Diese Arbeit behandelt das vom Produzenten intendierte und das tatsächliche Zuschauererlebnis bei der Rezeption von Infotainment-Formaten. Unter Berücksichtigung gängiger Inszenierungsstrategien (Produzentenseite) und etablierter Unterhaltungstheorien (Zuschauerseite) wird die Medienwirkung von Infotainment von zwei Seiten beleuchtet. Für die Gegenüberstellung beider Seiten dienen gängige TV-Gestaltungsmittel und Inszenierungsstrategien als Analyseeinheit.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Begriff Infotainment zum jetzigen Stand unscharf und eine klare Definition nicht gegeben ist. Es fehlt an einem ganzheitlichen Verständnis von Infotainment, das die Perspektive von Produzent und Rezipient berücksichtigt und damit das vom Produzenten beabsichtigte („intendierte“) und das beim Zuschauer bewirkte („tatsächliche“) Zuschauererlebnis gegenüberstellt. Letzteres kann da-bei auch als Überprüfung der Absicht des Produzenten dienen, um das Informations- und Unterhaltungsangebot abzustimmen und Infotainment wirkungsgerecht herzustellen. Eine vollumfängliche Untersuchung eröffnet die Möglichkeit, Infotainment als Format und Genre einzuordnen, das bestimmte Funktionen erfüllt.
Die vorliegende Arbeit widmet sich dieser Forschungslücke und formuliert einen neuartigen Untersuchungsansatz, der die Perspektive von Produzent und Zuschauer einander gegenüberstellt und vergleicht.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Relevanz
1.2 Stand der Forschung und Herleitung der Forschungsfrage
1.3 Gang der Untersuchung
2 Das Zuschauererlebnis bei Infotainment-Formaten
2.1 Sicht der Zuschauers
2.1.1 Erklärungsansätze der Medienwirkungstheorien
2.1.2 Unterhaltungstheorien
2.1.3 TV-Erlebnisfaktoren nach Dehm und Storll
2.2 Sicht der Produzenten
2.2.1 Konzeption von Infotainment-Formaten
2.2.2 Produktion von Infotainment-Formaten
2.3 Zwischenfazit aus der theoretischen Betrachtung von Produzent und Zuschauer
2.4 Untersuchungsrahmen des Zuschauererlebnis bei der 68er Show
3 Methodisches Vorgehen
3.1 Methodenwahl: Qualitative Fallstudie
3.2 Design der Studie
3.3 Datenerhebung: Halbstrukturierte Interviews
3.4 Datenauswertung: Qualitative Inhaltsanalyse
4 Durchführung: Experteninterview und Zuschauerbefragung zur 68er Show
4.1 Einleitende Beschreibung des Falls und der Befragten
4.2 Datenanalyse und Diskussion der Ergebnisse
4.2.1 Parameter der Infotainment-Produktion
4.2.2 Formatanforderungen an Infotainment
4.2.3 Einsatz von Gestaltungsmitteln
4.2.4 Informativer (Mehr-)Wert
4.2.5 Erlebnisweisen des Zuschauers
4.2.6 Gesamtkonzept 68er Show
5 Kritische Reflexion und Beitrag zur Forschung und Praxis
5.1 Beantwortung der Forschungsfragen
5.2 Beitrag zur Forschung
5.3 Limitationen
6 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anlagen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Sendezeitanteile einzelner Programmsparten bei Das Erste, ZDF, RTL, Sat.1 und ProSieben 2014-2018, Sendedauer in %
Abbildung 2: Perspektiven auf die Unterhaltung-Informations-Dichotomie
Abbildung 3: Unterhaltung-Information-Kontinuum
Abbildung 4: Beziehungsgefüge zwischen Produzent, Sender und Zuschauer
Abbildung 5: Ablaufmodell deduktiver Kategorienanwendung (vgl. Mayring 2000)
Abbildung 6: Uschi Glas spricht über die damalige Pseudo-Psychologie „Love and Peace“ XII
Abbildung 7: Inka Bause über die Unterschiede in der DDR. XII
Abbildung 8: Über das Diskutieren in der Familie über den Vietnamkrieg berichtet Wolfgang Niedecken XII
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Wirkungstheorien, ihre Kernaussagen und ihr Bezug zu Infotainment
Tabelle 2: Inszenierungsstrategien und Gestaltungsmittel bei der Produktion von Infotainment-Formaten
Tabelle 3: Gestaltungsmittel als Orientierung für den Interviewleitfaden. Die übergeordneten Fragen sind für den Zuschauer, die untergeordneten richten sich vergleichbar an den Produzenten
Tabelle 4: Kategoriensystem als Grundlage für die qualitative Inhaltsanalyse
Tabelle 5: Kodierleitfaden für die inhaltliche Strukturierung der transkribierten (Experten)Interviews XIV
1 Einleitung
„Ich bin davon überzeugt, du hast vieles verpasst, was wichtig gewesen wäre.
Heute gibt es Nachhilfestunde!“
Mit diesem Satz eröffnet Thomas Gottschalk „Gottschalks Grosse 68er Show“ am 6. Oktober 2018. Er spricht damit zu Andreas Gabalier, der gerade eine eigeninterpretierte Version von „Proud Mary“ gesungen hatte. Diese Einleitung kündigt an, dass die Show mehr zeigt als nur musikalische Rückblicke auf das Jahr 1968.
Infolge einer solchen Ansage Gottschalks stellt sich die Frage, was man von der Samstagabendshow „Gottschalks Grosse 68er Show“ erwarten kann. Samstagabendshows werden überwiegend mit Unterhaltung in Verbindung gebracht. Eine Show, die als Geschichts-Nachhilfe eingeleitet wird, erhebt jedoch den Anspruch, über die reine Unterhaltung hinaus, zu informieren und sogar zu bilden.
Unterhaltung und Information sind seit Inkrafttreten des Rundfunkstaatsvertrags institu-tionalisierte Bestandteile der Planung von Fernsehformaten. Dieser stellt eine Richtlinie für alle in der Bundesrepublik niedergelassenen Fernsehveranstalter dar und garantiert ein Programm, das unter anderem informativ, bildend und unterhaltend für den Zuschauer ist (vgl. RStV, § 1, Abs. 3). Medienformate können entsprechend verschiedenen Kategorien zugeordnet werden (z.B. Information, Unterhaltung). Diese dienen sowohl dem Zuschauer als auch dem Produzent und Sender als Orientierung zwischen den verschiedenen Medienangeboten (Dehm und Storll 2005).
Zuschauer erleben heute ein breites Fernsehangebot am Fernsehmarkt. Zur Orientierung zwischen den vielfältigen Formaten helfen aussagekräftige Formatbeschreibungen. Seit der Öffnung des Fernsehmarktes für private Sender in den 1980ern haben zahlreiche private TV-Kanäle den Markt erweitert. Seitdem wird mit neuen Programmformen experimentiert, um höhere Einschaltquoten zu erzielen. Dabei positionieren private Sender sich zunächst gegenüber öffentlichen Sendern, indem sie „informationslastige“ Formate „lebendiger, lockerer, freundlicher, farbiger, eben: unterhaltender“ (Wittwen 1995: 9) gestalten. Öffentlich-rechtliche Sender folgen diesem Trend der Programmgestaltung zunehmend.
Aus diesem Trend heraus haben sich die sogenannten „Infotainment“-Formate entwickelt. Wortgemäß bedeutet „Infotainment“, dass Informationen mit Entertainment angereichert werden. Seither beschäftigen sich die Medienwissenschaften mit diesem Trend. Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht die Frage, was der Begriff „Infotainment“ bedeutet. Bedeutet er informierende Unterhaltung oder unterhaltende Information (vgl. Wittwen 1995)?
1.1 Relevanz
Unterhaltung (Entertainment) und Information bilden die Grundsäulen der deutschen Fernsehlandschaft und setzen die Vielfalt in der Programmstruktur fest: Sie stellen die Enden des Kontinuums dar, in dem sich alle Medien- und Programmangebote ansiedeln. Ein Format, das beide Grundintentionen für sich beansprucht, kann auf dem Kontinuum je nach Gehalt von Information und Unterhaltung eingeordnet werden. Diese Einordnung gibt eine Orientierung: Für den Sender bei der Programmgestaltung, für den Produzenten bei der Konzeption und für den Zuschauer bei der Auswahl des Medienformats.
Eine klare Einordnung des Mischgenres für die Medienforschung ist aus vielzähligen Gründen unerlässlich: um die Wirkung von Mischformaten beim Zuschauer zu verstehen, um die Zielgruppenspezifische Ausrichtung von Inhalten sicherzustellen und um Gehalt und Qualität von Information und Unterhaltung in einem Infotainment-Format zu prüfen. Entsprechend stellt Infotainment eine hohe Relevanz für Forschung (insbesondere die Medienforschung) und Praxis (Sender, Produktionsunternehmen und der Zuschauer) dar.
Tendenzen der Programmstruktur der Öffentlich-Rechtlichen wie auch privaten Fernsehsendern verdeutlichen die Relevanz von Information und Bildung. Während Infotainment zunächst auf die privaten Sender beschränkt war, erhält es immer öfter Einzug in das Medienangebot der Öffentlich-Rechtlichen (Wittwen 1995: 9). Seit dem Start des dualen Rundfunksystems in Deutschland 1984 stellen die privaten Sender eine Konkurrenz für die Öffentlich-Rechtlichen dar, die darauf mit einer Aufstockung des Informationsangebotes reagierten. Während sich die Privaten daraufhin überwiegend auf das Unterhaltungssegment beschränkten, ist seit Ende 1990er, vornehmlich bei Sat.1 und RTL, wieder ein Anstieg an Bildungs- und Informationsformaten zu verzeichnen. Grundsätzlich ist der prozentuale Anteil von Informations- und Bildungsformaten bei den Öffentlich-Rechtlichen deutlich höher als bei den Privaten.1
Betrachtet man die Sendezeitanteile einzelner Programmsparten bei Das Erste, ZDF, RTL, Sat.1 und ProSieben aus den Jahren 2014 und 2018 im Vergleich, ist ein deutlicher Anstieg der Sendedauer von Nonfiktionaler Unterhaltung, sowohl bei den Öffentlich-Rechtlichen als auch bei den Privaten Sendern festzustellen (siehe Abbildung 1). Als Nonfiktionale Unterhaltung werden Medieninhalte verstanden, die die Wirklichkeit abbilden und Verfälschungen vermeiden. Dazugezählt wird eine Reihe an Formaten wie Quiz Shows, Reality-TV und journalistischen Formate wie Magazine, Talks und Reportagen (vgl. Krüger und Zapf-Schramm 2007: 171). Nonfiktionale Unterhaltung kann als Annäherung an Infotainment verstanden werden, da Infotainment einerseits uneinheitlich definiert ist und eine Vielzahl an Formaten infrage kommt. Andererseits ist eine inhaltliche Deckung von Nonfiktionalen Formaten und Formaten aus Infotainment-Untersuchungen festzustellen ist (Wegener 2008: 59; Prior 2003: 150 f.). Im Anstieg der Nonfiktionalen Unterhaltung sticht Das Erste hervor, das 2018 fast doppelt so viel Nonfiktionale Unterhaltung sendet als in 2014. Zusätzlich sind zugleich ein Abfall an Informationssendungen bei den Öffentlich-Rechtlichen sowie ein Anstieg des Sendezeitanteil für Information bei den Privaten Sat.1 und ProSieben zu verzeichnen. Es ist festzustellen, dass gerade die Privaten immer mehr Formate anbieten, die den Anspruch erheben zu informieren. Auch wenn die Zahlen nur Sendezeitanteile darstellen und sich der absolute Informationsanteil bei den Öffentlich-Rechtlichen immer noch deutlich abhebt, ist eine Entwicklungstendenz der Sender in der Programmgestaltung zu erkennen. Während die Nonfiktionale Unterhaltung bisher das Alleinstellungsmerkmal der Privaten war (vgl. Trebbe 2004: 35), ist Das Erste stark in dasselbe Segment vorgedrungen. Auch sonst nimmt das Angebot Nonfiktionaler Unterhaltungsformate bei allen Sendern zu. Folglich wird deutlich, dass sowohl der Trend zu Mischgenres so wie Infotainment deutlich in der Entwicklung der Programmstruktur verankert ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Sendezeitanteile einzelner Programmsparten bei Das Erste, ZDF, RTL, Sat.1 und ProSieben 2014-2018, Sendedauer in %
(Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Media Perspektiven 2019)
1.2 Stand der Forschung und Herleitung der Forschungsfrage
Infotainment wird wissenschaftsübergreifend diskutiert. Die Entwicklung der Medienformate und der Trend des Infotainments ist Forschungsgegenstand der Politikwissenschaften, Publizistikwissenschaften und Kommunikationswissenschaften – mit jeweils anderen Schwerpunkten je Forschungsbereich. Diese sollen nachfolgend kurz aufgeführt werden, um die Vielschichtigkeit der Diskussion zu verdeutlichen, die Forschungslücke zu determinieren und die Forschungsfrage herzuleiten.
Politikwissenschaftler untersuchen die Informationsqualität und gesellschaftliche Relevanz der vermittelten Inhalte in Infotainment-Formaten. Im Untersuchungsmittelpunkt steht der Informationsgehalt von Infotainment-Formaten. Unterschieden wird zwischen „hard news“ und „soft news“. Während erstere primär einen informierenden Zweck verfolgen und über Fakten berichten (z.B. Nachrichtensendungen, Dokumentarfilme), stellen „soft news“-Formate eher informative Unterhaltung oder als mit Entertainment angereicherte „Nachrichten“ dar (z.B. Boulevardnachrichten wie Berichte über gesellschaftliche Ereignisse, berühmte Persönlichkeiten). Im Vordergrund der Untersuchungen steht die Wirkung auf den Zuschauer. Lerneffekte von Infotainment-Formaten konnten beim Zuschauer bis dato kaum nachgewiesen werden (Prior 2003: 149). Empirische Evidenz zeigt, dass Zuschauer Infotainment-Formate häufig als weniger informativ bewerten (z.B. Talkshows als „soft news“, siehe Prior 2003: 150). Die Definition von Infotainment in der Politikwissenschaft bleibt zum heutigen Stand unscharf und erfordert weitere Konkretisierung.
Publizistikwissenschaftler untersuchen Infotainment nicht als etwas grundlegend Neues, sondern als „mehr oder weniger fantasievolle und dramaturgisch durchdachte neue Kombinationen von Programmformen, Themen, Situationen sowie Gesprächspartnern“ (Mast 1991: 187). Für Saxer (1991: 7) ist Infotainment das „Umkombinieren von bereits Erfundenem“ und Bosshart (1991: 1) zeigt auf, dass bereits Theoretiker in der Antike die Eigenschaften von Infotainment in Lebensweisheiten für sich nutzten. Lebensweisheiten aus der Poesie enthielten nützliches Wissen und verursachten gleichzeitig angenehme Gefühle beim Lesen. Empirische Untersuchungen adressieren vorwiegend die Produzentenseite und untersuchen z.B. den Aufbau von Programmformen und die Neukombination von Gestaltungsmitteln (vgl. Bosshart 1991).
Kommunikationswissenschaftler rücken von der Definition von Infotainment-Inhalten ab und stellen die Frage nach seiner Beschaffenheit. Sie verstehen Infotainment als Hybridformat, das den Zuschauer kognitiv und affektiv anspricht (vgl. Scholl et al. 2007: 8). Ob Infotainment mehr informativ oder unterhaltend ist, hängt davon ab, wie die Inhalte gestalterisch, bildästhetisch, sprachlich sowie körperlich-visuell aufbereitet sind. Empirische Untersuchungen zielen primär auf die Wirkung beim Zuschauer ab (vgl. Weidner 2007). So konzeptualisiert Wirth (2014) Infotainment als Metaerleben von Unterhaltungsgefühlen (affektiv) und Informationsgefühlen (kognitiv). Während Unterhaltungsgefühle Wohlbefinden und Lust sein können, sind Informationsgefühle beispielsweise Gefühle des Informiert-Seins, des Informiert-Werdens oder der Vertrautheit (Wirth 2014: 80). Er definiert ein Format als Infotainment-Format, wenn drei Prämissen erfüllt sind:
1) Das Format basiert auf einer subjektive Erfahrung bzw. einem Gefühl.
2) Unterhaltungs- und Informationsgefühle werden simultan erlebt.
3) Das Format wird vom Zuschauer als angenehm erlebt ("positiv valenziert") (Wirth 2014).
Obwohl Infotainment in mehreren Disziplinen betrachtet und untersucht wird, fehlt eine eindeutige Definition, die das Format von anderen Formaten klar abgrenzt. Gemein haben die Definitionsversuche, dass sie Infotainment als Gemisch verschiedener Themen mit unterschiedlicher Wirkung ansehen. Unterschiede liegen im Abgrenzungsversuch (z.B. „hard news“ vs. „soft news“ oder „kognitiv“ vs. „affektiv“).
Ferner fehlt eine ganzheitliche Betrachtung der Wirkungsweise von Infotainment. Infotainment wird zum heutigen Stand der Literatur entweder aus der Sicht des Produzenten und dessen Absicht (Stimulus-Response) oder aus der Perspektive vom Rezipienten (Interaktion, Wirkung) betrachtet (Dehm und Storll 2005, 2013; Pietraß in Fromme und Schäffer 2007). Diese sollen nachfolgend vertieft werden.
Empirische Untersuchungen aus Produzentenperspektive untersuchen beispielsweise verschiedene Gestaltungsmittel in Infotainment-Formaten (vgl. Pietraß 2007; sowie ausführlich Abschnitt 2.2.2.1). Zusammen mit den produktionsorientierten Ansätzen von Weiß und Trebbe (2002) geht auch Krüger (2001) von den Intentionen des Produzenten aus und definiert verschiedene Merkmale von Mediengeboten zur Klassifizierung als Infotainment (vgl. auch Weidner 2007: 23). Weidner zieht für die Betrachtung der Produzentenperspektive die Inszenierung als Instrument bei der Produktion heran (vgl. Weidner 2007: 16 ff.) und bezieht sich dabei auf die Ausführungen Hickethiers: Inszenierung bestimme die „mediale Zubereitung und Ausrichtung von Informationen, Themen, Sachverhalten“ für ein informatives und unterhaltendes Erleben (Hickethier 2001: 114). Diese Ansätze stellen bei der Untersuchung von Infotainment die Absicht des Produzenten in den Mittelpunkt. Die zugrundeliegende Perspektive ist, dass die Präsentation von Infotainment-Formaten im Ermessen des Produzenten liegt und damit den Ausgangspunkt einer Untersuchung darstellt.
Empirische Untersuchungen aus Rezipientenperspektive begreifen Unterhaltung und Information (zusammen: Infotainment) als Rezeptionsphänomen (vgl. Früh und Wünsch 2007). Hügel (2003) formuliert einen Forschungsansatz, der die Wirkung beim Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht das Medium selbst untersucht. Für Hügel entsteht eine Medienwirkung, wenn das Medienangebot ein bestimmtes Bedürfnis für den Rezipienten erfüllt. Er beschreibt die Wirkungsweise (z.B. Unterhaltung) als Qualität der Beziehung zwischen Rezipient und Medium. Prior (2003) untersucht das Format in Abgrenzung zu anderen Formaten und lässt dabei den Zuschauer die Zuordnung von Formaten zu bestimmten Kategorien selber vornehmen. Diese Ansätze stellen bei der Untersuchung von Infotainment die Wirkung beim Rezipienten in den Mittelpunkt. Grundannahme dieses Ansatzes ist, dass nur die letztendliche Wirkung Aufschluss über ein Format gibt und damit den Ausgangspunkt einer Untersuchung darstellt.
Die rezipientenorientierten Ansätze nehmen eine zunehmend wichtige Rolle in der Medienforschung ein und haben die produktionsorientierten Ansätze abgelöst (etwa das Stimulus-Response-Modell; Skinner 1978) (vgl. Weidner 2017: 23). Die Rezeptionsforschung zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Interaktion des Menschen mit den Medien untersucht (z.B. Uses-and-Gratification-Ansatz, vgl. Katz und Foulkes 1962; Mood-Management-Theorie, vgl. Zillmann 2000).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Begriff Infotainment zum jetzigen Stand unscharf und eine klare Definition nicht gegeben ist. Es fehlt an einem ganzheitlichen Verständnis von Infotainment, das die Perspektive von Produzent und Rezipient berücksichtigt und damit das vom Produzenten beabsichtigte („intendierte“) und das beim Zuschauer bewirkte („tatsächliche“) Zuschauererlebnis gegenüberstellt. Letzteres kann dabei auch als Überprüfung der Absicht des Produzenten dienen, um das Informations- und Unterhaltungsangebot abzustimmen und Infotainment wirkungsgerecht herzustellen. Eine vollumfängliche Untersuchung eröffnet die Möglichkeit, Infotainment als Format und Genre einzuordnen, das bestimmte Funktionen erfüllt.
Die vorliegende Arbeit widmet sich dieser Forschungslücke und formuliert einen neuartigen Untersuchungsansatz, der die Perspektive von Produzent und Zuschauer einander gegenüberstellt und vergleicht. Die Perspektiven werden im Rahmen einer qualitativen, explorativen Studie erhoben, interpretiert und gegenübergestellt. Durch die Gegenüberstellung der Perspektiven lassen sich Schlaglichter auf die Wahrnehmung und Einschätzung bestimmt inszenierter Inhalte werfen. Ferner gibt sie Aufschluss darüber, inwiefern Infotainment-Formate Unterhaltung und Information zugleich abdecken können und was der Zuschauer daraus mitnimmt und behält. Die Forschungsfrage lautet folglich: „Inwieweit decken sich das intendierte und das tatsächliche Zuschauererlebnis bei der Rezeption von Infotainment-Formaten?“
Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Beantwortung der Forschungsfrage. Die Ergebnisse tragen dazu bei, das Phänomen „Infotainment“ in der Wissenschaft und in der Praxis besser zu verstehen und einzuordnen. Sie helfen Forschern anhand eines konkreten Beispiels, die Inhalte von Infotainment, ihre Aufbereitung und Wirkung zu konkretisieren. Für Produzent und Sender dient der Ansatz als Unterstützung, um ein Verständnis für den Zuschauer zu gewinnen und die Effektivität von entwickelten Formaten zu prüfen sowie letztlich die inhaltlich sowie konzeptionelle Schwerpunktsetzung im Programm zu optimieren. Schlussendlich profitiert auch der Zuschauer, wenn seine (Informations- und Unterhaltungs-)Bedürfnisse für ein positives Erleben besser erfüllt werden.
1.3 Gang der Untersuchung
Die nachfolgende Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: In Kapitel 2 wird die theoretische Grundlage für die empirische Untersuchung aufgeführt. Das Kapitel führt relevante Medientheorien zum Zuschauererlebnis aus der Sicht des Zuschauers (Unterkapitel 2.1) und aus der Sicht des Produzenten (Unterkapitel 2.2) auf. Das Zuschauererlebnis aus Zuschauerperspektive wird mithilfe ausgewählter Medienwirkungs- und Unterhaltungstheorien aus der Medienwissenschaft und der TV-Erlebnisfaktoren nach Dehm und Storll abgebildet (Unterkapitel 2.1). Das Unterkapitel 2.2 gibt einen Überblick über die Perspektive des Produzenten. Dem Produktionsablauf entsprechend wird zunächst die Konzeptualisierung von Formaten beleuchtet und darauf wirkende Anspruchsgruppen analysiert (Abschnitt 2.2.1). Die Umsetzung wird anhand ausgewählter Wirkungskonzepten und Inszenierungsstrategien von Information und Unterhaltung theoretisch beleuchtet. In Unterkapitel 2.3 werden die theoretischen Grundlagen zur Untersuchung des Zuschauererlebnisses aus Zuschauersicht und Produzentensicht zusammengefasst. Sie fließen in Unterkapitel 2.4 in den Untersuchungsrahmen ein, der die Grundlage für die qualitative Untersuchung sowie den Interviewleitfaden darstellt.
In Kapitel 3 wird die Methode beschrieben, die im empirischen Teil (Kapitel 4) angewandt wird. Die Wahl der Methode der qualitativen Fallstudienuntersuchung wird begründet, der Aufbau der Studie dargelegt, und die Gegenstandsangemessenheit leitfadengestützter Interviews zur Untersuchung der Forschungsfrage formuliert.
Kapitel 4 stellt die Untersuchung vor und damit den Kern der Arbeit dar. Untersucht wird das Zuschauererlebnis bei der 68er Show aus Zuschauer- und Produzentensicht. Nach einer Vorstellung der Befragten werden die Interviewdaten des Experten und der Zuschauer (Fan und Nicht-Fan) anhand der zuvor in 3.4 ermittelten Kategorien verglichen und ausgewertet. Die Befragungen sollen Auskunft darüber geben, welches Zuschauererlebnis mit dem Einsatz bestimmter Mittel verfolgt wurde, und, was das Publikum tatsächlich erlebt hat. Der Ablauf und die Auswertung der Studie orientieren sich an der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015).
Eine kritische Reflexion der Ergebnisse erfolgt in Kapitel 5. Mit den Ergebnisse werden die Forschungsfragen beantwortet, die Limitationen der Studie aufgezeigt und der Beitrag zur Forschung und Praxis beschrieben. Abgeschlossen wird die Arbeit mit einem Fazit und Ausblick.
2 Das Zuschauererlebnis bei Infotainment-Formaten
Als Zuschauererlebnis wird in dieser Arbeit die Gesamtheit der Wirkungen, die der Zuschauer während des Konsums eines Infotainment-Fernsehangebots erfährt, sowie die Eindrücke, die nach Ende des Konsums bei diesem im Gedächtnis bleiben, verstanden. Das Zuschauererlebnis von Fernsehen ist vielfältig und die Medienforschung versucht, die einem Zuschauererlebnis zugrunde liegenden Erlebnisweisen zu erfassen (vgl. Dehm und Storll 2003: 425).
Wie in Abschnitt 1.1 erwähnt, gibt es in der Medienforschung zwei Ansätze sich dem Zuschauererlebnis zu nähern: Den Ansatz, die Produzenten-Absicht zu verstehen und den Ansatz, die Rezipienten-Wirkung zu verstehen. Hier sollen nachfolgend theoretische Ansätze aufgezeigt werden, die diese Herangehensweisen konkretisieren. Ziel ist es, ein Grundverständnis für die Sicht des Produzenten und die Sicht des Rezipienten auf das Zuschauererlebnis bei Infotainment-Formaten aufzubauen. Die theoretischen Erkenntnisse fließen in die Untersuchung ein.
Einleitend soll zunächst kurz auf das Phänomen „Infotainment“ und die Unklarheiten, die es mit sich bringt, eingegangen werden. Das Schlagwort „Infotainment“, bestehend aus den Wörtern „Information“ und „Entertainment“, beschreibt eine Kommunikationsform, die in der Wissenschaft und in der Praxis immer häufiger Erwähnung und Anwendung findet, wenngleich ein einheitliches Verständnis fehlt (Weidner 2017; Pietraß 2007; Weber 2019). Es ist unklar, ob Infotainment als unterhaltende Wissensvermittlung oder informative Unterhaltung zu verstehen ist. Unterhaltung und Information stellen zunächst zwei unterschiedliche Medienfunktionen dar. Das lange vorherrschende Verständnis von Unterhaltung und Information in der Medienforschung ist durch zwei Grundannahmen geprägt: (1) Unterhaltung ist Medienspezifisch und (2) Unterhaltung und Information beruhen auf Entgegensetzung (Vorderer 2004: 546). Da diese Arbeit sich lediglich dem Medium TV widmet, kann ersteres hier vernachlässigt werden. Letzteres soll hingegen weiter ausgeführt werden:
Die beschriebene „Dichotomie“ von Unterhaltung und Information bedeutet, die Begriffe werden als Begriffspaar verstanden, das sich „gegenübersteht und gegenseitig ergänzt“ (Brockhaus 2019). In der Medienforschung wird dies kontrovers diskutiert: Kritiker konstatieren die Dichotomie als überholt: Postman (1985: 133) kritisiert den mangelnden Informationsgehalt von unterhaltender Information. Er warnt, dass „das Fernsehen die Bedeutung von ‚Informiertsein‘ verändert, indem es eine neue Spielart von Information hervorbringt, die man richtiger als ‚Desinformation‘ bezeichnen sollte“. Schenk (2007) lehnt die Verbindung von Unterhaltung und Information in einem Medium ab. Er nimmt eine klare Abgrenzung von Unterhaltung und Information vor und weist unterhaltenden und informierenden Medien Rezipientenwirkungen zu, die klar voneinander getrennt sind und einander ausschließen. Unterhaltungsorientierten Fernsehsendungen beispielsweise weist er die Rezipientenwirkungen „Vergessen von Problemen“, „passive Entspannung“ und „Erzeugung von Emotionen“ zu. Informationsorientierten Sendungen hingegen bewirken bei Rezipienten ein „Aufmerksam machen auf Probleme in der Realität“, „Aufforderung zum Denken“ und „Einsicht in Problemlagen“ (vgl. Schenk 2007: 465).
Befürworter erkennen eine Verbindung von Information und Unterhaltung in einem Medium an: Für Wirth (2000: 63) macht sich die Gleichzeitigkeit von Information und Unterhaltung insofern bemerkbar, als dass „die Rezipienten das Gefühl haben, etwas Wichtiges (…) zu erfahren und sich dabei unterhalten fühlen“. Wegener (2008: 59) führt beispielhaft für die Verbindung von Information und Unterhaltung das Genre Talkshow an, das neben unterhaltsamen Gesprächen auch eine inhaltliche Tiefe und Informationsvermittlung bietet. Wirths und Wegeners Überlegungen legen nah, dass eine Entgegensetzung von Unterhaltung und Information eine Utopie darstellt und in der Medienrealität so nicht vorzufinden ist. Folglich muss Infotainment auf einem Kontinuum einzuordnen sein, „das auf der einen Seite ausschließlich auf Information und Informieren und auf der anderen Seite auf Unterhaltung ausgerichtet ist“ (Wirth 2000: 64).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Perspektiven auf die Unterhaltung-Informations-Dichotomie
Quelle: Eigene Darstellung
Die Arbeit schließt sich diesen Überlegungen an und unterstellt bei der Untersuchung von Infotainment, dass eine Verbindung von Information und Unterhaltung in Medien möglich ist. Die in diesem Abschnitt aufgeführten Argumentationslinien nehmen Bezug auf Produzent und Rezipient. In den nachfolgenden Abschnitten 2.1 und 2.2 soll daher näher auf die Sicht des Zuschauers und des Produzenten auf Infotainment-Formate eingegangen werden. Die Erkenntnisse dienen als Grundlage für die in Kapitel 4 anschließende empirische Untersuchung
2.1 Sicht der Zuschauers
Der Zuschauer nimmt Medienangebote oftmals deutlich anders wahr als vom Produzenten vorgesehen (Dehm 1984). Die von Produzenten vorgenommene Unterscheidung von Unterhaltung und Information dringt nicht immer bis zum Zuschauer durch oder wird anders eingeschätzt. Ein als Unterhaltungsshow beworbenes Format kann demnach für den Zuschauer auch informierende Anteile haben, wenn ein Inhalt als Neuigkeit mit Relevanz eingestuft wurde, auch wenn dies vom Produzenten nicht unbedingt geplant war (vgl. Weidner 2017: 31).
In den folgenden zwei Abschnitten soll der Prozess hergeleitet werden, wie es zu einem bestimmten Zuschauererlebnis bei Infotainment-Formaten kommt und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen. Die Medienrezeptionsforschung liefert dafür verschiedene Erklärungsansätze, auf die im Folgenden eingegangen wird (Abschnitte 2.1.1 und 2.1.2). Große Beachtung wurde der Studie von Dehm und Storll (2003) geschenkt (Abschnitt 2.1.3), die TV-Erlebnisfaktoren für das Zuschauererlebnis identifizieren. Die Erkenntnisse aus der theoretischen Untersuchung dienen als Grundlage für die empirische Untersuchung der Wirkung beim Zuschauer.
2.1.1 Erklärungsansätze der Medienwirkungstheorien
Grundsätzlich setzen Medienwirkungstheorien bei Untersuchungen der Wirkungen von Medieninhalten einen Schwerpunkt auf die produktions- und produktorientierte oder die rezipientenorientierte Perspektive. Während in Kapitel 2.2 die produktions- und produktorientierte Perspektive Beachtung findet, wird hier zunächst die Wirkung von Medieninhalten aus der Sicht des Rezipienten untersucht. Medienwirkungstheorien suchen nach Erklärungsansätzen für das Rezipientenverhalten, indem sie sich mit dem Zuschauer selbst befassen.
Die Medienwissenschaft folgt allgemein der Annahme, dass Unterhaltung und Information subjektrelationale Größen sind. Das heißt, sie stellen Rezeptionsphänomene dar, die sich nur im Erleben der Zuschauer manifestieren (vgl. Wegener 2000: 59) und nicht in der Produktion durch den Produzenten. Wirth (2000: 89) leitet her: „Die Kommunikatoren [z.B. Produzent, Sender] produzieren mit bestimmten Intentionen und Gestaltungsmitteln Inhalte, die sie über das Medium Fernsehen an den Rezipienten weiterleiten. Ob sich der Rezipient dann tatsächlich (…) [unterhalten oder informiert fühlt] , liegt in seinem subjektiven Erleben, das durch seinen sozialen, psychischen und kognitiven Hintergrund bestimmt wird. Aus dieser Beobachtung resultiert, dass ‚Unterhaltung‘ [für den Zuschauer] keine reine Produkteigenschaft ist [ebenso wenig ‚wie Information‘] (…) Unterhaltung ist demnach auch nicht zwangsläufig auf bestimmte Programmformen beschränkt (…) .“
Diese These stellt das Wesen des Zuschauers in den Vordergrund und macht es primär verantwortlich für das Zuschauererlebnis. Demnach ist Unterhaltung kein „Charakteristikum spezifischer Medien“ (Weidner 2017: 21). Ob ein spezifisches Medienangebot beim Rezipienten eine Wirkung (z.B. Unterhaltung) erzeugt, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, zu denen neben dem Medium (seinem Image, der Erfahrung des Publikums mit ihm etc.), dem Format und seiner Aufarbeitung auch subjektseitige (etwa Erwartungen, Einstellungen, Kenntnisse, Wünsche, Stimmungen des Publikums) und situative (Ort und Zeitpunkt der Mediennutzung, soziale Situation etc.) Aspekte zählen (vgl. Vorderer 2004: 547).
Dehm und Storll (2003: 425) liefern empirische Evidenz, dass bestimmte Gratifikationserwartungen (TV-Erlebnisfaktoren) und das Zuschauererlebnis weitgehend unabhängig davon sind, ob der Medieninhalt als Informations- oder Unterhaltungsangebot ausgeschrieben ist. Der Zuschauer unterscheidet nicht zwischen Medienfunktionen (Unterhaltung oder Information), sondern lediglich zwischen „langweiligen“ und „unterhaltsamen“ Fernsehinhalten (vgl. Goldbeck 2004: 39). Die Studie zeigt ferner, dass das Zuschauererlebnis nicht losgelöst ist von den Erwartungen, die der Zuschauer an ein Format hat. Daraus folgt, dass Unterhaltung als ein variabler Bereich verstanden werden kann, den der Rezipient oftmals anders beschreitet als der Produzent.
Eine Entgegensetzung von Unterhaltung und Information ist aus Rezipientensicht problematisch, da Unterhaltung und Information in unterschiedlicher Gewichtung, jedoch von vielen gleichzeitig erlebt werden (vgl. Dehm und Storll 2003: 425). Nach Klöppel (2008: 16) sind Unterhaltung und Information Rezeptionskategorien. Wie in Kapitel 1 angesprochen, nimmt der Rezipient diese Einordnung in Rezeptionskategorien selber vor, indem er Fernsehinhalten eine Bedeutung zuweist (vgl. Weidner 2017; Klöppel 2008; Dehm und Storll 2003). Es ist an dieser Stelle festzuhalten, dass der bewusste oder unbewusste Eindruck des Zuschauers darüber, ob er sich gerade mehr unterhalten oder informiert fühlt, vom Zuschauer nicht selbst abstrahiert werden kann (vgl. Goldbeck 2004: 39).
In den letzten zwei Jahrzehnten wurde eine Reihe an Unterhaltungstheorien entwickelt, die den Zuschauer in den Mittelpunkt stellen und mehr auf den Vorgang der Wahl eines Programms eingehen, als das Erleben selber. Zu teilen lassen die Theorien sich auch auf das Informieren ausweiten. Diese sollen nachfolgend kurz ausgeführt und auf Infotainment-Formate bezogen werden.
2.1.2 Unterhaltungstheorien
Die am weitesten verbreiteten Unterhaltungs- (und Informations-)Konzepte umfassen den Uses-Gratification-Ansatz, die Mood-Management-Theorie, die Affective-Disposition-Theorie und die Triadisch-Dynamische Unterhaltungstheorie.
Uses-Gratification-Ansatz
Zusammen mit der Mood-Management-Theorie ist der Ansatz der funktionalistischen Motivationsperspektive zuzuordnen (vgl. Weidner 2017: 24). Der Uses-Gratification-Ansatz fasst Unterhaltung als Motiv und nicht als Resultat der Mediennutzung auf. Demnach versucht der Zuschauer mit dem Medienkonsum ganz bestimmte Bedürfnisse zu erfüllen: etwa ein Unterhaltungsbedürfnis (vgl. Katz und Foulkes 1962: 377-388), ein Interaktionsbedürfnis (Horton und Wohl 1956: 215-229), das Bedürfnis nach Flucht aus dem Alltag, oder das Bedürfnis nach Identitätsbildung (Vorderer 1996: 310-326). In der Kritik steht der Ansatz, weil er mit einer Befragung der Zuschauer voraussetzt, dass diese sich ihrer Mediennutzung bewusst und in der Lage sind, diese adäquat zu reflektieren (vgl. Vorderer 2004: 544−564).
Für Infotainment-Formate bedeutet dies, dass die Wirkung (Information, Unterhaltung) auch stark vom Motiv des Konsums abhängt. Dieser Ansatz unterstellt dem Rezipienten eine feste Absicht, die er mit dem Medienkonsum erreichen möchte. Eine Untersuchung von Infotainment-Formaten sollte folglich auf die Motive für den Konsum eingehen, um diese bei der letztendlich effektiven Wirkung zu verstehen.
Mood-Management-Theorie
Die Mood-Management-Theorie von Zillmann (2000: 103−123) legt dem Konsum keine bestimmten Bedürfnisse zugrunde, sondern konzeptualisiert den Zuschauer als Manager seiner Gefühle und suggeriert, dass er angenehme Gefühle sucht und unangenehme vermeidet. Demnach schaltet er ein Programm ein, das potentiell eine positive Wirkung hat. Unterhalten würde sich der Zuschauer folglich dann fühlen, wenn er, je nach Gefühlzustand, ein möglichst stimulierendes und beruhigendes Medienangebot gefunden hat. Das Medienangebot wirkt somit als Stimulus. Diese Theorie vernachlässigt allerdings, dass auch Inhalte konsumiert werden, die scheinbar nicht mit positiven Eindrücken assoziiert sind – etwa traurige oder (zu) spannende Medienangebote. Diese Phänomen beschreibt die sogenannte Angstlust-Theorie.
Der Medienkonsum ist also stimmungsgeleitet und bedingt durch unbewusste Bedürfnisse (positive Gefühle). Infotainment-Formate würden nach diesem Ansatz als Stimulus fungieren, der beim Zuschauer ein positives Gefühl auslösen kann, unabhängig davon, ob er mehr informierend oder unterhaltend ist. In Bezug auf die Angstlust-Theorie ist Infotainment hier auch eine geeignete Möglichkeit unangenehme Informationen im Rahmen unterhaltender Inhalte zu präsentieren. In dosierten Mengen könnten negative oder anstrengende Informationen durch unterhaltende Elemente ausgeglichen werden, um beim Rezipienten keine negativen Gefühle oder Stress zu bewirken.
Triadisch-Dynamische Unterhaltungstheorie
Anders als die vorherigen Ansätze begreift die Triadisch-Dynamische Unterhaltungstheorie (TDU) Unterhaltung nicht als Motiv, sondern als Rezeptionserleben (vgl. Früh 2002). Als Prämisse fixiert die TDU, dass Unterhaltung etwas „tendenziell Angenehmes“ (Früh und Wünsch 2007: 38) und ein autonomer Prozess ist, jedoch in Wechselwirkung zu der Angebotsseite steht (vgl. Weidner 2017: 26). Dies beschreibt das „triadische Fitting“ (Früh 2002: 239). Demnach kommt es nur zu Unterhaltung, wenn drei Faktoren kompatibel sind: personale (Merkmale und Eigenschaften einer Person), mediale (Merkmale und Eigenschaften eines Medienangebots) und situative Faktoren (gesellschaftlicher und sozialer Hintergrund) (vgl. Klöppel 2008: 14). Das Harmonieren dieser drei Faktoren verursacht ein „positives Gratifikationsgefühl“ beim Zuschauer (ebd.).
Um abzugrenzen, wann es sich um eine rein lustbetonte Wirkung handelt und wann um ein nicht-hedonistisches aber trotzdem positives Gefühl – z.B. das befriedigende Gefühl, bei einem überwiegend unangenehmen oder schweren Thema etwas gelernt zu haben (vgl. Früh und Wünsch 2007: 38) – zieht die TDU das Kriterium der „Souveränität und Kontrolle“ (Früh 2002: 108) heran. „Souveränität“ bedeutet hier, dass der Rezipient frei über die Nutzung des Medieninhalts entscheiden kann. „Kontrolle“ heißt, die Nutzung kann jederzeit abgebrochen werden und bleibt ohne Konsequenzen (vgl. Weidner 2017: 25).
Die TDU ordnet Infotainment-Formate ein als einen Faktor in einem Konstrukt, in dem es nur ein Drittel von der Wirkung ausmacht. Bis zu einem gewissen Grad kann das Medienangebot dem Zuschauer also entgegenkommen, wenn es gestalterisch optimal umgesetzt ist, der Rest ist abhängig vom Zuschauer.
Affective-Disposition-Theorie
Ähnlich wie die TDU fokussiert sich die Affective-Disposition-Theorie (Zillmann 1996) auf das Rezeptionserleben. Sie setzt den Schwerpunkt auf die Emotionen bei der Unterhaltung und beschreibt und erklärt Aspekte des Erlebens. Die Mediennutzung wird als Prozess betrachtet, in dem der Zuschauer eine Beziehung zu den Figuren im Fernsehen aufbaut, mit ihnen sympathisiert und auf einen glücklichen Ausgang für die favorisierte Figur hofft. Die Wirkung von Infotainment-Formaten hängt nach diesem Ansatz ab von den Repräsentanten des Themas oder der Sendung (z.B. der Moderator oder Show- und Talkgäste).
Die zuvor beschriebenen Theorien sollen nachfolgend in ihren Kernaussagen und Bezug zu Infotainment zusammengefasst werden (Tabelle 1). Die aufgeführten Ansätze der Medienwirkungsforschung zeigen, dass Medienwirkung ein vielfältiges Phänomen ist und geben Indikationen, wie dieses Phänomen zu untersuchen ist. Das Erleben eines Formats hängt von vielfältigen Faktoren ab (z.B. dem Motiv des Zuschauers, den Erwartungen an den Inhalt, persönliche und situative Merkmale, etc.), die in einer Untersuchung Berücksichtigung finden müssen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Wirkungstheorien, ihre Kernaussagen und ihr Bezug zu Infotainment
Die vorliegende Arbeit schließt sich der Annahme an, dass Unterhaltung und Information ein Erleben auf Rezipientenseite darstellen, welches zwar mithilfe von objektive Reizeigenschaften (vgl. Bertling 2009: 32) beeinflusst, nicht aber vollständig gesteuert werden kann. Da Zuschauer Unterhaltung und Information teilweise gleichzeitig erleben und so nicht einfach abstrahieren können, erfordert die Untersuchung der Medienwirkung eine geeignete Analyseeinheit, anhand derer die intendierte und effektive Wirkung von Infotainment untersucht werden kann. Früh et al. (2004) zeigen in ihren Studien, dass der Zuschauer mit einer speziellen Machart und unter Zunahme bestimmter Inszenierungsstrategien emotional angesprochen und in seinem Erleben stark beeinflusst und geleitet werden kann.
2.1.3 TV-Erlebnisfaktoren nach Dehm und Storll
Dieser Abschnitt soll sich mit den Ergebnissen der Studie von Dehm und Storll (2003) befassen, die anhand konkreter TV-Erlebnisfaktoren das Zuschauererlebnis beim Fernsehkonsum untersuchen. Die Studie identifiziert TV-Erlebnisfaktoren, indem sie sich quantitativen Methoden bedient. Die Ergebnisse geben also mengenmäßig Aufschluss über die Erlebnisweisen der Zuschauer, lassen jedoch eingehendere Erklärungen unberücksichtigt. Beispielsweise, woran der Zuschauer die Erlebnisfaktoren inhaltlich festmacht, bleibt unklar. An dieser Stelle setzt die qualitative Untersuchung in Kapitel 3 an.
Dr. Ursula Dehm, Mitarbeiterin der ZDF-Medienforschung, und Dieter Storll, Leiter der Medienforschung des Forsa-Instituts, rufen für die Erklärung der Sicht des Zuschauers auf unterhaltende und informierende Fernsehangebote sogenannte TV-Erlebnisfaktoren auf den Plan. Diese sollen die Erlebnisweise „Unterhaltung“ ersetzen (vgl. Dehm und Storll 2003: 425). Bisher ist es nicht gelungen den Unterhaltungsbegriff zu operationalisieren, also messbar zu machen. Fehlende detaillierte empirische Daten erschweren das Identifizieren verbindlicher valider Indikatoren. Um diese Lücke zu schließen, dienen drei Thesen als Grundlage.
1) Das Publikum erlebt verschiedene Erlebnisweisen, die abhängig von deren Erwartungen sind, aber unabhängig des Genres.
2) Die zentrale Fernseh-Erlebnisweise Unterhaltung kann allen Fernsehinhalte/Formate inhärent sein.
3) Die gängige Unterhaltungs-Informations-Dichotomie wird vom Zuschauer nicht nachvollzogen. Die Gewichtung variiert, von vielen wird sie gleichzeitig erlebt. (Dehm und Storll 2003: 425)
In zwei auf diesen Thesen aufgebauten Befragungsrunden werden fünf konkrete TV-Erlebnisfaktoren definiert:
1) Emotionalität
2) Orientierung
3) Ausgleich
4) Zeitvertreib
5) Soziales Erleben
Ausgehend von diesen Faktoren ist für Dehm und Storll das Hauptergebnis der Studie „die Bestätigung der Annahme, dass Fernseherlebnisweisen in ihrer Dimensionierung unabhängig von der Heterogenität des Publikums und der Heterogenität der Genres vorliegen“ (S. 430). Bei unterschiedlichen Stimuli ändert sich die Dimension nur in ihrer Gewichtung. Diese fünf TV-Erlebnisfaktoren stellen somit ein „Relevant Set“ dar, mit dem die Fernseherlebnisweisen des Publikums genre- und zielgruppenspezifisch untersucht werden können (vgl. ebd.). Anhand dieser Faktoren lässt sich die qualitative Untersuchung in Kapitel 4 aufbauen, indem dieselben aufgegriffen und analysiert werden.
Die ermittelten Faktoren spielen für die Untersuchung in Kapitel 4 unterschiedlich gewichtete Rollen. Für die meisten Zuschauer ist Fernsehen vor allem mit einem emotionalen Erleben verbunden ist, d.h. Spaß, Entspannung und Spannung (S. 430). Bei Sendungen, die gut unterhalten, ist das emotionale Erleben deutlich größer (63%) als bei Sendungen, bei denen man sich gut informiert fühlt (45%) (S. 430). Für ein unterhaltsames Fernseherleben für den Zuschauer müsste Infotainment folglich einen Mindest-Anteil affektiver, also gefühlsbetonte Elemente beinhalten.
Der TV-Erlebnisfaktor Orientierung fällt bei gut informierenden Sendungen mit 61% ins Gewicht und bei gut unterhaltenden mit 42%. Für rund ein Drittel der Befragten ist Fernsehen Ausgleich. Bei Sendungen, von denen man sich gut unterhalten fühlt, wiegt dieser Erlebnisfaktor schwerer (61%) als bei Sendungen, von denen man sich gut informiert fühlt (22%) (vgl. Dehm und Storll 2003: 430). Das Vereinen von Orientierung und Ausgleich als ein Zuschauererlebnis ist scheinbar prekär. So müsste ein Infotainment-Format für den Zuschauer gleichermaßen unterhaltend und informierend sein.
Fernsehen ist für jeden Vierten auch Zeitvertreib. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Sendung als gut informierend (28%) oder als gut unterhaltend (26%) wahrgenommen wird. Zuletzt bedeutet für jeden Siebten Fernsehen auch soziales Erleben, ohne belangvolle Unterschiede zwischen Sendungen, von denen man sich unterhalten oder informiert fühlt (vgl. Dehm und Storll 2003: 430). Für den Zeitvertreib und das soziale Erleben spielt es für den Zuschauer keine Rolle, ob er das Fernsehangebot als primär unterhaltend oder informierend betrachtet. Für die Analyse des intendierten und tatsächlichen Zuschauererlebnisses können diese beiden Erlebnisfaktoren also hintenangestellt werden. Sie sind unabhängig von den Charakteristika von Infotainment (Unterhaltung, Information) und bilden daher keine Infotainment spezifischen Zuschauererlebnisse.
Die mit diesem Forschungsansatz ermittelten fünf TV-Erlebnisfaktoren ermöglichen einen Überblick über das tatsächliche Zuschauererlebnis und geben Aufschluss darüber, welche Bedeutung der Rezipient unterhaltenden und informierenden Formaten zumisst. „Subjektive Bedeutungsweisen“ sind für die Erlebnisweisen der Zuschauer entscheidend, und weniger „objektive Qualitätsmerkmale“ (Dehm und Storll 2003: 425; ferner Bertling 2009).
Die Erlebnisfaktoren und Theorien der vorangegangenen Studie dienen als Grundlage für die Untersuchung der Zuschauerseite. Im folgenden Kapitel soll die Basis für die Produzentensicht geschaffen werden, um die Untersuchung auf die Produzentenseite auszuweiten.
2.2 Sicht der Produzenten
Im Rahmen der Produktion von Infotainment-Formaten kommt dem Produzenten die Aufgabe zu, Formate zu entwickeln, die sowohl Unterhaltung als auch Information enthalten. Das bedeutet gleichzeitig, er muss die zuvor dargelegte Dichotomie und die damit verbundene Entgegensetzung von Unterhaltung und Information überwinden. Folglich muss ein solches Format auf einem Kontinuum einzuordnen sein, das von 100% Unterhaltung (0% Information) bis 100% Information (0% Unterhaltung) reicht. So stellt beispielsweise ein Spielfilm idealtypisch ein 100-prozentig unterhaltendes Format dar, wohingegen eine Nachrichtensendung 100-prozentig informierend sein sollte (Wirth 2000: 64).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Unterhaltung-Information-Kontinuum
(Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Wirth 2000)
Der Grundgedanke der Dichotomie, sowie die Darstellung als Kontinuum, ist jedoch kritisch zu betrachten. Grundsätzlich können der Produzent und der Sender in der Phase der Konzeption einer Sendung nicht vorhersehen, wie der Zuschauer die Inhalte bei der Rezeption später aufnimmt. Sie können bei der Entwicklung eines Infotainment-Formats also nur Vermutungen darüber anstellen, welche Wirkung das Format beim Zuschauer erzielt. Folglich können sie auch lediglich „Informations- oder Unterhaltungspotenziale“ anbieten, die der Zuschauer annimmt, oder nicht (Früh 2003: 53).
Die anfangs vorgestellte Studie von Dehm (1984), die die Frage aufwirft, inwieweit sich die tatsächliche Wahrnehmung des Rezipienten von dem ursprünglichen Vorhaben des Produzenten bzw. Senders unterscheidet, verdeutlicht den Zwiespalt, vor dem Produzenten stehen, wenn sie ein Format wie die 68er Show konzipieren. Dies erfordert eine nähere Betrachtung, wie auf Produktionsseite ein Unterhaltungs- und Informationspotenzial entwickelt und umgesetzt wird.
Nach Iljine und Keil (2000) umfasst das Berufsbild eines deutschen Fernsehproduzenten im Wesentlichen die vier Bereiche Entwicklung (die kreative Stoffentwicklung und Drehbuchentwicklung zur Zusammenstellung von Themen des gesellschaftliches Diskurses, S. 186-215), Medienangebotserstellung (Produktion inkl. Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der eigentlichen Medienangebotserstellung, S. 229-245), betriebswirtschaftliche Abwicklung (S. 216-228) und Distribution des Medienprodukts (S. 246-255). Alle vier aufgeführten Bereiche beeinflussen sich gegenseitig und schlussendlich den Inhalt des Medienangebots.
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1 Die vorangegangenen Angaben beziehen sich auf die von der SWR Medienforschung erhobenen Daten (in: Media Perspektiven Basisdaten 1990-2001).
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