Frankreich ist es zuweilen besonders schwer gefallen, sein Kolonialreich nach dem 2. Weltkrieg in die Unabhängigkeit zu entlassen. Dies verdeutlichen vor allem die beiden kostspieligen und langjährigen Kriege in Indochina (1946-1954) und Algerien (1954-1962), die hier im Mittelpunkt stehen werden. Das soll jedoch nicht zu dem Eindruck führen, Frankreich habe immer mit aller Macht versucht, ihre Kolonien zu halten – tatsächlich verliefen die Dekolonisationsprozesse sehr unterschiedlich und in Teilen auch relativ „friedlich“, so in Tunesien und den Kolonien der Sub-Sahara. Es soll hier jedoch nicht Aufgabe sein, über die französische Dekolonisation, weder im Allgemeinen noch im Speziellen, zu urteilen. Vielmehr werfen die beiden Kriege eine ganz andere Frage auf: die nach der „indépendance“ Frankreichs zu Zeiten des Kalten Krieges. Diese wird grundsätzlich eher angezweifelt, mit Verweis auf das Erstarken der USA und UdSSR zu Supermächten, das Entstehen einer bipolaren Welt und die damit notwendige Westbindung der ehemaligen Kolonialmächte, unter ihnen die beiden „Großen“, Großbritannien und Frankreich. Tatsächlich hat Großbritannien in Dekolonisationsfragen verstärkt auf Diplomatie gesetzt und die Zustimmung der USA gesucht, mit Verweis auf die eigene wirtschaftliche Abhängigkeit. Dies wird am Beispiel Palästina deutlich: Der damalige Außenminister Bevin hat nach dem 2. Weltkrieg ein anglo-amerikanisches Komitee zur Palästinafrage berufen, in der Hoffnung, dies würde einen Konsens zwischen den USA und Großbritannien schaffen, der von ihm als notwendig für die finanzielle Restauration Großbritanniens betrachtet wurde. Nun waren die ökonomischen Unterstützungen im Rahmen des Marshall-Plans sowohl für Großbritannien als auch für Frankreich von großer Bedeutung, das Verhältnis zu dem großen Partner USA ganz anders.
Daher stellt sich die Frage, wie abhängig und schwach Frankreich im internationalen System nach 1945 wirklich war, wenn es sich 16 Jahre Kolonialkrieg leisten konnte, und dies nicht nur im finanziellen Sinne. Schließlich gaben sich die USA offenkundig als anti-koloniale Macht, die mit der Atlantik-Charta auf das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ pochte. Auf den ersten Blick zeugen diese beiden Kolonialkriege von einer relativen Unabhängigkeit Frankreichs gegenüber dieser anti-kolonialen Macht. Zwei Möglichkeiten bleiben, um diesen Widerspruch zwischen anti-kolonialer Großmacht und französischen Kolonialkriegen zu lösen: Entweder waren die antikolonialen USA nur bedingt antikolonial; oder das geschwächte Frankreich nur bedingt von den USA abhängig. Die beiden Kolonialkriege in Indochina und Algerien stellen offensichtlich die Bedeutung dieses internationalen Faktors, Supermacht USA und Kalter Krieg, der Dekolonisationstheorie in Frage. Auf diese Theorie wird im ersten Teil eingegangen. Danach steht die Metropole, die Situation im Nachkriegsfrankreich im Vordergrund. Schließlich werden die Situationen in der Peripherie, in Indochina und Algerien, sowie die Ursachen für den Dekolonisationsprozess vorgestellt. Besonders wird dabei auf die Rolle der USA eingegangen, ihre Einflussmöglichkeiten und Interessen in den jeweiligen Gebieten. Letztlich stellt sich die Frage nach der Relevanz der USA als internationaler Faktor für die Dekolonisationsprozesse Frankreichs.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der internationale Faktor in der Dekolonisationstheorie
- Der Kalte Krieg als internationaler Faktor
- Der Anti-Kolonialismus der USA
- Die Metropole Frankreich: Warum 16 Jahre Kolonialkriege?
- Moralischer Wiederaufbau
- 1954: Das Jahr von Pierre Mendès France
- L'Algérie Française, de Gaulle und die V. Republik
- Vom Indochinakrieg zum Kalten Krieg
- Die Situation in Indochina nach dem 2. Weltkrieg
- Vom klassischen Kolonialkrieg zum „Bollwerk gegen den Kommunismus“
- Schlussfolgerungen zur Rolle der USA im Dekolonisationsprozess Indochinas
- Der Algerienkrieg: die USA im Dilemma
- „Algérie Française\" gegen die algerische Nationalbewegung
- Vom Scheitern der IV. Republik bis zu den „Accords d'Evian“
- Die Rolle der USA im Algerienkrieg
- Schlussfolgerungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Dekolonisation Frankreichs nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere mit den langwierigen und kostspieligen Kolonialkriegen in Indochina und Algerien. Sie hinterfragt die Rolle der USA als anti-koloniale Supermacht im Dekolonisationsprozess und untersucht die Abhängigkeit Frankreichs von den USA im Kontext des Kalten Krieges.
- Die Bedeutung des Kalten Krieges für den Dekolonisationsprozess
- Die Rolle der USA als anti-koloniale Macht und ihre Einflussmöglichkeiten
- Die französische Dekolonisation und die „indépendance“ Frankreichs
- Die Situation in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg und die Frage des moralischen Wiederaufbaus
- Die Ursachen für die französischen Kolonialkriege in Indochina und Algerien
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Thematik der Arbeit und die zentralen Fragen vor, die im Fokus stehen. Kapitel 2 beleuchtet den internationalen Faktor in der Dekolonisationstheorie und untersucht die Rolle des Kalten Krieges und der USA. In Kapitel 3 wird die Situation in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die Ursachen für die französischen Kolonialkriege analysiert. Kapitel 4 widmet sich der Dekolonisation Indochinas und der Rolle der USA in diesem Prozess. Kapitel 5 untersucht den Algerienkrieg und die schwierige Position der USA in diesem Konflikt. Die Schlussfolgerungen fassen die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammen.
Schlüsselwörter
Dekolonisation, Frankreich, Indochina, Algerien, USA, Kalter Krieg, Anti-Kolonialismus, Internationale Beziehungen, Supermacht, Diplomatie, Nationalismus, Unabhängigkeitsbewegung.
- Arbeit zitieren
- M.A. Mareike Bibow (Autor:in), 2004, Die USA als anti-koloniale Supermacht und die französischen Kolonialkriege in Indochina und Algerien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78827