Bevor ich das erste Mal von Jurek Beckers Jakob der Lügner hörte, beschäftigte ich mich mit Die Ermittlung von Peter Weiss. Es handelt sich bei diesem Text um die szenische Darstellung der Frankfurter Auschwitz-Prozesse. Peter Weiss selber merkte an, dass es sich bei Die Ermittlung nur um ein Konzentrat der Materialien und Aussagen des Prozesses handeln soll. Der Prozess richtete sich 1963 gegen 18 Mitarbeiter des KZ Auschwitz. Man erfährt Einzelheiten aus dem Leben der Opfer, wie z.B. von überbelegten unhygienisch ausgestatteten Lagerblocks, von Krankheit, Unterernährung, Seuchen und Denunzierung, von Hinrichtungsplätzen, Phenol-Injektionen und Vergasungskammern. Es stellt sich weiterhin heraus, wie die Opfer mehr und mehr entpersönlicht wurden und zur totalen Resignation und Selbstaufgabe getrieben wurden. Bei Die Ermittlung handelt es sich nicht um eine fiktive Geschichte, sondern Peter Weiss beschreibt, obwohl er nur Fakten konstruiert, die Realität, wie sie wirklich war. Ich gehe nur deshalb auf den Text von Peter Weiss ein, weil dies mein Erwartungshorizont bezüglich Jakob der Lügner war.
Da auch Jakob der Lügner von der Ermordung der Juden bzw. „vom Leben und Tod im Getto einer polnischen Kleinstadt in den Jahren des Zweiten Weltkriegs“ handelt, war ich mir sicher, dass ich erneut mit einem Text zu tun haben werde, der dieses sehr grausame und düstere Thema in Augenschein nimmt.
Ich habe erwartet, dass das Thema Judenverfolgung bzw. Ermordung der Juden eher nüchtern und trocken behandelt werden würde. Ich dachte an einen “verzweifelten Kampf und [einen] heroischen Untergang“ (Reich-Ranicki, 134) der Hauptfigur, und damit verbunden war mir völlig klar, dass ich „direkte Klage (…) [und] direkte Anklage“ (Reich-Ranicki, 134) wieder finden würde.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Psychoanalytisches Grundwissen
2.1 Definition von Komik
2.2 Der psychische Apparat nach Sigmund Freud
2.3 Das Lachen und dessen Wirkung auf Es, Ich und Über-Ich
2.4 Das Wortspiel als Technik des Witzes
2.5 Das Wortspiel und der Lustmechanismus
2.6 Die Lust am Unsinn
2.7 Situationskomik nach Freud
3. Analyse des Textes
3.1 Die Situation im Ghetto aus psychoanalytischem Blickwinkel
3.2 Wortspiel im Text
3.3 Situationskomik im Text
3.4 Die Lust am Unsinn im Text
3.5 Die Funktion des Witzes und der Komik im Text
4. Zusammenfassung
4.1 Lob und Kritik bezüglich des Werkes
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Bevor ich das erste Mal von Jurek Beckers Jakob der Lügner hörte, beschäftigte ich mich mit Die Ermittlung von Peter Weiss. Es handelt sich bei diesem Text um die szenische Darstellung der Frankfurter Auschwitz-Prozesse. Peter Weiss selber merkte an, dass es sich bei Die Ermittlung nur um ein Konzentrat der Materialien und Aussagen des Prozesses handeln soll. Der Prozess richtete sich 1963 gegen 18 Mitarbeiter des KZ Auschwitz. Man erfährt Einzelheiten aus dem Leben der Opfer, wie z.B. von überbelegten unhygienisch ausgestatteten Lagerblocks, von Krankheit, Unterernährung, Seuchen und Denunzierung, von Hinrichtungsplätzen, Phenol-Injektionen und Vergasungskammern. Es stellt sich weiterhin heraus, wie die Opfer mehr und mehr entpersönlicht wurden und zur totalen Resignation und Selbstaufgabe getrieben wurden. Bei Die Ermittlung handelt es sich nicht um eine fiktive Geschichte, sondern Peter Weiss beschreibt, obwohl er nur Fakten konstruiert, die Realität, wie sie wirklich war. Ich gehe nur deshalb auf den Text von Peter Weiss ein, weil dies mein Erwartungshorizont bezüglich Jakob der Lügner war.
Da auch Jakob der Lügner von der Ermordung der Juden bzw. „vom Leben und Tod im Getto einer polnischen Kleinstadt in den Jahren des Zweiten Weltkriegs“[1] handelt, war ich mir sicher, dass ich erneut mit einem Text zu tun haben werde, der dieses sehr grausame und düstere Thema in Augenschein nimmt.
Ich habe erwartet, dass das Thema Judenverfolgung bzw. Ermordung der Juden eher nüchtern und trocken behandelt werden würde. Ich dachte an einen “verzweifelten Kampf und [einen] heroischen Untergang“ (Reich-Ranicki, 134) der Hauptfigur, und damit verbunden war mir völlig klar, dass ich „direkte Klage (…) [und] direkte Anklage“ (Reich-Ranicki, 134) wieder finden würde.
Als ich den Roman das erste Mal las, wurden meine Erwartungen, wie bereits oben erwähnt, nicht erfüllt. Es handelt sich in der Tat um ein unerfreuliches und düsteres Thema, allerdings war/ ist Jakob der Lügner viel leichter zu lesen als beispielsweise Die Ermittlung. Der Roman wirkt „leicht und amüsant“ und zeigt „Charme und Grazie mit viel Humor“ (Reich-Ranicki, 133). Statt eines trockenen, nüchternen und düsteren Grundtons findet man Witz und Komik. Statt des verzweifelten Kampfes der Hauptfigur und seines Untergangs geht es um ein kleines Ghetto, in dem die Juden sich nicht auflehnen, schon gar nicht mit Waffengewalt. Im Mittelpunkt stehen auch nicht Klage oder Anklage, sondern ein Mann, der durch eine anfangs kleine Lüge die Lebensqualität eines ganzen Ghettos positiv beeinflusst. Ein komisches oder humorvolles Erzählen in der Holocaust- Literatur hat immer noch einen seltsamen Beigeschmack. Nach wie vor ist das Thema sehr ernst und obwohl die neuere Generation selber nicht direkt betroffen war oder ist, so ist es dennoch befremdlich, komische Elemente in einem solchen Roman zu finden. Der Roman regt auch nicht dazu an, laut los zu lachen. Es ist vielmehr ein stilles Lachen bzw. ein etwas verhaltenes nachdenkliches Lächeln, welches beim Leser ausgelöst wird.
Ich finde es sehr interessant herauszufinden, wie und vor allem warum das Werk so viele komische Elemente enthält. Deswegen ist es das Ziel dieser Hausarbeit, zu zeigen, wie sich die Komik in diesem Roman äußert und was sie bewirkt. Ich beziehe mich in dieser Hausarbeit auf die Psychoanalyse nach Sigmund Freud, denn meiner Meinung nach hängt die Komik stark mit der Psyche eines Menschen zusammen. Gestützt ist diese Arbeit auf die Theorie von Sigmund Freud bezüglich des Witzes und seiner Beziehung zum Unbewussten. Um die Wirkung und die Funktion der Komik nach Freud in Jurek Beckers Jakob der Lügner zu verdeutlichen, gebe ich einen kurzen Abriss des für diese Hausarbeit nötigen psychoanalytischen Grundwissens. Dabei gehe ich in einem ersten Schritt auf den psychischen Apparat nach Sigmund Freud ein, nachdem ich kurz den Begriff der Komik definiere. In einem zweiten Schritt beziehe ich mich allgemein auf das Lachen und dessen Wirkung auf das Es, das Ich und das Über-Ich. Freud formulierte einige Techniken des Witzes, wie beispielsweise das Wortspiel, welches ich kurz definiere und erkläre und welches ich dann, in einem weiteren Schritt, auf den Lustmechanismus des Menschen beziehe. Im Anschluss daran gehe ich kurz auf die von Freud formulierte Lust am Unsinn ein und erkläre, warum der Mensch nach Freud ein unermüdlicher Lustsucher ist. Abschließend definiere und beschreibe ich das, was Freud als Situationskomik bezeichnet.
Vor diesem psychoanalytischen Hintergrund analysiere ich den Text Jakob der Lügner und wähle exemplarisch einige Textstelen aus, um zu zeigen, wie Komik darin dargestellt wird und was sie bewirkt. Dabei gehe ich zu Beginn auf die Situation im Ghetto aus psychoanalytischem Blickwinkel ein. In einem zweiten Schritt gehe ich auf die von Freud formulierte Technik des Wortspiels in dem Text ein. Ebenso verfahre ich mit weiteren Textstellen, die die Situationskomik und die Lust am Unsinn im Text belegen und erklären sollen, bevor ich dann auf die Funktion des Witzes und der Komik speziell bezogen auf Jakob der Lügner eingehe.
Abschließend fasse ich die Untersuchungsergebnisse noch einmal kurz zusammen und gehe kurz auf die Kritik und das Lob bezüglich des Werkes ein, bevor ich dann selber Stellung zu dem Werk nehme.
Ich möchte anmerken, dass ich nicht extra thematisiere, in wiefern das Grauen im Text beschrieben wird. Ich setze als bekannt voraus, dass jeder weiß, wie grausam das Ghetto und die Judenvernichtung waren. Textstellen, in den sich das Grauen widerspiegelt, stehen immer neben Textstellen, in denen Komik zum Tragen kommt. Auch dieses Wissen setze ich für diese Hausarbeit voraus.
2. Psychoanalytisches Grundwissen
2.1 Definition von Komik
Das Komische oder die Komik stammt ab von dem griechischen Wort <komos> und bedeutet soviel wie „Festzug, lustiger Umzug oder Gelage“[2]. Das griechische Wort <komikos> bedeutet so viel wie „<zur Komödie gehörend>“[3]. Komik wird beschrieben als das Gegenstück zur Tragik und beruht meist auf einer „zum Lachen reizenden, harmlosen Ungereimtheit, beruhend auf einem lächerlichen Missverhältnis“ (Wilpert, 420). Dieses Missverhältnis kann sich äußern in einem Widerspruch von „Schein und Sein, Ideal und Wirklichkeit, Anspruch und Wert, Zweck und Mittel, Aufwand und Ergebnis [und] Gehalt und Form“ (Wilpert, 420). Diese Widersprüchlichkeiten können von vorneherein offensichtlich sein oder auch plötzlich hervortreten. Dabei kann ein leichtes Unwohlsein auftreten, doch durch das aus den Widersprüchen resultierende Lachen wird dieses Unwohlgefühl aufgehoben und gelöst. Komik findet man sowohl in der offenen Epik (z.B. komisches Epos), als auch im Drama (z.B. die Komödie). Komik findet man sogar in ernsten oder tragischen Texten. Sie dient dabei der „Spannungslösung“ (Wilpert, 420), auch ´comic relief` genannt. Die Komik kann verschiedene Tendenzen haben: sie kann lächelnd verstehend, gemüthaft oder beißend kritisch sein (Vergleich Wilpert, 420). Je nachdem, welche Haltung eingenommen wird, kann es „zum befreienden sympathischen Lachen oder aggressiv distanziertem Verlachen“ (Wilpert, 420) kommen. Eng verbunden mit der Komik ist der Witz, der nach der „Entgrenzungstheorie als komplette Freisetzung unterdrückter Trieb- und Tabusphären verstanden wird“ (Wilpert, 420).
2.2 Der psychische Apparat nach Sigmund Freud
Der Psychoanalytiker Sigmund Freud hat sich mit dem Witz aus psychologischer Sicht beschäftigt. Um näher darauf einzugehen müssen die dafür notwendigen psychoanalytischen Grundbegriffe kurz erläutert werden. Die menschliche Psyche oder der psychische Apparat besteht nach Freud aus drei Instanzen: dem Ich, dem Über-Ich und dem Es.
Die Instanz des Es ist der Sitz der Triebe (Destruktionstrieb, der Verbindungen zerstören will und Eros, der zusammenführen will). Beherrscht wird das Es vom Lustprinzip, wobei es sich auf alle sexuellen und aggressiven Neigungen (Triebe) bezieht.
[...]
[1] Reich- Ranicki, Marcel: Roman vom Getto. In: Jurek Becker. Hrsg. v. Irene Heidelberger- Leonard. Frankfurt 1992. S.133 (im Folgenden abgekürzt als: Reich-Ranicki)
[2] Metzler Literatur Lexikon – Begriffe und Definitionen. Hrsg. v. Günther und Irmgard Schweikle. 2. Auflage. Stuttgart 1990. S.243 (Im Folgenden abgekürzt als: Metzler)
[3] Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur. 8. Aufl. Stuttgart 2001. S.420 (Im Folgenden abgekürzt als Wilpert)
- Quote paper
- Tina Heesel (Author), 2004, Die Komik im Grauen in Jurek Beckers 'Jakob der Lügner', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78487
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