Die Anpassung des deutschen Entsendegesetzes (AEntG) an die europäische Entsenderichtlinie begegnet zahlreichen kollisionsrechtlichen und wirtschaftspolitischen Problemen und ist noch nicht abgeschlossen.
Nach der Bundestagswahl im Herbst 2005 und dem Antritt der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD unter Kanzlerin Angela Merkel erlebte die politische Großwetterlage insbesondere im Hinblick auf die Ausgestaltung der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik eine deutliche Veränderung mit Auswirkungen auf die Gestaltung des AEntG. Nach der letzten Änderung des Gesetzes im April 2005 wurde am 20.10.2006 von der Bundesregierung bereits ein neuer Gesetzentwurf vorgelegt.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den aktuellen Stand und die Probleme der Anpassung des AEntG an die Entsenderichtlinie aus wirtschaftspolitischer und juristischer Sicht darzustellen.
Die Seminararbeit ist in 6 Kapitel gegliedert. Im Lauf der Arbeit wird der Inhalt des AEntG in Zusammenhang mit den Reformvorschlägen der Ausweitung des Gesetzes auf weitere Wirtschaftsbranchen und der Vereinbarkeit seiner Vorschriften sowie den Reformvorschlägen mit dem primären und/oder sekundären Europarecht betrachtet und kritisch bewertet. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden in dem abschließenden Kapitel 6 zusammengefasst.
Diese Seminararbeit bezieht sich hauptsächlich auf die grundlegenden Aspekte des AEntG, die für die aktuelle wissenschaftliche Diskussion relevant sind. Dabei wird auf Fragen der Ermittlung des Mindestentgelts, der Ordnungswidrigkeiten und Sanktionen sowie der Klagemöglichkeit der Arbeitnehmer nicht eingegangen.
INHALTSVERZEIHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
ANLAGENLISTE
1. Problemstellung
2. Anwendungsbereich des AEntG
2.1. Persönlicher Geltungsbereich
2.2. Sachlicher Geltungsbereich
2.2.1. Ausweitung des AEntG: aktueller Reformstand
2.2.2. Stellungnahme
3. Tarifverträge als Mittel internationalen Normzwangs
3.1. Allgemeinverbindliche Tarifverträge
3.2. Kritische Überlegungen zum Vorschlag über die Ausweitung der Tarifverträge auf andere Wirtschaftsbranchen
3.3. Verordnungsermächtigung
3.4. Auswirkung der Ausweitung des AEntG auf die Verfassungsmäßigkeit des §1 Abs. 3a AEntG
4. International zwingende Arbeitsbedingungen
4.1. Mindestlöhne
4.1.1. Auslegung des Begriffs Mindestlohnsätze
4.1.2. Kritik am Konzept der Ausweitung der tariflichen Lohnbestimmungen auf weitere Branchen
4.2. Urlaubsvergütung und Urlaub
5. Flankierende Maßnahmen
5.1. Administrative Mitwirkungspflichten
5.1.1. Europarechtliche Bedenken
5.1.2. Rechtsprechung des EuGH: aktueller Stand
5.2. Urlaubskassenverfahren
5.2.1. Europarechtliche Bedenken
5.2.2. Rechtsprechung des EuGH: aktueller Stand
5.2.3. Stellungnahme
5.3. Bürgenhaftung Dritter
5.3.1. Inhalt des §1 a AEntG
5.3.2. Europa- und verfassungsrechtliche Bedenken
5.3.3. Kritik an der Bürgenhaftung des § 1a AEntG
6. Ausblick
ANLAGEN
LITERATURVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ANLAGENLISTE
Anlage 1. Tarifbindung
Anlage 2. Der Weg zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung
Anlage 3. Mindestlohniveau in Deutschalnd und in anderen EU-Ländern
1. Problemstellung
Aufgrund der Erweiterung der Europäischen Union und der zunehmenden Integration des europäischen Binnenmarktes hat die Arbeitnehmermobilität in Europa in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen. Immer mehr ausländische Arbeitnehmer sind in deutschen Unternehmen beschäftigt, umgekehrt werden viele deutsche Arbeitnehmer ins Ausland entsandt.[1]
Dieser Prozess hatte jedoch nicht nur die positiven Ergebnisse des intensiven Wettbewerbs zwischen Anbietern der EU-Länder, sondern auch negative Wirkungen schädlicher Verdrängungswettbewerbs durch Lohndumping (Sozialdumping) aufgewiesen. Die erheblichen Lohnunterschiede zwischen Mitgliedstaaten lagen hierbei zugrunde.
Die ausländischen Arbeitskräfte aus den Ländern mit niedrigem Lohn- und Schutzniveau[2] kamen in die Hochlohnländer[3] und arbeiteten zu ihren heimischen Arbeitsbedingungen und heimischen Niedriglöhnen. Daraus resultierten Wettbewerbsnachteile für die Arbeitnehmer aus Hochlohländern (Lohdumping) sowie sozialrechtliche Nachteile für die Arbeitnehmer aus Billiglohnländern. Diese waren insbesondere im lohnintensiven Baubereich spürbar.[4] Nach der Begründung des Regierungsentwurfs des AEntG hatte die Bundesanstalt für Arbeit Mitte 1994 rund 120000 Arbeitslose in Bauberufen registriert. Gleichwohl waren ca. 150000 Arbeitnehmer aus anderen EU-Mitgliedstaaten von ihren heimischen Arbeitgebern auf Baustellen in Deutschland eingesetzt.[5]
Dies war auch für die inländischen Bauunternehmen von Nachteil. So sind die den deutschen Bauunternehmer belastenden Arbeitskosten im Vergleich zum portugiesischen Bauunternehmer doppelt zu hoch, so dass die Arbeitskosten bei den Bauleistungen bis zu 80 % der gesamten Kosten ausmachen können. Damit ist der komparative Kostenvorteil des portugiesischen Bauunternehmers, der mit seinen heimischen Löhnen kalkulieren kann, offensichtlich großer.[6]
Die Antwort auf die Frage, warum ein Handlungsbedarf für ein Entsendegesetz entstand, liegt also nähe. Vor dem Erlass der Entsenderichtlinie und nachfolgend des Entsendegesetzes gab es in Europa und Deutschland keine rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung solcher negativer Entwicklungen.
Aufgrund der früher geltenden unbeschränkten gemeinschaftsrechtlichen Dienstleitungsfreiheit (Art. 59 =Art. 49 EGV) und des Herkunftslandsprinzips (Art. 30 II Nr.1 EGBGB) unterlag der in Deutschland beschäftigte ausländische Arbeitnehmer dem Recht seines Herkunftslandes.
Durch Schaffung der international zwingenden Eingriffsnormen des Art.34 EGBGB (lex fori) wurde die Durchsetzung von Mindestarbeitsbedingungen des Aufnahmelandes gegenüber entsandten Arbeitnehmern zugelassen.
Über diesen Weg ging sowohl die Europäische Entsenderichtlinie 96/71 vom 16.12.1996[7] als auch das deutsche Arbeitnehmerentsendegesetz vom 26.02.1996. Damit wurde der Dienstleistungsfreiheit der ausländischen Arbeitnehmer durch die zwingenden Arbeitsbedingungen des Aufnahmelandes zwecks Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer und Förderung eines grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs durch einen fairen Wettbewerb Grenze gesetzt.[8] Im Hintergrund stand jedoch das Motiv der Abschottung des nationalen Markts gegenüber den Arbeitnehmern aus Niedriglohnländern.[9]
Die Anpassung des deutschen Entsendegesetzes an die europäische Entsenderichtlinie begegnet zahlreichen kollisionsrechtlichen und wirtschaftspolitischen Problemen und ist noch nicht abgeschlossen.
Nach der Bundestagswahl im Herbst 2005 und dem Antritt der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD unter Kanzlerin Angela Merkel erlebte die politische Großwetterlage insbesondere im Hinblick auf die Ausgestaltung der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik eine deutliche Veränderung[10] mit Auswirkungen auf die Gestaltung des AEntG. Nach der letzten Änderung des Gesetzes im April 2005 wurde am 20.10.2006 von der Bundesregierung bereits ein neuer Gesetzentwurf vorgelegt.[11]
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den aktuellen Stand und die Probleme der Anpassung des AEntG an die Entsenderichtlinie aus wirtschaftspolitischer und juristischer Sicht darzustellen. Die Seminararbeit ist in 6 Kapitel gegliedert. Im Lauf der Arbeit wird der Inhalt des AEntG in Zusammenhang mit den Reformvorschlägen der Ausweitung des Gesetzes auf weitere Wirtschaftsbranchen und der Vereinbarkeit seiner Vorschriften sowie den Reformvorschlägen mit dem primären und/oder sekundären Europarecht betrachtet und kritisch bewertet. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden in dem abschließenden Kapitel 6 zusammengefasst.
Diese Seminararbeit bezieht sich hauptsächlich auf die grundlegenden Aspekte des AEntG, die für die aktuelle wissenschaftliche Diskussion relevant sind. Dabei wird auf Fragen der Ermittlung des Mindestentgelts, der Ordnungswidrigkeiten und Sanktionen sowie der Klagemöglichkeit der Arbeitnehmer nicht eingegangen.
2. Anwendungsbereich des AEntG
Das deutsche Arbeitnehmerentsendegesetz regelt in Deutschland die zwingenden Arbeitsbedingungen (Mindest-, Urlaubsentgelt, Urlaubsdauer, Überstundensätze usw.) bei länderübergreifenden Dienstleistungen im Baubereich, die in einem algemeinverbindlichen oder durch Rechtsverordnung dazu erklärten Tarifvertrag bestimmt werden müssen.[12] Die Gesetzesbegründung[13] verweist oft auf das Urteil Van der Elst des EuGH[14], wonach die Mitgliedstaaten die zwingenden Mindestvorschriften auf alle in ihrem Hoheitsgebiet tätigen Arbeitnehmer ausweiten können.[15]
Nach §§ 1 Satz 1, 7 Abs. 1 AEntG ist die Entsendung als “Beschäftigung eines Arbeitnehmers in Deutschland durch seinen im Ausland ansässigen Arbeitgeber“ definiert. Daraus folgt, dass AEntG grundsätzlich auf ein Arbeitsverhältnis zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinem in Inland beschäftigten Arbeitnehmer anzuwenden ist.[16]
Bei der Betrachtung des Anwendungsbereichs sind der persönliche und der sachliche Geltungsbereich zu unterscheiden.
2.1. Persönlicher Geltungsbereich
Der persönliche Anwendungsbereich erstreckt sich auf ausländische Arbeitgeber des Baugewerbes mit Sitz im Ausland und ihre in Deutschland bzw. im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages beschäftigten Arbeitnehmer. Von dem persönlichen Bereich des AEntG sind sowohl die in der EU als auch außerhalb der EU (Drittstaaten) ansässigen Unternehmen und ihre Arbeitnehmer erfasst.[17]
Die Anwendung des AEntG auf inländische Arbeitgeber war umstritten.[18] Schließlich wurden aufgrund des Gleichbehandlungsgebotes des Art. 3 Abs. 8 Satz 3 ERL von § 1 Abs. 1 Satz 3 AEntG im Hinblick auf den Normzwang von Tarifbestimmungen auch die inländischen Arbeitgeber zwecks Ausschlusses gemeinschaftswidriger Diskriminierungen (Art. 49 I EGV) erfasst.[19]
Das Gesetz setzt voraus, dass die Einbringung der Bauleistungen von im Ausland ansässigen Arbeitgebern überwiegend nach § 211 I SGB III zu erfolgen har (Überwiegensprinzip)[20], wobei es auf die Anzahl der Arbeitsplätze bzw. auf die Arbeitszeit ankommt. Im Streitfall ist dem Kläger zu beweisen, dass die Leistungen mehr als 50 % der gesamten Arbeitszeit der beschäftigten Arbeitnehmer in Anspruch nähmen. Wirtschaftliche Kriterien wie Umsatz, Verdienst, handels- oder gewerbliche Kriterien kommen nicht im Betracht.[21]
Zudem muss ein inländischer Arbeitgeber mit Sitz außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrages mindestens diese tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen dem Arbeitnehmer gewähren (Arbeitsortprinzip).[22]
Vom persönlichen Anwendungsbereich des AEntG ist die Entsendung von Beschäftigten deutscher Unternehmen ins Ausland nicht erfasst. Nicht erfasst von der ursprünglichen Fassung des AEntG wurden auch die entliehenen Arbeitnehmer. Zudem war die Arbeitnehmerüberlassung in Betrieben des Baugewerbes gemäß § 1 b AÜG verboten.[23] Diese Vorschrift erschwerte den ausländischen Arbeitgebern ohne Niederlassung in Deutschland die Erfüllung der Voraussetzung, den deutschen allgemeinverbindlichen Tarifverträgen zu unterliegen. Dies war mit Art. 49 EGV nicht vereinbar und wurde deshalb von EuGH[24] als gemeinschaftsrechtswidrige Diskriminierung erklärt. Die neue Fassung des § 1 b AÜG sieht erleichterte Voraussetzungen für die Arbeitnehmerüberlassung vor. Dementsprechend bestimmt die neue Fassung des § 1 Abs. 2a AEntG, dass den aus dem Ausland entliehenen Arbeitnehmern Mindestarbeitsbedingungen des Entleiherbetriebs eingeräumt werden müssen.[25]
Damit wurden aber nicht alle Probleme gelöst, da die Leiharbeiter für eine bestimmte Zeit in dem Annahmeunternehmen beschäftigt sind. Die Zeitbranche ist allerdings von dem AEntG nicht erfasst. Obwohl die entliehenen Arbeitnehmer nach dem seit 2003 geltenden Prinzip des ”equal pay”[26] in gleicher Weise wie die fest angestellten Arbeitnehmer gestellt werden müssen, gilt dieses Prinzip nicht, wenn für einen Leiharbeiter ein eigener Tarifvertrag mit anderen Arbeitsbedingungen erlassen wurde.
Zudem ist die Tarifpolitik in dieser Branche aufgrund der Tarifvertragskonkurrenz eher kritisch anzusehen. Während DGB-Tarifgemeinschaft und Bundesverband Zeitarbeit im Februar 2003 ein Stundengehalt von elf Euro für einfache Facharbeit festgelegt haben, vereinbarte eine christliche Gewerkschaftsbewegung parallele Tarifverträge mit einem viel niedrigen Stundenlohn-Niveau. Damit können die Leiharbeiter nicht vom Schutzkonzept des AEntG und Prinzip des Lohngleichheitsgebots profitieren, da sie oft für Hungerlöhne arbeiten müssen während die parallele Tarifverträge ein höheres Mindestlohnsniveau für die Leiharbeiter bieten. Ein Ausweg aus diesem Problem wäre künftige Ausweitung des AEntG auf die Zeitbranche, was wurde bereits im Schrifttum vorgeschlagen.[27]
2.2. Sachlicher Geltungsbereich
Ursprünglich war das AEntG auf Bau-, Montageleistungen, Baustellen[28] und Seeschifffahrtassistenz[29] anwendbar. 1998 wurde der sachliche Geltungsbereich mit der Einführung des § 7 AEntG auf Betriebe des Baugewerbes erweitert.
§ 1 Abs. 1 S. 1 AEntG stellt auch auf Betriebsabteilungen ab. Eine Betriebsabteilung ist ein organisatorisch abgesonderter Teil eines nicht baulichen Gesamtunternehmens, der außerhalb der stationären Betriebstätte, mit eigenen technischen Arbeitsmitteln und Personal einen eigenen Unternehmenszweck bzw. die Ausführung der baugewerblichen Arbeiten verfolgt.[30]
Die Zugehörigkeit eines deutschen oder ausländischen Betriebs sowie einer selbstständigen Betriebsabteilung zum Baugewerbe gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 AEntG setzt voraus, dass dort, bezogen auf die Gesamtarbeitszeit aller Arbeitnehmer im jeweiligen Kalenderjahr vornehmlich Bauleistungen im Sinne des § 211 I SGB III einzubringen sind. In Bezug auf Betriebsabteilungen kommt es nämlich auf in einer solchen Betriebsabteilung (nicht auf in dem gesamten Unternehmen) geleistete Arbeitszeit an.
Bauleistungen im Sinne des § 211 I SGB III sind die Herstellung, Instandsetzung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken, was der Aufzählung der Bauarbeiten im Anhang des Entsenderichtlinie 96/71 entspricht.[31]
2.2.1. Ausweitung des AEntG: aktueller Reformstand
Die Einbeziehung des Gebäudereinigerhandwerkes in den Anwendungsbereich des AEntG ist ein weiteres Thema, das bereits vor der letzten Änderung des Gesetzes im August 2006 im Zusammenhang mit dem Problem des Lohndumpings und der Ausweitung des AEntG auf andere Branchen heftig diskutiert wurde. Nach einer Pressemittlung der „Tagesschau“ sind rund 850.000 Beschäftigte des Gebäudereinigerhandwerks in Deutschland gegenüber ausländischer Billiglohnkonkurrenz nicht geschützt. Zwar stimmte das Bundeskabinett der Ausweitung des Geltungsbereichs auf Gebäudereiniger zu,[32] aber diese Vorschrift wurde nicht angenommen. Allerdings wurde bereits am 20.10.2006 ein neuer Gesetzentwurf von der Bundesregierung vorgelegt. Das Hauptziel dieses Gesetzentwurfes ist die Ausweitung des AEntG auf das Gebäudereinigungshandwerk zwecks Bekämpfung der Schwarzarbeit, sowie des Lohndumpings und die Schaffung des fairen Wettbewerbs.[33]
Eine solche Ausdehnung wird vor allem von Bündnis90/Grünen und SPD gefordert. Von Pothmer (Grünen) sowie von Arbeitsminister Müntefering (SPD) wurde sogar die Meinung geäußert, dass nicht nur die Gebäudereiniger, sondern auch alle anderen Branchen[34] in den Anwendungsbereich des Entsendegesetzes einbezogen werden sollen.[35] Allerdings wurde diesen Vorschlag im lauf der letzten Gesetzesänderungen abgelehnt.[36]
2.2.2. Stellungnahme
Die Öffnung des § 1 AEntG auf alle Wirtschaftszweige begegnet schwerwiegenden wirtschaftspolitischen und verfassungsrechtlichen Bedenken.
Eine solche Erstreckung des Entsendegesetzes auf weitere Wirtschaftszweige könnte ein empfindlicher Eingriff in die Markwirtschaft und in die Dienstleistungsfreiheit der ausländischen Arbeitnehmer darstellen.[37] Aus diesem Grund ist es in jedem konkreten Fall zu überprüfen, ob die Einbeziehung weiterer Branchen in das Entsendegesetz notwendig ist. So ist die Aufnahme des Gebäudereinigungshandwerks in das Entsendegesetz bis 31.12.2009 nach Empfehlung des Bundesrates zu befristen. Bis 31.12.2009 sollte überprüft werden, ob die Aufnahme des Gebäudereinigungshandwerks in das Entsendegesetz weiterhin erforderlich ist.[38]
3. Tarifverträge als Mittel internationalen Normzwangs
Die zwingenden Arbeitsbedingungen sind in einem allgemeinverbindlichen oder durch Rechtsordnung dazu erklärten Tarifvertrag zu bestimmen. Ein allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag ist somit als Zwangswerk im Sinne des Art. 34 EGBGB zu verstehen.[39]
3.1. Allgemeinverbindliche Tarifverträge
Tarifvertrag gemäß § 1 TVG ist ein schriftlicher Vertrag zur Regelung von arbeitsrechtlichen Rechten und Pflichten sowie zur Festsetzung von Rechtsnormen, abgeschlossen zwischen Arbeitgeber (Arbeitgeberverbände) einerseits und Gewerkschaften für Arbeitnehmer andererseits. Mithin hat der Tarifvertrag eine rechtliche Doppelnatur.[40]
Die Abschließung eines Tarifvertrages erfolgt durch eine dreistufige Regelung. Zuerst legen die Tarifparteien gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1, Satz 1 TVG Mindestarbeitsbedingungen fest und stellen einen Auftrag auf Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Zweites erklärt der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit gemäß dem Einvernehmen des Tarifausschusses diesen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich, was dem § 5 Abs. 1-3 TVG entspricht.
Eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung setzt voraus, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 % der unter den Anwendungsbereich fallenden Arbeitnehmer beschäftigt und ein öffentliches Interesse an der Allgemeinverbindlichkeitserklärung besteht.
Drittens ordnet § 1 Abs. 1 AEntG an, dass die Vorgaben des § 5 Abs.4 TVG für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge des Baugewerbes über Mindestlöhne und Urlaub auch auf das Arbeitsverhältnisse zwischen im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinem im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages beschäftigten Arbeitnehmer zwingend anzuwenden sind. Durch diese dreistufige Regelung musste „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ geschafft werden.
Für die Prüfung der Einhaltung dieser Vorschrift von den ausländischen Arbeitgebern ist gemäß § 2 AEntG die Bundesagentur für Arbeit und die Hauptzollämter zuständig.[41]
[...]
[1] Sellin, Teil 1, § 1, S. 27
[2] Portugal, Irland, Griechenland, Großbritannien, Osteuropa
[3] Deutschland, Luxemburg, Frankreich, Belgien usw.
[4] Schlachter, NZA 2002, 1243; Hickl, NZA 1997, 513, 514
[5] Begründung des RegE, BT-Dr. 13/2414, S. 7
[6] Junker, JZ 2005, 481
[7] Vgl. Erwägungsgrund 12 ERL 96/71
[8] Dietrich-Schlachter, § 1 AEntG, Rn. 1, 2; Hickl, NZA 1997, 513
[9] BT-Dr. 13/2414, S 7; dazu Kort, NZA 2002, 1251
[10] Bispinck, Tarifpolitik, WSI, S. 1
[11] BT-Dr. 16/3064
[12] Dietrich-Schlachter, § 1 AEntG, Rn. 8, 13
[13] BT-Dr. 13/2414, S. 6
[14] EuGH, 9.8.1994 – Rs. С-43/94, Slg. 1994, I-3818; dazu noch EuGH, 27.3.1990- Rs. C.-113/89, Slg. 1990, I-1417, Rn. 14
[15] Junker, JZ 2005, 486
[16] Sellin, Teil 2, § 2, S. 295
[17] EuGH, 0.9.1994 – Rs. C-43/94, Slg. 1994, I-3818, Rn. 26
[18] Vgl. dagegen: Hanau, NZA 1998, 1249-1250;dafür: SPD, die Grünen im GesetzE BT-Dr. 14/45; dazu noch Däubler-Lakies, § 1 AEntG, Rn. 66
[19] Sellin, Teil 2, § 2, S. 295
[20] Dietrich-Schlachter, § 1 AEntG, Rn. 5
[21] Henssler-Strick, § 1 AEntG, Rn. 5
[22] Dietrich-Schlachter, § 1 AEntG, Rn. 5
[23] BVerfG, 6.10.1987, 77/84 = NJW 1988, 1195
[24] EuGH, 25.10.2001 AP EG Art. 49 Nr.3; EuGH, 24.1.2002 AP EG Art. 49, Nr. 4;
Kort, NZA 2002, 1249
[25] Görres, Teil IV A, § 5, S. 138-139; Dietrich-Schlachter, § 1AEntG, Rn. 11
[26] Düwell, Kapitel 4, S. 73: Schlechterstellungsverbot, der in §§ 9 Nr. 2, 3 Abs.1 Nr.3, 10 Abs. 4 AÜG geregelt war.
[27] Böckler Impuls 20/2006, S. 4; Ausschussdrucksache 15 (9) 2011, S. 5, Vgl. Stellungnahme BDA zum GesetzE BT-Dr. 15/5445, S. 7-8
[28] Legaldefinition und Katalog: Baubetriebe-Verordnung vom 28.10.1980 (BGBl. I S. 2230)
[29] Dazu gehören Hafenschlepper in den Handelshäfen. Die Schiffsbesatzungen der Handelsmarine sind ausgeschlossen.
[30] Sellin, Teil 2, § 2, S. 295, 296; Dietrich-Schlachter, § 1 AEntG, Rn. 7; Henssler-Strick, §1 AEntG, Rn. 5
[31] Dietrich-Schlachter, § 1 AEntG, Rn. 7
[32] http://www.bundestag.de/aktuell/hib/2005/2005_176/02.html http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5840474,00.html
[33] BT-Drucksache 16/3064; BR-Drucksache 620/06
[34] Vgl. Däubler-Lakies, § 1 AEntG, Rn.75c
[35] BT-Dr.15/5445, S. 1;
http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID4243564,00.html; http://www.gruene-bundestag.de/cms/bundestagsreden/dok/156/156233.htm http://www.pothmer.de/cms/themen/dok/158/158667.ausweitung_des_arbeitnehmerentsendegeset.pdf; http://www.bd-aktuell.de/News%202007/News0107/news_jan07_17.htm
dagegen: Stellungnahme ZDH zum GesetzE BT-Dr. 15/5445, S. 1-6; Stellungnahme BDA zum GesetzE BT-Dr. 15/5445, S. 2-9
[36] Vgl. BR-Dr.362/05, S. 1-2 und BR-Dr. 620/06, S. 1 (Ausdehnung nur auf das Gebäudereinigerhandwerk)
[37] Vgl. BR-Dr.362/05, S. 1-3; Stellungnahme IHK, Drucksache 16/20, S. 1
[38] BR-Dr. 620/1/06, S. 3, 4
[39] Hickl, NZA 1997, 514
[40] Dietrich-Schaub/Franzen, § 1 TVG, Rn. 1-4; Michalski, Arbeitsrecht, Dritte Teil, Rn. 792
[41] Dietrich-Schaub/Franzen, § 1 TVG, Rn. 3-11, § 5 TVG, Rn. 21-38; Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, § 8, Rn. 551, 552
- Arbeit zitieren
- L.L.M. Elena Khomeriki (Autor:in), 2007, Arbeitnehmerentsendegesetz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82080
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