Eines der Ergebnisse der PISA Studie war, dass im deutschen Schulsystem von Chancengleichheit keine Rede sein kann. Anstatt die sozialen Unterschiede auszugleichen, werden sie durch die Selektivität des Bildungswesens noch verstärkt. Die Autoren des deutschen PISA-Konsortiums (Baumert/Klieme 2001) konzentrieren sich bei ihren Überlegungen auf die klassischen Arten der Ungleichheit: Schichten und Klassen. Diese Begriffe spielen jedoch bei der Konstruktion der sozialen Identität nur noch eine untergeordnete Rolle; es gibt heute kaum noch Menschen, die sich anhand ihrer Klassenzugehörigkeit identifizieren. Vielmehr werden soziale Grenzen immer stärker an ethnischen Zugehörigkeiten festgemacht; ein Beispiel hierfür wären die zahlreichen ethnischen Konflikte, die sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ereignet haben (Bosnien, Ruanda um nur einige Länder zu nennen) oder die immer wieder aufkommenden ethnisch gefärbten Trends in der Popkultur wie zum Beispiel die Musik von Manu Chao und Salif Keita oder Stefanie Zweigs Buch Nirgendwo in Afrika.
Dem Bildungswesen wird in den meisten Gesellschaften eine große Bedeutung beigemessen, da während des Schulalters die Weichen für die Zukunft gestellt werden, deshalb gewinnt die Frage, ob das Schulsystem den ethnischen Verhältnissen gerecht wird, enorme Brisanz. So wurde in den Vereinigten Staaten auf Druck des Civil Rights Movements und der daraus resultierenden Entscheidung des U.S. Supreme Courts 1971 das „Forced Busing“ eingeführt, mit dessen Hilfe die Rassensegregation und die damit einhergehende Diskriminierung im amerikanischen Bildungswesen überwunden werden sollte. Auch wenn dieser Ansatz das Integrationsproblem zu lösen heute als Fehlschlag gewertet wird, zeigt das Beispiel dennoch deutlich wie wichtig es ist, mit dem Ethnizitätsproblem angemessen umzugehen. Deshalb möchten wir im Folgenden untersuchen, wie stark unterschiedliche Schulsysteme nach ethnischer Herkunft diskriminieren.
Inhalt
1. Einleitung
2. Theoretischer Teil
2.1. Begriffserklärung
2.2 Problemstellung
3. Theoretischer Bezugsrahmen
3.1 Theoretische Grundlage
4.1 Angewendete Verfahren
4.2 Datengrundlage
4.3 Auswahl der Variablen
4.3.1 Ethnizität
4.3.2 Ökonomisches Kapital
4.3.3 Soziales Kapital
4.3.4 Kulturelles Kapital
4.3.5 Lesekompetenz
4.3.6 Erstellen des Arbeitsmodels für den internationalen Vergleich
5 Interpretation der Ergebnisse
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
Eines der Ergebnisse der PISA Studie war, dass im deutschen Schulsystem von Chancengleichheit keine Rede sein kann. Anstatt die sozialen Unterschiede auszugleichen, werden sie durch die Selektivität des Bildungswesens noch verstärkt. Die Autoren des deutschen PISA-Konsortiums (Baumert/Klieme 2001) konzentrieren sich bei ihren Überlegungen auf die klassischen Arten der Ungleichheit: Schichten und Klassen. Diese Begriffe spielen jedoch bei der Konstruktion der sozialen Identität nur noch eine untergeordnete Rolle; es gibt heute kaum noch Menschen, die sich anhand ihrer Klassenzugehörigkeit identifizieren. Vielmehr werden soziale Grenzen immer stärker an ethnischen Zugehörigkeiten festgemacht; ein Beispiel hierfür wären die zahlreichen ethnischen Konflikte, die sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ereignet haben (Bosnien, Ruanda um nur einige Länder zu nennen) oder die immer wieder aufkommenden ethnisch gefärbten Trends in der Popkultur wie zum Beispiel die Musik von Manu Chao und Salif Keita oder Stefanie Zweigs Buch Nirgendwo in Afrika.
Dem Bildungswesen wird in den meisten Gesellschaften eine große Bedeutung beigemessen, da während des Schulalters die Weichen für die Zukunft gestellt werden, deshalb gewinnt die Frage, ob das Schulsystem den ethnischen Verhältnissen gerecht wird, enorme Brisanz. So wurde in den Vereinigten Staaten auf Druck des Civil Rights Movements und der daraus resultierenden Entscheidung des U.S. Supreme Courts 1971 das „Forced Busing“[1] eingeführt, mit dessen Hilfe die Rassensegregation und die damit einhergehende Diskriminierung im amerikanischen Bildungswesen überwunden werden sollte. Auch wenn dieser Ansatz das Integrationsproblem zu lösen heute als Fehlschlag gewertet wird, zeigt das Beispiel dennoch deutlich wie wichtig es ist, mit dem Ethnizitätsproblem angemessen umzugehen. Deshalb möchten wir im Folgenden untersuchen, wie stark unterschiedliche Schulsysteme nach ethnischer Herkunft diskriminieren.
2. Theoretischer Teil
2.1. Begriffserklärung
Bei vielen soziologischen Begriffen gibt es unterschiedliche Definitionen. Daher werden wir, um Missverständnissen vorzubeugen zunächst die wichtigsten Begriffe erläutern.
In unserem Verständnis von Ethnizität orientieren wir uns an Ludwig Steindorff, der Ethniziät wie folgt definiert: „Ethnos (Ethnie) bezeichnet eine vormoderne Großgruppenbildung, die sich durch gemeinsame objektive Merkmale wie Namen der Gruppe, Sprache und Lebensformen nach Außen abgrenzt und über ein eigenes Gruppenbewußtsein verfügt.“ (Steindorff 2000:14). Karl-Heinz Hillmann betont das „emotional stark aufgeladene Bewußtsein“ (Hillmann 1994:198f) und hebt damit den subjektiven Begriff der Ethnie stärker heraus als Steindorff. Ähnlich wie bei dem Begriff der Klasse, kann man zwischen einer objektiven ethnischen Lage und einem subjektiven ethnischen Bewusstsein unterscheiden (Klassenlage vs. Klassenbewusstsein) (zum Begriff der Klassenlage vgl. Weber 1980:177ff, Giddens 1973:46fff). Im folgenden wollen wir von einer Ethnie dann sprechen, wenn sie ein ethnisches Bewusstsein ausgebildet hat.
Traditionellerweise werden Klassen als funktionale Kategorien begriffen (Vgl. die Unterscheidung zwischen Kapitalisten und Proletariern bei Marx) (Giddens 1979:25fff). Wir wollen uns jedoch eher an Bourdieu orientieren, der Klassen an der unterschiedlichen Ausstattung mit Kapitalien festmacht. Er unterscheidet zwischen ökonomischem, sozialem, kulturellem und symbolischem Kapital (Turner 2003:495f). Die hier verwendeten Klassen unterscheiden sich nicht nur dadurch, dass sie in unterschiedlichen Graden mit Kapitalien ausgestattet sind, sondern auch dadurch, dass sich die Zusammensetzung dieser Kapitalien unterscheidet. So sind z.B. Professoren und Industrielle in der Oberschicht anzusiedeln und verfügen über mehr Kapitalien, als z.B. ein Arbeiter, jedoch hat ein Professor wesentlich mehr kulturelles Kapital als ein Industrieller, wohingegen letzterer über mehr ökonomisches Kapital verfügt.
Ökonomisches Kapital setzt sich aus verschiedenen Formen produktiven Eigentums, wie Geld, Gebäude, Land usw. zusammen. Soziales Kapital meint Beziehungen oder Positionierungen in Netzwerken. Symbolisches Kapital versteht Bourdieu als die Möglichkeit den Besitz der anderen Kapitalsorten symbolisch zu legitimieren (Turner 2003:ibid)
Bourdieu erläutert kulturelles Kapital wie folgt: „Das kulturelle Kapital kann in drei Formen existieren: (1.) in verinnerlichtem, inkorporiertem Zustand , in Form von dauerhaften Dispositionen des Organismus, (2.) in objektiviertem Zustand, in Form von kulturellen Gütern, Bildern, Büchern, Lexika, Instrumenten oder Maschinen, in denen bestimmte Theorien und deren Kritiken Problematiken usw. Spuren hinterlassen oder sich verwirklicht haben, und schließlich (3.) in institutionalisiertem Zustand, einer Form von Objektivation, die deswegen gesondert behandelt werden muß, weil sie – wie man beim schulischen Titel sieht – dem kulturellen Kapital, das sie ja garantieren soll, ganz einmalige Eigenschaften verleiht“ (Bourdieu 1983:185). Innerhalb einer homogenen Gesellschaft lässt sich relativ leicht festmachen, welche inkorporierten Dispositionen und welche kulturellen Güter sich gut in schulische Titel umsetzen lassen bzw. in andere Kapitalformen konvertiert werden können. Wenn man jedoch innerhalb einer Gesellschaft verschiedene ethnische Gruppierungen annimmt, muss man davon ausgehen, dass diese Gruppen sich kulturell voneinander unterscheiden. Diese kulturellen Unterschiede bedeuten, dass in den unterschiedlichen Gruppen gleichen Gütern und Verhaltensweisen verschiedene kulturelle Wertigkeiten zugemessen werden. So spielt z.B. Goethe in Europa eine viel größere Rolle als in Asien und umgekehrt ist die Peking Oper in Europa nahezu unbekannt. Kulturelles Wissen dieser Art wird im Elternhaus vermittelt und in den Schulen vorausgesetzt und vertieft. An dieser Situation lässt sich erkennen, dass einem Schüler[2] aus einer anderen Ethnie zum Teil die Grundlagen für den schulischen Erfolg fehlen.
2.2 Problemstellung
Wie oben festgestellt liegt in der Ethnizitätsproblematik eine gewisse soziale Sprengkraft, deshalb ist dieses Phänomen einen genaueren Blick wert. Obwohl wir in der demokratischen Welt keine wirkliche ethnische Diskriminierung durch Gesetze beobachten können, finden wir dennoch teilweise massive Unterschiede zwischen den ethnischen Gruppierungen innerhalb eines Landes. Hierdurch werden einige Fragen aufgeworfen: Wie reproduziert sich soziale Ungleichheit entlang ethnischer Grenzen? Welche Rolle spielt dabei das Bildungssystem? Welche Bildungssysteme kommen mit dieser Problematik am besten zurecht? Welche Möglichkeiten gibt es, das Problem abzumildern?
3. Theoretischer Bezugsrahmen
3.1 Theoretische Grundlage
In einer idealen Welt sollte die Chancengleichheit innerhalb des Schulsystems eine Selbstverständlichkeit sein. Bourdieu und Passeron identifizieren jedoch das französische Schulsystem der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts als einen Hauptmechanismus, der soziale Ungleichheit von einer Generation auf die nächste überträgt. Obwohl sie keine Untersuchungen gemacht haben, ob dies auch für andere Länder gilt kann davon ausgegangen werden, dass ähnliche Prinzipien auch in anderen Ländern und Zeiten gültig sind. Sie stellen fest, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder aus unteren Schichten eine höhere Schule besuchen wesentlich geringer ist, als die der Kinder aus höheren Schichten. Auch wenn es keine formellen Zugangsbeschränkungen gibt, scheint es doch Hürden zu geben, die von Kindern der unteren Schichten, bei gleicher Intelligenz, nicht überwunden werden können. Darüber hinaus findet innerhalb des Schulsystems eine weitere Selektion statt, die Kinder aus den unteren Schichten wiederum benachteiligt, sodass nur wenige von ihnen den Sprung an die Hochschule schaffen, wodurch ihnen hochqualifizierte Arbeit versagt bleibt. Dies führt dazu, dass sie auch in der ökonomischen Sphäre hinter ihren Mitschülern aus den oberen Schichten zurückbleiben.
Bourdieu und Passeron führen diese Ungleichheiten auf unterschiedliche Ausstattung mit kulturellem Kapital zurück. Hierzu zählt nicht nur der Zugang zu kulturellen Gütern wie Büchern, Musik, Museen und Ähnlichem, der durch staatliche Eingriffe nur noch in geringem Maße an ökonomische Ressourcen gebunden ist, sondern auch der ‚natürliche’ Umgang mit ihnen, der Kindern aus höheren Schichten leichter fällt, woraus sie Nutzen für ihre schulische Laufbahn ziehen können (Vgl. Bourdieu/Passeron 1971:19-91).
Abbildung 1: Eine vereinfachte Darstellung des Reproduktionsmodells nach Bourdieu und Passeron
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
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[1] Siehe hierzu z.B.: http://www.adversity.net/special/busing.htm
[2] Wir verwenden in dieser Arbeit die männliche Form und beziehen uns dennoch auf beide Geschlechter.
- Quote paper
- Marco Kaiser (Author), 2003, Ethnische Ungleichheit im internationalen Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78902
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