1. Einführung und kurzer Überblick:
Definition:
„Wenn wir einen allgemeinen moralischen Satz auf einen besonderen Fall zurückführen, diesem besonderen Falle die Wirklichkeit erteilen und eine Geschichte draus dichten, in welcher man den allgemeinen Satz anschauend erkennt: so heißt diese Erdichtung eine Fabel.“1
So lautet Lessings Fabeldefintion aus seiner ersten Abhandlung “Von dem Wesen der Fabel“.
Im Allgemeinen versteht man unter dem vom lateinischen Wort “fabula“ ( = Erzählung, Geschichte) abgeleiteten Begriff “Fabel“ eine lehrhafte Erzählung, die menschliche Verhaltensweisen und Charaktere auf das Tierreich übertragen darstellt. Häufig dient sie als literarisches Mittel, um kritisch auf soziale oder politische Mißstände hinzuweisen, oder um moralische Lehrsätze oder Lebensweisheiten zu veranschaulichen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung und kurzer Überblick:
2. Gattungsgeschlichtlicher Überblick:
2.1. Theorien zum historischen und geographischen Ursprung:
2.1.1. Geographischer Ursprung:
2.1.2. Historischer Ursprung:
2.2. Verbreitung der Fabelliteratur in Deutschland:
2.2.1. Fabelliteratur im 16. Jahrhundert
2.2.2. Fabelliteratur im 18. Jahrhundert
2.2.3 Fabelliteratur im 20. Jahrhundert :
3. Formale Aspekte :
3.1. Das Aufbauprinzip der typischen Fabel:
3.1.1 Ausgangssituation
3.1.2 Konfliktsituation
3.1.3 Lösung
3.2 Erläuterung des Aufbauprinzips anhand des Beispiels „Der Esel und der Wolf“:
3.3. Variabilität des Grundschemas:
3.4 : Das epische und dramatische Element der Fabel:
3.4.1: Die dramatische Fabelform:
3.4.2: Die epische Fabelform:
3.5: Die Zeit- und Ortlosigkeit:
4. Fabelmotive:
4.1: Das Figureninventar der Fabel:
4.2.: Konstellation und Kommunikationssituation:
4.3.: Typisierung der Fabeltiere:
4.4: Die Anthromorphisierung:
5. Kennzeichnende Strukturelemente und Gestaltungsprinzipien:
6. Wirklichkeitsbezug und Aussageabsicht:
6.1 Die Fabeln Aesops:
6.2: Variabilität / Variationen :
6.3: Sinn und Zweck der Fabel:
7. Relevanz und Funktion der Fabel in der heutigen Gesellschaft:
Literaturverzeichnis
1. Einführung und kurzer Überblick:
Definition
„Wenn wir einen allgemeinen moralischen Satz auf einen besonderen Fall zurückführen, diesem besonderen Falle die Wirklichkeit erteilen und eine Geschichte draus dichten, in welcher man den allgemeinen Satz anschauend erkennt: so heißt diese Erdichtung eine Fabel.“1
So lautet Lessings Fabeldefintion aus seiner ersten Abhandlung “Von dem Wesen der Fabel“.
Im Allgemeinen versteht man unter dem vom lateinischen Wort “fabula“ ( = Erzählung, Geschichte) abgeleiteten Begriff “Fabel“ eine lehrhafte Erzählung, die menschliche Verhaltensweisen und Charaktere auf das Tierreich übertragen darstellt. Häufig dient sie als literarisches Mittel, um kritisch auf soziale oder politische Mißstände hinzuweisen, oder um moralische Lehrsätze oder Lebensweisheiten zu veranschaulichen.
2. Gattungsgeschlichtlicher Überblick:
2.1. Theorien zum historischen und geographischen Ursprung:
2.1.1. Geographischer Ursprung:
In der Fachliteratur werden häufig Ägypten, Griechenland, Indien und Babylon als Ursprungsländer der Fabel genannt. Jedoch ist die Frage nach den geographischen Wurzeln nach wie vor umstritten. Diverse Untersuchungen lassen darauf schließen, daß sich parallele Enstehungsprozesse in voneinander unabhängigen Regionen vollzogen haben müssen, die auf gleiche Lebensumstände und soziale Strukturen zurückzuführen sind. In einer Klassengesellschaft lösten Konfliktsituationen zwischen verschiedenen Gesellschaftsschichten eine nahezu analoge Ausbildung sprachlicher Formen zum Ausdruck sozialkritischer Intentionen aus.
2.1.2. Historischer Ursprung:
Die Literaturgattung der Fabel hat insgesamt eine Geschichte von 2000 Jahren, geprägt von stetigen Wandlungen.
Besonders bedeutend für die Historie der Fabelliteratur war der phrygische Sklave Aesop, welcher um die Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. gelebt haben soll. Angeblich war er der erste, der Fabeln, insbesondere indischer und griechischer Herkunft, gesammelt und aufgeschrieben hat. Er war es auch, der der Fabel ihre klassische Form verlieh.
Prägnante Merkmale der Fabeln Aesops sind: “klarer Aufbau, anschauliche Erfassung der Szene, behaglicher Ton der Gespräche, auf jener Elementarstufe geistiger Entwicklung, wo der Mensch noch ganz auf du und du mit Tier und Pflanze und aller Kreatur zu verkehren mag.“2
Aesop gilt als Vorbild zahlreicher Fabeldichter späterer Zeiten, die auf seine Werke zurückgriffen und seine Motive, sein Figureninventar oder seine Kompositionsprinzipien oft in ihren eigenen Fabeln variierten.
Dichter, die sich an den Fabeln Aesops orientierten, waren beispielsweise Babrios, der Aesops Fabeln in Versform umdichtete und von welchem heute noch ca. 150 erhaltene Fabeln existieren, der Grieche Phädrus, welcher um 50 n. Chr. der Bezeichnung “Fabel“ die Qualität eines Gattungsbegriffs verlieh und in seinen Werken das lehrhafte Elemente verstärkte (92 erhaltene Fabeln), sowie Avianus, der um 400 n. Chr. die Fabeln Aesops in lateinische Verse übertrug und von dem heutzutage noch 42 Fabeln erhalten sind.
2.2. Verbreitung der Fabelliteratur in Deutschland:
Fabeldichtung ließ sich im Mittelalter vor allem innerhalb der lateinischen Klosterdichtung finden. Aufgrund des lehrhaft - symbolischen Charakters war die Fabel die geeignete Erzählform für Predigten und Beispielsammlungen.
2.2.1. Fabelliteratur im 16. Jahrhundert
Die Reformatoren im 16. Jahrhundert sahen die Fabel als wichtiges Mittel zur Belehrung. Insbesondere Erasmus Alberus und Burkhard Waldis diente die Fabel als Kampfmittel ihres religionspolitischen Kampfes gegen die katholische Kirche. Vor allem Erasmus Alberus nutzte die Fabel als literarische Waffe im Reformationskampf im Hinblick auf die Tatsache, daß auch die Gegenreformatoren Fabeln schrieben: “auch der Teufel schreibt Fabeln“ ( nach Alberus).
Bei Martin Luther (1483-1546), Reformator und Begründer des Protestantismus, diente die Fabel hauptsächlich zur Veranschaulichung seiner religiös-moralischen Ansichten. Bezeichnend für seine Fabeln sind knappste Prosaformulierungen und die christliche Moral als zentraler Aspekt.
Im Gegensatz zu Alberus und Waldis, deren Werke sich durch epische Breite auszeichnen und eher abstrakt erscheinen, bleibt Luther weitgehend im bildlichen Bereich und vermeidet abstrakte Formulierungen und Wendungen, um auch und vor allem dem “einfachen Volk“ mit geringerem Bildungsniveau den Zugang zu seinen Werken zu ermöglichen.
2.2.2. Fabelliteratur im 18. Jahrhundert
Im 18. Jahrhundert, der Epoche des Humanismus und der Aufklärung, vollzog sich eine regelrechte Explosion in der europäischen Fabelproduktion.
Als Hintergrund für diesen Aufschwung ist die Befreiung von der feudalherrschaftlichen Gesellschaftsordnung und zum anderen die geistige, soziale und politische Aufklärung, welche letztendlich zur Französischen Revolution führte, zu sehen.
Der französische Dichter Jean de La Fontaine (1621-1695), auch als “Roi de vers“ (dt.: “König der Fabel“) verehrt, übte einen deutlichen Einfluß auf die Mehrheit der deutschen Dichter, wie zum Beispiel Gellert, Gleim, Hagedorn u.a., aus.
Typisch für seine Fabeln sind die leichte, ausschweifende und ironisch-kritische Erzählweise, sowie der deutlich zu tage tretende kritische Zeitbezug.
La Fontaine verleiht seinen persönlichen Gefühlen in der Fabel Ausdruck:
Beispiel:
Jean de La Fontaine
Der Wolf und das Lamm
Der Starke hat immer recht. Das werden wir sogleich sehen.
Ein Lamm löschte seinen Durst in einem klaren Bache. Dabei wurde es von einem hungrigen Wolfe überrascht.
„Wie kannst du es wagen“, rief er wütend, „mir meinen Trank zu trüben? Für diese Frechheit mußt du bestraft werden!“
„Ach, mein Herr“, antwortete das Lamm,“seien Sie bitte nicht böse. Ich trinke ja zwanzig Schritte unterhalb von Ihnen. Daher kann ich Ihnen das Wasser gar nicht trüben.“
„Du tust es aber doch!“ sagte der grausame Wolf.“Und außerdem weiß ich, daß du im vergangenen Jahr schlecht von mir geredet hast.“
„Wie soll ich das wohl getan haben“, erwiderte das Lamm,“ich war da ja noch gar nicht geboren.“
„Wenn du es nicht tatest, dann tat es dein Bruder!“
!Ich habe keinen Bruder.“
„Dann war es eben irgendein anderer aus deiner Familie. Ihr habt es überhaupt auf mich abgesehen, ihr, eure Hirten und eure Hunde. Dafür muß ich mich rächen.“
Mit diesen Worten packte der Wolf das Lamm, schleppte es in den Wald und fraß es einfach auf.
In seiner Fabel vom Wolf und dem Lamm kritisiert La Fontaine die Rechtsverletzung, sowie Macht und Willkür des Königs ( Louis XIV ) in einer hierarchisch geordneten höfischen Gesellschaft.
Hierbei symbolisieren die Tiere den Spiegel menschlichen Verhaltens zu höfischem Leben.
Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) hatte außer beißendem Spott für die Werke La Fontains wenig übrig und bestand auf eine klare Abgrenzung zu seinen eigenen Fabeln.
Er selbst legte den Schwerpunkt auf moralische Belehrung und nicht auf die Unterhaltung oder Belustigung des Rezipienten, die Verwendung des „leichten poetischen Schmucks, in welchem am liebsten zu erscheinen La Fontaine die Fabel fast verwöhnt hat.“3
Seine Fabeln zeichnen sich durch Kürze und Präzision aus, er verzichtet auf die, seiner Meinung nach, überflüssige Ausschmückungen. Dies kommt in der Fabel „Der Besitzer des Bogens“ deutlich zum Ausdruck:
(G.E. Lessing)
Der Besitzer des Bogens
Ein Mann hatte einen trefflichen Bogen von Ebenholz, mit dem er sehr weit und sicher schoß, und den er ungemein wert hielt. Einst aber, als er ihn aufmerksam betrachtete, sprach er:“Ein wenig zu plump bist du doch! Alle deine Zierde ist die Glätte. Schade!“ - „Doch dem ist abzuhelfen!“, fiel ihm ein. „Ich will hingehen und den besten Künstler Bilder in den Bogen schnitzen lassen.“ - Er ging hin; und der Künstler schnitzte eine ganze Jagd auf den Bogen; und was hätte sich besser auf einen Bogen geschickt als eine Jagd?
Der Mann war voller Freude. „Du verdienest diese Zieraten, mein lieber Bogen!“ _ Indem will er ihn versuchen; er spannt, und der Bogen - zerbricht.
Lessing, als Bearbeiter traditioneller Motive, stellt sich ganz in die antike Tradition der Fabel. In seiner Fabeltheorie erläutert er die unerläßlichen Bestandteile und Merkmale einer Fabel, die seinen Vorstellungen entspricht: Für Lessing muß eine Fabel eine allgemeine Wahrheit enthalten, welche für den Rezipienten deutlich erkennbar sein muß ( = anschauendes Erkennen). Demnach darf ein auf eine klar formulierbare Form beschränkter moralischer Lehrsatz nicht fehlen.
Weiterhin muß eine Fabel epigrammatisch kurz gehalten sein und immer eine Handlung besitzen. Durch die Fabel wird „Wirklichkeit erteilt“, das heißt, man tut so, als ob unwirkliche Dinge real existieren. Ein weiterer zentraler Aspekt in Lessings Fabeln ist der epische Ausbau, der durch Zitate und Dialoge realisiert wird. Lessing schließt die „Lücke“ zwischen Theorie und Praxis, wobei stets der Literaturgedanke im Vordergrund steht.
2.2.3 Fabelliteratur im 20. Jahrhundert :
Auch im 20. Jahrhundert ist die Fabel ein fester Bestandteil von Literatur. Die wohl bekanntesten Literaten sind Helmut Arntzen, Rudolf Kirsten, Wolfdietrich Schnurre, James Thurber u.a. .
Ein auffälliges Merkmal moderner Fabeln ist die „Verbindung zwischen Tradition und Ironisierung und Infragestellung dieser Tradition.“4 Dieser Aspekt wird besonders bei Arntzen durch den expliziten „ironischen“ Bezug auf die Traditionen deutlich.
Beispiel :
Der Wolf und das Lamm ( Helmut Arntzen)
Der Wolf kam zum Bach.
Da entsprang das Lamm.
Bleib nur, du störst mich nicht, rief der Wolf.
Danke, rief das Lamm zurück, ich habe im Äsop gelesen.
Auch im „Spiel mit den Akteuren“ kommt der Bruch mit den Traditionen zum Vorschein. Das „Tier im Menschen“ wird gesucht, statt umgekehrt.
Die Moral wird dekonstruiert, indem man den Zweck der Fabel auflöst, also eine Moral oder einen Sinn verweigert. Dies hat die Funktion, den Rezipienten zum Weiterdenken zu animieren.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die literarische Gattung „Fabel“ ihre Blütezeiten vorwiegend in ausgeprägt rationalen Zeiten, aus der aufklärerische oder gesellschaftlich-umstrukturierende Tendenzen resultierten, erlebte.
[...]
1 Lessing, G.E., Fabeln, Abhandlungen über die Fabel, Heinz Rölleke (Hrsg.), Stuttgart 1992, S. 104.
2 Dithmar, R., Die Fabel, Paderborn 1974, S. 17.
3 Lessing, G.E., Fabeln, Abhandlungen über die Fabel, Heinz Rölleke (Hrsg.), Stuttgart 1992, S. 57.
4 Payrhuber, F.-J., Wege zur Fabel, Freiburg im Breisgau 1978, S. 20.
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