In der Konfliktforschung wird seit einigen Jahren zunehmend von so genannten „neuen Konflikten“ gesprochen. Unter dieser Kategorie erwähnen einige Schlüsselvertreter dieser Gedankenströmung die „ethnischen“ Konflikte. Mary Kaldor zum Beispiel widmet einem Teil ihres Buches „Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung“ der so genannten „Politik der Identität“, die auf kulturellen, religiösen oder ethnischen Faktoren beruht.
Aber auch in den Medien und im öffentlichen Diskurs haben ethnische Weltsichten Konjunktur. Analytiker bedienen sich gerne der Metapher vom „Pulverfass“, um die Konfliktträchtigkeit ethnischer Heterogenität zu veranschaulichen, und bei den Bürgerkriegen der Dritten Welt werden häufig ethnische Gegensätze zwischen befeindeten „Stämmen“ als entscheidende Konfliktursache dargestellt. Der Genozid der Hutu an den Tutsi, das Kurdenproblem, der Krieg in Tschetschenien, die ethnischen Säuberungen in Ex-Jugoslawien… Das sind einige Beispiele der letzten Jahre, die zu belegen scheinen, dass wir in einer Welt ethnischer Konflikte leben. Auch die Kriegsursachenforschung belegt, dass der (ethnische) Bürgerkrieg den zwischenstaatlichen Krieg als dominierenden Kriegstyp abgelöst hat : Das minorities at Risk-Project beispielsweise kam für den Zeitraum 1985-1995 auf 50 Konflikte mit ethnischem Charakter, was fast zwei Drittel aller gegenwärtigen gewalttätigen Konflikte ausmacht.
Da es unterschiedliche Konzeptionen von Ethnizität gibt und zwischen den Vertretern der unterschiedlichen theoretischen Strömungen keinen Konsens herrscht, fällt es schwer, eine Definition des ethnischen Konfliktes zu finden. Allerdings kann man als Rahmen die Definition Siegmar Schmidts übernehmen, der ethnische Konflikte als Konflikte definiert, „in denen mindestens eine Konfliktpartei eine ethnische Gruppe ist und in denen die Unterscheidung von Freund und Feind anhand ethnischer Zugehörigkeit vorgenommen wird“.
Aber während Ethnizität zunehmend in Verbindung mit Konflikt gebracht wird, kann man jedoch an der Brauchbarkeit dieses Begriffes zur Beschreibung von Konflikten zweifeln. Denn was sich hinter dem Begriff „ethnischer Konflikt“ verbirgt, ist nicht immer ganz klar. Müssen zwangsläufig aus dem Aufeinandertreffen ethnischer Gruppen Konflikte entstehen? Ist ethnische Vielfalt an sich das Problem? In welchem Zusammenhang stehen ethnische Differenz und Konflikt zueinander?
In dieser Arbeit soll die These überprüft werden, dass ethnische Unterschiede allein keine gewalttätigen Konflikte produzieren. Dazu bedarf es zunächst einer Präzisierung darüber, wie ethnische Identität entsteht. Danach widme ich mich der politischen und ökonomischen Instrumentalisierung von Ethnizität. Im letzen Teil folgt eine kritische Reflexion ethnischer Denkweisen im Bereich der Konfliktforschung. Als Beispiele werden vor allem die Fälle Ruandas und der Elfenbeinküste entwickelt, da diese Konflikte oft als Prototyp des ethnischen Konflikts angeführt werden
Inhaltsverzeichnis
- Einführung
- I/ Die Entstehung ethnischer Identität: ein natürliches Phänomen?
- A/ Die theoretischen Ansätze zur Entstehung ethnischer Identität
- B/ Fallbeispiel Ruanda: Die Ethnisierung sozialer Gruppen
- II/ Die Ethnisierung gesellschaftlicher Konflikte als Konfliktursache
- A/ Eine politische Instrumentalisierung durch Herrschaftseliten
- B/ Die ökonomische Instrumentalisierung: die „Gewaltmärkte“
- III/ Gründe und Konsequenzen der Katalogisierung eines Konflikts als „ethnisch“
- A/ Der Paradigmenwechsel nach dem Ost-West Konflikt
- B/ „Ethnische Konflikte“: Ein hinreichender Erklärungsansatz?
- Schluss
- Quellen:
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Ziel dieser Arbeit ist es, zu untersuchen, ob ethnische Unterschiede allein zu gewalttätigen Konflikten führen. Die Arbeit beleuchtet zunächst die Entstehung ethnischer Identität und analysiert, wie diese in bestimmten gesellschaftlichen Kontexten zum Konfliktfaktor werden kann. Im Weiteren wird untersucht, wie ethnische Unterschiede politisch und ökonomisch instrumentalisiert werden können.
- Die Entstehung ethnischer Identität
- Die politische Instrumentalisierung von Ethnizität
- Die ökonomische Instrumentalisierung von Ethnizität
- Die Rolle von Ethnizität in der Konfliktforschung
- Die Bedeutung von Fallbeispielen wie Ruanda und der Elfenbeinküste
Zusammenfassung der Kapitel
Einführung
Die Arbeit behandelt die Rolle von Ethnizität als Konfliktursache im Kontext der „neuen Konflikte“ des 21. Jahrhunderts. Die These der Arbeit lautet, dass ethnische Unterschiede allein keine gewalttätigen Konflikte produzieren.
I/ Die Entstehung ethnischer Identität: ein natürliches Phänomen?
Dieser Abschnitt diskutiert die Entstehung ethnischer Identität und stellt die beiden gegensätzlichen theoretischen Ansätze – den essentialistischen und den konstruktivistischen – vor. Es wird argumentiert, dass Ethnizität oft aus konkreten gesellschaftlichen Bedingungen entsteht.
II/ Die Ethnisierung gesellschaftlicher Konflikte als Konfliktursache
Hier werden die politische und ökonomische Instrumentalisierung von Ethnizität als Konfliktursache analysiert. Es wird gezeigt, wie Herrschaftseliten Ethnizität für ihre politischen Ziele nutzen und wie „Gewaltmärkte“ durch die Ausbeutung ethnischer Unterschiede entstehen können.
III/ Gründe und Konsequenzen der Katalogisierung eines Konflikts als „ethnisch“
Dieser Teil beleuchtet den Paradigmenwechsel in der Konfliktforschung nach dem Ende des Ost-West Konflikts und hinterfragt die ausreichende Erklärungskraft des Begriffs „ethnischer Konflikt“.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen Ethnizität, ethnische Identität, Konfliktforschung, „neue Konflikte“, politische Instrumentalisierung, ökonomische Instrumentalisierung, Fallbeispiele Ruanda und Elfenbeinküste.
- Quote paper
- Adeline Defer (Author), 2007, "Ethnische Konflikte": Ist Ethnizität eine Konfliktursache?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78169