Seit der ‚modernen’ Urbanisierung am Ende des 19. Jahrhunderts haben sich für die menschliche Interaktion in den Metropolen Bezeichnungen wie distanziert, gleichgültig, kalt oder reserviert in der kollektiven Empfindung eingenistet. Die Schuld hierfür wurde und wird in der Regel den Auswüchsen des fortgeschrittenen Kapitalismus und der Geldwirtschaft, der Ökonomisierung und Verdinglichung unserer Lebenswelt zugeschrieben. Der amerikanische Soziologe Richard Sennett jedoch bietet hierfür einige darüber hinausgehende Erklärungen an. In seinen Werken zum Thema Stadt erweitert er die Ursachenforschung um die Aspekte der sich mit der Urbanisierung verändernden städtischen Architektur sowie der gesellschaftlichen Ansichten und deren entsprechenden Ausdrucks- und Umgangsformen während der letzten drei Jahrhunderte.
In seinem 1977 erschienen Buch 'Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität' stellt er zum Beispiel die recht ungewöhliche These auf, unserer Gesellschaft würde es eher an Distanz als an Nähe mangeln, sie sei geprägt von einer „intimen Sichtweise“. Der Fokus liegt hierbei auf der Ergründung der zunehmenden Trennung zwischen privatem und öffentlichem Leben seit dem 18. Jahrhundert und ihren Auswüchsen bis in die Gegenwart. 'Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds' greift diese Trennung erneut auf, konzentriert sich dabei jedoch vor allem auf die Erscheinungsformen der Stadt selbst und erläutert deren Einfluss auf die Aufmerksamkeit ihrer Bewohner. Das groß angelegte 'Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation' verfolgt diese Entwicklung gar von der Antike bis zur Gegenwart und rundet mit dieser speziellen „Geschichte der Stadt“ Sennetts Untersuchungen zum Thema äußerst anschaulich ab.
Die einführende Darstellung der wesentlichen Inhalte dieser drei Werke soll im Folgenden mein Anliegen sein. Die 'Tyrannei der Intimität' werde ich hierbei am ausführlichsten vorstellen, da es nach einigen Einzelstudien sein erstes größeres und auch einflussreichstes ist. Zudem legt es, wie oben aufgezeigt, zu einem großen Teil den thematischen Grundstein, auf dem auch die anderen beiden Bücher aufbauen.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität
- III. Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds
- IV. Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation
- V. Zur Person
- VI. Eine Art Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Richard Sennetts Werke über die Stadtkultur befassen sich mit der Entwicklung der Stadt und ihren Auswirkungen auf das öffentliche Leben, die menschliche Interaktion und die Kultur. Seine Analysen betrachten die Veränderungen in der städtischen Architektur und den gesellschaftlichen Ansichten und zeigen, wie diese Entwicklungen die Art und Weise, wie wir in der Stadt leben und miteinander umgehen, prägen.
- Die Tyrannei der Intimität in der modernen Gesellschaft
- Die Trennung zwischen privatem und öffentlichem Leben
- Der Einfluss der Architektur auf das öffentliche Leben
- Die Rolle der Konkurrenz und des Individualismus in der Stadt
- Die Herausbildung der "Öffentlichkeit" im 18. Jahrhundert
Zusammenfassung der Kapitel
II. Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität
Sennett argumentiert, dass unsere Gesellschaft von einer "intimen Sichtweise" geprägt ist, die zu einer Tyrannei der Intimität führt. Diese Sichtweise zeichnet sich durch eine starke Betonung von Authentizität und persönlicher Nähe aus, was zu einer Entwertung des öffentlichen Lebens führt. Der öffentliche Raum erscheint kalt und leer, da er nicht den Ansprüchen der persönlichen Authentizität gerecht wird. Sennett betrachtet die Entwicklung des öffentlichen Raums seit dem 18. Jahrhundert und zeigt, wie die Veränderungen in der Architektur zur Verlagerung von Aktivitäten und sozialen Begegnungen aus der Öffentlichkeit in den privaten Bereich geführt haben.
III. Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds
Dieses Kapitel setzt sich mit der Trennung zwischen privatem und öffentlichem Leben auseinander und untersucht, wie diese Trennung die Stadt und das Leben ihrer Bewohner prägt. Es wird argumentiert, dass die Stadt selbst einen starken Einfluss auf die Aufmerksamkeit und das Verhalten der Menschen hat. Die Architektur und die Organisation der Stadt tragen dazu bei, die Art und Weise, wie wir uns bewegen, kommunizieren und unsere Zeit verbringen, zu beeinflussen.
IV. Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation
Sennett untersucht die Entwicklung der Stadt und ihre Beziehung zum menschlichen Körper von der Antike bis zur Gegenwart. Er betrachtet, wie sich das Verhältnis zwischen Körper und Raum, sowie die Kultur des Körpers in der Stadt im Laufe der Geschichte verändert haben.
Schlüsselwörter
Richard Sennett, Stadtkultur, öffentliches Leben, Intimität, Architektur, Urbanisierung, Konkurrenz, Individualismus, Authentizität, Gesellschaftliche Ansichten, Civitas, Körper, Raum.
- Quote paper
- Mike Schmidt (Author), 2004, Respekteinflößende Belesenheit - Richard Sennetts Werke zur Stadtkultur, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78527