Wenn wir den Namen ‚Jean-Jacques Rousseau’ hören, so verbinden wir damit sicherlich zuallererst den Mythos des edlen Wilden („bon sauvage“). Und wenn es sich auch nur um einen Mythos zu handeln scheint, so weiss Rousseau doch genau, worüber er schreibt, denn: er hat ihn gelebt.
Rousseau, der ja schliesslich auch in der zivilisierten Gesellschaft lebte, bekam auch diese Seite mit. Wer könnte also besser als er das Paradox, wie es in der Forschung heißt, zwischen dem „homme de la nature“ und dem „homme civilisé“ beschreiben?
Doch da scheint auch das Problem zu liegen: Wenn wir nämlich die Forschung anschauen, so gibt es unendlich viel Literatur über genau dieses Thema. Vor allem geht es in der Forschung darum, zu beweisen, dass Rousseau mit seinem edlen Wilden und seinem zivilisierten Menschen ein Paradox aufgestellt hat. Unter anderem findet sich ein Artikel darüber im ‘Dictionnaire de Rousseau’. Das Thema des Paradoxes scheint also zur Genüge diskutiert worden zu sein.
Trotzdem soll hier anhand der Konzepte des „homme de la nature“ und des „homme civilisé“ die Kritik Rousseaus an der Gesellschaft aufgezeigt werden. Dabei werden die beiden discours Rousseaus jedoch unter einem etwas anderen Gesichtspunkt miteinander verglichen: Es geht hier um die Frage, inwieweit sich vom ersten zum zweiten discours im Hinblick auf die Bilder der Gesellschaft eine Verschärfung der Kritik Rousseaus zeigt. Es werden sich sowohl Gemeinsamkeiten, wie aber auch Unterschiede in diesen beiden discours finden, was das Bild der Gesellschaft betrifft. Da in der Forschung eben oft der zweite discours hauptsächlich dazu herangezogen wird, um das Paradox zu erläutern, so soll hier eine Analyse des ersten discours zeigen, dass durchaus schon hier Vergleiche zwischen dem Naturmenschen und dem zivilisierten Menschen gemacht werden. Demnach beginnt auch schon hier die Kritik Rousseaus, die sich in drei zusammenhängende Hauptthesen gliedern läßt: „La nature avait fait l’homme bon, et la société l’a fait méchant ; la nature avait fait l’homme libre, et la société l’a fait esclave ; la nature a fait l’homme heureux, et la société l’a fait misérable.“ (Gustave Lanson: Histoire de la littérature française, Paris 1906, S. 770).
Inhaltsverzeichnis
- Rousseaus Arbeitsweise im Vergleich zu anderen Philosophen
- Der erste Discours
- Naturmensch und zivilisierter Mensch im Vergleich
- Beitrag der Wissenschaften zur Verderbtheit der Sitten
- Gibt es zwei Arten von Wissenschaften?
- Der zweite Discours - die beiden Gesellschaftsbilder im Vergleich
- Schlussbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Text befasst sich mit Jean-Jacques Rousseau und seiner Rolle als Kulturkritiker. Er untersucht Rousseaus Philosophie und seine Kritik an der Gesellschaft im Vergleich zu anderen Denkern seiner Zeit. Dabei werden insbesondere die beiden Discours „Über die Wissenschaften und die Künste“ und „Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen“ analysiert.
- Rousseaus Arbeitsweise und seine Kritik an der Philosophie seiner Zeit
- Der Gegensatz zwischen Naturmensch und zivilisiertem Menschen
- Die Rolle der Wissenschaften in der Gesellschaft und ihre Auswirkungen auf die Moral
- Die Kritik an der Zivilisation und die Suche nach einem idealen Gesellschaftsmodell
- Die Entwicklung von Rousseaus Gesellschaftskritik im Vergleich der beiden Discours
Zusammenfassung der Kapitel
Rousseaus Arbeitsweise im Vergleich zu anderen Philosophen
Dieses Kapitel stellt Rousseau als einen Philosophen vor, der seine eigene Philosophie gelebt hat. Im Gegensatz zu anderen Denkern seiner Zeit, die über die menschliche Natur nachdenken, aber nicht in der Realität leben, verbindet Rousseau Theorie und Praxis. Darüber hinaus wird seine sensible und gefühlsbetonte Sichtweise auf die Welt hervorgehoben, die ihn von seinen zeitgenössischen Kollegen abhebt.
Der erste Discours
Naturmensch und zivilisierter Mensch im Vergleich
Der erste Discours beschäftigt sich mit der Frage, ob die Wissenschaften und Künste zur Verbesserung der Moral beitragen. Rousseau argumentiert, dass der Mensch durch die Wissenschaften aus der Unwissenheit befreit wird, aber gleichzeitig in ein Abhängigkeitsverhältnis zur Gesellschaft gerät. Der Verstand und die Vernunft führen zu einem Konkurrenzkampf zwischen den Menschen, der die natürliche Freiheit des Menschen einschränkt.
Beitrag der Wissenschaften zur Verderbtheit der Sitten
Rousseau untersucht die Auswirkungen der Wissenschaften auf die menschliche Moral. Er argumentiert, dass die Wissenschaften zwar den Horizont des Menschen erweitern, aber gleichzeitig zu einer Verdorbenheit der Sitten führen. Der Mensch wird durch die Wissenschaften an die Gesellschaft gebunden und verliert seine natürliche Freiheit.
Gibt es zwei Arten von Wissenschaften?
Rousseau stellt die Frage, ob es zwei Arten von Wissenschaften gibt: jene, die zur Befreiung des Menschen beitragen, und jene, die ihn in die Abhängigkeit von der Gesellschaft führen. Er argumentiert, dass die Wissenschaften in ihrer Gesamtheit zu einer Verdorbenheit der Moral führen, da sie den Menschen auf ein Leben in der Gesellschaft zwingen.
Schlüsselwörter
Jean-Jacques Rousseau, Kulturkritik, Naturmensch, zivilisierter Mensch, Wissenschaften, Künste, Moral, Gesellschaft, Freiheit, Abhängigkeit, Fortschritt, Paradox, Discours, Vergleich, Gesellschaftsmodell.
- Quote paper
- Miriam Reiling (Author), 2003, Jean-Jacques Rousseau als Kulturkritiker, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80111