann et al. folgendes erkannt: „Betrachtet man alle Seminare, so führten nicht ganz ein Fünftel der teilnehmenden Frauen (18%), dagegen aber ein Drittel der teilnehmenden Männer (33%) Arbeitsgruppenpräsentationen im Plenum durch.“ (ebd., S. 59) Es gab zudem eine klare Rollenverteilung: „Männer übernahmen die Diskussionsführung, Frauen die Schriftführung.“ (ebd., S.74) Diese Arbeitsteilung wurde von beiden Seiten intendiert:
„An dieser Zuschreibung hatten sowohl Männer als auch Frauen einen aktiven Anteil. Männer beanspruchten die Führungsrolle für sich, verweigerten die Schriftführung und wiesen diese Aufgabe stattdessen Frauen zu. Frauen hingegen wiesen Männern die Führungsrolle zu, verweigerten selbst die Übernahme derselben und fügten sich bereitwillig in ihr Schicksal als Schriftführerin.“ (Derichs-Kunstmann 1999, S.122)
Auch Alfermann (1996) erkennt in den Arbeitsgruppen eine vergleichbare Situation: „so übernehmen typischerweise Männer die Führungsrolle und erhalten auch häufiger die Führungsrolle zugeschrieben.“ (S.145). Eher selten bis kaum übernehmen Frauen die Leitungsfunktion. Nur wenn die Führungsposition der Frau legitimiert ist, wird ihr Verhalten nicht abgewertet, ansonsten gilt sie als dominant und ‚untypisch’.
Sowohl Alfermann als auch Wood und Rhodes beziehen sich auf Untersuchungen von Eagly[33] und erwähnen daher die gleichen Ergebnisse. Während männliche Teilnehmer eher aufgabenzentrierte Führungsarbeit leisten, übernehmen Frauen eher die sozial orientierte Führung (vgl. Alfermann 1996, S. 145ff sowie Wood, Rhodes 1992, S. 113ff). Alfermann (1996) schreibt hierzu: „Es zeigt sich, dass die Männer nicht einfach deshalb häufiger als Leiter gewählt wurden, weil sie bevorzugt wurden, sondern weil sie auch mehr aufgabenbezogene Beiträge lieferten, also sich anders verhielten.“ (S. 148) Allerdings gab es hierbei eine Ausnahme: „Je komplizierter die Aufgabe bzw. je komplexer die zu ihrer Lösung erforderlichen Interaktionsprozesse (…), desto wahrscheinlicher wurde eine Frau zur Leiterin bestimmt.“ (ebd.) In beiden Artikeln wird festgehalten, dass Frauen eher einen demokratischeren, arbeitsteiligen Führungsstil einnehmen, während Männer eher einen autokratischen und autoritären Führungsstil zeigen (vgl. Alfermann 1996, S.148f sowie Wood, Rhodes 1992, S.114f). Wood und Rhodes (1992) räumen jedoch ein, dass die Interaktionsrollen von Frauen und Männern nicht zwangsläufig gegensätzlich sind, sondern sich auch überlappen können, d.h. die oben genannten leitenden Rollen können sich auch umkehren (vgl. S.114f).
Alfermann (1996) bezieht die Ergebnisse auf die Geschlechtsrollenerwartungen:
„Ingesamt spricht dies dafür, dass die Bewertung und die Erwartungen an Führungskräfte nicht nur aufgabenabhängig sind, sondern dass auch Geschlechtsrollenerwartungen aktiviert werden. Wenn diese zur Führungsrolle passen, dann finden sich auch geschlechtskongruente Bewertungen: Frauen werden besser in Frauenberufen, Männer in Männerberufen bewertet.“ (ebd., S.150)
Mit anderen Worten, der Führungsstil einer Person muss den Geschlechtsrollen-erwartungen entsprechen, damit ihre leitende Rolle auch anerkannt wird.
3.4 Ursachen für Geschlechtsunterschiede
3.4.1 Statustheorie
Alfermann (1996) erklärt die Ungleichheit in der sozialen Interaktion von Mann und Frau durch deren unterschiedliche Statuspositionen: „Die Geschlechterunterschiede lassen sich zwar von den Geschlechterrollen herleiten, sie lassen sich aber auch damit begründen, dass Männer und Frauen in unserer Kultur unterschiedliche Statuspositionen innehaben.“ (S. 139) Auch Aries unterstützt diese These:[34]
„(…) solange Männer einen höheren Status als Frauen in der Gesellschaft haben, (wird, S.J.) diese Tatsache im Verhalten von kleinen Gruppen gespiegelt sein (…). Beide Geschlechter werden Männer als wichtiger ansehen als Frauen und ihre Beiträge als wertvoller. Außerdem wird es eine Verletzung der Geschlechtsrollen-Normen für Männer sein, wenn sie ihre Macht und ihren Einfluss nicht behaupten und eine Verletzung der Normen für Frauen, wenn sie die größere Machtkompetenz der Männer nicht akzeptieren.“ (Aries 2004, S. 135)
Dieses Phänomen liegt in der historisch manifestierten Ideologie der zivilisierten Welt begründet. Es herrscht eine patriarchale Ordnung der Gesellschaft, wofür verschiedene Faktoren, u. a. die Positionen einiger Glaubensrichtungen, verantwortlich zeichnen.[35]
3.4.2 Geschlechterrollentheorie
Die Geschlechterrollentheorie sieht die Gründe für das unterschiedliche Verhalten in der Interaktion von Männern und Frauen in deren Übernahme von Rollen. „Es ist somit weniger das Geschlecht als vielmehr die Geschlechtsrollenidentität der Probanden, die zu interindividuellen Unterschieden beiträgt.“ (Alfermann 1996, S. 61) Sie bezieht sich ebenso wie Wood und Rhodes auf den rollentheoretischen Ansatz von Eagly. Jeder Mensch hat bestimmte Erwartungen an das Handeln seines Gegenübers, welche durch die (Geschlechter-) Rollen beeinflusst werden. „Diese Rollenerwartungen sind schon im Kindesalter präsent und beeinflussen somit schon früh das Verhalten der Individuen.“ (ebd., S. 79) Solche Erwartungen sind bspw.: Frauen sollten freundlich, emotional, nicht egoistisch sein, sich um andere sorgen; von Männer wird angenommen, dass sie unabhängig, überlegen, energisch und technisch kompetent sind. Durch diese Einstellungen ergeben sich auch im Alltag verschiede soziale Rollen. Diese bestimmen wiederum das persönliche Verhalten und damit auch das interaktive Gruppenverhalten (vgl. Wood, Rhodes 1992, S. 106f). Alfermann (1996) bringt es auf den Punkt: „Geschlechtsunterschiede im sozialen Handeln müssen somit als Ergebnis von Rollenunterschieden verstanden werden“ (S.79)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.3: „Soziale Rollentheorie zur Erklärung von Geschlechtsunterschieden im sozialen Handeln (nach Eagly)“, Quelle: Alfermann 1996, S. 80, Abb. 4.2
3.4.3 Theorie der zwei Kulturen
Unter anderem Bezug nehmend auf Studien von Maltz/Borker[36] beschreibt Günthner[37] den Erklärungsansatz der „Theorie der zwei Kulturen“ (S. 128). Nach diesem Ansatz wachsen Jungen und Mädchen in unterschiedlichen ‚Kulturen’ auf. Die Ursache hierfür liegt in der differenten Sozialisation der Geschlechter durch gleichgeschlechtliche und gleichaltrige Peergruppen, in denen unterschiedlich kommuniziert wird.
„In gemischtgeschlechtlichen Gesprächen treffen diese unterschiedlichen (Kommunikations-, S.J.) Systeme (von Männern und Frauen, S.J.) aufeinander und die Äußerung der einen Person wird auf der Grundlage eines anderen kommunikativen Systems interpretiert. Folglich kommt es zu Missverständnissen und kommunikativen Fehlschlägen zwischen Frauen und Männern.“ (ebd.)
3.4.4 Andere Erklärungen
Derichs-Kunstmann et al. schlussfolgern, dass Frauen nicht ‚Opfer’ des dominanten Verhaltens der Männer sind, sondern dieses begünstigen und damit zu ihrer eigenen ‚Unterordnung’ beitragen. Die Autorinnen übernehmen hier teilweise die Status-Theorie, indem sie Gründe für die vorliegenden Phänomene im persönlichen Status, der durch die Arbeitsverteilung gespiegelt wird, suchen. So gibt es ihrer Meinung nach eine gewisse Hierarchie der Aufgaben: Schriftliche Tätigkeiten haben einen niedrigeren Status als die Gesprächsführung (vgl. Derichs-Kunstmann 1999, S.122).
Aber auch die Persönlichkeiten der Teilnehmenden spielen eine Rolle, z.B. gab es auch zurückhaltende Männer und dominantere Frauen (vgl. ebd.). Werner (1983) kommt zu einer ähnlichen Folgerung:
„(…) der sich als weibliche Mithilfe an der männlichen Dominanz auswirkende Bezug auf männliche Redebeiträge (ist, S.J.) nicht als unterordnendes Verhalten der Frauen zu sehen, obwohl das Ergebnis zur Unterordnung beiträgt.“ (S. 114)
Frauen haben also nicht unbedingt die Intention, sich den Männern unterzuordnen, wollen aber z.B. nach einer Unterbrechung wieder eine positives Gesprächsklima herstellen, gehen der Konfrontation aus dem Weg und überlassen dem Mann die Führung (vgl. ebd., S.113f). Dies sollte eher als Kompetenz von Frauen angesehen werden, positiv und emotional auf andere Gruppenmitglieder eingehen zu können.
Neuendorff-Bub (1979) macht auch die Gesellschaft, genauer gesagt Unternehmen und den Kapitalismus für die Typisierungen verantwortlich(vgl. S. 93ff). Ihrer Meinung nach werden sowohl durch die Arbeitsmarktpolitik als auch durch Werbung und andere Mittel die vorherrschenden Geschlechterrollen und Geschlechtsrollenerwartungen geprägt. Wood und Rhodes erwähnen noch die Sozialisationstheorie, die geschlechtsspezifisches Verhalten auf die unterschiedliche Sozialisation von Jungen und Mädchen bzw. Männern und Frauen zurückführt (vgl. Wood, Rhodes 1992, S.102f). Auch Günthner (1997) vertritt diese Erklärung:
„(Es ist, S.J.) sinnvoller, den Faktor der geschlechtsspezifischen kommunikativen Sozialisation in Abhängigkeit soziokultureller Ideologien von ‚Weiblichkeit’ und ‚Männlichkeit’ genauer zu betrachten. Aufgrund gesellschaftlicher Erwartungen und Vorstellungen weiblichen und männlichen Verhaltens werden Mädchen und Jungen auch kommunikativ teilweise anders sozialisiert, sodass bestimmte verbal-theoretische Fähigkeiten bei Jungen antrainiert und erwartet werden und andere wiederum bei Mädchen.“ (S.132)
Hier ähnelt sie dem Ansatz der Geschlechtsrollenerwartungen wie sie auch Alfermann beschreibt und damit der in Kapitel 4.6 erläuterten Endlosspirale. Die Erwartungen eines jeden prägen sein Verhalten. Das resultierende Verhalten wiederum beeinflusst die Denkmuster und Erwartungen (vgl. Günthner 1997, S. 132 und Alfermann 1996).
Weiter erklärt Günthner (1997) das unterschiedliche Verhalten von Männern und Frauen mit dem Ansatz des „Doing Gender“ (vgl. S.133ff sowie Kap.2 dieser Magisterarbeit). Allerdings ist der persönliche Gesprächsstil immer „abhängig vom situativen Kontext“ (Günthner 1997, S.139). Dennoch spielen Stereotype und Erwartungen in der Gesellschaft immer eine Rolle:
[...]
[1] Quelle: http://www.datenschutz-berlin.de/recht/de/gg/gg1_de.htm#art3
[2] Freud, Sigmund: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse XXXIII. In: Freud, Sigmund: Gesammelte Werke, Band 15. London 1940-1952, S.120/121
[3] Verhalten ist die “äußerlich beobachtbare und entsprechend beschreibbare Aktivität eines Menschen.“ (Böhm, Winfried: Wörterbuch der Pädagogik. Stuttgart 2005, S.661)
[4] Als Seminar werden in dieser Arbeit alle Lehrveranstaltungen mit seminarähnlichem Charakter angesehen (Universitätsseminare, Weiterbildungsseminare, Workshops).
[5] Hierbei werden vor allem deutsche und US-amerikanische Studien vorgestellt, da in diesen Kulturräumen zahlreiche Studien zum Forschungsthema existieren und diese auch vergleichbar sind.
[6] Das Seminar ‚Frauenbildung in Leipzig’ fand im Wintersemester 2005/2006 am Institut für Erziehungswissenschaften, Lehrstuhl Erwachsenenpädagogik, der Universität Leipzig statt und wurde von Frau Dr. M. Lehnert geleitet.
[7] bei der verdeckt-teilnehmenden Beobachtung ist der/die Forschende Mitglied einer Gruppe, untersucht aber gleichzeitig die Interaktion in dieser
[8] „Soziale Interaktion ist die Bezeichnung für alle Vorgänge, die in sozialen Situationen, also im zwischenmenschlichen Kontakt ablaufen. Gemeint ist das Verhalten von Mensch zu Mensch, das Wechselspiel von Aktionen und Reaktionen zum Zwecke der gegenseitigen Beeinflussung.“ (Keller, Josef A.; Novak, Felix: Herders pädagogisches Wörterbuch. Erftstadt 1998, S.188)
[9] Kammerl, Rudolf et al.: Gender Mainstreaming und eLearning: Was Checklisten und Leitfäden (nicht) leisten können. In: Wawra, Daniela (Hrsg.): Genderforschung multidisziplinär. Frankfurt am Main u.a., S.243 - 264
[10] Knoll, Jörg et al.: Hinweise zur Erstellung der Magisterarbeit. Leipzig 2005/2. Auflage
[11] Alfermann, Dorothee: Geschlechtsrollen und geschlechtstypisches Verhalten. Stuttgart 1996, S.7
[12] Im Folgenden steht das soziale Geschlecht im Mittelpunkt der Betrachtung, da die Konstruktion sowie die Wahrnehmung von Geschlechtsunterschieden in der sozialen Interaktion untersucht werden. Der Begriff Geschlecht und Gender wird dabei synonym verwendet, wobei stets das soziale Geschlecht gemeint ist.
[13] Fenske, Romy et al.: Unterschiede in dem Verhalten von Frauen und Männern in Seminaren. Leipzig 2006 (Projektarbeit im Rahmen des Seminars „Frauenbildung in Leipzig“ WS 2005/2006)
[14] Hirschauer (1994) hat den Begriff des ‚Undoing Gender’ geprägt. Mit dieser Geschlechtsneutralität meint er den Prozess des sozialen Vergessens der Geschlechter (vgl. S.216).
[15] vgl. West, Candace; Zimmerman, Don: Doing Gender. In: Gender & Society Nr. 1/2, 1989, S. 125-151
[16] vgl. Kaiser, Manuela: Bildung und Geschlecht – eine biographieanalytische Untersuchung der Konstruktion von Geschlecht in Studentinnenbiografien. Göttingen 2004
[17] die englischen Begriffe lauten ‚sex identity’ bzw. ‚gender identity’
[18] vgl. Neuendorff-Bub, Brigitte: Stereotype und geschlechtstypisches Verhalten. In: Eckert, Roland (Hrsg.): Geschlechtsrollen und Arbeitsteilung: Mann und Frau in soziologischer Sicht. München 1979, S. 78-96
[19] Forster, Johanna: Anmerkungen der Pädagogischen Anthropologie zur aktuellen Geschlechterdiskussion. In: Krebs, Uwe; Forster, Johanna: „Sie“ und „Er“ interdisziplinär. Berlin und Münster 2007, S.197-212
[20] vgl. Bock, Ulla: Androgynie – ein Modell für ein verändertes Verhältnis von Frau und Mann? In: Böhm, Winfried; Lindauer, Martin (Hrsg.): Mann und Frau – Frau und Mann. Stuttgart 1992, S. 34-54
[21] vgl. Werner, Fritjof: Gesprächsverhalten von Frauen und Männern. Frankfurt am Main 1983, S.27
[22] Templin, Sabine: Frauenbildung - geschlechtsspezifische Rollen- und Kompetenz-zuweisungen unter besonderer Berücksichtigung der beruflichen Weiterbildung. Bremen 1999
[23] Goffman, Erving: Das Arrangement der Geschlechter. In: Goffman, Erving; Knoblauch, Hubert. (Hrsg.): Interaktion und Geschlecht. Frankfurt am Main 1977, S. 105-158.
[24] Pinl, Claudia: Gender Mainstreaming – ein unterschätztes Konzept. In: Bundeszentrale für politische Bildung: Aus Politik und Zeitgeschichte – Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. Bonn 2002, B 33-34/2002, S.3-5
[25] Intersexualität ist die „krankhafte Mischung von männlichen und weiblichen Eigenschaften in einem Individuum, das normalerweise getrenntgeschlechtlich sein müsste (eine Form des Scheinzwittertums)“. (Dudenverlag (Hrsg.): Duden Band 5 – Fremdwörterbuch. Mannheim u.a. 1998/7.Auflage, S.454)
[26] vgl. Kotthoff, Helga: Gewinnen oder Verlieren? – Beobachtungen zum Sprachverhalten von Frauen und Männern in argumentativen Dialogen an der Universität. In: Trömel-Plötz, Senta (Hrsg.): Gewalt durch Sprache – Die Vergewaltigung von Frauen in Gesprächen. Wien 2004, S.102-124
[27] vgl. Horner, Matina S.: Femininity and Successful Achievement - A Basic Inconsistency. In: Garskoff, M.H. (Hrsg.): Roles Women Play. 1971, S. 97-122; zitiert in ebd., S.192
[28] vgl. Aries, Elizabeth: Zwischenmenschliches Verhalten in eingeschlechtlichen und gemischtgeschlechtlichen Gruppen. In: Trömel-Plötz, S. (Hrsg.): Gewalt durch Sprache. Wien 2004. S.125-137
[29] vgl. Beck-Gernsheim, Elisabeth: Männerrolle, Frauenrolle – Aber was steht dahinter? – Soziologische Perspektiven zur Arbeitsteilung und Fähigkeitsdifferenzierung zwischen den Geschlechtern. In: Eckert, R.: Geschlechtsrollen und Arbeitsteilung – Mann und Frau in soziologischer Sicht. München 1979, S. 165-201
[30] vgl. Derichs-Kunstmann et al.: Von der Inszenierung des Geschlechtsverhältnisses zur geschlechtergerechten Didaktik. Bielefeld 1999
[31] vgl. Schmidt, Claudia: Typisch weiblich – typisch männlich – geschlechtstypisches Kommunikationsverhalten in studentischen Kleingruppen. Tübingen 1988
[32] vgl. Wood, Wendy; Rhodes, Nancy: Sex Differences in Interaction Styles in Task Groups. In: Ridgeway, Cecilia L. (Hrsg.): Gender, Interaction and Inequality. New York 1992, S. 97-120
[33] Alice Eagly ist Sozialpsychologin und beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Thema ‚Gender’. Die von Alfermann und Wood, Rhodes verwendeten Veröffentlichungen sind gesondert im Quellenverzeichnis aufgelistet.
[34] Für die Entstehung von geschlechtsspezifischem Verhalten gibt es verschiedene Theorien. Auszugsweise sollen die gängigsten kurz erwähnt werden. Diese Theorien zu vertiefen würde an dieser Stelle jedoch zu weit führen.
[35] vgl. Lerner, Gerda : Die Entstehung des Patriarchats. München 1997
[36] Maltz, Daniel N.; Borker, Ruth: A subcultural view on male/female misunderstandings. In: Gumperz, John (Hrsg.): Language and social identity. Cambridge 1982, S.196-216; zitiert in ebd.
[37] Günthner, Susanne: Zur kommunikativen Konstruktion von Geschlechterdifferenzen im Gespräch. In: Braun, Friederike; Pasero, Ursula. (Hrsg.): Kommunikation von Geschlecht – Communication of Gender. Pfaffenweiler 1997
- Arbeit zitieren
- Susanne Jordan (Autor:in), 2007, Das geschlechtsspezifische Seminarverhalten von Studierenden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82886
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