Die Weimarer Republik ist eine Epoche tiefer gesellschaftlicher Umbrüche. Modernisierungen vollziehen sich sowohl im Alltag, als auch in der Kunst.
Ein Indikator für diese Umbrüche sind die Wandlungen in der Tanzkultur. Mit diesem Gegenstand - und wie der Tanz in der Kunst aufgegriffen wurde - befasst sich diese Untersuchung.
Die Zwanziger Jahre sind zugleich eine Hochzeit der Plakatkunst. Plakate als gebrauchsgraphisches Element fungierten vor allem als Werbemittel und Ankündigungen für Veranstaltungen. Heute sind sie eine wichtige Quelle zur kulturgeschichtlichen Aufarbeitung der Moderne.
Anhand dreier Plakatbeispiele, die für Tanzveranstaltungen werben, werden die verschiedenen Einflüsse auf die Entwicklung hin zur Avantgarde herausgearbeitet.
>Julius Klinger: Admiralsredoute (1913)
>Ludwig Kainer: "An und Aus" (1926)
>Flachsländer: Jonny spielt auf (1927)
Inhalt
1. Einleitung
2.Julius Klinger: 1. Admiralsredoute (1913)
2.1.Soziokulturelle Aspekte
2.2.Frau und Sexualität
2.3.Die Stellung der Frau in der Gesellschaft
2.4.Kunstkritische Aspekte
2.5.Werbepsychologische Aspekte
3.Ludwig Kainer: „An und Aus“ (1926)
3.1.Die neue Rolle der Frau
3.2.Vergnügungssucht und Vergnügungswut
3.3.Zur Analyse des Plakates
3. 4. Vergleich zwischen Klinger und Kainer
4. Flachsländer: Jonny spielt auf (1927)
4.1.Zur Bildanalyse des Plakates
4.2.Der Tanz als Mittelpunkt der Gesellschaft
4.3.Der Topos Beine zieht sich durch die Plakatkunst
4.4.Neue Tänze als Indikator gesellschaftlicher Umstrukturierungen
4.4.1.Onestep, Foxtrott, Schimmy und Charleston
5. Zur Rolle des Gebrauchsgraphikers
6. Schlussbetrachtung
7. Bibliographie
1. Einleitung
Im Laufe einer soziologischen, kulturellen oder künstlerischen Entwicklung gibt es viele Indikatoren, anhand derer sich eine Trendveränderung oder Modernisierung feststellen lässt. Eine dieser Anzeichen ist die Entwicklung des Tanzes. Sein Herauslösen aus konventionellen Traditionen wäre nicht ohne die historischen Gegebenheiten denkbar und seine Entwicklung zum Ausdrucksmittel in Form von Körpersprache hin zur individuellen Entfaltung kann nicht ohne äußere Einflüsse betrachtet werden[1]. Zwischen Moderne und Tanzentwicklung gab es eine starke Wechselwirkung, wie sie auch in den Bereichen der Kunst und Literatur nachgewiesen werden kann
Eine wichtige Neuerung der Moderne ist das Plakat. Abgesehen von Jules Cheret oder Toulouse-Lautrec wird in der Kunstgeschichte diesem Medium viel zu wenig Bedeutung geschenkt[2]. Dabei kann man gerade anhand von Plakaten sehr gut Tendenzen in historischen Kontexten untersuchen.
Im Unterschied zu Bildender Kunst, Architektur und Plastik muss ein Plakat vorwiegend Werbezwecken dienen und nicht so sehr ästhetischen Ansprüchen. Dass Ästhetik und Werbung sich wiederum bedingen, rückt auch den seit der Entwicklung der Plakate neuen Berufszweig des Gebrauchsgraphikers in ein anderes Licht. Wie später noch näher erläutert werden wird, nahm seine Tätigkeit an Bedeutung zu.
Zwischen ästhetischen und wirtschaftlichen Ansprüchen musste ein Künstler sich erst wieder neu definieren, was sehr problematisch war, da vielleicht oft der Eindruck entstand, Gebrauchsgraphik wäre im Unterschied zur reinen Graphik aufgrund ihrer unmittelbaren Zweckmäßigkeit künstlerisch weniger wertvoll.[3] Für uns heute ist dieser Bereich der angewandten Kunst einer der wertvollsten Zeitdokumente, da es vom „modernen Alltagsleben“[4], also von politischen, ökonomischen und kulturellen Faktoren bestimmt wurde. „Das Plakat wird zum Chronisten seiner Zeit und Umwelt.“[5]
So soll es in dieser Arbeit um die Wechselwirkung von Plakat und Tanz in der Zeit der Weimarer Republik gehen. Diese besondere Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ist in ihrer Ambivalenz zwischen Euphorie und Depression ein interessantes Feld, um Zusammenhänge zwischen Gesellschaft und der kulturellen Entwicklungen zu beleuchten. Da es aufgrund der Blüte in der Unterhaltungsindustrie auch eine Fülle von Plakaten gab, ist dieses Thema sehr komplex und damit nicht ohne Weiteres zugänglich.
Aufgabe dieser Abhandlung soll es nicht sein, eine allgemeingültige Aussage über die Kunst und Kultur der Zwanziger Jahre zu treffen. Vielmehr wird versucht werden, anhand einiger weniger Exempel gewisse Tendenzen anzudeuten. Es kann sich dabei nur um einen unvollständigen Versuch handeln, diese Thematik unter kunsthistorischen sowie soziokulturellen Aspekten zu beleuchten. Ein wichtiger Faktor der Bruchstückhaftigkeit wird durch die Tatsache geschaffen, dass ich mich auf drei Beispiele beschränken werde, die von einer Bildbeschreibung aus zur Analyse gesellschaftlicher Muster überleiten sollen. In einem abschließenden Abschnitt wird die Rolle des Gebrauchs-grafikers noch etwas näher betrachtet werden, um das Plakat an sich als Medium der Moderne zu unterstreichen.
2.Julius Klinger: 1. Admiralsredoute (1913)
Dieses Plakat von Julius Klinger - obwohl es mit seinem Entstehungsdatum 1913 aus dem hier zu analysierenden Zeitrahmen etwas herausfällt - soll als Einführung in den das Thema dienen. Aufgrund der Komplexität des Sujets eignet sich gerade dieses Oeuvre in seiner minimalistischen und damit sehr ausdrucksstarken Gestaltungsweise, einige wichtige Aspekte zur Geschichte der Plakatkunst zu beleuchten.
2.1.Soziokulturelle Aspekte
Bei der Analyse eines Bildwerkes kann der Gegenstand nicht herausgelöst aus den historischen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gesehen werden, sondern es ist wichtig, das Sujet unter Einbindung in den soziologischen Kontext zu betrachten. So mag uns heute Klingers „Admiralsredoute“ vielleicht als nichts Besonderes, wenn nicht sogar als banal erscheinen, versetzt man sich aber in die objektive Analyse unter verschiedenen Aspekten hinsichtlich des historischen Rahmens, so können wir gerade bei Klinger eine Arbeit von ungeahnter Qualität erkennen.
Mit schon fast satirischer Prägnanz[6], die sowohl „den Gourmet wie den Mann auf der Straße gleichermaßen [...] begeister[t]“[7], erkennt Klinger die Zeichen seiner Epoche und setzt sie hier so um, dass man ihm gar einen weitsichtigen Blick zusprechen möchte, da er bereits zu dieser Zeit die gerade erst anbahnenden Tendenzen in der Kultur verarbeitet. Die „Neue Sachlichkeit,... [die] eine undynamische, nüchterne Formverfestigung und statische Gegenständlichkeit anstrebte, deren teilweise isolierte Dinghaftigkeit oft etwas Stillebenhaftes in einem atmosphärelosen Raum der Distanzlosigkeit an sich hat“[8] macht sich nicht nur in der Kunst und Literatur bemerkbar, sondern äußert sich auch in der Frauenmode und den zwischenmenschlichen Beziehungen. Die langen Haare wurden zu Gunsten einer kurzen Pagenfrisur abgeschnitten und die langen Korsettkleider durch neue sportliche, beinfreie „Reformkleider“[9] ersetzt. Die Taille der Frau schien nach unten gerutscht und das Augenmerk ruhte nun auf ihren kunstseidenbestrumpften Beinen. Selbst Marlene Dietrich stand im Dienst des neuen femininen Modebewusstseins; sie warb mit ihren Beinen für diverse Produkte, wie Schuhe, Strümpfe und sogar Schallplatten. Stolz teilte sie 1922 dem Schauspieler Wilhelm Dieterle die breite Resonanz der Presse auf ihre Beine mit: „Und wenn sie Beine wollen, kriegen sie Beine“.[10] Das neue Schönheitsideal war nicht mehr der stark weiblich betonte Körper mit einem möglichst großen Busen, sondern vielmehr die am männlichen Körper orientierte schmale Silhouette, die in ein strenges, am Männeranzug angepasstes Kostüm gekleidet war. Durch die immer stärkere Anpassung an das Maskuline erschienen sowohl die Frau als auch ihre verhüllte Erotik nur auf subtile Weise. Sie nahm gleichzeitig eine neue Rolle in der Gesellschaft ein, sozusagen ein Zwitterwesen, das sowohl Mann als auch Frau verkörpert: „Frau erschien in nun zunehmender Rationalisierung und Versachlichung als >neue Frau< als homoerotisches Spiegelbild des Mannes, Frauenmode und Frauensport als Angleichung des weiblichen an die männliche Norm.“[11] Deutlich wird hier das Hinzukommen eines neuen, androgynen Typus der Frau, sozusagen eine Leerstellenbesetzung in der Gesellschaft.
Gegen die Überzeugung, die Frau habe sich am Mann orientiert, steht die Ansicht, die Frau habe sich frei aus ihren neuen Bedürfnissen in der Großstadt, unabhängig vom Manne so entwickelt. Die so oft betonte >Vermännlichung< oder >Versachlichung< der Frau treffe nach Erik E. Schwabach nicht zu; wie er 1928 schrieb, „will [die Frau] nicht männerähnliche, sondern eine Kleidung tragen, die ihrer selbstständigen Lebensweise, ihren sportlichen Neigungen, den modernen Verkehrsmitteln gemäß ist. Sie härtet den Körper gegen Strapazen ab, trainiert ihn, weil sie auf den männlichen Schutz verzichten will. So entsteht natürlich jene schlanke Figur, die freilich oft einer Jünglingsfigur näher kommt als einem Rubensschen Fleischberg.“[12]
Wie dieses Zitat verdeutlicht, läst sich keine eindeutige und vor allem keine uniforme Argumentationslinielinie zurückverfolgen, anhand derer die Entwicklung der Frau bezüglich Bewusstsein, Mode und beruflicher Profilierung ablesbar wäre. Vielmehr gab es zum Teil sich bedingende, aber auch blockierende Einflüsse von außen, die Ereignisse formten.
2.2.Frau und Sexualität
Mit dem Zuge der Reformierungen bot sich für die Frau die Möglichkeit der Emanzipation und Selbstständigkeit.[13] Am 15. November 1918 wurde die politische Gleichberechtigung der Frau verkündet[14] und diese setzte sich nun selbstbewusst, sportlich und „sexuell befreit“ als Angestellte in Szene.[15] Die Befreiung des Körpers von sexuellen Behaftungen sollte jedoch nur einer neuen Sexualisierung weichen, die nun indirekter und subtiler war. Vor allem in Großstädten entwickelte sich der neue unabhängige Frauentypus, der nicht mehr unbedingt an der Seite eines Mannes aufblüht, sondern vielmehr eigene Interessen verfolgt und unabhängig von patriarchalischen Strukturen sein eigenes Leben führt.[16] Sexualität wurde folglich nicht mehr nur ausschließlich mit der biologischen Funktion der Nachkommenschaft assoziiert, sondern gewann eine eigene wichtige Bedeutung für die angehende emanzipierte Frau.[17] Die „Sexualität wurde von der ausschließlichen Fortpflanzungsfunktion gelöst und gewann eine neue Bedeutung – die Welt wurde sexualisiert.“[18]
[...]
[1] Rademacher schreibt dazu in seinem Buch >Theaterplakate< auf S. 146: „Der Tanz stand ja mit am Anfang der Kultur und hat für den Menschen die Jahrtausende über eine große Rolle gespielt als Möglichkeit, seinen Gefühlen, seiner Freude und seinen Ängsten Ausdruck zu verleihen. Nach 1900, mehr noch nach dem ersten Weltkrieg wurde er zusehends zu einer eigenen künstlerischen Disziplin, die bei aller Strenge des technischen Reglements und der Anforderung an die disziplinierte körperliche und musische Leistung dem individuell-kreativen Moment des einzelnen Tänzers ein hohes Maß an Eigenwilligkeit zubilligte.“
[2] Vgl.: Rademacher: Das dt. Plakat.
[3] Ebd.
[4] Ebd. S. 91.
[5] Rademacher: Dt. Plakate. S.12.
[6] Anita Kühnel schreibt hierzu auf S. 5: „Sein Verdienst war es, dem Plakat die Schlagkraft eines Witzes gegeben zu haben.“
[7] Vgl.: Georg Hermann in: MVP, 1. H. 3. S. 49.
[8] Lexikon der Kunst: Bd. 5. S. 153.
[9] Vgl.: Gabriele Klein: Frauen Körper Tanz. Eine Zivilisationsgeschichte des Tanzes. Berlin 1992. S. 144.
[10] Donald Spoto: Marlene Dietrich. München 2000. S. 41.
[11] Metropolen machen Mode. S. 165.
[12] Schwabach: Revolutionierung. S.87.
[13] Zum Beispiel hatten bisher nur Männer das Privileg einer Kurzhaarfrisur und auch der strenge Schnitt des Kostüms für die Frau schien dem Anzug für den Herrn in keiner Weise nachzustehen.
[14] Vgl. Schwabach: Revolutionierung. S. 72 f.
[15] Gabriele Klein stellt den neuen Frauentypus „Angestellte“ von Alexandra Kollontai im Kapitel Gesellschafts- und Bühnentanz von 1900 – 1936 dar.
[16] Vgl. Schär: Der Schlager. S. 26.
[17] Ebd.
[18] Zatti / u. a. : Sexualmoral. S. 131.
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- Britta Sommermeyer (Author), 2002, Zur Geschichte des Tanzes in seiner Wechselwirkung mit der Moderne unter kunsthistorischen Aspekten am Beispiel der Plakatkunst, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81250
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