Auf die Zeit der Herrschaft der Mauren in Al-Andalus bezogen meint der Begriff der convivencia das friedliche und fruchtbare Zusammenleben und –wirken von Juden, Christen und Muslimen. Die spanische Gesellschaft von 711 bis 1492 galt lange als ideal und als Vorbild für moderne Sozialstrukturen. Erst jüngste Forschungsergebnisse und Reinterpretationen historischer Dokumente haben ergeben, dass der Mythos der convivencia nicht mit der Realität in Al-Andalus übereinstimmt. Daraus ergeben sich zwei Fragen, denen sich diese Arbeit stellt: erstens, wie es möglich ist, dass sich ein falsches Gesellschaftsbild über Jahrhunderte halten konnte und, zweitens, wie das Zusammenleben der drei Religionen tatsächlich war. Um diese Fragen zu beantworten, werde ich zunächst einen kurzen theoretischen Überblick über die Probleme geben, die bei der Geschichtsschreibung auftreten. Daraufhin werde ich das Konzept der convivencia als soziologischen Typ vorstellen, um dann, mit diesem Hintergrund, die gesellschaftliche Situation der Juden, Christen und Muslime in Al-Andalus darzustellen und den Grad der convivencia zu ergründen.
Inhalt
1 Einleitung
2 Das Problem mit der Geschichtsschreibung: Theoretische Ansätze
2.1. Kann Geschichte objektiv sein?
2.2. Geschichte und Identität
2.3. Der Mangel an Originalquellen
3 Das Konzept der convivencia
3.1. convivencia vs. coexistencia
3.2. Leitfragen zur Abgrenzung zwischen convivencia, coexistencia und hostilidad
4 convivencia in Al-Andalus- eine kritische Betrachtung
5 Schlussbetrachtung
6 Bibliographie
La convivencia de todas las razas y de todas las religiones había creado una atmósfera moral diáfana, exquisita. Era la misma civilización de la Bagdad de las Mil y Una Noches, pero desprovista de todo lo oscuramente monstruoso que para nosotros tiene siempre el Oriente: occidetalizada por el aire sutil y campero de Sierra Morena.[1]
Al-Andalus, como todas las sociedades medievales, fue brutalísimo e insufrible para nuestros actuales conceptos de vida. Será «caballo de Troya» si se lo permitimos a los mixtificadores que, en realidad, son pocos. Aunque les sigue una caterva de escritores, periodistas y políticos que no saben de lo que hablan.[2]
1 Einleitung
Der Begriff der convivencia ist nicht nur im spanischen Sprachraum sehr beliebt. Gibt man ihn in Google ein, bekommt man zwischen 11.300.000 (Google.es und Google.com) und 11.400.000 (Google.de) Ergebnisse. Beschränkt man die Suche auf spanischsprachige Seiten kommt man immerhin auf stattliche 1.430.000 Ergebnisse.[3] Die Bedeutung von convivencia ist hierbei sehr unterschiedlich und bezieht sich auf verschiedenste Bereiche des menschlichen Zusammenlebens. Wenn man bedenkt, dass wir die Folgen ungezügelten Nationalismus’ erlitten haben und wir in einer Zeit der Globalisierung leben, in der Migrationsströme, überstaatliche Institutionen und Wirtschaftssysteme die alten Grenzen zwischen den Nationen verschwimmen lassen während Kriege zwischen Völkern und Religionen immer wieder neue Grenzen schaffen, ist es nicht verwunderlich, dass das Konzept der convivencia ein erstrebenswertes Ziel geworden ist.
Auf die Zeit der Herrschaft der Mauren in Al-Andalus bezogen meint der Begriff der convivencia das friedliche und fruchtbare Zusammenleben und –wirken von Juden, Christen und Muslimen. Die spanische Gesellschaft von 711 bis 1492 galt lange als ideal und als Vorbild für moderne Sozialstrukturen. Erst jüngste Forschungsergebnisse und Reinterpretationen historischer Dokumente haben ergeben, dass der Mythos der convivencia nicht mit der Realität in Al-Andalus übereinstimmt. Daraus ergeben sich zwei Fragen, denen sich diese Arbeit stellt: erstens, wie es möglich ist, dass sich ein falsches Gesellschaftsbild über Jahrhunderte halten konnte und, zweitens, wie das Zusammenleben der drei Religionen tatsächlich war. Um diese Fragen zu beantworten, werde ich zunächst einen kurzen theoretischen Überblick über die Probleme geben, die bei der Geschichtsschreibung auftreten. Daraufhin werde ich das Konzept der convivencia als soziologischen Typ vorstellen, um dann, mit diesem Hintergrund, die gesellschaftliche Situation der Juden, Christen und Muslime in Al-Andalus darzustellen und den Grad der convivencia zu ergründen.
2 Das Problem mit der Geschichtsschreibung: Theoretische Ansätze
2.1. Kann Geschichte objektiv sein?
Manche Wissenschaftler weigern sich Geschichte jegliche Objektivität einzuräumen, da, ihrer Meinung nach, bereits der Prozess der Geschichtsschreibung ein Akt der Fiktionalisierung ist, der aus der Verknüpfung von Fakten durch eine subjektive Person besteht[4], und sich danach richtet, in welchem Maße die Gesellschaft sich erinnern oder vergessen will[5]. Der britische Geschichtsprofessor Alun Munslow stellt sich der Frage der Objektivität, indem er eben diesen Prozess der Geschichtsschreibung hinterfragt. Er geht davon aus, dass man, um Geschichte verstehen und darüber schreiben zu können, die Hintergründe des behandelten Momentes – besonders die Absichten der Einzelnen, die daran beteiligt waren – analysieren muss. Er weist darauf hin, dass die Analyse aus heutiger Sicht auf der Annahme beruht, dass die damaligen Verhaltensmuster den modernen gleichen und, demzufolge, eine heute logische Konsequenz einer Handlung auch damals logisch war. Des weiteren muss der Geschichtsschreiber, so Munslow, genügend Empathievermögen besitzen, um sich in die historischen Figuren hineinzuversetzen und ihre Handlungen nachvollziehen zu können. Er muss also fähig sein die politischen und sozialen Umstände, die ein bestimmtes Ereignis beeinflusst haben, in gewisser Weise erneut zu durchleben, um ein angemessenes Bild davon geben zu können. Tatsächlich kann ein Historiker Vergangenes jedoch nur anhand der Interpretation von Überresten und zeitgenössischen Zeugnissen, deren Bedeutung sich im Laufe der Zeit vielleicht gewandelt hat, rekonstruieren. Da aber die Interpretation von Fakten immer anfällig für Fehler ist und auf dem Wissen des Geschichtsschreibers beruht, ist die Frage nach der Objektivität hinfällig.[6]
2.2. Geschichte und Identität
In seinem Artikel „Memoria y poder: dimensión política de la ficción histórica Hispanoamericana“[7] verweist der venezolanische Kritiker und Literaturwissenschaftler Carlos Pacheco darauf, dass die Interpretation von Geschichte auch von den gegenwärtigen Machtverhältnissen abhängt. Er konzentriert sich dabei zwar auf hispanoamerikanische Paradigmen der „Nueva Novela Histórica“-Bewegung[8], doch seine Grundaussagen sind international übertragbar. Pacheco fasst das Problem der Ambivalenz von Geschichte in vier Fragen zusammen: „¿cuál historia?, ¿la enunciada por quienes?, ¿la limitada a cuáles tópicos o ámbitos?, ¿la autorizada por qué condiciones de legitimidad?“[9] Diese grundlegenden Vorüberlegungen dienen als objektives Werkzeug, um Geschichte zu hinterfragen und Manipulationen aufzudecken. Eine Nation definiert sich schließlich durch ihre Wurzeln, Traditionen und historische Grundlagen, die von der gegenwärtigen Ideologie beeinflusst werden können. Es besteht also immer die Gefahr, dass politische Regimes die Nationalsymbole manipulieren, um ihr Dasein zu rechtfertigen.[10]
Trotz allem ist eine gemeinsame Geschichte unerlässlich zur Bildung einer gemeinsamen nationalen Identität, die sich deutlich von anderen abgrenzt. Das Geschichtsverständnis hängt dabei von den vorherrschenden politischen und sozialen Interessen und Erfahrungen zu einer bestimmten Zeit ab und ändert sich somit ständig. Dementsprechend kann Geschichte niemals objektiv sein, sie ist immer ein fiktionales Konstrukt, das von externen Faktoren beeinflusst wird. Das Konzept der Fiktionalität reduziert sich hierbei nicht auf Literatur, sondern umfasst ebenfalls die Weltanschauungen und Traditionen – inklusive Auto- und Heterostereotypen – die die Mentalität einer Nation prägen, auch wenn sie offensichtlich nicht mit den historischen Fakten übereinstimmen.[11]
2.3. Der Mangel an Originalquellen
Wie bereits erwähnt, stützt sich die Geschichtsschreibung auf zeitgenössische Quellen, die die Situation zu einer bestimmten Zeit widerspiegeln. Doch es gibt nur sehr wenige arabische Quellen, die Aufschluss über die Eroberung Spaniens geben könnten. Die meisten stammen aus späteren Zeiten und versuchen oftmals eine „historia sagrada“[12] darzustellen, die es 80 nach dem Tod Mohammeds nicht gegeben haben konnte. Hinzu kommt der Verlust vieler Quellen, wie der spanische Historiker Claudio Sánchez Albornoz in Hinblick auf die Geschichte Al-Andalus’ zu bedenken gibt:
Es enorme – y no hay hipérbole en el calificativo – el caudal de fuentes arábigas perdidas. El continuo avance de la Reconquista hacia el sur, la expulsión final del Islam del solar peninsular, y la posterior persecución de los últimos vestigios étnicos y culturales de los islamitas hispanos, devoraron inmensos tesoros bibliográficos. Me atrevo a afirmar que poseemos mínima parte de la producción histórica, literaria, filosófica o científica de los musulmanes de España, y nos faltan, por tanto, muchedumbre de noticias sobre muchedumbre de temas diversos del pasado de al-Andalus.[13]
[...]
[1] zitiert nach Fanjul, Serafín. La quimera de al-Andalus. Madrid: Siglo XXI, 2004. 8.
[2] Fanjul, Serafín. Interview. El Catoblepas. August 2004. 24 März 2007 http://www.nodulo.org/ec/2004/n030p01.htm
[3] Suche am 20 April 2007.
[4] Munslow, Alun. „Objectivity and the Writing of History.“History of European Ideas 28, 1-2 (March 2002): 48.
[5] Nünning, Ansgar. „New Directions in the Study of Individual and Cultural Memory and Memory Cultures.“Journal for the Study of British Cultures 10, 1 (2003): 4, 8.
[6] Muslow 2002, 43-50.
[7] Pacheco, Carlos. „Memoria y poder: dimensión política de la ficción histórica hispanoamericana.“Hispamérica: Revista de Literatura 91 (April 2002): 3-14.
[8] Eine hispanoamerikanische Literaturbewegung, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand. Davon ausgehend, dass Geschichte ambivalent ist, hinterfragen die Autoren die Mythen der „historia oficial“ und reflektieren ihre Daseinsberechtigung. Ihr Ziel ist es hierbei „hacer justicia histórica.“
[9] Pacheco 2002, 9.
[10] Pacheco 2002, 8.
[11] Nünning 2003, 3-5.
[12] García-Arenal, Mercedes. „La conquista islámica y el uso político de la historia.“revistadelibros.com. 2007. Revista de libros de la Fundación Caja Madrid. 12. März 2007 http://www.revistadelibros.com/index2a1.html
[13] zitiert nach Fanjul 2004, 5.
- Quote paper
- Ana Colton-Sonnenberg (Author), 2007, Convivencia in Al-Andalus: Vorbild oder Mythos?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78381
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