Die literarische Erfahrung des Mittelalters hatte einen gänzlich anderen Anspruch als man ihn heutzutage antreffen mag. Der Vortrag oder der Gesang im Rahmen einer höfischen Festlichkeit oder Geselligkeit gestaltete sich als literarisches Erlebnis. Der Buchdruck sollte erst 2 Jahrhunderte später entwickelt werden. Der Zugang zu Literatur beschränkte sich damit auf einige wenige Schichten, die sich aus Vertretern des Adels bzw. dem Tross des fürstlichen Hofes und vor allem aus Geistlichen zusammensetzten. Das Erleben von Literatur war damit ein gemeinsamer gesellschaftlicher Akt, der dem Publikum in allererster Linie froide bereiten sollte. Bei der Interaktion zwischen Sänger und Zuhörenden kam dem Publikum eine tragende Rolle zu, da es in den Liedern meist angesprochen wurde bzw. dessen Interesse durch rhetorische Fragen geweckt werden sollte. Dieses Verhältnis von Sänger und Publikum soll Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein, an deren Anfang eine kurze Beschreibung seines Lebensweges Walthers stehen wird. Die Biographie wird dann zu seinem Minnekonzept überleiten bevor das eigentliche Thema der Aufführungspraxis zum Tragen kommt. Elementare Fragen werden dabei sein: In welcher Beziehung standen Sänger und Zuhörer zueinander? Wie sah der Status des Sängers aus? Wie wirkte sich dieses wechselseitige Verhältnis auf die Texte aus bzw. inwiefern forderten die Texte zur Interaktion auf?
Inhalt
1. Einleitung
2. Zum Leben Walther von der Vogelweide
3. Minnekonzeption bei Walther
4. Der gesellschaftliche Status des Sängers
5. Die Interaktion zwischen Sänger und Publikum
6. Fazit
7. Bibliographie
1. Einleitung
Walther von der Vogelweide gehört zweifelsohne zu den größten Lyrikern des Mittelalters im deutschsprachigen Raum. Er war sowohl Minnesänger und aufgrund des Ablebens seines Gönners Herzog Friedrich I. auch Sangspruchdichter, der nicht immer die Gesellschaft eines Hofes vorfand, sondern sich meist auch an der strazen (L 105,28) betätigte. Er vereinte damit in fast einzigartiger Weise die Figur eines Wanderers (oder Fahrenden) und die eines am höfischen Leben teilnehmenden Sängers. Dementsprechend vielschichtig gestaltete sich auch sein Schaffen, das sich eben nicht nur auf den Minnesang bzw. die höfische Liebeslyrik beschränkte. Das politische Feld zählte ebenso zu seinen inhaltlichen Stoffen wie der kontinuierliche Ausbau der Minne, indem er sich von der "Hohen Minne" ab- und der "Niederen Minne" zuwandte und somit auch die Ansprüche bezüglich der Angebeteten deutlich anhob. Die vollständige Unterwerfung der "Hohen Minne" sollte also einem Entgegenkommen der Frau angeglichen werden, zumal sich der gesellschaftliche Radius der Frau nun nicht mehr nur allein auf die höfische Gesellschaft bezog, da Walther seine Minnekonzeption auch auf Frauen niederen Ranges ausweitete.
Die literarische Erfahrung des Mittelalters hatte einen gänzlich anderen Anspruch als man ihn heutzutage antreffen mag. Der Vortrag oder der Gesang im Rahmen einer höfischen Festlichkeit oder Geselligkeit gestaltete sich als literarisches Erlebnis. Der Buchdruck sollte erst 2 Jahrhunderte später entwickelt werden. Der Zugang zu Literatur beschränkte sich damit auf einige wenige Schichten, die sich aus Vertretern des Adels bzw. dem Tross des fürstlichen Hofes und vor allem aus Geistlichen zusammensetzten. Das Erleben von Literatur war damit ein gemeinsamer gesellschaftlicher Akt, der dem Publikum in allererster Linie froide bereiten sollte. Bei der Interaktion zwischen Sänger und Zuhörenden kam dem Publikum eine tragende Rolle zu, da es in den Liedern meist angesprochen wurde bzw. dessen Interesse durch rhetorische Fragen geweckt werden sollte. Dieses Verhältnis von Sänger und Publikum soll Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein, an deren Anfang eine kurze Beschreibung seines Lebensweges Walthers stehen wird. Die Biographie wird dann zu seinem Minnekonzept überleiten bevor das eigentliche Thema der Aufführungspraxis zum Tragen kommt. Elementare Fragen werden dabei sein: In welcher Beziehung standen Sänger und Zuhörer zueinander? Wie sah der Status des Sängers aus? Wie wirkte sich dieses wechselseitige Verhältnis auf die Texte aus bzw. inwiefern forderten die Texte zur Interaktion auf?
2. Zum Leben Walther von der Vogelweide
Wie den meisten seiner Kollegen lassen sich sowohl seine Herkunft (einschließlich seines Namens) als auch sein Geburtsdatum nur erahnen. Sein Geburtsjahr wird um das Jahr 1170 angenommen. Vermutlich ist er in Niederösterreich geboren und entstammte dem ärmeren Adel. Zumindest war Walther finanziell nicht sorgenfrei, was darauf zurückzuführen sein könnte, dass er wahrscheinlich Zweit- oder Drittgeborener war und damit auf keinen Grundbesitz zurückgreifen konnte. Denn das Erbe ging nur an den Erstgeborenen über, der dann die Verwaltung übernahm.
In den Jahren 1190 - 1198 weilte er in am Hofe des österreichischen Herzogs Friedrich I, wo sich auch der angesehene und bedeutende Minnesänger Reinmar von Hagenau aufhielt. In dessen Lehre begab sich der junge Walther und wuchs schon bald über seinen Lehrer hinaus. Sein gesellschaftlicher Status lässt sich wohl am ehesten als der eines Knappen beschreiben. Er war damit in das Leben das herzogliche Hofleben integriert. In Wien genoss er auch neben seiner Ausbildung bei Reinmar die Erziehung zum höfischen Leben an sich. Um etwa 1185 wird er wohl schon mit dem Dichten begonnen haben. Mit dem Jahr 1198 jedoch änderte sich das junge Leben Walthers schlagartig und er musste Abschied nehmen von den unbeschwerten Tagen am Wiener Hof, wo er eine reiche Zahl an Frühlings- und Liebesliedern verfasst hatte. Sein Gönner Friedrich I. war auf dem Kreuzzug in Palästina gestorben. Friedrichs Nachfolger indes hatte für Walther keine weitere Verwendung mehr bzw. er war ihm wohl nicht freundlich gesinnt. Gleichzeitig vollzieht sich damit bei ihm die Wandlung vom Minnesänger zum Sangspruchdichter bzw. fahrenden Dichter. Eine Kombination, die zu Walthers Zeit durchaus ungewöhnlich war. Mit dem Verlassen des Hofes zu Wien im Jahre 1198 gerät er in die politischen Wirren der Jahre danach.[1]
1198 verstarb der römische Kaiser Heinrich VI. nach einer plötzlichen Malariakrankheit in Italien. Damit setzte ein Nachfolgestreit um den Thron ein, der die politische Instabilität des Reiches und dessen System offenbarte. Zwar existierte ein legitimer Nachfolger, dieser aber war erst 3 Jahre alt und zudem verweilte er als König auf Sizilien. In dieses Machtvakuum versuchten auf der einen Seite Philipp von Schwaben und auf der anderen Seite Otto von Poitou hineinzustoßen. Beide ließen sich zum König wählen und krönen. Sie besaßen jedoch beide nicht die Legitimation dazu, da Philipp zwar in Aachen rechtmäßig gekrönt wurde, aber nicht über die notwendigen Herrschaftsinsignien verfügte. Und so besaß sein Widerpart zwar die Herrschaftsinsignien, ließ sich aber in Mainz am falschen Ort krönen. Nach dieser Doppelwahl im Jahre 1198 verfiel das Reich in einen bürgerkriegsähnlichen Zustand der bis 1208 anhielt. Zudem verlangte dieser Streit danach, die Königswahl genauer zu definieren bzw. ein Fürstenkollegium zu installieren, was aber erst 1356 unter Karl IV. mit der "Goldenen Bulle" vollendet wurde.
Als fahrender Sänger, der ständig auf der Suche nach einer gesicherten Existenz ist, ergriff Walther zunächst Partei für Philipp von Schwaben und damit für die Partei der Staufer. Ein erstaunlicher Aspekt lässt sich dabei kaum verbergen: Zu dieser Zeit sind fahrende Sänger höchst begehrt bei beiden Gruppen, die Herrschaftsansprüche stellen, da sich solche Sangspruchdichter vorzüglich als Instrument der Agitation auf dem Lande eigneten. Dementsprechend politisierte Walther seine Lieder auch und verschaffte Philipp eine wohl gesonnene Propaganda im Reich. Seine Stationen zu dieser Zeit waren unter anderem die Wartburg und der Hof des Markgrafen von Meißen. Allerdings verweilte er nirgends für eine längere Dauer. 1203 kehrte er nach Wien zurück in der Hoffnung, an die glücklichen Tage seiner Jugend anknüpfen zu können. Ein erneuter Streit mit Reinmar zwang ihn allerdings, den Hof wieder zu verlassen. Im gleichen Jahr trat er in den Dienst des Passauer Bischofs Wolfger von Erla, von dem auch das einzige Zeugnis über Walthers Existenz stammt.
Über seine Tätigkeit als Sangspruchdichter und politischer Agitator hinaus beschäftigte sich Walther auch mit der Rolle Roms und mit der Position des Papstes, die seines Erachtens nach maßgeblichen Anteil an den chaotischen Zuständen im Reich hatten (Her babest, ich mac wohl genesen). In der Tat war Papst Innozenz III. einer der Ursachen für das Ausbrechen des Thronstreits in Deutschland, da er zum einen den rechtmäßigen 3-jährigen Thronfolger für unmündig erklärte und dann auch noch sich auf eine Partei festlegte und ihr die Legitimation zusprach. Walther äußerte sich gegen eine derartige Einmischung der Kurie in Deutschland.
1208 wurde Philipp von Schwaben ermordet. Für kurze Zeit schlug sich Walther auf die Seite des Welfen Otto IV. Doch als der Papst sich nun für die Seite der Staufer entschied und damit für Friedrich II. Partei ergriff, wechselte Walther erneut die Seiten. Und endlich, 1220 erhielt er von Friedrich II. ein Lehen in oder bei Würzburg, wo er auch seinen ständigen Wohnsitz hatte. Dies hielt ihn allerdings nicht davon ab, weiter umherzuziehen. So verlebte er seine letzten Jahre in der Umgebung des Erzbischofs von Köln. Seine letzten datierbaren Lieder stammen aus der Zeit 1228/29, so dass er vermutlich um das Jahr 1230 gestorben sein muss.
3. Minnekonzeption bei Walther
Die frühesten seiner über 100 Sangsprüche und Lieder orientierten sich noch an der "Hohen Minne" und entsprachen damit dem Konzept seines Mentors Reinmar von Hagenau. Innerhalb dieser Konzeption sammelte sich eine unnötige Überhöhung der Frau an. Es war unmöglich, von ihr einen entsprechenden Lohn zu erhalten, der über ein zustimmendes Lächeln oder einen Gruß der Angebeteten hinausging. Die vornehme Dame wurde also dermaßen überhöht, daß man durchaus eine Kontinuität zum religiösen Preisgesang beginnend unter Karl dem Großen und dem Marienlob feststellen kann. Demgemäß äußert sich auch Hans-Herbert Räkel und verurteilt die Minne Reinmars als eine Utopie:
"Freilich ist auch gerade Reinmars Minne, welche das unwirkliche Glück der Liebe in einer wirklichen Trauer des Gesangs erhalten möchte, mit ihrem ethischen Anspruch eine Utopie."[2]
Reinmars Konzept ging also davon aus, dass kein auch noch so ehrenhafter Dienst der Dame gegenüber so hoch angesiedelt werden kann, um ihren ethischen, sozialen und ästhetischen Rang zu erreichen. Die Dame bleibt absolut unantastbar, der Sänger hingegen muss nach geleistetem Dienst auf einen adäquaten Lohn verzichten, da er der Dame keine vreude vermitteln kann. Danach wäre diese Minneklage eher Anlass für kumber, der zum Gegenstand der Lieder wird.[3]
[...]
[1] Vgl. Poppe, Reiner: Walther von der Vogelweide. S.10.
[2] Vgl. Räkel, Hans-Herbert: Der deutsche Minnesang. S.207.
[3] Vgl. Ragotzky, Hedda (Hrsg.): Höfische Repräsentation. S.234.
- Quote paper
- Magister Artium Yves Dubitzky (Author), 2002, Walther von der Vogelweide - Der Sänger und seine Tätigkeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81939
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