Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist der Stellenwert soziokultureller Aspekte in der Entwicklungshilfe, der über die letzten fünfundzwanzig Jahre stark an Bedeutung zugenommen hat. Während die Kulturen der Entwicklungsländer noch bis in die 70er/80er Jahre hinein oftmals als „entwicklungshemmend“ erachtet wurden, hat sich mittlerweile die Einstellung diesbezüglich drastisch gewandelt: Kultur wird nun als elementarer Bestandteil der Lebensauffassung eines Menschen ernst genommen und respektiert. Kultur schafft Identität, gibt Sinn und Halt, ein Fakt, auf den auch in der Entwicklung eines Landes Rücksicht genommen werden muss. Trotz dieses übereinstimmenden Einstellungswandels in der entwicklungspolitischen Grundhaltung, bestehen nach wie vor große Schwierigkeiten bezüglich der Umsetzung von kultursensibler Entwicklungsarbeit in der Praxis.
Der Prozess im theoretischen Diskurs, der dazu führte soziokulturellen Werten mehr Bedeutung zuzumessen, bildet den ersten Abschnitt dieser Arbeit. Der zweite Teil widmet sich dem Schwerpunkt dieser Arbeit und erläutert, welche Umstände dazu führen, dass kulturelle Aspekte in der Praxis der Entwicklungshilfe oft nicht genügend berücksichtigt werden. Hier soll insbesondere die große Kluft verdeutlicht werden, die zwischen den allgemeingültigen theoretischen Konzepten und den spezifischen kulturellen Anforderungen in der Realität der Entwicklungsprojekte besteht. Der nachfolgende Abschnitt veranschaulicht anhand zweier Projekte nochmals am konkreten Beispiel die Realität in der Entwicklungshilfe und die Komplexität der kulturellen Rahmenbedingungen, mit denen ein Entwicklungshelfer vor Ort konfrontiert ist. Abschließend werden mögliche Ansatzpunkte und Trends aufgezeigt, wie der Thematik „Kultur und Entwicklung“ in unterschiedlicher Weise begegnet werden kann.
Ziel der Arbeit ist es, die Sensibilität dafür zu schärfen, dass man ein Land nicht entwickeln kann, man kann es lediglich so unterstützen, dass es sich auf seinen eigene Art entwickeln kann. Nach wie vor besteht eine große Dynamik im entwicklungspolitischen Diskurs zu dieser Thematik. Die vorliegende Arbeit zeigt den Status Quo in der Auseinandersetzung mit „Kultur und Entwicklung“ auf.
II. Inhaltsverzeichnis
I. Kurzfassung
II. Inhaltsverzeichnis
III. Abbildungsverzeichnis
IV. Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung: „Wie die Wilden“
2 Soziokulturelle Werte in der Entwicklungstheorie
2.1 Begriffsabgrenzung: Kultur im entwicklungspolitischen Verständnis
2.2 Der Umgang mit Kultur in der Geschichte der Entwicklungstheorien
2.2.1 Kolonialzeit
2.2.2 Imperialismustheorien
2.2.3 Modernisierungstheorien
2.2.4 Dependenztheorien
2.2.5 Die 70er: Grundbedürfnisstrategie
2.2.6 Die 80er
2.2.7 Die 90er
2.3 Zusammenfassende Betrachtung: Westliche vs. einheimische Kultur
2.4 Aktuelle entwicklungstheoretische Ansätze zur Kulturthematik
2.4.1 Das Partizipationskonzept
2.4.2 Das Genderkonzept (Gleichberechtigungskonzept)
3 Soziokulturelle Werte in der praktischen Entwicklungshilfe
3.1 Überblick über die Strukturen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
3.1.1 Staatliche Organisationen
3.1.2 Nichtregierungsorganisationen (NRO)
3.2 Soziokulturelle Aspekte in der Projektarbeit
3.2.1 Antragsstellung und –prüfung
3.2.2 Projektplanung
3.2.3 Projektdurchführung
3.2.4 Projektkontrolle
3.3 Exemplarische Analyse interkultureller Konfliktpunkte
3.3.1 Weltanschauung: Java, Westafrikanische Stämme, Nepalesische Bergvölker
3.3.2 Managementauffassung: Subsahara-Afrika, „Auslandschinesen“
4 Praxisbeispiele
4.1 “Circle of Life”: Bildung für Kinder und Jugendliche auf den Philippinen
4.2 Beratung von Schneidereien im Auftrag des Senior Experten Service
5 Ausblick
V. Anhänge
Anhang B: Interviewleitfaden
Anhang C: Dokumentation zur Konferenz: „Kultur und Entwicklung“
VI. Literaturverzeichnis
I. Kurzfassung
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist der Stellenwert soziokultureller Aspekte in der Entwicklungshilfe, der über die letzten fünfundzwanzig Jahre stark an Bedeutung zugenommen hat. Während die Kulturen der Entwicklungsländer noch bis in die 70er/80er Jahre hinein oftmals als „entwicklungshemmend“ erachtet wurden, hat sich mittlerweile die Einstellung diesbezüglich drastisch gewandelt: Kultur wird nun als elementarer Bestandteil der Lebensauffassung eines Menschen ernst genommen und respektiert. Kultur schafft Identität, gibt Sinn und Halt, ein Fakt, auf den auch in der Entwicklung eines Landes Rücksicht genommen werden muss. Trotz dieses übereinstimmenden Einstellungswandels in der entwicklungspolitischen Grundhaltung, bestehen nach wie vor große Schwierigkeiten bezüglich der Umsetzung von kultursensibler Entwicklungsarbeit in der Praxis.
Der Prozess im theoretischen Diskurs, der dazu führte soziokulturellen Werten mehr Bedeutung zuzumessen, bildet den ersten Abschnitt dieser Arbeit. Der zweite Teil widmet sich dem Schwerpunkt dieser Arbeit und erläutert, welche Umstände dazu führen, dass kulturelle Aspekte in der Praxis der Entwicklungshilfe oft nicht genügend berücksichtigt werden. Hier soll insbesondere die große Kluft verdeutlicht werden, die zwischen den allgemeingültigen theoretischen Konzepten und den spezifischen kulturellen Anforderungen in der Realität der Entwicklungsprojekte besteht. Der nachfolgende Abschnitt veranschaulicht anhand zweier Entwicklungsprojekte nochmals am konkreten Beispiel die Realität in der Entwicklungshilfe und die Komplexität der kulturellen Rahmenbedingungen, mit denen ein Entwicklungshelfer vor Ort konfrontiert ist. Abschließend werden mögliche Ansatzpunkte und Trends aufgezeigt, wie der Thematik „Kultur und Entwicklung“ in unterschiedlicher Weise begegnet werden kann.
Ziel der Arbeit ist es, die Sensibilität dafür zu schärfen, welch fundamentale Rolle Kultur in der Entwicklungshilfe einnimmt, aber auch wie schwierig sich der Umgang mit Kultur in der Entwicklungspraxis gestaltet. Nach wie vor besteht eine große Dynamik im entwicklungspolitischen Diskurs, wie mit Kultur in Entwicklungsprojekten umzugehen sei. Die vorliegende Arbeit soll daher den Status Quo in der Auseinandersetzung „Kultur und Entwicklung“ aufzeigen und das Verständnis für die Hintergründe dieses Themenkomplexes fördern.
Schlagwörter: Entwicklungshilfe, Kultur, soziokulturelle Faktoren, Partizipation, Entwicklungsprojekt
III. Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Beim Wasserholen mit den Himba-Frauen stellen sich Frau Düvel und ihre Töchter ungeschickt an
Abb. 2: Der Stamm der Mentawai führt ein Ritual zur Geisteraustreibung durch, um den erkrankten Sohn der Familie Sauerzapf Koch zu heilen
Abb. 3: Deutscher Kolonialherr in Togo (ca. 1885)
Abb. 4: Karikatur: Entwicklungshilfe, die nicht auf die Rahmenbedingungen im Einsatzland eingeht
Abb. 5: Deutsch-laotisches Kulturprojekt zur Erhaltung laotischer Handschriften, ein anerkanntes Projekt der Weltdekade für kulturelle Entwicklung
Abb. 6: Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit
Abb. 7: Das Emblem der UNESCO Weltkulturkonferenz in Stockholm
Abb. 8: Bundes-entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
Abb. 9: Das Programm SOUTEBA, Projekt zur Verbesserung des Bildungsniveaus in Niger, unterstützt vom DED
Abb. 10: Werbeplakat der AGEH
Abb. 11: Nahrungsmittelverteilung der Deutschen Welthungerhilfe während einer Dürrekatastrophe in Angola
Abb. 12: Planung und Durchführung der Entwicklungszusammenarbeit
Abb. 13: Planungsworkshop der GTZ eines Regenwald-Projekts in Brasilien
Abb. 14: Instrumente zur internen Kontrolle
Abb. 15: Darstellung der Göttin Miyo Langsangma, die nach nepalesischem Glauben auf dem heiligen Berg Mount Everest residiert
Abb. 16: Die Kindergartengruppe des Projekts „Circle of Life“
Abb. 17: Der „Circle of Life"
Abb. 18: Herr Heumann mit zwei der philippinischen Erzieherinnen des Kindergartens
Abb. 19: Frau xxx mit Schülern einer ruandesischen Schneiderwerkstätte
Abb. 20: Beratung von Näherinnen im Iran
Abb. 21: Moldawien: Ausstellung fertiger Produkte einer Schneiderei - die Kleidung ist größtenteils altmodisch und qualitativ minderwertig verarbeitet
Abb. 22: Szene aus dem Theaterstück „Armed Response“, das im Rahmen der Runden Tische in Johannesburg gezeigt wurde
Abb. 23: Bolivien: Die Stiftung Azur fördert traditionelle Webkunst der indigenen Bevölkerung – die Darstellungen illustrieren Details aus dem Lebensalltag der verschiedenen Völkergruppen und unterscheiden sich von Region zu Region
Abb. 24: Die Mittelverwendung des BMZ-Etats 2005
Abb. 25: Partnerländer der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
Abb. 26: Entwicklungshilfsleistungen der Geberländer im Vergleich (absolut)
Abb. 27: Entwicklungshilfeleistungen der Geberländer in Bezug auf das jeweilige Bruttonationaleinkommen
IV. Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung: „Wie die Wilden“
„Wenn die Sonne der Kultur tief steht, werfen selbst die Zwerge lange Schatten.“ Karl Kraus (Satiriker)[1]
Im Sommer 2006 zeigte der Fernsehsender SAT1 eine Reality-Doku-Show mit dem fragwürdigen Titel „Wie die Wilden – Deutsche im Busch“, die in der Folge von verschiedensten Stellen vehement angegriffen wurde.
Inhaltlich ging es in der Show darum, wie drei deutsche Familien mit dem Lebensalltag traditioneller Volksstämme in Indonesien, Namibia und Togo zurechtkommen. Jede der Familien lebte für drei Wochen mit einem der Stämme und wurde dabei gefilmt, wie sie auf Bräuche und Gewohnheiten des fremden Kulturkreises reagierte.
Die Tatsache, dass die Deutschen in den süffisanten Kommentaren des Sprechers meist nicht besonders gut wegkamen, als luxusverwöhnt und ignorant hingestellt wurden, milderte dabei die bedenkliche Gegenüberstellung von Deutschen als entwickelte Gesellschaft und „Wilden“, als primitive Dritte-Welt-Menschen, die insbesondere auch aus dem Titel der Show spricht, etwas ab. Teilweise erhielt die Show hierfür auch recht gute Kritiken. So lobte etwa der Spiegel, es sei „schön, dass Sat.1 es fertig gebracht hat, die Stämme nicht vorzuführen, sondern deren Traditionen als völlig selbstverständlich zu zeigen.“[2]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 : Beim Wasserholen mit den Himba-Frauen stellen sich Frau Düvel und ihre Töchter ungeschickt an[3]
Allerdings bleibt anzumerken, dass sich die im Fernsehen gezeigte „Traditionen“ der Stämme, mit denen die deutschen Familien konfrontiert wurden, zum Großteil auf möglichst Aufsehen erregende, publicityträchtige Details beschränkten: ungewöhnliche Glaubensriten (z.B. Tieropfer, Geisteraustreibung bei Krankheiten), spektakuläre Nahrungsgewohnheiten (z.B. das Essen von Hunden, Katzen, Affen, Maden, Baumrinde), oder spezifische Hygienemaßnahmen (z.B. Zahnpflege mit Stöcken, Wäschewaschen mit Asche). Dadurch wurde die Kultur der Volksstämme auf einige wenige „exotische“ Details reduziert, die für sich allein genommen ein sehr verzerrtes Bild der kulturellen Identität der Stämme vermitteln.
Das Veranschaulichen der realen soziokulturellen Gegebenheiten dieser Volksstämme schien nicht das eigentliche Ziel der Show zu sein. Im Vordergrund stand ganz klar der Unterhaltungs- und nicht der Bildungsaspekt. Ein Blick auf die Website von SAT1, auf der weitere Informationen zur Show zu lesen sind, bestätigt diese Ansicht. So heißt es beispielsweise zu den männlichen Himbas (Namibia): „Männer dürfen sich waschen. [Anmerkung: Den Frauen der Himbas ist es verboten ist, sich zu waschen.] Die Männer sind für das Vieh zuständig. Sie reiten dabei auf Eseln und führen in ihrer Freizeit Ringkämpfe. Die Männer rasieren sich im Genitalbereich.“[4] Während Banalitäten wie die Genitalrasur der Himba Männer auf der Website festgehalten wurden, bleiben aktuelle Problemlagen wie etwa ein geplantes Staudammprojekt, das den Lebensraum der Himbas bedroht, unerwähnt.[5]
Die Volksstämme sind mehr oder minder bloße Randfiguren in der Show. Im Mittelpunkt stehen die oftmals sehr emotionalen Reaktionen der deutschen Familien, wenn sie etwa dazu aufgefordert werden Maden, Baumrinde oder Hunde zu essen, oder sich an der Jagd nach Affen zu beteiligen. Die Familien erhielten vor ihrer Abreise zu den Volksstämmen keinerlei Informationen über deren Lebensgewohnheiten und mussten sich ohne Sprachkenntnisse oder Dolmetscher zurechtfinden – wohl um den folgenden Kulturschock zu forcieren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 : Der Stamm der Mentawai führt ein Ritual zur Geisteraustreibung durch, um den erkrankten Sohn der Familie Sauerzapf Koch zu heilen[6]
Eine Vielzahl von Protesten richtete sich gegen das Sendekonzept von „Wie die Wilden“. Einzelpersonen und Interessensgemeinschaften übten in Internetforen und auf entsprechenden Websites harsche Kritik an der Show und riefen zu Protestmails gegen SAT1 auf. So verurteilte beispielsweise die Gesellschaft für Afrikanische Philosophie (Berlin) insbesondere die rassistischen Anspielungen der Show und wird in dieser Auffassung von der namibischen Botschaft unterstützt. Das Konzept der Show sei ein Verstoß gegen die Menschenwürde und Beleidigung, lautete der Vorwurf von Dr. Katja Böhler, Mitarbeiterin der Bundeszentrale für politische Bildung.[7]
Trotz aller Widerstände gelang es nicht, das Absetzen der Reality Show zu bewirken. Ob es zu einer Fortsetzung des Sendekonzepts kommt, die dann in einem Gegenbesuch der „Wilden“ in Deutschland bestünde, ist noch ungeklärt.
Am Beispiel dieser Fernsehshow wird deutlich, wie kontrovers die Diskussionen sind, die interkulturelle Themen bisweilen auslösen – was der Spiegel als eine „unterhaltsame Annäherung der Kulturen“[8] bezeichnet, ist für andere Diskriminierung. Wo die eine Seite eine harmlose Unterhaltungsshow sieht, spricht die andere Seite von diffamierender Zurschaustellung von ethnischen Minderheiten. Es geht um den ethischen Konflikt, ob es richtig oder falsch ist, wie eine Kultur der anderen begegnet. Und es geht um die Frage, wie die Bewohner der reichen Länder mit den Völkern der armen Länder umgehen; ein Thema, dass seit Beginn der Kolonisation (1492) und insbesondere seit dem Anfang der Entwicklungshilfe (1949) immer wieder neu gestellt wird.
Was macht Kultur aus? Welche Auswirkungen haben Eingriffe von außen (denn nichts anderes ist Entwicklungshilfe) auf die Kultur eines Volkes? Wo verläuft die Grenze zwischen Hilfeleistung und dem Aufzwingen fremder Sichtweisen?
Das sind die zentralen Fragen der vorliegenden Arbeit, die sich mit dem Bedeutungszuwachs soziokultureller Werte in der deutschen Entwicklungshilfe auseinandersetzt. Um eines schon vorwegzunehmen: auch diese Arbeit wird keine generelle Antwort geben können auf die Frage nach dem richtig oder falsch im Umgang mit Kulturen. Entwicklungshilfe arbeitet vor dem Hintergrund einer sich ständig wandelnden Realität – und die unterliegt zu vielen Faktoren, als dass mit 100%iger Sicherheit die zukünftigen Auswirkungen einer Maßnahme auf Kultur und Entwicklung eines Landes prognostiziert werden könnten. Ebenso wie es letztlich unmöglich ist, eine Aussage darüber zu treffen, inwiefern die Zuschauer von „Wie die Wilden“ in ihrer Wahrnehmung traditioneller Volksstämme beeinflusst wurden, und welche etwaigen Folgen auf die Stämme der Himba, der Mentawai und der Tabermas zukommen könnten.
2 Soziokulturelle Werte in der Entwicklungstheorie
„Die Moral ist dieselbe bei allen Menschen; also kommt sie von Gott. Die Kultur ist verschieden, also ist sie Menschenwerk.“ Voltaire[9]
2.1 Begriffsabgrenzung: Kultur im entwicklungspolitischen Verständnis
„Erklärung von Mexiko City“:
Deshalb stimmt die Konferenz im Vertrauen auf die letztliche Übereinstimmung der kulturellen und geistigen Ziele der Menschheit darin überein:
- Dass die Kultur in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden kann, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertesysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen.
- Dass der Mensch durch die Kultur befähigt wird, über sich selbst nachzudenken. Erst durch die Kultur werden wir zu menschlichen, rational handelnden Wesen, die über ein kritisches Urteilsvermögen und ein Gefühl der moralischen Verpflichtung verfügen. Erst durch die Kultur erkennen wir Werte und treffen die Wahl. Erst durch die Kultur drückt sich der Mensch aus, wird sich seiner bewusst, erkennt seine Unvollkommenheit, stellt seine eigenen Errungenschaften in Frage, sucht unermüdlich nach neuen Sinngehalten und schafft Werke, durch die er seine Begrenztheit überschreitet.[10]
Die oben stehende Definition von Kultur wurde 1982 in Mexiko auf der Weltkonferenz über Kulturpolitik, Mondiacult, festgehalten und ist die im entwicklungspolitischen Bereich gebräuchliche Definition des Kulturbegriffs. Es handelt sich hierbei um den so genannten erweiterten Kulturbegriff, der sich auf geteilte Werte, Normen und Überzeugungen, also auf die gesamte Lebenswelt einer Gruppe bezieht. Damit ist der im entwicklungspolitischen Kontext verwendete Kulturbegriff sehr viel weiter gefasst, als die gemeinhin übliche Kulturauffassung, die sich auf den Bereich der Künste und Geisteswissenschaften beschränkt (enger Kulturbegriff).[11]
Die Unterscheidung dieser beiden Kulturkonzepte wird bisweilen auch durch die Begriffe kultural, bzw. kulturell getroffen. Dabei entspricht die kulturale Kulturkonzeption dem weiten Kulturbegriff, „die Kultur als jene Antwort versteh[t], die von den Menschen den Problemen ihrer gesellschaftlichen Existenz gegeben wird, als Gesamtheit der Vorstellungen und Symbole, durch die der Mensch seinem Leben [...] einen Sinn gibt.“[12]
Die einzelnen Faktoren, die – im Sinne des erweiterten Kulturbegriffes - die Kultur eines Volkes ausmachen, werden als soziokulturelle Faktoren bezeichnet, ihre Gesamtheit als soziokulturelle Dimension.[13]
Eine exakte Bestimmung, welche Faktoren im einzelnen Kultur ausmachen, ist kaum durchführbar. Um es mit den Worten von Dr. Schöfthaler, Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission, auszudrücken: „Es handelt sich bei der Kultur um ein Phänomen, dem wir uns analytisch nur nähern können, von dessen herausragender Bedeutung aber fast alle einmütig überzeugt sind.“[14]
2.2 Der Umgang mit Kultur in der Geschichte der Entwicklungstheorien
Entwicklungstheorien waren besonders im 20. Jahrhundert von enormer politischer Bedeutung. Den Kern dieser Theorien bildete jeweils die Vision, welche Bedingungen zur wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der Dritte Welt Länder führen würden. Eine große Rolle spielte dabei die Frage, welche Umstände die „Unterentwicklung“ dieser Länder verursacht hätten. Hierfür kamen zum einen Außeneinflüsse (exogene Faktoren) in Betracht, zum anderen aber dem Entwicklungsland selbst entstammende ökologische, politische, ökonomische oder kulturelle Bedingungen (endogene Faktoren).
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts vollzog sich ein Einstellungswandel in der Entwicklungspolitik. Die Analyse der Ursachen für Entwicklung bzw. „Unterentwicklung“ trat in den Hintergrund und statt dessen gewannen praxisorientierte Entwicklungskonzepte an Bedeutung.
Welche Einstellung die Theorien bzw. die neueren entwicklungstheoretischen Ansätze zur Kulturthematik im einzelnen haben, wird im folgenden näher erläutert.
2.2.1 Kolonialzeit
Die Kolonialzeit begann 1492 (Entdeckung Amerikas) und dauerte offiziell bis zum Ende des 2. Weltkrieges 1945.[15] Oberstes Ziel während der Kolonialzeit war die Ausbeutung von Ressourcen durch die Kolonialmächte.
Die in den Kolonien lebende Bevölkerung wurde im besten Falle übergangen, oder aber zur Ressourcenausbeutung instrumentalisiert bzw. im schlimmsten Falle versklavt. Die einheimische Kultur wurde dabei entweder ignoriert, oder aber mit der Absicht genauer erforscht, um aus dem Wissen über soziokulturelle Gegebenheiten Nutzen für die Kolonialherren zu ziehen. (Instrumentalisierung von Kultur)[16]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3 : Deutscher Kolonialherr in Togo (ca. 1885)[17]
2.2.2 Imperialismustheorien
Die Bezeichnung Imperialismus steht in Zusammenhang mit der europäischen Expansionswelle von 1840 bis 1914, wobei die Imperialismustheorien erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihren Anfang hatten. Die Imperialismustheoretiker vertraten den Standpunkt, dass exogene Faktoren (also Einflüsse von außen) Schuld am Entwicklungsrückstand der Dritten Welt gegenüber den westlichen Ländern seien. Für diese negativen äußeren Einflüsse wurden in erster Linie die Vorkommnisse der Kolonialzeit verantwortlich gemacht. Eine nähere Auseinandersetzung mit kulturellen Aspekten fand während des Imperialismus nicht statt.[18]
2.2.3 Modernisierungstheorien
Mitte der 50er Jahre entwickelten sich die Modernisierungstheorien, die im Gegensatz zu den Imperialismustheorien nun innere Umstände (endogene Faktoren) für die Unterentwicklung der Dritten Welt verantwortlich machten. Eine Entwicklung sei daher nur möglich, wenn etwa das politische System, das Rechts-, und Bildungswesen nach westlichen Vorbild modernisiert würden.[19]
Erklärtes Entwicklungsziel der Modernisierungstheorie war wirtschaftliches Wachstum nach westlichem Vorbild durch „Angleichung des Fremden an Eigene“[20]. Überspitzt formuliert: die „Verwestlichung“ der Dritten Welt.
Kulturspezifische Analysen spielten durchaus eine recht bedeutende Rolle in den Modernisierungstheorien. Allerdings dienten die gewonnenen Erkenntnisse lediglich dazu die Kultur der Einheimischen zu funktionalisieren, um so zur Umsetzung der Entwicklungsvorhaben beizutragen. Im Grunde wurden kulturelle Werte der Dritte Welt Länder weder respektiert, noch Ernst genommen. Die einheimischen Kulturen wurden als unterlegen empfunden und die Überwindung der Traditionen als erforderlich erachtet, um Entwicklung zu ermöglichen.[21]
2.2.4 Dependenztheorien
Als Gegenreaktion auf die Modernisierungstheorien entstanden Mitte der 60er Jahre die Dependenztheorien. Sie basierten auf der Annahme, dass die Unterentwicklung der Dritten Welt ein Resultat ihrer Abhängigkeit von der westlichen Welt ist. Somit waren es erneut exogene Einflüsse, die für die mangelnde Entwicklung der Dritte Welt Länder verantwortlich gemacht wurden.
Schuld an der Abhängigkeit der Entwicklungsländer von den Industriestaaten seien die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und das „neokolonialistische“ Welthandelssystem, das die devisenschwachen Entwicklungsländer zu billigen Rohstoff- und Rohwaren-Exporten zwingen würde.[22]
Eine differenzierte Auseinandersetzung mit kulturellen Aspekten fand in den Dependenztheorien nicht statt. Gemäß den Dependenztheoretikern ist die innere Verfasstheit der Entwicklungsländer, also auch soziale, politische und kulturelle Bedingungen von den Außeneinflüssen verursacht.[23]
2.2.5 Die 70er: Grundbedürfnisstrategie
Die Grundbedürfnisstrategie beschäftigte sich nun erstmals nicht mehr mit der Suche nach Erklärungen für die „Unterentwicklung“ der Dritten Welt. Statt dessen stand die konkrete Verbesserung der Lebensbedingungen der Armen im Vordergrund.
Während in den 60ern noch der Hauptaugenmerk auf Wirtschaftswachstum lag, der indirekt auch den ärmeren Bevölkerungsschichten zugute kommen solle („Trickle-Down-Effekt“[24] ), wurde in den 70ern eine „Entwicklung von unten“ verfolgt, die direkt bei den Ärmsten der Armen ansetzte.
Das Ziel der Grundbedürfnisstrategie war eine Entwicklung, die von der breiten Masse getragen werde solle, wodurch auch der Annäherung an die Kultur „der Massen“ große Bedeutung eingeräumt wurde, wenn sie auch einer gewissen Differenziertheit entbehrte.
Die Planung der Strategien und Maßnahmen war weiterhin in der Hand der westlichen Entwicklungsorganisationen und damit auf westliche Handlungsrationalitäten aufgebaut – eine Planung am grünen Tisch ohne profunde Kenntnis der soziokulturellen Umstände vor Ort, wie nebenstehende Karikatur veranschaulicht.[25]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4 : Karikatur: Entwicklungshilfe, die nicht auf die Rahmenbedingungen im Einsatzland eingeht[26]
2.2.6 Die 80er
Auch in den 80ern wurde nach wie vor davon ausgegangen, dass eine Entwicklung der Dritten Welt nach westlichem Vorbild erfolgen müsse (Aufholstrategie). In Abgrenzung zu den Dependenztheorien lag die Betonung nun verstärkt auf den endogenen Faktoren. Kultur als entwicklungspolitisches Themengebiet avancierte zur heiß diskutierten (Mode-) Erscheinung, die sich in zahlreichen kulturbezogenen Publikationen manifestierte. Eine Vielzahl von Themen aus dem soziokulturellen Bereich, wie „Gender“ oder „Partizipation“ wurden in entwicklungstheoretische Diskussionen mit aufgenommen. (Erläuterung des Partizipations- und des Genderkonzeptes sh. 2.4)
[...]
[1] Quelle: www.zitate.de
[2] Quelle: www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,433129,00.html
[3] Quelle: www.sat1.de/comedy_show/wiediewilden/bilder_videos
[4] Quelle: www.sat1.de/comedy_show/wiediewilden/die_staemme/himbas
[5] vgl. www.uni-bonn.de/Aktuelles/Presseinformationen/2004/469.html
[6] Quelle: www.sat1.de/comedy_show/wiediewilden/bilder_videos
[7] vgl. www.freiburg-postkolonial.de/Seiten/wiediewilden.htm
[8] Quelle: www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,433129,00.html
[9] Quelle: http://wissen.acont.de
[10] vgl. Van Hasselt (1998), S. 65
[11] vgl. Schönhuth (2005), S. 120 f
[12] vgl. Faschingeder (2001), S. 133
[13] vgl. Schönhuth (2005), S. 197
[14] Quelle: Schöfthaler (1998), S. 9
[15] vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/kolonialismus
[16] vgl. Faschingeder (2001), S. 30
[17] Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/kolonialismus
[18] vgl. Faschingeder (2001), S. 57 f
[19] vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/entwicklungstheorie
[20] vgl. Faschingeder (2001), S. 73
[21] vgl. Faschingeder (2001), S. 64 ff
[22] vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/entwicklungstheorie
[23] vgl. Faschingeder (2001), S. 78 ff
[24] Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/entwicklungspolitik
[25] Bliss (1999), S. 73
[26] Quelle: www.fherrgen.de/Down/Karikaturen/ehilfe/Ehilfe13.jpg
- Arbeit zitieren
- Martina Roglmeier (Autor:in), 2007, Der Bedeutungszuwachs sozio-kultureller Werte in der deutschen Entwicklungshilfe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78504
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