Österreichs politische Situation seit 1918 Seit im Jahr 1918 die Habsburger Monarchie abgelöst wurde, ist Österreich eine parlamentarisch-demokratische Bundesrepublik mit neun eigenständigen Ländern.1 (Kobert et al.: 321) Diese Staatsform behielt der Alpenstaat zwar de jure bis heute bei, doch gab es de facto Phasen, in denen die demokratische Ordnung aufgehoben war. 1933 setzte der damals amtierende Bundeskanzler Engelbert Dollfuß die parlamentarische Verfassung außer Kraft und führte stattdessen eine berufsständische Verfassung ein. Diese Zeit des Ständestaates wird als „Austrofaschistische Diktatur“ beschrieben. (Ploetz 1960: 1071) Im darauf folgenden Jahr wurde Dollfuß bei einem Putschversuch österreichischer Nationalsozialisten ermordet. Kurt Schuschnigg übernahm das Amt des Bundeskanzlers und führte die Linie seines Vorgängers fort. Vier Jahre später marschierten deutsche Truppen nach Österreich ein und proklamierten dessen Anschluss an das Deutsche Reich. Von diesem Zeitpunkt an ist Österreich Teil des Deutschen Reichs: seine Bürger ziehen für Hitler in den Krieg, viele Städte werden von den alliierten Bombern zerstört. (Ploetz 1960: 1226)Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird das gesamte Land und Wien als Hauptstadt in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Die Geschichte der Alpenrepublik ist, wie sich erkennen lässt, eng mit der Geschichte Deutschlands verknüpft und mit dieser in den Berührungspunkten zu vergleichen. Der Staatsvertrag über die Unabhängigkeit Österreichs wurde jedoch erst 1955 – und damit sechs Jahre später als in Deutschland - geschlossen. Von 1955 an befand sich das Land zunächst in einer „Aufschwungphase“ (Hanisch 1992: 12), die durch wirtschaftliches Wachstum – unterbrochen von einem Einbruch in den 1970er Jahren - und Wohlstand gekennzeichnet war.
Inhalt
Einleitung: Österreichs politische Situation seit 1918
1. Allgemeine Grundlagen
1.1 Das österreichische Wahlrecht
1.2 Dimensionen des Parteiensystems
2. Spezielle Grundlagen
2.1 Soziale Bewegungen als Grundlage der Grünen Partei
2.2 Die Studentenbewegung
2.3 Die neue Frauenbewegung
2.4 Die autonome Jugendbewegung
2.5 Die Friedensbewegung
2.6 Die Umweltbewegung
3. Die Grünen Parteien in Österreich
3.1 Die Entstehung
3.2 Die außerparlamentarische Phase (1977-1986)
3.3 Die Vereinte Grüne Österreichs
3.4 Die Alternative Liste Österreichs
4. Einigung der Strömungen
4.1 Die Grüne Alternative
4.2 Die Umstrukturierung der Grünen Alternative
4.3 Parteiorganisation
Abschluss: Die Grünen heute
Literatur
Einleitung: Österreichs politische Situation seit 1918
Seit im Jahr 1918 die Habsburger Monarchie abgelöst wurde, ist Österreich eine parlamentarisch-demokratische Bundesrepublik mit neun eigenständigen Ländern.[1] (Kobert et al.: 321) Diese Staatsform behielt der Alpenstaat zwar de jure bis heute bei, doch gab es de facto Phasen, in denen die demokratische Ordnung aufgehoben war. 1933 setzte der damals amtierende Bundeskanzler Engelbert Dollfuß die parlamentarische Verfassung außer Kraft und führte stattdessen eine berufsständische Verfassung ein. Diese Zeit des Ständestaates wird als „Austrofaschistische Diktatur“ beschrieben. (Ploetz 1960: 1071) Im darauf folgenden Jahr wurde Dollfuß bei einem Putschversuch österreichischer Nationalsozialisten ermordet. Kurt Schuschnigg übernahm das Amt des Bundeskanzlers und führte die Linie seines Vorgängers fort. Vier Jahre später marschierten deutsche Truppen nach Österreich ein und proklamierten dessen Anschluss an das Deutsche Reich. Von diesem Zeitpunkt an ist Österreich Teil des Deutschen Reichs: seine Bürger ziehen für Hitler in den Krieg, viele Städte werden von den alliierten Bombern zerstört. (Ploetz 1960: 1226)Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird das gesamte Land und Wien als Hauptstadt in vier Besatzungszonen aufgeteilt.
Die Geschichte der Alpenrepublik ist, wie sich erkennen lässt, eng mit der Geschichte Deutschlands verknüpft und mit dieser in den Berührungspunkten zu vergleichen. Der Staatsvertrag über die Unabhängigkeit Österreichs wurde jedoch erst 1955 – und damit sechs Jahre später als in Deutschland - geschlossen. Von 1955 an befand sich das Land zunächst in einer „Aufschwungphase“ (Hanisch 1992: 12), die durch wirtschaftliches Wachstum – unterbrochen von einem Einbruch in den 1970er Jahren - und Wohlstand gekennzeichnet war.
Als Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit steht folgende Feststellung zu dieser Aufschwungphase von Hanisch: „Stand die Basis dieses Blocks – die ‚langen’ 50er Jahre – im Zeichen der Technikeuphorie [...], standen die folgenden Jahre bereits im Zeichen der Krise der Natur und der Umwelt [...].“ (ebd.) Diese Arbeit thematisiert, inwieweit sich diese Krisen auf die Entstehung einer Umweltbewegung und letztlich auf die Gründung von grünen Parteien in Österreich auswirkten.
1. Allgemeine Grundlagen
1.1 Das österreichische Wahlrecht
In der folgenden Skizzierung des in Österreich herrschenden Wahlrechts beschränke ich mich auf die Wahl zum Parlament, dem Nationalrat, da die Zusammensetzung dieses Organs entscheidend für die Entwicklung der Parteien und die Politik auf Bundeseben ist. (Müller 1992 : 182)
Der Nationalrat wird alle vier Jahre durch allgemeine, gleiche, direkte, geheime Verhältniswahlen bestimmt. Ein Unterschied zum deutschen Wahlrecht ist, dass innerhalb der Liste eine Vorzugsstimme für einen bestimmten Kandidaten vergeben werden kann.[2] Um an der Nationalratswahl teilnehmen zu können, muss eine neue Partei 200 bis 500[3] Unterstützungserklärungen in jedem Wahlkreis vorweisen können. Erreicht eine Partei mindestens 4% aller Wählerstimmen, kann sie in den Nationalrat einziehen. Wahlberechtigt sind österreichische Staatsbürger ab 18 Jahren. Eine aktive Anmeldung zur Wahl wie beispielsweise in den USA ist nicht erforderlich. (Müller 1992 : 182)
1.2 Dimensionen des Parteiensystems
Im folgenden Abschnitt beschreibe ich das österreichische Parteiensystem und gehe auf die Funktion der im Parlament vertretenen Parteien SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs), ÖVP (Österreichische Volkspartei) und FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) ein. Die Grünen bleiben in diesem Kapitel nur am Rande erwähnt; Geschichte und Programmatik dieser Partei werden im zweiten Hauptteil der Arbeit eingehend besprochen.
In der Beschreibung des Parteiensystems richte ich mich nach Müller, der sieben Dimensionen[4] der Einordnung von Parteiensystemen beschreibt. Diese Dimensionen sind:
1. die Anzahl und relative Größe der Parteien (numerischer Ansatz)
2. die ideologische Polarisierung
3. die Fluktuation der Wähler zwischen den Parteien (volatility)
4. die gesellschaftlichen Spaltungen (cleavages)
5. der Status als Regierung oder Opposition
6. die Anzahl und die relative Bedeutung der Politikarenen und
7. die Parteiorganisationen (1992: 186ff)
Diese Dimensionen werde ich im Folgeden mit Blick auf das österreichische Parteiensystem beschreiben.
1. Anzahl und relative Größe der Parteien
In Österreich sind rund 300 Parteien registriert, nur wenige sind jedoch für die Politik auf Bundesebene von Bedeutung. (Müller 1992: 187) Die Entwicklung dieses Parteiensystems nach dem Zweiten Weltkrieg lassen sich laut Müller in vier Entwicklungsphasen enteilen:
- Die unmittelbare Nachkriegszeit: Die Alliierten erlaubten nur SPÖ, ÖVP und der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) bei den Nationalratswahlen anzutreten.
- Ende der vierziger bis Anfang der fünfziger Jahre: zahlreiche Parteien gründeten sich und versuchten, das von den Besatzern etablierte Drei-Parteiensystem in Ungleichgewicht zu bringen. Gleichzeitig konnte der Verband der Unabhängigen (ab 1956 FPÖ) als „Drittes Lager“ neben Linken und Konservativen wieder ins Parlament finden.
- Mitte der fünfziger bis Anfang der achtziger Jahre: Die etablierten haben bei den Nationalratswahlen nur wenig Konkurrenz. Die KPÖ ist ab 1959 nicht mehr im Parlament vertreten. Es konsolidiert sich ein Drei-Parteiensystem aus SPÖ, ÖVP und FPÖ.
- Seit Beginn der achtziger Jahre: Die traditionellen Partien stehen wieder Herausforderern mit besseren Erfolgsaussichten gegenüber. Mit dem Einzug der Grünen hat sich eine vierte Partei im Nationalrat etabliert. (Müller 1992: 187f)
ÖVP und SPÖ sind traditionell die stärksten Parteien. Jedoch stellt der Autor fest, „daß [sic!, F.S.] die Veränderungen der 80er Jahre zu einer neuen Qualität des Parteiensystems geführt haben [...].“ (Müller 1992: 188) Die Unterstützung der beiden Parteien ist seit den Achtziger Jahren stark zurückgegangen. (ebd.) Ab dieser Zeit wird daher von einem „polarisierten Pluralismus“[5] (Müller 1992: 189) gesprochen. Dieser Ausdruck beschreibt ein System gekennzeichnet von „drei bis fünf Parteien, von denen keine eine absolute Mehrheit erhält, Koalitionsregierungen, die einander ablösen, eine bipolare Politik und zentripetalen Parteienwettbewerb.“ (ebd.)
2. Ideologische Polarisierung
Müller entnimmt aus den ihm vorliegenden Studien eine inhaltliche Annäherung der österreichischen Parteien seit 1945. Wenn es auch auf einzelnen Politikfeldern wie beispielsweise der Wirtschaft nach wie vor Differenzen gibt, haben sich vor allem SPÖ und ÖVP einander stark angenähert. Den Positionen der beiden großen Parteien stehen jedoch die Positionen von FPÖ und – für diese Arbeit besonders wichtig - von den Grünen gegenüber.
Viele Forderungen der Grünen haben zwar Eingang in die Programmatik und die Strategien der anderen Parteien gefunden, dennoch sind die Differenzen zwischen den Zielvorstellungen der Grünen und dem Handeln der anderen Parteien sicher nicht kleiner als alle anderen ideologischen Gegensätze zwischen den Parlamentsparteien. (Müller 1992: 190)
Allgemein gesprochen beobachten die Autoren einen deutlichen Wandel der ideologischen Polarisierung seit den späten 1960er Jahren.
3. Fluktuation der Wähler zwischen den Parteien
Ein Bruch mit der Tradition ist auch in der Volatilität zu erkennen. Dieser erfolgt zu Beginn der achtziger Jahre. Bis zum Ende der Siebziger gehörte Österreich zu den Staaten, in denen Wähler sehr wenig zwischen den Parteien wechselten. Das Maß für die Volatilität ist der Pedersen-Index[6]. Nach diesem Index lag die Fluktuation in der Zeit von 1949 bis 1982 durchschnittlich bei einem Wert von 3,2. Im Jahr 1986, in dem den Grünen erstmals der Einzug in den Nationalrat gelang, lag der Wert bei 6,4. Im Jahr 1990 lag er bei 9,3. Auch andere Studien weisen auf einen deutlichen Anstieg der Bereitschaft der Wähler hin, eine andere Partei als bisher zu wählen. (Müller 1992 : 190f.)
4. die gesellschaftlichen Spaltungen
Rokkan unterscheidet vier gesellschaftliche Konfliktlinien (erläutert in Mair et al. 1998: 212ff):
- Nationbuilding (19. Jahrhundert)
- Kirche vs. Staat
- ethnische Gruppe A vs. ethnische Gruppe B
- Industrialisierung (Ende des 19. Jahrhunderts, 20. Jahrhundert)
- Agrar vs. Industrie
- Kapital vs. Arbeit
Müller arbeitet heraus, welche dieser Cleavages für das Parteiensystem in Österreich relevant sind. Er nennt
- die Klasse, also die Zugehörigkeit zu einer (ökonomischen) Schicht;
- die Religion, dabei vor allem der Konflikt zwischen gläubigen Katholiken und Nichtkirchlichen und
- die Region, also der Gegensatz zwischen den Großstädten (v.a. Wien) und den ländlichen Regionen (v.a. in West- und Südösterreich). (1992: 191)
Wichtig ist hier, dass der Autor eine Überschneidung der Cleavages beobachtet: „[D]ie meisten Menschen, die durch einen dieser Konflikte getrennt waren, befanden sich auch in den beiden anderen Konfliktlinien auf verschiedenen Seiten. Einem solchen Fehlen von ‚ cross pressures ’ wird konfliktverschärfende Bedeutung zugeschrieben [...].“ (ebd.) Zudem seien die realen Konflikte vor allem vor dem Zweiten Weltkrieg von den Parteien zugespitzt dargestellt worden, um eine stärkere Wählerbindung zu bewirken.
In der Zeit nach dem Nationalsozialismus veränderte sich die soziale Struktur der Bevölkerung. Dies entschärfte den ökonomischen Konflikt. Mit der zunehmenden Säkularisierung Europas wurde zudem das religiöse Cleavage gemildert. Dadurch hat vor allem die Wählerbindung an die ÖVP abgenommen und auch allgemein ist die Dynamik des Parteienwettbewerbs gestiegen. (Müller 1992: 192) Das bedeutet, dass neue und kleine Parteien - wie die Grünen – es im Parteiensystem einfacher haben. Müller kommt zu einem Schluss, der für die grünen Parteien äußerst bedeutsam ist:
Mit der Entstehung und Verbreitung von ‚postmaterialistischer’ Werthaltungen ist eine neue gesellschaftliche Trennlinie (zwischen Materialisten und Postmaterialisten) entstanden, die quer zur alten Politikachse verläuft. Dieses neue gesellschaftliche cleavage ist für das Parteiensystem zweifach relevant: erstens durch die Entstehung von (Grün-)Parteien, die auf die Vertretung dieser Werthaltung spezialisiert sind und deren Auftreten den Parteienwettbewerb direkt beeinflusst [...] und zweitens durch das zusätzliche Konfliktpotential in den traditionellen Parteien.
Ob die Grünen tatsächlich anhand einer neuen Konfliktlinie entstanden sind oder ob sie nur eine neue Dimension der alten Cleavages verkörpern, wird in der Literatur viel diskutiert, gibt jedoch kein einhelliges Ergebnis. (vgl. Burchell 2002:16f)
5. Regierung und Opposition
Bisher waren vier Parteien an Österreichs Regierungen beteiligt: Die SPÖ, die ÖVP, die FPÖ und die KPÖ. Müller stellt fest, dass die Regierungen von nur einer Partei mit absoluter Mehrheit bei der jeweiligen Opposition eher akzeptiert werden, als kleine Koalitionen. (ebd.) Im Jahr 1992 schätzt Müller die FPÖ als koalitionsfähig ein und bescheinigt auch den Grünen eine Entwicklung hin zur Koalitionsfähigkeit. (Müller 1992: 193). Der Autor weist zudem darauf hin, dass es im Parlament immer seltener zu einer Einigung der Parteien kommt. Auch hier erwähnt er ausdrücklich die Rolle der Grünen: „’Alleingänge’ der Regierungsparteien nehmen seit der XIII. Gesetzgebungsperiode[[7], F.S.] zu, der Anteil der einstimmig beschlossenen Gesetze sinkt, insbesondere seit dem Einzug der Grünen ins Parlament.“ (ebd.)
[...]
[1] Die neun Bundesländer sind Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien.
[2] Müller beschreibt diese jedoch als nahezu wirkungslos. (1992: 99)
[3] Die genaue Zahl hängt von der Bevölkerungszahl ab. (Müller 1992 : 181)
[4] Er baut auf auf die sechs Dimensionen der Studie von Gordon Smith. (1989)
[5] Dies liegt einer Einteilung von Sartori aus dem Jahr 1976 zugrunde, auf die ich hier aus Platzgründen nicht explizit eingehen kann.
[6] Der Pedersen-Index beziffert die Wählerfluktuation von 0 bis 100. 100 bedeutet dabei, dass sämtliche Stimmen aller Parteien zu anderen Parteien übergegangen sind. 0 bedeutet, dass alle Parteien alle Stimmen erneut bekommen haben. (Müller 1992 : 190f; nach Pedersen 1983).
[7] Die zehnte Gesetzgebungsperiode begann 1986, d.h. im Jahr des ersten Einzugs der Grünen ins Parlament.
- Arbeit zitieren
- Frauke Schulz (Autor:in), 2006, Die Grünen in Österreich - Geschichte, Organisation und heutige Situation der Grünen Partei, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80354
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