In der vorliegenden Arbeit wird das Führungsverhalten von Führungskräften in Unternehmen in Indien und Deutschland untersucht und verglichen. Bei der Untersuchung wird davon ausgegangen, dass die Führung von Menschen eine wechselseitige Beeinflussung ist – sowohl der Führende als auch der Geführte beeinflussen ihr Verhalten gegenseitig. Die Einflussfaktoren, die auf beide Personen einwirken, sind eingebettet in und geprägt durch ihre Kultur.
Die Motivation der Verfasserin zu dieser Arbeit liegt darin, kulturspezifische Phänomene im Führungsverhalten herauszuarbeiten, sie miteinander zu vergleichen und möglicherweise bestimmte Tendenzen und Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zu entdecken.
In Kapitel 2 wird zunächst eine kurze theoretische und begriffliche Einführung gegeben, sowie die Grundlagen der kulturvergleichenden Managementforschung beschrieben.
Die Forschungsergebnisse der Interkulturalisten, die als grober Orientierungsrahmen gesehen werden sollen, werden in Kapitel 3 vorgestellt.
Als grundlegende Information und zum besseren Verständnis bestimmter kultureller Charakterzüge dient Kapitel 4. Hier wird eine kurze Zusammenfassung die politische und wirtschaftliche Entwicklung der beiden Länder behandeln und in einem Überblick die gewerkschaftlichen Organisationen dargestellt. Außerdem werden die wirtschaftlichen Stärken und Schwächen der Länder aufgezeigt.
Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt auf Kapitel 5, in welchem die kulturellen Unterschiede von Deutschland und Indien dargestellt werden. Sie gelten als wesentliche Grundlage für das Verständnis der Auswirkungen kultureller Aspekte auf das Führungsverhalten. Um nicht den Rahmen der Arbeit zu sprengen, beschränkt sich die Darstellung auf die kulturellen Aspekte, die einen möglichen Einfluss auf das Führungsverhalten des betroffenen Personenkreises haben. Sie soll aber auch die Ausführlichkeit besitzen, dem Leser ein grundlegendes Verständnis für die beiden Länder zu geben.
In der Schlussfolgerung, Kapitel 6, werden abschließend noch einmal die auffälligsten Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Personalführung in Indien und Deutschland zusammengefasst, die vorher herausgearbeitet wurden.
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Voraussetzungen
2.1 Theoretische und begriffliche Definition
2.2 Grundlagen zur kulturvergleichenden Managementforschung
3. Kulturvergleichende Studien
3.1 Die Studien von Hall und Hofstede
3.2 Kritik an den Arbeiten der Interkulturalisten
4. Wirtschaftliche Lage Indiens und Deutschlands
4.1 Indien
4.1.1 Die politische und wirtschaftliche Entwicklung
4.1.2 Die Stärken und Schwächen der indischen Wirtschaft
4.2 Deutschland
4.2.1 Die politische und wirtschaftliche Entwicklung
4.2.2 Die Stärken und Schwächen der deutschen Wirtschaft
5. Kulturelle Unterschiede zwischen Indien und Deutschland
5.1 Soziale Beziehungen
5.1.1 Familie
5.1.2 Kaste
5.1.3 Freundschaften
5.2 Einstellung zur Arbeit und Zeit
5.2.1 Religiöser Hintergrund
5.2.2 Arbeitsmoral
5.2.3 Zeitverständnis
5.3 Hierarchie
5.3.1 Umgang mit Macht und Hierarchie
5.4 Management
5.4.1 Führungsverhalten
5.4.2 Kommunikation in Unternehmen
5.4.3 Entscheidungsfindung
5.3.4 Teamarbeit
5.4.5 Personalmotivation
6. Schlussfolgerung
7. Ausblick und Schlusswort
8. Literaturverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tabelle I: Machtdistanz-Index
Tabelle II: Individualismus-Index
Tabelle III: Unsicherheitsvermeidungsindex
Tabelle IV: Maskulinitätsindex
Tabelle V: Monochrone und polychrone Zeitauffassung
Tabelle VI: Kennzeichen des abendländischen und asiatischen Menschenbildes
Tabelle VII: Charakterisierung von geringer und großer Machtdistanz
Tabelle VIII: Merkmale des europäischen und asiatischen Kommunikationsstils
1. Einleitung
In der vorliegenden Arbeit wird das Führungsverhalten von Führungskräften in Unternehmen in Indien und Deutschland untersucht und verglichen. Bei der Untersuchung wird davon ausgegangen, dass die Führung von Menschen eine wechselseitige Beeinflussung ist – sowohl der Führende[1] als auch der Geführte beeinflussen ihr Verhalten gegenseitig. Die Einflussfaktoren, die auf beide Personen einwirken, sind eingebettet in und geprägt durch ihre Kultur.
Die Motivation der Verfasserin zu dieser Arbeit liegt darin, kulturspezifische Phänomene im Führungsverhalten herauszuarbeiten, sie miteinander zu vergleichen und möglicherweise bestimmte Tendenzen und Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zu entdecken.
In Kapitel 2 wird zunächst eine kurze theoretische und begriffliche Einführung gegeben, sowie die Grundlagen der kulturvergleichenden Managementforschung beschrieben.
Die Forschungsergebnisse der Interkulturalisten, die als grober Orientierungsrahmen gesehen werden sollen, werden in Kapitel 3 vorgestellt.
Als grundlegende Information und zum besseren Verständnis bestimmter kultureller Charakterzüge dient Kapitel 4. Hier wird eine kurze Zusammenfassung die politische und wirtschaftliche Entwicklung der beiden Länder behandeln und in einem Überblick die gewerkschaftlichen Organisationen dargestellt. Außerdem werden die wirtschaftlichen Stärken und Schwächen der Länder aufgezeigt.
Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt auf Kapitel 5, in welchem die kulturellen Unterschiede von Deutschland und Indien dargestellt werden. Sie gelten als wesentliche Grundlage für das Verständnis der Auswirkungen kultureller Aspekte auf das Führungsverhalten. Um nicht den Rahmen der Arbeit zu sprengen, beschränkt sich die Darstellung auf die kulturellen Aspekte, die einen möglichen Einfluss auf das Führungsverhalten des betroffenen Personenkreises haben. Sie soll aber auch die Ausführlichkeit besitzen, dem Leser ein grundlegendes Verständnis für die beiden Länder zu geben.
In der Schlussfolgerung, Kapitel 6, werden abschließend noch einmal die auffälligsten Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Personalführung in Indien und Deutschland zusammengefasst, die vorher herausgearbeitet wurden.
In dieser Arbeit werden bestimmte Tendenzen und Gemeinsamkeiten von Menschen aus zwei Ländern herausgestellt und untersucht. Um dies modellhaft darstellen zu können, wird im Folgenden von ‚den Indern/ dem Inder’ und ‚den Deutschen/ dem Deutschen’ geschrieben. Dies dient ausschließlich der Vereinfachung für die Erläuterungen und soll nicht als Pauschalisierung verstanden werden.
Die Grundlage der Arbeit bietet wissenschaftliches Material aus verschiedenen Disziplinen: der Interkulturellen Kommunikation (z.B. Hofstede, Hall, Moosmüller, Schugk), Psychologie (z.B. Kakar[2], Sinha[3], Roland), Betriebswirtschaft (z.B. Hungenberg und Wulf, Schugk), Soziologie (z.B. Kern), sowie Ethnologie und Kulturwissenschaften (z.B. Schlamelcher, Engler, Kreuser, Rieger).[4]
2. Voraussetzungen
2.1 Theoretische und begriffliche Definition
Der Begriff der Führung wird in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur in zweierlei Hinsicht verwendet:
- Führung im Sinne der Unternehmensführung: hierunter fallen alle Aufgaben und Handlungen, welche die Gesamtführung des Unternehmens erfordern, bzw. sämtliche Managementaufgaben, wie die Planung, Steuerung und Kontrolle zur zielgerichteten Gestaltung und Lenkung eines Unternehmens.[5]
- Personalführung, bzw. Personalmanagement: sie ist ein Teilprozess der Unternehmensführung und wird in der Regel als Führung im engsten Sinn bezeichnet. Personalführung bezieht sich ausschließlich auf die Mitarbeiter innerhalb eines Unternehmens. Sie ist die „zielorientierte Verhaltensbeeinflussung der Mitarbeiter durch Vorgesetzte.“[6]
Die Aufgaben der Führungskraft, bzw. des Managers in der Personalführung sind:
- Kommunikation: sie ist eine wichtige Vorraussetzung für gemeinsames Handeln, da die Mitarbeiter die Unternehmensziele nur verfolgen können, wenn sie sie auch kennen
- Motivation: sie gewährt eine effiziente und effektive Aufgabenumsetzung und Leistungssteigerung der Mitarbeiter
- Koordination und Kontrolle von Aufgaben
- Zielvorgabe und –kontrolle
- Entscheidungen
Das Führungsverhalten wird beeinflusst durch den kulturellen Rahmen, die Organisationsstrukturen des Unternehmens, die Grundeinstellung, den Charakter und die Persönlichkeit der beteiligten Personen, sowie deren Ausbildung und Fähigkeiten, und nicht zuletzt vom Führungsstil des Vorgesetzten.[7]
Es ist daher nicht leicht einen ‚typisch’ indischen oder deutschen Führungsstil darzustellen oder verallgemeinern zu wollen. Jedoch lassen sich kulturspezifische Grundeigenschaften und Handlungsweisen bei der Betrachtung des Führungsverhaltens feststellen, die auf die nationale Herkunft zurückgeführt werden können. Bestimmte Verhaltensweisen sind in manchen Ländern erwünscht und effektiv, in anderen unwirksam, da jede Gesellschaft bestimmte Vorstellungen von einem angemessenen Verhaltens- und Führungsstil hat.[8]
2.2 Grundlagen zur kulturvergleichenden Managementforschung
Die Bedeutung und der Einfluss der Kultur auf den Lebensstil werden in vielen wissenschaftlichen Disziplinen kontrovers diskutiert. Neben Ethnologen und Anthropologen setzen sich die Religionswissenschaften, Sozialwissenschaften und die Psychologie mit dieser Thematik auseinander. In der Betriebswirtschaftslehre vernachlässigte man dagegen lange Zeit die Bedeutung des kulturellen Hintergrundes.[9] Bis in die 50er und 60er Jahre hinein, ging man davon aus, dass Prozesse in einem Unternehmen, wie Führungsverhalten, Kommunikationsverhalten, Entscheidungsfindung und Motivationsstrukturen unabhängig von kulturellen Einflüssen sind. Insbesondere US-amerikanische Managementautoren vertraten diese These (und tun dies teils heute noch), da ihr Land damals als führende Industrienation galt. Sie beanspruchten für ihre Theorien, die ausschließlich im Kontext der US-amerikanischen Kultur entstanden sind, universelle Gültigkeit und Anwendbarkeit und waren überzeugt, dass weniger entwickelte Gesellschaften ihre Management- und Organisationsstrukturen im Zuge ihrer Entwicklung an die der USA anpassen würden.[10]
Im Laufe der 70er Jahre fing man langsam an, sich mit kulturellen Phänomenen im Führungsverhalten zu beschäftigen, dies waren die Anfänge der kulturvergleichenden Managementforschung. Insbesondere der große Erfolg japanischer Unternehmen gab Anstoß, die eigenen Managementmethoden zu überdenken. Auch multinationale Unternehmen mussten erkennen, dass die Führungsstrategien, die zwar erfolgreich in der Muttergesellschaft angewendet wurden, in den Tochtergesellschaften auf Kritik und Misserfolge stießen.[11]
Der Wertewandel und das Umdenken in den westlichen Gesellschaften bewirkten zudem, dass die Betriebswirtschaft sich nicht mehr nur mit den harten Faktoren, den objektiv fassbaren Dingen, auseinander setzte, sondern sich auch mit den kulturellen Gegebenheiten befasste, die wissenschaftlich nicht messbar und bestimmbar sind und häufig einen mehrdeutigen Charakter aufweisen.[12]
Aufgrund dieser Entwicklungen wich die bisherige Skepsis gegenüber der kulturvergleichenden Managementforschung und es wurde gefordert, sich intensiver mit dem Einfluss der Kultur auf das Führungsverhalten auseinanderzusetzen.[13] Einen zentralen Untersuchungsgegenstand der Managementforschung stellt die Frage dar, welcher Führungsstil unter bestimmten soziokulturellen Rahmenbedingungen der effizienteste ist.[14]
So hatte man sich in der Betriebswirtschaft Anfang der 90er Jahre zur Aufgabe gemacht, die diversen Kulturfelder in die Arbeit zu integrieren, wobei auf eine qualitativ-empirische Ausrichtung Wert gelegt wurde, um mit den kulturellen Einflüssen, vor allem bei internationalen Unternehmen, besser umgehen und arbeiten zu können.[15]
Die zahlreichen Managementtheorien der Wirtschaftswissenschaften lassen sich im Hinblick auf ihre Einbeziehung der Kultur folgendermaßen unterscheiden: die Theorien, die in der jahrzehntelangen Annahme, dass Managementprozesse frei seien von kulturellen Einflüssen, entwickelt wurden, zählen zu den ‚culture-free Thesen’. Die Theorien, die von den so genannten Kulturalisten entwickelt wurden, werden als ‚culture-bound Thesen’ bezeichnet.[16]
- Universelle Theorien (culture-free These) : die Universalisten sehen im Management ein kulturinvariantes Phänomen, das sich auf Grund der „Logik der Industrialisierung“[17] entwickelt hat und Management- und Organisationsprozesse frei von kulturellen Einflüssen sind. Führungsprinzipien lassen sich daher, nach Meinung der Universalisten, auf andere Kulturen übertragen, was die interkulturelle Managementforschung gegenstandslos macht.[18] Vertreter dieser Theorie sehen den eigenen Managementstil als einzig richtigen Weg und erheben dafür Universalitätsanspruch. Zu dieser Sichtweise zählen die traditionellen amerikanischen Managementstudien, die nur im Zusammenhang mit der US-amerikanischen Kultur entstanden sind, aber den Anspruch nach universeller Anwendbarkeit erheben.[19]
- Kontingenztheorie (culture-bound These) : die Kulturalisten betrachten Management als Funktion der Kultur und untersuchen die kulturellen Einflüsse auf das Führungsverhalten, da sie die verschiedenen Verhaltensmuster als Produkt der Kultur ansehen. Da wirtschaftliches Handeln immer kulturell geprägt und bestimmt wird, ist es laut der Kontingenztheorie nicht möglich, Führungstheorien, die für einen speziellen Kulturkreis entwickelt worden sind, ohne Weiteres auf andere Länder zu übertragen.[20]
Diese Theorie unterstützen zahlreiche multikulturelle Forschungen, zum Beispiel von Hofstede, Hall und Trompenaars.[21]
Grundsätzlich gilt, dass die Beziehung zwischen Kultur und deren Auswirkung auf das Management auf Plausibilitätsüberlegungen beruht, eindeutige Ursachen-Wirkungszuschreibungen können nicht getroffen werden. Dies bedeutet aber nicht, dass sich die Wirtschaft von kulturellen Fragen zurückziehen kann. Man hat mittlerweile erkannt, dass sich die so genannten technischen Aspekte der Unternehmensführung, wie Planung, Kostenrechnung und Controlling, tendenziell auf andere Kulturen übertragen lassen, da sie weitgehend frei sind von soziokulturellen Faktoren. Die mitarbeiter- und verhaltensbezogenen Bestandteile der Unternehmensführung, wie Führungsstil, Arbeitsverhalten und Motivation, sind dagegen in hohem Maße kulturabhängig.[22]
Neben der Interkulturellen Managementforschung befasst sich auch die Interkulturelle Kommunikation mit der Einflussnahme der Kultur auf die Management- und Organisationsstrukturen. Ihr zentrales Ziel ist es, „kulturbedingte Einstellungen, Sichtweisen, Handlungsweisen, Werte, Konventionen etc. sowie den Einfluss, den diese Aspekte auf die Kommunikation mit Angehörigen fremder Kultur haben, zu analysieren“[23].
Der Kulturanthropologe Edward Hall gilt als „Begründer der Interkulturellen Kommunikation“. Er entwickelte „in Zusammenarbeit mit Psychoanalytikern und Linguisten neue Methoden, die geeignet waren, ethnographisches Wissen praxisnah zu vermitteln“[24]. Die wohl bekannteste Studie der interkulturellen Forschung kommt von dem niederländischen Kulturforscher und Organisationsethnologen Geert Hofstede, er gilt als einer der prominentsten Experten für interkulturelle Unternehmensführung.[25]
Auf die Forschungsergebnisse von Hall und Hofstede wird in Kapitel 3 näher eingegangen.
Die Legitimation ihres Forschungsfeldes sehen die Interkulturelle Managementforschung und Interkulturelle Kommunikation in der Globalisierung.[26] Aus der zunehmenden Vernetzung der Welt und dem intensiveren Kontakt zu Menschen aus anderen Kulturen, insbesondere dadurch, dass die internationalen Wirtschaftsbeziehungen intensiviert werden, leiten die Interkulturalisten die Notwendigkeit ab, sich mit kulturellen Fragen auseinander zu setzen. Im Zuge der „Globalisierung der Wirtschaft“[27] verlagern immer mehr Unternehmen ihre Produktion in andere Länder. Nur durch diese Kostenvorteile und die direkte Präsenz vor Ort, gelingt es ihnen unter den verschärften Wettbewerbsbedingungen konkurrenzfähig zu bleiben und auf die Bedürfnisse des Marktes direkt zu reagieren. So haben gerade multinationale Unternehmen, die mit Organisationsstrukturen und Managementmethoden anderer Länder konfrontiert werden, Bedarf an der Interkulturellen Managementforschung und Kommunikation.[28]
Da die Interkulturelle Kommunikation sich als Tochterdisziplin aus der Ethnologie heraus entwickelt hat, sollen im Folgenden kurz die grundsätzlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Disziplinen dargestellt werden.[29]
- Interkulturalisten beschäftigen sich mit nationalen Kulturen, die sich von anderen Kulturen eindeutig abgrenzen und deren Reichweite größer ist als die der regionalen Kulturen, mit denen sich Ethnologen beschäftigen. Ethnologen vertreten die Meinung, dass Kulturen fließend sind und sich daher keine kulturellen Grenzen ziehen lassen.
- Interkulturalisten sehen Kultur als etwas Gegebenes und untersuchen daher das Wirken. Ethnologen hingegen fragen nach dem Werden, da sie Kultur als einen Prozess betrachten.
- Interkulturalisten sehen in der Kultur eine „reale, isolierbare Einheit, die sich wie bei Hofstede sogar messen lässt“[30], um mit den Ergebnissen allgemeine Standards und Regeln aufstellen zu können. Ethnologen sehen Kultur als „heuristisches Mittel“, aus deren System sie versuchen, die Abweichungen und Besonderheiten herauszuarbeiten.[31]
Die kulturellen Differenzen spielen also sowohl in der Interkulturellen Kommunikation als auch in der Ethnologie die Hauptrolle. Wobei die Ethnologie bezüglich dieser Unterschiede rein deskriptiv bleibt. Die Interkulturalisten dagegen greifen bewusst in den Prozess ein, um den Umgang zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen zu erleichtern.
Die Forschungsergebnisse der Interkulturellen Kommunikation, insbesondere die von Hofstede, sind in der Regel Grundlage für alle kulturvergleichenden Forschungen. Da sie einen groben Rahmen und eine erste Orientierung darüber geben, in welche Richtung eine Kultur tendiert, sollen sie auch in dieser Arbeit nicht fehlen.
3. Kulturvergleichende Studien
Die Vertreter der interkulturellen Forschung haben im Laufe ihrer Untersuchungen Dimensionen entwickelt, in die sie Kulturen einteilen.[32] Sie versuchen dabei die komplexen Strukturen einer Kultur aufzuschlüsseln, sie in Kategorien zu unterteilen, um sie so vergleichbar zu machen. Vor diesem Hintergrund lassen sich Aussagen darüber treffen, inwieweit sich die Eigenschaften einer Kultur auf verschiedene Bereiche, wie das Führungsverhalten oder die Kommunikationsstrukturen, auswirken und inwieweit diese den Strukturen anderer Länder gleichen oder sich unterscheiden.
Im Folgenden wird auf die kulturvergleichenden Studien von Hall und Hofstede näher eingegangen, sowie auf die kritischen Stimmen bezüglich der Forschungen.
3.1 Die Studien von Hall und Hofstede
Hall
Der Anthropologe Edward Hall zählt zu den Klassikern unter den Kulturforschern. Neben zahlreichen Publikationen, die er teilweise mit seiner Frau Mildred Hall zusammen schrieb, war er als Berater in interkulturellen Fragen für diverse Unternehmen und die amerikanische Regierung tätig.[33]
Edward und Mildred Hall vergleichen in ihrem Buch „Verborgene Signale“[34] Kultur mit einem großen Computer, in dem das menschliche Verhalten einprogrammiert ist und das von jedem Individuum erlernt wird, während es sich in die Gesellschaft einlebt.
Ihr Kulturverständnis ist eng verbunden mit dem Begriff der Kommunikation: „Kultur ist immer und vor allen Dingen ein System von Kommunikation“[35]. Für die Autoren ist die Kommunikation der gemeinsame Faden, der alle Kulturen durchzieht. Sie spielt eine wichtige Rolle, weil sie Informationen weitergibt und diese „kulturell programmierte Handlungen auslöst“[36]. Kommunikation besteht nach Hall und Hall aus drei Bereichen: der Sprache, die zu dem wichtigsten Kommunikationsinstrument zählt, dem materiellen Besitz, mit dem der gesellschaftliche Status und die Macht demonstriert werden, und das Verhalten, das uns dabei hilft, Gefühle zu übermitteln.[37] Anhand der Art, wie Menschen Informationen miteinander austauschen, lassen sich verschiedene Kulturmerkmale feststellen.
Der bedeutendste Unterschied liegt in der Kontextorientierung, die eine Gesellschaft entweder in die so genannte „low-context“ oder „high-context“ Kultur einteilt.[38] Diese unterscheidet darin, ob Botschaften ein hohes Maß an Informationen enthalten müssen, um deren Sinn übermitteln zu können, oder das Informationsnetz so dicht ist und die Menschen so viel Hintergrundwissen miteinander teilen, dass nur ein geringer Teil an Informationen ausdrücklich ausgetauscht werden muß.[39]
Hall und Hall zählen außerdem das Zeitverständnis zu einem wichtigen Kulturmerkmal. Sie unterteilen Kulturen in solche mit monochroner und polychroner Zeitauffassung. In Kulturen mit monochroner Zeitauffassung wird Zeit linear betrachtet, was sich beispielsweise darin widerspiegelt, dass Aktivitäten nacheinander geplant und abgearbeitet werden. Es besteht ein fester Zeitplan, der dazu dient die Zeit möglichst effizient auszunutzen.[40] In Kulturen mit flexibler Zeitplanung, so genannte polychrone Kulturen, spielt die Zeit hingegen eine untergeordnete Rolle. Charakteristisch dafür ist, dass häufig mehrere Aktivitäten zeitgleich erledigt werden und Verabredungen nicht auf die Minute genau eingehalten werden. Dies kann für Menschen aus monochronen Kulturen als beleidigend empfunden werden, da es ihre Höflichkeit gebietet, Termine pünktlich einzuhalten.[41]
Auf zwischenmenschlicher Ebene äußert sich die monochrone Kultur darin, dass die Menschen, um Vertrauen aufzubauen, wichtige Informationen offen legen. Ihre Beziehungen sind meist kurzlebig und sie haben große Achtung vor der Intimsphäre des anderen. Menschen aus polychronen Kulturen hingegen ist ein gutes Verhältnis zu ihrem Kommunikationspartner sehr wichtig, sie gehen in der zwischenmenschlichen Beziehung auf, die meist lebenslang hält.[42]
Häufig fallen die Eigenschaften des low-context mit denen der monochronen Zeitauffassung und die der high-context mit denen der polychronen Zeitauffassung zusammen. Hall zählt Deutschland eher zu den monochronen, low-context Kulturen und Indien zu den polychronen, high-context Kulturen.[43]
Hofstede
Hofstede bezeichnet Kultur als „mentale Software“[44]. Sie wird seit der frühen Kindheit durch „innere Muster des Denkens, Fühlens und potentiellen Handelns“[45] und durch unser soziales Umfeld geprägt. Kultur gilt für Hofstede daher als ein kollektives Phänomen, es wird von Menschen geteilt, die in der gleichen Gesellschaft aufwachsen und leben. Die mentale Software dient dazu, sich von anderen Menschengruppen zu unterscheiden.[46] Dieses Verständnis von Kultur war der Ausgangspunkt seiner Studie, deren Ergebnisse er 1980, nach elfjähriger Forschungsarbeit, erstmals veröffentlichte. Es wurden dafür 116.000 Mitarbeiter aus 50 Ländern mit Fragebögen in 20 verschiedenen Sprachen interviewt. Die Befragten waren alle Mitarbeiter des multinationalen Konzerns IBM, sie waren aufgeteilt in 72 Tochtergesellschaften und arbeiteten in 38 verschiedenen Berufen.[47] Aus den Ergebnissen der Befragung entwickelte Hofstede ein Indexsystem, das vier kulturelle Dimensionen[48] definiert und ordnete diesen Punkte auf einer Skala von 0 bis 100 zu. Hofstede wollte die kulturellen Werte mit dem Ziel analysieren, Kulturdimensionen herauszuarbeiten, mit denen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ländern darstellen lassen.[49]
Eine Dimension spiegelt eine Reihe von Phänomenen wider, die in einer Gesellschaft in Kombination auftreten. Hofstede definiert sie als einen „Aspekt einer Kultur, der sich im Verhältnis zu anderen Kulturen messen lässt“[50].
Folgende Dimensionen definiert Hofstede:
- Machtdistanz: misst das Ausmaß der gesellschaftlichen Akzeptanz für soziale Ungleichheit und hierarchische Machtverhältnisse und drückt die emotionale Distanz aus, die zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem herrscht.
Hofstede fand heraus, dass in Unternehmen, die sich in Gesellschaften mit geringer Machtdistanz befinden, wenige Hierarchieebenen vorhanden sind.
Die emotionale Distanz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist gering und der Vorgesetzte ist für seine Mitarbeiter jederzeit ansprechbar.
In Gesellschaften mit geringer Machtdistanz wird bei der Entscheidungsfindung der „konsultativer Stil“[51] bevorzugt, das heißt, der Vorgesetzte zieht seine Mitarbeiter zu Rate, bevor er eine Entscheidung trifft und diese trauen sich ihrem Chef zu widersprechen.
Vorgesetzte und Mitarbeiter betrachten sich als von Natur aus gleichberechtigt, die unterschiedlichen Hierarchieebenen in Organisationen bedeuten ungleiche Rollenverteilung aus praktischen Überlegungen.[52]
Hofstede setzt die Machtdistanzwerte eines Landes in Verbindung mit dem sozialen Umfeld, in dem die Mitglieder dieser Gesellschaft aufwachsen.
So werden die Kinder in Ländern mit geringer Machtdistanz zu einem selbstständigen Leben erzogen. Sie werden ermutigt, sich ihre eigene Meinung zu bilden und Eigeninitiative zu zeigen. Unabhängigkeit gilt als sehr wichtig. Dies lernen die Kinder nicht nur in Bezug auf ihre Eltern, sondern auch auf ihre Lehrer. Als Erwachsene haben Kinder zu ihren Eltern ein freundschaftliches Verhältnis.[53]
Laut Hofstede bevorzugen Mitarbeiter in Ländern mit großer Machtdistanz einen autokratischen und patriarchalischen Führungsstil. Der Mitarbeiter steht in Abhängigkeit zu seinem Vorgesetzten. Er wünscht sich einen Vorgesetzten, der sich als „wohlwollenen Autokrat“ oder „guter Vater“[54] charakterisieren lässt.
Status und Autorität spielen in diesen Gesellschaften eine große Rolle, sie dienen dazu, die sozialen Strukturen zu wahren.[55]
In Ländern mit großer Machtdistanz betrachten die Menschen die Hierarchiedifferenzen als naturgegeben.
Von den Kindern wird erwartet, dass sie ihren Eltern gehorchen und ihnen Respekt erweisen. Dafür bekommen sie von ihren Angehörigen Wärme und Geborgenheit. Die Kinder werden sowohl von den Eltern, als auch später von Lehrern und Vorgesetzten bevormundet. Die Älteren haben das Sagen und das, was sie sagen, gilt als Wahrheit. Auch wenn die Jüngeren schon ein selbstständiges Leben führen, wird von ihnen erwartet, dass sie die Meinung der Älteren respektieren und ihnen nicht widersprechen. Hofstede sieht darin das Abhängigkeitsgefühl von Mitarbeitern und Vorgesetzten begründet - so ist der Mitarbeiter seinem Vorgesetzten treu ergeben und dieser gibt ihm dafür Schutz und einen sicheren Arbeitsplatz.[56]
Im Machtdistanz-Index steht Indien mit 77 Punkten an 17/ 18 Stelle und Deutschland mit 35 Punkten an 63/ 65 Stelle.
Das heißt, die Machtdistanz ist in Indien erheblich größer als in Deutschland.[57]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle I: Machtdistanz-Index[58]
- Kollektivismus/Individualismus: diese Dimension unterscheidet kollektivistische von individualistischen Kulturen.
In kollektivistischen Gesellschaften steht das Wohl der Familie und/ oder Gruppe im Vordergrund, wofür auch persönliche Einschränkungen akzeptiert werden. In individualistisch geprägten Ländern ist das Erreichen der persönlichen Ziele von großer Bedeutung.[59]
Am Arbeitsplatz spiegeln sich diese Komponenten in sofern wider, als dass in kollektivistischen Länder vorzugsweise Verwandte der Unternehmensführung in das Unternehmen eingestellt werden. Bei individualistisch geprägten Gesellschaften ist ein solches Verhalten, laut Hofstede, unerwünscht und wird häufig als Vetternwirtschaft abgetan. Für sie ist es erstrebenswert, seine eigenen Interessen zu verfolgen und seinen eigenen Weg zu gehen.
Hofstede hat in seinen Untersuchungen herausgefunden, dass ein Zusammenhang zwischen der Machtdistanz und dem Kollektivismus besteht: Länder mit einem hohen Wert im Machtdistanzindex haben auch einen hohen Wert im Kollektivismusindex.
Er begründet diese Tatsache damit, dass in kollektivistischen Ländern, in denen die Menschen sich zu „Wir-Gruppen“[60] zugehörig fühlen, auch eine Abhängigkeit von ihrem Vorgesetzten empfinden. So spiegeln sich die patriarchalischen Strukturen einer Großfamilie in Ländern mit großer Machtdistanz in den Unternehmen wider und die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ähnelt einer familiären Beziehung, in der beide Seiten Verpflichtungen zu erfüllen haben- vom Arbeitgeber wird Schutz und Sicherheit des Arbeitsplatzes erwartet, vom Arbeitnehmer Leistung und Loyalität.[61]
Im Individualismus-Index nimmt Deutschland Platz 18 ein, mit 67 Punkten und Indien Platz 31 mit 48 Punkten, was bedeutet, dass Deutschland individualistischer ist als Indien. Indien ist jedoch im Vergleich zu den anderen asiatischen Ländern, die weitaus kollektivistischere Werte aufweisen, Außenseiter.[62]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle II: Individualismus-Index[63]
- Unsicherheitsvermeidung: die dritte Dimension zielt auf die kulturellen Unterschiede im Bedürfnis nach Strukturen und Regeln.[64]
In einigen Ländern empfinden die Menschen es als hinderlich, klare Regeln, Vorschriften und Gesetze beachten zu müssen. Für sie gilt ein Minimum an Regeln als ideale Voraussetzung für die Entstehung von Kreativität. Diese Länder gelten als flexibel und risikofreudig und weisen eine geringe Unsicherheitsvermeidung auf.
Länder, mit einer hohen Unsicherheitsvermeidung, empfinden hingegen Unstrukturiertheit als kontraproduktiv und bevorzugen Ordnung, klare Strukturen und Verhaltensvorschriften, die den Alltag bis ins Detail regeln und Ungewissheiten vermeiden.[65]
Am Arbeitsplatz spiegelt sich die Unsicherheitsvermeidung darin wider, dass Angestellte in Ländern mit einem höhern Wert bemüht sind, lange für ein Unternehmen tätig zu sein, sie sind gerne beschäftigt und beklagen sich in der Regel nicht über zuviel Arbeit. Man vertraut auf Fachwissen und findet daher viele Spezialisten in den Unternehmen.
Im Gegensatz dazu vertrauen die Kollegen aus Ländern mit einem niedrigen Unsicherheitsvermeidungswert eher auf einen gesunden Menschenverstand. Sie sind ebenfalls in der Lage hart zu arbeiten, tun dies aber nur, wenn es erforderlich ist, sie werden nicht von einem inneren Drang dazu geleitet.[66]
In der Indextabelle für die Unsicherheitsvermeidung nimmt Deutschland mit 65 Punkten Platz 43 ein und Indien mit 40 Punkten Platz 64. Deutsche haben daher ein großes Interesse, Unsicherheiten zu vermeiden, Inder hingegen ein recht geringes.[67]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle III: Unsicherheitsvermeidungsindex[68]
- Maskulinität/ Femininität: die vierte Dimension unterteilt die Länder in feminin und maskulin.
Unter maskulin geprägten Ländern versteht man diejenigen, die harte Attribute, wie Durchsetzungskraft und Autorität, zu den wichtigen Eigenschaften einer Unternehmungsführung zählen. Auf Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau wird in maskulinen Ländern weniger Wert gelegt. Konflikte werden in maskulinen Ländern offen geführt, sie werden nicht selten in Machtkämpfen ausgetragen. Mitarbeiter eines Unternehmens werden nach Leistung und Ergebnissen bezahlt. Schon in der Erziehung werden den Kindern Wettbewerb und Ehrgeiz beigebracht, man erwartet beruflichen Fleiß von ihnen.
In femininen Ländern sind weiche, soziale und zwischenmenschliche Eigenschaften wichtig, die Führungskraft braucht Kommunikations- und Teamfähigkeit.
In Konfliktsituationen wird solange verhandelt bis ein Kompromiss gefunden wird. Die Mitarbeiter werden eher nach dem Prinzip der Gleichheit und entsprechend ihrer Bedürfnisse entlohnt. In der Erziehung ist es den Eltern wichtig, Werte wie Bescheidenheit und Solidarität zu vermitteln.[69]
Im Maskulinitätsindex belegt Deutschland mit 66 Punkten Platz 11/13 und Indien mit 56 Platz 28/29, Deutschland gilt in diesem Index als maskuliner als Indien.[70]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle IV: Maskulinitätsindex[71]
3.2 Kritik an den Arbeiten der Interkulturalisten
Der Hauptkritikpunkt an der Entwicklung der Kulturdimensionen ist das tendenziell universalistische Vorgehen der Interkulturalisten. Selbst wenn mehrere Dimensionen herangezogen werden[72], bleibt das Problem bestehen, dass man zahlreiche Eigenheiten einer Kultur übergeht, indem man versucht, sie in bestimmte Schemata zu pressen.
Auch aus der ethnologischen Sicht ist das kulturessentialistische Vorgehen der Interkulturalisten fragwürdig, da sie, wie bereits besprochen, Kulturen als fließende Variablen sehen, die sich nicht in klare Grenzen einteilen lassen.[73]
Schaut man sich die Tabelle der ‚Unsicherheitsvermeidung’ an, so ist ebenfalls fraglich, inwieweit sich die Anordnungen der Länder tatsächlich nachvollziehen lassen. So ist Deutschland zwischen Pakistan und Indien positioniert und Großbritannien hinter Indien. Alleine aus rein geographischer Nähe, würde man vermuten, dass Pakistan und Indien ähnlichere Werte haben, sowie Deutschland und Großbritannien.
Wie zuvor erwähnt, genießt Hofstede großes Ansehen im Feld der Interkulturellen Kommunikation. Es gibt aber auch zahlreiche kritische Stimmen zu seinen Thesen. Die Gesprächsforscherin Kotthoff sieht beispielsweise ein Problem in der Durchführung der Studie von Hofstede, da die Befragung der Studienteilnehmer methodische Mängel aufwirft. Aussagen über das eigene Verhalten stimmen oft nicht mit dem tatsächlichen Verhalten überein, dessen man sich meist gar nicht bewusst ist. Außerdem beeinflussen ideologische Vorgaben die Selbsteinschätzung und verhindern eine objektive Wahrnehmung und Widerspieglung der eigenen Handlungen.[74]
Hüsken wirft Hofstede vor, Kultur mit den Begriffen „mentale Programme“ und „Kulturstandards“[75] zu bezeichnen, um deren normative Kraft hervorzuheben. Außerdem sollen sie bewusst die Gegensätze zwischen „dem Eigenen und dem Fremden“[76] betonen, dem Hofstede das Versprechen entgegengesetzt, „den Schlüssel für erfolgreiches interkulturelles Handeln in der Hand zu halten“[77]. Durch die Darstellung von kulturellen Grundformen umgeht man die „komplizierte Analyse sozialer Prozesse, politischer Formationen und ökonomischer Entwicklungen“[78]. Nicht minder kritikwürdig ist nach Auffassung von Hüsken Hofstedes Anspruch auf „statistische Genauigkeit und unbedingte Repräsentativität“, obwohl es sich bei den Teilnehmern seiner Befragungen immer nur um eine bestimmte Schicht von Menschen handelt und zwar die Mitarbeiter eines multinationalen Unternehmens. Ähnlich wie Kotthoff beanstandet Hüsken die Vorgehensweise der Untersuchung. Er vermisst dabei die teilnehmende Beobachtung in der empirischen Forschung.[79]
Kutschker und Schmid empfehlen die Beschreibung der Länder in Dimensionen als erste Orientierung anzunehmen.[80] Immerhin gab es seit Hofstedes Untersuchung keine Studie in vergleichbarem Umfang und es ist, neben aller Kritik, zumindest eine grobe Einordnung und Gegenüberstellung der verschiedenen Länder möglich. Außerdem öffnete die Studie die Türen für interkulturelle Fragen im internationalen Management und sie stellte den Ausgangspunkt für zahlreiche weitere Fragestellungen dar und diente so als Grundlage für wissenschaftliche Tätigkeiten auf diesem Gebiet.[81]
In Kapitel 5 werden die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Indien vertieft und teilweise näher auf die Ergebnisse von Hofstede und Hall eingegangen und untersucht, inwieweit sie Übereinstimmungen finden. Zunächst wird jedoch ein Überblick über die wirtschaftliche Lage beider Länder gegeben.
4. Wirtschaftliche Lage Indiens und Deutschlands
Die wirtschaftliche und politische Darstellung der beiden Länder soll zum einen als grundlegende Information dienen und zum anderen ein Verständnis für das Wertesystem und das daraus resultierende Verhalten der Menschen geben.
4.1 Indien
Die britischen Einflüsse durch die 200 Jahre währende Kolonialzeit in Indien sind nach wie vor zu spüren. Durch die Zuordnung der Kasten zu bestimmten staatlichen Ämtern in der Kolonialregierung wurde das Hierarchiedenken in der Gesellschaft verstärkt und bekam eine gewisse Legitimation.[82] Die hierarchischen Ordnungsstrukturen sind nach wie vor essentiell für die Gesellschaft. Inwieweit sie sich auch auf das Arbeitsverhältnis auswirken, soll in der vorliegenden Arbeit geklärt werden.
In den letzten Jahrzehnten hat die indische Wirtschaft einen enormen Wandel vollzogen, vom ehemals staatlich dominierten System zu einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftordnung. Der Wandel und der damit verbundene Wirtschaftsaufstieg hat sich sowohl auf die privaten wie auch beruflichen Bereiche eines Inders ausgewirkt. Die wirtschaftliche und soziale Mobilität hat sich verstärkt und die „Erkenntnis, dass sich Einsatz und Leistung lohnen können“ und sich an der eigenen Situation etwas ändern lässt, ist gewachsen.[83]
Wie es zu einer solchen Umstrukturierung gekommen ist, soll die folgende Zusammenfassung über die politische und wirtschaftliche Entwicklung klären.
4.1.1 Die politische und wirtschaftliche Entwicklung
In vorkolonialer Zeit übte Indien besonders durch seine Kultur eine hohe Anziehungskraft aus. In dieser Periode beherrschte das Land Asien im geistigen und gesellschaftlichen Bereich. Ein gewisser Teil des Nationalstolzes lässt sich auf diese Zeit zurückführen. Der wirtschaftliche und soziale Entwicklungsstand der Vorkolonialzeit ist mit dem Europas vergleichbar, der Handel zwischen Indien und der europäischen Nation florierte.[84]
Spuren der britisch-indischen Vergangenheit sind unter anderem die Sprache. Da sich Hindi, die Sprache Nordindiens, als Nationalsprache nicht durchgesetzt hat, ist die Verbindungssprache zwischen dem Norden und dem Süden Englisch. Die überregionale Presse erscheint ebenfalls in Englisch.[85]
Auch die Regierungsform (parlamentarische Demokratie) und das Rechtssystem sind ein Erbe der britischen Kolonialzeit.
Als im August 1947 das Britische Empire die politische Macht auf die beiden Staaten Indien und Pakistan übertrug, konnte Indien im Vergleich zu vielen anderen ehemaligen Kolonialstaaten einen „effizienten Beamtenapparat, eine professionelle Armee, eine unabhängige Justiz und nicht zuletzt ein repräsentatives Regierungssystem, innerhalb dessen indische Politiker langjährige Erfahrungen hatten sammeln können“[86], übernehmen.
Die Wirtschaftsordnung in den Jahren zwischen der Unabhängigkeit 1947 und der Liberalisierung 1991 war größtenteils staatlich beherrscht.[87] Der Staat besetzte bestimmte Wirtschaftszweige und verweigerte der Privatwirtschaft den Zugang, die er durch ein aufwendiges Lizenzsystem versuchte zu kontrollieren. Um vor allem die Entwicklung der Wirtschaft zu fördern und um Arbeitsplätze zu schaffen, wurde ausländischen Waren der Zugang zum indischen Binnenmarkt durch Einfuhrverbote und Schutzzölle erschwert. Ausländische Investoren durften nur an Unternehmen partizipieren, die eine indische Mehrheitsbeteiligung hatten.[88]
Durch die Konzentration auf den nationalen Markt und die Abschottung vor der Außenwirtschaft sank sowohl das Wachstum im Land als auch Indiens Anteil am Welthandel.[89] Ende der 80er Jahre befand sich das Land durch steigende Staatsausgaben und wegfallende Steuereinnahmen in einer Wirtschafts- und Finanzkrise, die 1991 ihren Höhepunkt erreichte. Der Staat konnte seine internationale Zahlungsfähigkeit nur noch durch die Verpfändung seiner Goldreserven aufrechterhalten.[90]
Im Sommer 1991 begann unter Premierminister Narasimha Rao und seinem Finanzminister Manmohan Singh die Liberalisierung in Indien. In kurzer Zeit wurden die Wirtschaftsmodelle vollständig umstrukturiert. Reformziele waren eine offene, wenig reglementierte Marktwirtschaft durch Modernisierung, sowie die Steigerung der Effizienz und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der indischen Industrie.[91] Dies wollte die Regierung mit folgenden Strategien erreichen:
- Kürzungen der Staatsausgaben, um den durch die Wirtschaftskrisen gebeutelten Staatshaushalt zu sanieren.
- Abwertung der indischen Währung um 20 Prozent, um den Export anzutreiben.
- Absetzung der Einfuhrverbote und Abschaffung der Gesetze, die ausländische Investoren hinderten, in Indien zu investieren.
- Deregulierung der nationalen Wirtschaft und Verlagerung eines Großteils der Produktion auf Privatwirtschaft.[92]
Seit 2004 ist Manmohan Singh Premierminister, er hatte als Finanzminister unter der Regierung von Rao die Wirtschaftsreformen vorangetrieben. Seine Mitte-Links-Regierung setzt den Reformkurs fort. Insbesondere die Privatisierung der großen Staatsunternehmen, sowie Banken und Versicherungen stehen dabei im Fokus. Als weiteres Ziel sieht die Regierung die Reduzierung des Haushaltsdefizits, welches 2005 bei rund 4 Prozent des Bruttoinlandproduktes lag. Durch die hohe Zinsbelastung ist es der Regierung nur begrenzt möglich, Investitionen für die Sanierung der Infrastruktur bereitzustellen, sowie für den Gesundheits- und Bildungsbereich, um dadurch die Armut nachhaltig zu bekämpfen.[93]
[...]
[1] Die Begriffe ‚Führung’ ‚Führender’ und ‚Führer’ sind besonders in Deutschland mit Befehlsgewalt und nationalsozialistischer Gewaltherrschaft belegt, sie werden daher oft – so auch in dieser Arbeit - mit den englischen Begriffen ‚Management’ und ‚Manager’ ersetzt. Dillerup; Stoi 2006: 6
[2] An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei Herrn Wolff und Frau Juhas vom Stroemfeld Verlag bedanken. Sie haben mir das Manuskript der 2.Auflage von dem Buch „Kindheit und Gesellschaft in Indien“ zur Verfügung gestellt, noch bevor es Mitte April veröffentlicht wird. Die Angaben der Seitenzahlen können daher von der endgültigen Ausgabe abweichen. Ich bitte dies zu entschuldigen!
[3] Die indischen Arbeiten von Kakar und Sinha sind besonders wertvoll, da beide europäische Länder kennen und in ihren Werken bereits die Kulturen miteinander vergleichen. Kakar ist daneben mit einer deutschen Religionswissenschaftlerin verheiratet.
[4] Einige Autoren lassen sich zu mehreren Disziplinen zuordnen, aufgrund der Übersicht, habe ich darauf jedoch verzichtet.
[5] Dillerup; Stoi 2006: 7
[6] Dillerup; Stoi 2006: 541. Hierzu ist es wichtig, die Werte und Bedürfnisse der Mitarbeiter zu kennen und sich im Klaren zu sein über die Motivatoren und anderen Einflüsse auf deren Verhalten.
[7] Hungenberg; Wulf 2006: 339
[8] Loth 2001: 49
[9] Kutschker; Schmid 2006: 663
[10] Schlamelcher 2003: 34: „Vor zwanzig, ja noch vor zehn Jahren schien die Existenz einer Beziehung zwischen Management und nationaler Kultur relativ unbekannt, und sie mag sogar heute nicht für jedermann offensichtlich sein.“
[11] Kumar 1988: 390
[12] Kutschker; Schmid 2006: 675
[13] Kumar 1988: 390
[14] Welge; Holtbrügge 2003: 200
[15] Kutschker; Schmid 2006: 675-677 ; Moosmüller 2000: 8
[16] Schlamelcher 2003: 33 – 34 ; Welge; Holtbrügge 2003: 35
[17] Kumar 1988: 389
[18] Nolte 2004: 12
[19] Schlamelcher 2003: 34
[20] Schlamelcher 2003: 33 - 34
[21] Nolte 2004: 13
[22] Welge; Holtbrügge 2003: 35
[23] Schugk 2004: 54
[24] Moosmüller 2007: 14
[25] Kutschker ; Schmid 2006: 710
[26] Schlamelcher 2003: 14
[27] Schlamelcher 2003: 15
[28] Schlamelcher 2003: 14 - 16
[29] Moosmüller 2007: 14
[30] Moosmüller 2007: 40
[31] Moosmüller 2007: 40
[32] Kutschker; Schmid 2006: 747
[33] Kutschker; Schmidt 2006: 702
[34] Originaltitel: „The Hidden Dimensions“
[35] Hall; Hall 1984: 19
[36] Hall; Hall 1984: 18
[37] Hall; Hall 1984: 19
[38] Die Begriffe „high-context“ und „low-context“ Kulturen werden mit „Dichte des Informationsnetzes“ bzw. „starker Kontext“ und „schwacher Kontext“ übersetzt. Im weiteren Verlauf werden die Originalbegriffe sowie die deutsche Übersetzung verwendet.
[39] Hall; Hall 1984: 36
[40] Schugk 2004: 146
[41] Schugk 2004: 147-149
[42] Schugk 2004: 149
[43] Kutschker; Schmid 2006: 703
[44] Hofstede 2006: 2
[45] Hofstede 2006: 2
[46] Hofstede 2006: 4: „Sie ist die kollektive Programmierung des Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet.“
[47] Schlamelcher 2003: 40
[48] Eine fünfte Dimension kam später hinzu, auf die hier aber nicht weiter eingegangen wird.
[49] Schugk 2004: 110
[50] Hofstede 2006: 30
[51] Hofstede 2006: 58
[52] Hofstede 2006: 74
[53] Hofstede 2006: 68-70
[54] Hofstede 2006: 73
[55] Hofstede 2006: 58-59
[56] Hofstede 2006: 65-67
[57] Hofstede 2006: 56
[58] Tabelle nach Machtdistanz-Indexwerte Tabelle von Hofstede 2006: 56
[59] Hofstede 2006: 99-114
[60] Hofstede 2006: 111
[61] Hofstede 2006: 133-135
[62] Hofstede 2006: 105: Indien ist mit der Position 31 das ‚individualistischste’ Land in Asien.
[63] Tabelle nach Individualismus-Indexwerte Tabelle von Hofstede 2006: 105
[64] Hofstede 2006: 30
[65] Hofstede 2006: 232-239
[66] Hofstede 2006: 252-258
[67] Hofstede 2006: 234
[68] Tabelle nach Unsicherheitsvermeidung-Indexwerte Tabelle von Hofstede 2006: 234
[69] Hofstede 2006: 196-200
[70] Hofstede 2006: 166
[71] Tabelle nach Maskulinitätsindexwerte von Hofstede 2006: 166
[72] Triandis, Professor für kulturvergleichende Psychologie, verwendet beispielsweise 20 Dimensionen um Kulturen miteinander zu vergleichen. Kutschker; Schmidt 2006: 747
[73] Moosmüller 2000: 8
[74] Kotthoff 2002: 12. Um beispielsweise die Machtsdistanz in einem Land zu erforschen, schlägt Kotthoff daher vor, die Dialoge zwischen Mitarbeiter und Vorgesetzten zu betrachten. Dabei würde sich zeigen, dass „Höherstehende mehr mit höflichen Abschwächungs- und Modalisierungsstrategien kritisiert werden als Gleichgesetzte“. In der Äußerung der Kritik lässt sich eine soziale Ordnung herausstellen. Dadurch wird vermieden, dass einem ganzen Land ein bestimmter Punktewert und damit ein bestimmter Platz auf der Skala des Machtdistanzindexes zugeschrieben wird. Kotthoff 2002: 13
[75] Hüsken 2003: 8
[76] Hüsken 2003: 14
[77] Hüsken 2003: 14
[78] Hüsken 2003: 14
[79] Hüsken 2003: 13
[80] Kutschker; Schmid 2006: 747
[81] Kutschker; Schmid 2006: 725
[82] Rieger 1999: 53 ; Chhokar ‚Leadership and Culture’. Stand Januar 2007
[83] Rieger 1999: 52
[84] Rieger 1999: 52, 55
[85] Betz 1997: 8
[86] Betz 1997: 9
[87] Rieger 1999: 51
[88] Betz 1997: 10
[89] Wikipedia ‚Wirtschaft Indiens’. Stand Dezember 2006: Da der Staat seine Investitionen auf die Landwirtschaft verlagern musste (aufgrund von Dürrejahren und daraus resultierenden Preissteigerungen) und mit einem teuren Modernisierungsprogramm auf schnelle und effiziente Erträge erhoffte, sanken die Investitionen in die Industrie. Das Wachstum sank daraufhin von 1966 bis 1974 von 6 Prozent auf unter 4 Prozent. Der Anteil am Welthandel sank von 2,4 Prozent auf weniger als 0,5 Prozent von 1950 bis Mitte der 80er Jahre.
[90] Rieger 1999: 51
[91] Wikipedia ‚Wirtschaft Indiens’. Stand Dezember 2006
[92] Betz 1997: 44
[93] Wikipedia ‚Wirtschaft Indiens’. Stand Dezember 2006
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