1988 war die Tageszeitung „Le Mond“ mit Protestschreiben überflutet, nachdem das Inter-view der für ihre Live-Berichte bekannten französischen Nachrichtensprecherin Anne Sinclair mit Mikhail Gorbatschow als Aufzeichnung und nicht live ausgestrahlt wurde (Bourdon, 2000). Das war keineswegs ein Einzelfall, in dem Fernsehzuschauer ihre Vorliebe für Live-Übertragungen deutlich signalisierten. So musste z.B. das ZDF eine Sportspiegel-Sendung 1996 aufgeben, weil sich letztendlich weniger als 200.000 Zuschauer die aufgezeichneten Hintergrundberichte anschauen wollten. Der ZDF-Sportchef Wolf-Dieter Poschmann hatte dafür eine schlüssige Erklärung: „Die Mehrheit will die Live-Berichterstattung“ (Heess, 2003, S. 21).
Viele Sender haben dieses Phänomen erkannt und machen es sich seit Jahren zunutze. Dank der Entscheidung, politische Presskonferenzen live zu übertragen, hat der öffentlich-rechtliche Kanal Phoenix seine Zuschauerquote von 1,5 Mio. im Jahr 1999 auf 2,5 Mio. im Jahr 2000 steigern können (Mohr, 2000). Aber auch kirchliche Institute haben sich längst für die Live-Berichterstattung entschieden: Seit 1953 werden im ZDF abwechselnd katholisch-evangelische Gottesdienste live übertragen. Auch die ARD sendet live aus Kirchen zu Hoch-festen und besonderen Anlässen (Gilles, 2000).
In den USA werden z.B. Polizeiverfolgungen live übertragen, um die Einschaltquoten nach oben zu treiben. Die Zuschauer sind sogar bereit, 5 Dollar monatlich zu zahlen, um bei jeder Verfolgungsjagd eine SMS zu erhalten und somit nichts von der Live-Unterhaltung zu ver-passen (Caldwell, 2000; Didier, 2003).
Auch die Daten der GfK-Fernsehzuschauerforschung zur WM-Übertragung 2002 belegen: Trotzt der ungünstigen Sendezeit am Vormittag und frühen Nachmittag gaben die meisten Zuschauer der Live-Berichterstattung den Vorzug. Im Verlauf der vier Wochen erreichten Live-Übertragungen im ZDF und von der ARD durchschnittlich 9,24 Millionen Zuschauer, die abendliche "ran-WM-Fieber" Sendung von SAT.1 jedoch nur 2,74 Millionen Zuschauer (Zubayr, C. & Gerhard, H., 2002).
Es ist also kein Geheimnis, dass die meisten Menschen Live-Übertragungen bevorzugen. Aber was sind die Gründe für diese Live-Präferenz?
Inhaltsverzeichnis
- Problemstellung
- Warum uns live gefällt
- Empirische Überprüfung ausgewählter Erklärungsansätze
- Der Ansatz geteilter Erfahrungen
- Der Ungeduld-Ansatz
- Der Unbestimmtheitsansatz
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Seminararbeit befasst sich mit dem Phänomen der Live-Präferenz bei Fernsehsendungen. Es wird untersucht, warum Zuschauer Live-Übertragungen im Vergleich zu Aufzeichnungen bevorzugen.
- Analyse der Gründe für die Live-Präferenz
- Untersuchung verschiedener Erklärungsansätze, wie z.B. dem Ansatz geteilter Erfahrungen, dem Ungeduld-Ansatz und dem Unbestimmtheitsansatz
- Empirische Überprüfung ausgewählter Erklärungsansätze durch die Analyse von Studien
- Bedeutung des Live-Erlebnisses im Kontext von sozialer Interaktion und Gruppendynamik
- Zusammenhang zwischen Live-Übertragungen und dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Bestätigung
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die Problemstellung, indem es verschiedene Beispiele für die Vorliebe von Zuschauern für Live-Übertragungen aufzeigt. Es wird auf die hohe Popularität von Live-Übertragungen in verschiedenen Bereichen wie Politik, Sport und Religion hingewiesen.
Das zweite Kapitel erörtert verschiedene Erklärungen für die Präferenz von Live-Sendungen. Es werden die „live-spezifischen“ Funktionen von Live-Übertragungen wie Zeigende Funktion, Zeitliche Funktion und Emotionale Funktion erläutert. Zusätzlich werden die Bedeutung des Bedürfnisses nach geteilten Erfahrungen, der Einfluss der Illusion of Control sowie der Ansatz der psychologischen Nähe als mögliche Erklärungsansätze diskutiert.
Im dritten Kapitel werden ausgewählte Erklärungsansätze, wie der Ansatz geteilter Erfahrungen, der Ungeduld-Ansatz und der Unbestimmtheitsansatz, anhand empirischer Studien detailliert betrachtet.
Schlüsselwörter
Live-Übertragungen, Fernsehsendungen, Live-Präferenz, geteilte Erfahrungen, Ungeduld, Unbestimmtheit, Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Illusion of Control, Psychologische Nähe, Empirische Studien, Hedonistisches Erlebnis, Gruppenzugehörigkeit
- Citation du texte
- Maryna Mogylna (Auteur), 2007, Live is Live - warum uns Live-Übertragungen mehr Spaß machen als Aufzeichnungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82754