Beim Lesen des Werkes Dubliners drängt sich die Frage auf, ob es sich bei diesem Buch um eine Sammlung von Kurzgeschichten oder einen Roman handelt. Formal und auch inhaltlich treffen die Merkmale einer Kurzgeschichte auf die einzelnen Geschichten von Dubliners zu. Aber kann man die Geschichten nicht auch in einen größeren Zusammenhang stellen? Ein Roman kann sowohl Fiktion als auch tatsächlich passierte Ereignisse wiedergeben. Eine Serie von Ereignissen wird plausibel, nachvollziehbar und logisch auflösbar dargestellt. Protagonisten entwickeln sich und öffnen sich gegenüber dem Leser, meistens in chronologischer Reihenfolge. Romane enden nicht abrupt in einem Höhepunkt, wie zum Beispiel eine Kurzgeschichte, sondern lösen die Rätsel ihrer Geschichte auf.
Die vorliegende Arbeit soll anhand einiger ausgewählter Aspekte klären, ob die Kurzgeschichten in Dubliners in Bezug zueinander stehen und ob eine thematisch einheitliche Qualität vorliegt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Themen und Motive in „Dubliners“
2.1 Schlüsselwörter
2.2 Chronologie – Kindheit, Jugend, Alter
2.3 Das Thema Flucht und Akohol
2.4 „The Dead“ als Auflösung
3. Schlussbetrachtung: Dubliners - Roman oder Kurzgeschichte?
4. Bibliographie
1. Einleitung
James Augustine Aloysius Joyce wird am zweiten Februar 1882 in Dublin geboren. Während seines Literatur- und Sprachstudiums am University College of Dublin beschließt er, Schriftsteller zu werden. 1903 beginnt Joyce mit der Arbeit an seinem ersten Roman Stephen Hero[1], der dreizehn Jahre später unter dem Titel A Portrait of the Artist as a Young Man[2] erscheint. Im Jahre 1905 schickt Joyce ein Manuskript von „Dubliners“[3], das zu diesem Zeitpunkt zwölf Kurzgeschichten beinhaltet, an den englischen Verleger Grant Richards. Dieser befürchtet, dass Dubliners Tabuthemen, wie zum Beispiel Alkoholsucht, Sexualität und Päderastie zu offen behandelt. Neun Jahre später, 1914, und um drei Kurzgeschichten reicher, wird Dubliners von Richards veröffentlicht.1918 erscheinen erste Episoden des Romans Ulysses[4] in einer amerikanischen Zeitschrift. Im Dezember 1920 wird Ulysses in den USA und Großbritannien wegen Pornographie verboten, 1922 erscheint der Roman im Pariser Verlag Shakespeare & Co. Erst 1933 wird die amerikanische Zensur aufgehoben und 1934 erscheint das Werk dann auch dort. Derweil schreibt Joyce an seinem zweiten großen Werk Finnegan’s Wake[5], das 1939 erscheint. 1940 flüchtet James Joyce aufgrund des zweiten Weltkrieges nach Zürich und stirbt dort am 13. Januar 1941.
Beim Lesen des Werkes Dubliners drängt sich die Frage auf, ob es sich bei diesem Buch um eine Sammlung von Kurzgeschichten oder einen Roman handelt. Die klassische Kurzgeschichte hat viele, unverkennbare
Merkmale:
[…] Es sind dies geringerer Umfang, gedrängte, bündige Komposition, Verzicht auf Illusion und Rahmen, offener Schluss, Typisierung der Personen, Neutralisierung der Umgebung, Ausarbeitung des Details, das metonymisch auf das Ganze verweist, Reduktion des >unerhörten Ereignisses< der Novelle auf einen Moment inmitten alltäglicher Begebenheiten, der dann allerdings in unerwarteter Wendung auf den Lebenszusammenhang verweist, u. a. m. Mit der Verwendung moderner Erzähltechniken wie Offenlegung des Erzählcharakters, Auflösung der linearen Handlung zugunsten mehr assoziativen Komposition, Aussparung des Narrativen, Montage etc., der Betonung der Brüchigkeit der Wirklichkeit, der Vorliebe für die Außenr der Gesellschaft, dem Bestreben, den Leser zu provozieren und zu aktivieren, folgt die […] Kurzgeschichte den allgemeinen Tendenzen der modernen Literatur. […][6]
Formal und auch inhaltlich treffen die Merkmale einer Kurzgeschichte auf die einzelnen Geschichten von Dubliners zu. Aber kann man die Geschichten nicht auch in einen größeren Zusammenhang stellen? Ein Roman kann sowohl Fiktion als auch tatsächlich passierte Ereignisse wiedergeben. Eine Serie von Ereignissen wird plausibel, nachvollziehbar und logisch auflösbar dargestellt. Protagonisten entwickeln sich und öffnen sich gegenüber dem Leser, meistens in chronologischer Reihenfolge. Romane enden nicht abrupt in einem Höhepunkt, wie zum Beispiel eine Kurzgeschichte, sondern lösen die Rätsel ihrer Geschichte auf.[7]
Die vorliegende Arbeit soll anhand einiger ausgewählter Aspekte klären, ob die Kurzgeschichten in Dubliners in Bezug zueinander stehen und ob eine thematisch einheitliche Qualität vorliegt. Nach der Bearbeitung bestimmter Schlüsselwörter und der Chronologie, werden verschiedene Motive wie Flucht, Alkoholsucht genauer untersucht. Im letzten Kapitel des Hauptteils liegt der Fokus auf der Kurzgeschichte „The Dead“. In der Schlussbetrachtung stehen die Ergebnisse und ein nochmaliges Aufgreifen des Themas ‚Roman versus Kurzgeschichte’ im Mittelpunkt.
2. Themen und Motive in „Dubliners“
2.1 Schlüsselwörter
In der ersten Geschichte von Dubliners, „The Sisters“, werden drei Schlüsselwörter, die für das gesamte Buch von Bedeutung sind, vorgestellt. Ein kleiner Junge grübelt über den Tod des Gemeindepriesters, Father Flynn.
[…] Every night I gazed up at the window I said softly to myself the word paralysis. It had always sounded strangely in my ears, like the word gnomon in the Euclid and the word simony in the Catechism. But now it sounded to me like the name of some maleficent and sinful being. (Joyce, Dubliners, S. 1.)
Das erste Schlüsselwort, ‚paralysis’, kann auf fast jede Kurzgeschichte, sowie auch auf Irland und Dublin selbst bezogen werden. Das wirtschaftliche und intellektuelle Leben der Iren scheint durch die religiösen und politischen Gegebenheiten in Lähmung zu erstarren. Etlichen Protagonisten der Kurzgeschichten geht es ähnlich. Der Pfarrer in „The Sisters“ erstarrte im Tod, seine Schwestern und das Verhältnis zu ihnen scheint auch wie gelähmt zu sein. Der Junge in „Araby“ unternimmt einen ersten Versuch, aus dem paralysierten Alltag auszubrechen und will einen orientalischen Markt besuchen. Doch durch unglückliche Umstände kommt er zu spät und der Basar hat bereits geschlossen.
I heard a voice call from one end of the gallery that the light was out. The upper part of the hall was now completely dark.
Gazing up into the darkness I saw myself as a creature driven and derided by vanity; and my eyes burned with anguish and anger. (Joyce, Dubliners, S. 27/28.)
Dem Jungen wurde alle Hoffnung auf einen Ausflug in eine fremde Welt genommen. Er ist zutiefst enttäuscht und fühlt eine quälende Leere die ihn zu lähmen scheint.
Auch die junge Frau in der Geschichte „Eveline“ hat den Traum vom Ausbruch aus ihrem festgefahrenen und ausweglosen Leben, in welchem sie sich nur um ihren Vater und ihre Geschwister kümmert. Ihr Geliebter macht ihr das Angebot, mit ihm nach Argentinien auszuwandern. Das Angebot ist verlockend, doch im letzten Moment macht sie einen Rückzieher.
- Come!
No! No! No! It was impossible. Her hands clutched the iron in frenzy. Amid the seas she sent a cry of anguish!
- Eveline! Evvy!
He rushed beyond the barrier and called to her to follow. He was shouted at to go on but he still called to her. She set her white face to him, passive, like a helpless animal. Her eyes gave him no sign of love or farewell or recognition. (Joyce, Dubliners, S.34.)
Das Versprechen an ihre verstorbene Mutter, sich um die Familie zu kümmern, hält sie zu Hause obwohl ihr bewusst ist, dass sich in ihrem Leben nicht noch so eine Chance bieten wird. Sie erstarrt und lässt die Möglichkeit zur Flucht an sich vorüberziehen.
Das zweite Schlüsselwort, ‚gnomon’, bedeutet, dass nur ein Ausschnitt aus einer größeren Begebenheit erzählt wird. Der Begriff kommt eigentlich aus der Mathematik und bezeichnet einen Ausschnitt aus einem Parallelogramm. Schon in der ersten Geschichte, „The Sisters“, werden viele Dinge nur angedeutet.
-No, I wouldn’t say he was exactly … but there was something queer … there was something uncanny about him. I’ll tell you my opinion … (Joyce, Dubliners, S. 1.)
Was Old Cotter genau meint, bleibt im Unklaren. Aber der Leser kann sich denken, dass der Priester seltsame Neigungen hatte. Bringt man dies nun in Zusammenhang mit dem Verhalten des Jungen, so kann der Leser von einer Päderastie des Priesters ausgehen. Diese Andeutung kann man mit dem mathematischen Begriff ‚gnomon’ vergleichen. Ein kleiner Ausschnitt genügt, um dem Leser die Gesamtsituation aufzuzeigen. In Dubliners bleiben viele Tatsachen unausgesprochen. Was, zum Beispiel, tut der ältere Mann in „An Encounter“, dass die Jungen so überrascht und verdutzt sind? Was ist in „A Painful Case“ in den vier Jahren passiert? Was geschieht vor und nach der Geschichte „Two Gallants“?[8] Joyce lässt dem Leser viel Raum für Fantasie und fordert ihn auf, zwischen den Zeilen zu lesen und Lücken zu füllen, die absichtlich offen gelassen wurden.
Das dritte Schlüsselwort, ‚simony’ , ist am schwierigsten zu erfassen.
Kauf und Verkauf von geistlichen Ämtern; Amtserschleichung; nach Simon dem Magier, der in Samarien als Zauberer umherzog und laut Apostelgeschichte 8, 5-24 von Petrus und Johannes die Macht, Wunder zu tun, für Geld kaufen wollte, von Petrus jedoch zurückgewiesen wurde.[9]
Diese Definition aus einem etymologischen Wörterbuch lässt darauf schließen, dass ‚simony’ eng mit Religion zusammenhängt. Joyce benutzt den Begriff jedoch für jede Art von Wertermessung und Erschleichung. In „Two Gallants“ wird Liebe mit Geld bezahlt. Wer kann so anmaßend sein, den Preis für ein Gefühl zu bestimmen? In „A Mother“ lässt sich eine Mutter nicht davon abhalten, Geld für ihre musizierende Tochter einzutreiben, um den Wert ihres Talentes zu bestimmen. „After the Race“ erzählt die Geschichte des jungen Jimmy, der sich mit Geld, das ihm eigentlich nicht gehört, die Eintrittskarte in die bessere Gesellschaft Dublins erkaufen will. Auch er, wie der Magier Simon, erschleicht sich die Sympathie der anderen Männer, indem er über seine Verhältnisse lebt und mit Geld protzt.
[...]
[1] Joyce, James: Stephen Hero, New York: New Directions Publishing Corporation, 1969.
[2] Joyce, James: A Portrait of the Artist as a Young Man, London: Penguin Modern Classics, 2000.
[3] Joyce, James: Dubliners, London: Penguin Modern Classics, 2000.
[4] Joyce, James: Ulysses, London: Penguin Modern Classics, 2000.
[5] Joyce, James: Finnegan’s Wake, London: Penguin Modern Classics, 2000.
[6] Schweickle, Günther u. Irmgard (Hrsg.): Metzler Literaturlexikon, s.v. „Kurzgeschichte“, Stuttgart: J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Ernst Poeschel Verlag GmbH, 1990.
[7] Vgl.: Klein, Jürgen (Hrsg.): Studenten lesen Joyce, Essen: Verlag Die Blaue Eule, 1984, S. 100-102.
[8] Vgl.: Seidel, Michael: James Joyce – A Short Introduction, Oxford: Blackwell Publishers Ltd, 2002, S. 45-47.
[9] Hermann, Ursula: Etymologisches Wörterbuch, s.v. „Simonie“, München: Knaurs, 1982.
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- Maren Leonie Kilian (Author), 2005, Einheitsstiftende Themen und Motive in James Joyces "Dubliners", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82774
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