Macht Gewalt in den Medien die Jugendlichen aggressiver? Werden wegen ihr viele Mordtaten verübt? Sehen spätere Amokläufer ihre Vorbilder in den „Helden“ zahlreicher brutaler Filme oder Videospiele? Das sind die Fragen, die ständig im Visier der Öffentlichkeit stehen. Die Autorin möchte einen Einblick in diesen Diskussionspunkt aus medienpsychologischer Perspektive wagen.
Dabei geht es vor allem um die Frage, ob Mediengewalt tatsächlich Alltagsgewalt fördert. Als verdächtigte Medien werden hier Kinofilme untersucht und als Beispiele herangezogen, die sich einerseits durch besondere Brutalität, andererseits durch ihren Kultstatus in der Jugendszene auszeichnen.
Action- und Horrorfilme zeigen nicht nur besonders „beeindruckende“ Bilder, sie werden auch von Jugendlichen auf Videos und DVD gekauft. So lassen sie sich wiederholt ansehen und die Lieblingsszenen können separat betrachtet werden. Action- und Horrorfilme eignen sich also - im Gegensatz zu Fernsehfilmen, beispielsweise Western oder Krimis, die beinahe jedem zugänglich sind – besonders dazu, um die spezielle jugendliche Faszination an der dargestellten Gewalt zu durchleuchten.
Inhaltsverzeichnis:
1 Gewalt in den Medien – ständiger Diskussionspunkt
2 Was fasziniert Jugendliche an Gewalt in Filmen?
2.1 Was als Gewalt wahrgenommen wird
2.2 Bedingungen für hohen Horror- und Gewaltfilmkonsum
2.3 Faszination an Gewalt in Filmen
2.3.1 Gewalt und Schrecken als Stimmungsmacher
2.3.2 Die „Angst-Lust“/ Soziale Angst
2.3.3 Subjektive Erlebnisse
3 Gewalt in Filmen
3.1 Definitionen
3.2 Kinder über Horrorfilme
3.3 Funktionen der Gewalt
4 Die Auswirkungen filmischer Gewalt
4.1 Beispiel einer Nachahmungstat
4.2 Theorien
4.3 Persönliche Bedingungen zur Delinquenz
4.3.1 Persönlichkeit
4.3.2 Soziales Umfeld
4.3.3 Beziehung zur Gewalt
4.4 Auswirkungen von Gewalt in Filmen
5 Verantwortung der Erziehungsberechtigten/ der Medien
6 Literatur
1 Gewalt in den Medien – ständiger Diskussionspunkt
Macht Gewalt in den Medien die Jugendlichen aggressiver? Werden wegen ihr viele Mordtaten verübt? Sehen spätere Amokläufer ihre Vorbilder in den „Helden“ zahlreicher brutaler Filme oder Videospiele? Das sind die Fragen, die ständig im Visier der Öffentlichkeit stehen. Die vorliegende Arbeit möchte einen Einblick in diesen Diskussionspunkt aus medienpsychologischer Perspektive wagen.
Dabei geht es vor allem um die Frage, ob Mediengewalt tatsächlich Alltagsgewalt fördert. Als verdächtigte Medien werden hier Kinofilme untersucht und als Beispiele herangezogen, die sich einerseits durch besondere Brutalität, andererseits durch ihren Kultstatus in der Jugendszene auszeichnen. Action- und Horrorfilme zeigen nicht nur besonders „beeindruckende“ Bilder, sie werden auch von Jugendlichen auf Videos und DVD gekauft. So lassen sie sich wiederholt ansehen und die Lieblingsszenen können separat betrachtet werden. Action- und Horrorfilme eignen sich also - im Gegensatz zu Fernsehfilmen, beispielsweise Western oder Krimis, die beinahe jedem zugänglich sind – besonders dazu, um die spezielle jugendliche Faszination an der dargestellten Gewalt zu durchleuchten. Zudem spezialisiert sich diese Arbeit auf Kinder und Jugendliche, ohne unterschlagen zu wollen, dass Mediengewalt auch auf Erwachsene einen großen, sowohl positiven als auch negativen Einfluss haben kann.
Um die Auswirkungen von Mediengewalt zu untersuchen, wird zunächst der faszinierenden Wirkung von Gewalt Bedeutung beigemessen, um im Anschluss generell auf Gewalt in Filmen einzugehen. So sind wichtige Fragen geklärt, bevor einzelne Theorien zur Wirkung von TV-Gewalt und die persönlichen Bedingungen zur Delinquenz (unabhängig von der Mediengewalt) dargestellt werden.
2 Was fasziniert Jugendliche an Gewalt in Filmen?
Etwa 50 % aller Schüler zwischen elf und siebzehn Jahren hat bereits mehr als dreimal einen Horrorvideofilm gesehen, nur jede(r) fünfte hat bislang keine Erfahrung mit dem Medium Horrorfilm gemacht. Diese Zahlen, die sich aus einer repräsentativen Studie von Brosius und Schmitt (1994) ergeben, spiegeln einen allgemeinen Trend wider: Gewaltverherrlichende und Horrorfilme sind bei den Jugendlichen besonders beliebt. Was übt die besondere Faszination aus, die Jugendliche Horror- und Gewaltfilme geradezu verschlingen lässt?
2.1 Was als Gewalt wahrgenommen wird
Zunächst erscheint die Frage, was überhaupt als Gewalt wahrgenommen wird, essentiell. Um die Wirkung von Gewalt zu untersuchen, muss schließlich zunächst geklärt werden, was der einzelne Zuschauer als Gewalt definiert und wahrnimmt. Mehrere Studien kamen zu dem Ergebnis, dass prinzipiell Gewalthandlungen in Nachrichten und Dokumentationen als gewalttätiger empfunden wurden als solche in fiktionalen Sendungen. Als besonders belastend empfinden Acht- bis Dreizehnjährige Gewaltdarstellungen, die „mit drastischen sichtbaren Folgen für die Opfer verbunden sind und von ihrer Art und ihrem Kontext her die Kinder an die Realität erinnern oder sie Realitätsnähe vermuten lassen“ (Hasebrink, 1995, S. 203).
Eine populäre Studie zur Gewaltwahrnehmung bei Kindern und Jugendlichen stammt von Theunert u.a. (1992). Hier wurde die Frage verfolgt, wie Kinder Gewalt definieren, welche Bedeutung sie dieser im Alltag beimessen und letztlich wie sie mit Gewaltdarstellungen umgehen. Hierzu wurden acht- bis dreizehnjährige Kinder befragt, teils wurden Tiefeninterviews durchgeführt. Bei der Studie wurden besonders geschlechtsspezifische Unterschiede entdeckt – zusammenfassen kann man die Ergebnisse folgendermaßen:
Die Kinder haben eine eigene Gewaltschwelle. Bei Unterschreitung (beispielsweise in Zeichentrickfilmen) werden die Kinder von der Gewalt kaum berührt. Liegt die dargestellte Gewalt jedoch oberhalb der individuellen Gewaltschwelle, kann dies bei Kindern zu Ablehnung, Verunsicherung und Angst führen. Kinder lehnen Gewalt besonders dann ab, wenn die Opfer drastisch Schaden erleiden, wenn Gewalt in mysteriösen Zusammenhängen oder in realitätsnahen Kontexten auftaucht. Während Jungen Gewalt nur bei körperlichen Verletzungen und drastischen Folgen wahrnehmen, stufen Mädchen bereits kleinere Prügeleien als Gewalt ein. Zudem reagieren Jungen auf drastische Formen von Gewalt kaum, sie lassen sich davon sogar in einigen Fällen faszinieren. Je emotionaler die Gewaltszene, desto mehr Eindruck hinterlässt sie bei den Kindern.
Vogelgesang (1991) betont zudem, dass die Einstufung bestimmter Verhaltsweisen als gewalttätig vor allem vom Ausmaß der Involviertheit des Rezipienten, seiner Lebenserfahrung und Persönlichkeitsmerkmalen abhängt. So wurde auch empirisch belegt, dass „ab dem elften bis dreizehnten Lebensjahr die Heranwachsenden die Filminhalte bezüglich solcher Dimensionen wie Phantasie, Glaubwürdigkeit und Gewalt zunehmend wie die Erwachsenen wahrnehmen“ (Vogelgesang, 1991, S. 26). Von großer Bedeutung ist zudem die Feststellung, dass die Wahrnehmung und Verarbeitung konkreter gewaltdarstellender Szenen weniger von psycho-biologischen Reifungsprozessen, sondern vielmehr von sozio-kulturellen Variablen abhängen. So wurde ermittelt, dass Heranwachsende aus niedrigen sozioökonomischen Schichten Gewaltprogramme positiver bewerten und gewaltvolle Szenen eher als moralisch gerechtfertigt betrachten als vergleichbare Heranwachsende anderer Schichten.
Kinder und Jugendliche sind durchaus in der Lage, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden, das ergaben einige Studien. Selbst junge Menschen können zwischen dem, was sie aus dem Fernsehen lernen, und dem, was sie in der sozialen Umwelt lernen, differenzieren (Kunczik, 1995). Als abgesichert kann folgende Hypothese gelten: Je realistischer ein Film, als desto violenter wird er auch empfunden (ebd.).
2.2 Bedingungen für hohen Horror- und Gewaltfilmkonsum
Ein hoher TV- beziehungsweise Videokonsum kann heutzutage beinahe als Selbstverständlichkeit gesehen werden. Das ist ein Merkmal unserer Zeit (Bonfadelli, 1980).
Doch welche Persönlichkeitsfaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass jemand zum Horror- und Actionfilmseher wird? Laut Grimm (1996) spielen bei den Fans solcher Filmgenres in der Persönlichkeitsdimension vor allem Fremdbestimmung und Angst eine zentrale Motivation. Das bedeutet, „nicht die Abgebrühten, sondern eher die Sensiblen und Ängstlichen, die ihr Leben großenteils von äußeren Mächten – wie Schicksal, Gesellschaft, Natur – bestimmt sehen, tendieren zum häufigen Anschauen von Horrorfilmen“ (Grimm, 1996, S. 48) . So können die Horror- und Actionfans auch als „generalisierte Erlebnissucher“ (Grimm, 1996, S. 48) bezeichnet werden, die ein hohes Reizniveau benötigen, um unangenehmes Empfinden in Wohlempfinden zu steuern. Die Variablen Angst und Fremdbestimmung ist bei Anhängern von Horrorfilmen stärker ausgeprägt, da der Actionfilmkonsum eher zu einer angstfreien und selbstbestimmten Lebensweise tendiert. Verunsicherte Jugendliche und Heranwachsende mit wenig Selbstwertgefühl, mangelndem Selbstvertrauen und existentiellen Ängsten haben eine besondere Vorliebe für Actionfilme, da sich hier ein einzelner Held beziehungsweise eine Gruppe im Kampf bewähren muss. Solche Filme werden dadurch zur „psychischen Prothese“, die der Stabilisierung der Persönlichkeit dienen. Dadurch kann es zu starker emotionaler Bindung an das Produkt kommen (Rogge, 1995).
Die Jugendlichen nutzen die Medienangebote zur Flucht in ihre Traumwelten. Damit kompensieren sie Niederlagen und weichen Konflikten und Auseinandersetzungen des realen Lebens aus. Nur die Medien geben ihnen Verlässlichkeit, Orientierung und Vertrauen, sie stiften den so oft hinterfragten Sinn des jugendlichen Lebens. Solch medienbezogener Gebrauch hat nicht nur etwas zwanghaftes an sich, in den meisten Fällen ist die Flucht in die Filmwelt mit Versagen in der Nahwelt verknüpft (Rogge, 1995). Zusätzlich bietet TV- und Videogewalt Jugendlichen, die Gefühle von Machtlosigkeit, Hass und Aggressionsphantasien hegen, Identifikationsmöglichkeiten (Bonfadelli, 2000). Dies erklärt auch, warum die faszinierte Nutzung von Gewalt- und Horrorfilmen meist mit der Überwindung des Jugendalters aufhört. Die Festigung der Persönlichkeit und berufliche und persönliche Perspektiven in der Post-Adoleszenz führen dazu, dass der realitätsferne Sinnstifter Gewaltfilm nicht mehr in solch essentieller und zwanghafter Form benötigt wird.
2.3 Faszination an Gewalt in Filmen
Die Faszination, die Gewalt in Filmen ausübt, äußert sich in vielen Komponenten, die je nach Persönlichkeit, Umfeld und Erfahrung unterschiedlich ausgeprägt sind. Eine grobe Motivklassifikation kann durch die Unterteilung in Film- und Umgebungsbezogenheit erfolgen. So gaben bei der Studie von Brosius und Hartmann (1989) die Hälfte der befragten Jugendlichen an, die Selbstbehauptung (das Gefühl, nicht feige erscheinen zu wollen), sei ein wichtiger Beweggrund für den Horrorkonsum. Insgesamt werden bei den Jugendlichen als typisch filmbezogen folgende Motive vermutet: das Bedürfnis nach gesteigerter „action“ und die Suche nach Nervenkitzel. Abwechslung vom langweiligen Alltag, Neugier auf Neues und Unbekanntes sowie der Reiz des Verbotenen gelten als Motive der Auseinandersetzung mit der Umwelt. Als Motive in Bezug auf die eigene Entwicklung und die Wahrnehmung eigener Bedürfnisse werden das Erproben der eigenen Grenzen und die Suche nach der eigenen Identität aufgelistet. Der Druck der Bezugsgruppe bzw. das Bedürfnis, dazuzugehören und das Bestehen einer Mutprobe sind zu den Motiven der Auseinandersetzung mit der Bezugsgruppe zuzurechnen (Brosius/Schmitt, 1994).
2.3.1 Gewalt und Schrecken als Stimmungsmacher
Wichtig ist nach wie vor zu betonen, dass die einzelnen Faszinationsaspekte bei jedem Jugendlichen unterschiedlich stark ausgeprägt sind; zudem treffen einige Faszinationsgründe nicht bei jedem jugendlichen Rezipienten zu.
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- Arbeit zitieren
- Nina Schleifer (Autor:in), 2007, Führt Mediengewalt zu Alltagsgewalt? Die Faszination und die Auswirkungen von Gewalt im Film., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79569
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