Bei den meisten Autoren tritt der Begriff „Kunstwort“ in Verbindung mit Untersuchungen von Marken- bzw. Produktnamen auf. In der vorliegenden Arbeit soll die Wortbildung der Kunstwörter unter Berücksichtigung ausgewählter Aspekte und Prinzipien behandelt werden. Dabei wird zum großen Teil auf das Korpus der Produktnamen zurückgegriffen, welches mit Abstand als größte Quelle für Kunstwörter gesehen werden kann. Dass es sich beim Begriff „Kunstwort“ um ein relativ junges Phänomen handelt, kann man an der Tatsache erkennen, dass dieser nicht in jedem sprachwissenschaftlichen Lexikon auftaucht. Aus diesem Grund widmet sich ein Kapitel der Definition und Abgrenzung des Begriffs. Neben der Morphologie beschäftigt sich die Arbeit unter anderem auch mit graphischen und graphemischen Aspekten und den jeweiligen Funktionen der unterschiedlich gebildeten Kunstwörter.
Inhaltsverzeichnis
1. Definition und Abgrenzung des Begriffes „Kunstwort“
1.1 Einführung
1.2 Differenzierung von Kurzwort und Kunstwort
1.3 Differenzierung: Übernahme – Konzeptform – Kunstwort
1.4 Differenzierung: Kontamination – Kontraktion – Kunstwort
1.5 Fazit
2. Kunstwörter: Wortschöpfung im Gegensatz zur Wortbildung
3. Mechanismen der Konstruktion und des Designs von Kunstwörtern
3.1 Übersicht über die Vielfalt der sprachlichen Form der Produktnamen
3.2 Die graphische und graphemische Struktur von Kunstwörtern
3.3 Silbische Eigenschaften von Kunstwörtern am Beispiel von Produktnamen
3.4 Morphologische Struktur und Wortbildungsmöglichkeiten bei Kunstwörtern
3.4.1 Wortbildungsmöglichkeiten
3.4.2 Morphologische Transparenz bzw. Opazität am Beispiel der Markennamen
4. Funktionen der Kunstwörter am Beispiel der Produktnamen
5. Ausblick
Literaturverzeichnis
1. Definition und Abgrenzung des Begriffes „Kunstwort“
1.1 Einführung
Beschäftigt man sich mit der Thematik des „Kunstwortes“, so sieht man sich zunächst mit der Problematik der Definition konfrontiert. Auffällig ist, dass verschiedene Autoren, die sich mit Kunstwörtern auseinandersetzen, ihren Arbeiten unterschiedliche Kunstwort-Definitionen zugrunde legen. Hierbei sind – wie sich zeigen wird – erhebliche Unterschiede zwischen neueren und älteren Veröffentlichungen erkennbar. Bei den meisten Autoren tritt der Begriff „Kunstwort“ in Verbindung mit Untersuchungen von Marken- bzw. Produktnamen auf. In der vorliegenden Arbeit soll die Wortbildung der Kunstwörter unter Berücksichtigung ausgewählter Aspekte und Prinzipien behandelt werden. Dabei wird zum großen Teil auf den Korpus der Produktnamen zurückgegriffen, welcher mit Abstand als größte Quelle für Kunstwörter gesehen werden kann. Dass es sich beim Begriff „Kunstwort“ um ein relativ junges Phänomen handelt, kann man an der Tatsache erkennen, dass dieser nicht in jedem sprachwissenschaftlichen Lexikon auftaucht. Eine mögliche Definition bietet das „Metzler Lexikon Sprache“: Beim Kunstwort handelt es sich um ein „[b]ewußt gebildetes Wort zur Bez[eichnung] von neuen (meist wiss. oder techn.) Begriffen sowie Warennamen für neue oder neu angebotene Produkte, in der Regel mit loser analog[er] Anlehnung an assoziierbare Begriffe, z. B. Gas in Anlehnung an griech. χάоς (chaos), Opel Vectra in Anlehnung an Vektor, häufig als Kontamination, z. B. Neutron für >elektrisch neutrale Analoga zu Elektron<, teilweise unter Verwendung akronymischer Prinzipien, z. B. Fewa (ein Feinwaschmittel). Neuerdings werden K[unstwörter] für Produktbezeichnungen professionell von darauf spezialisierten Agenturen gebildet“ (Glück 2000: 391). Inwieweit diese Definition sinnvoll ist und ob diese Definition mit den Arbeiten der unterschiedlichen Autoren vereinbar ist, soll sich im Folgenden herausstellen.
1.2 Differenzierung von Kurzwort und Kunstwort
Als einer der ersten Autoren setzt sich Werner Vieregge in seiner 1978 veröffentlichten Dissertation mit der Problematik des Kunstworts auseinander. Seine Arbeit beschäftigt sich außerdem mit den Kurzwörtern der deutschen Sprache. Da den Kurz- und Kunstwörtern größtenteils identische Bildungsweisen zugrunde liegen, sei zwischen diesen zwei Kategorien „keine klare Grenze zu ziehen“ (Vieregge 1978: 64). Mit Hilfe der Beispiele Kripo und Persil wird jedoch versucht, die entscheidenden Unterschiede zu erklären. Beide Wörter sind aus den jeweils ersten Phonemen der entsprechenden Vollwörter abgeleitet (Kriminalpolizei bzw. Perborat u. Silikat). Bei Persil handle es sich allerdings eindeutig um ein Kunstwort, da dies eine Produktbenennung sei, was allgemein als Charakteristikum für Kunstwörter gelten könne. Ferner müssen beim Kunstwort die Bestandteile „nicht notwendigerweise von einem Vollwort-Kompositum stammen“; die Kurzform kann hier aus verschiedenen Simplizia gebildet werden, während Kurzwörter von längeren, gebräuchlichen Komposita abgeleitet werden. Auffällig bei Kunstwörtern sei auch die häufige fremdsprachliche Herkunft und Wurzel (Vieregge 1978: 64 f.).
In jüngeren Arbeiten wird die Ansicht, dass die Begriffe „Produktbezeichnung“ und „Kunstwort“ gleichzusetzen seien, nicht mehr vertreten. Während nach der Definition Vieregges die Produktbezeichnung Opel als Kunstwort gelten kann, weil dessen Herkunft auf die Übernahme eines Personennamens in allgemeines Wortgut zurückzuführen ist, werden derartige Produktbezeichnungen von Voigt klar von den Kunstwörtern getrennt. Bei ihm ist erst von Kunstwörtern die Rede, sobald Wortkürzungen oder auch Fremdwörter als Herkunftsbasis ins Spiel kommen (Voigt 1985: 124). Eine weitere Möglichkeit, wie man mit der Abgrenzung bzw. Definition des Begriffs „Kunstwort“ umgehen kann, zeigt sich im folgenden Kapitel.
1.3 Differenzierung: Übernahme – Konzeptform – Kunstwort
Wie an der Definition des Metzler-Lexikons zu erkennen ist, stehen Handels- bzw. Markennamen eng in Verbindung mit dem Begriff Kunstwort. Platen konstatiert in seinem Werk „Ökonymie“, dass man sich bei der formalen Kategorisierung von Markennamen durchaus auch vom „bon sens“ leiten lassen kann (Platen 1997: 38). Er zitiert aus Adrian Rooms „Dictionary of Trade Name Origins”:
„In general, it can be immediately seen that trade names seem to be based either on existing names, mainly personal names, or existing standard words, or a combination of both. On the other hand, there seem to be several trade names that have no recognisable origin – there is no known existing name or word that we can relate them to. There are thus <name names>, <word names> and <arbitrary names>” (ebd.).
In Anlehnung an Room schlägt Platen eine Differenzierung in Übernahmen, Konzeptformen und Kunstwörter vor. Obwohl eigentlich alle Markennamen als „synchrone Artefakte“ letztlich Kunstformen darstellen, gibt es hier klare Abstufungen. Die Artifizialität der jeweiligen Form kann mehr oder weniger deutlich spürbar werden (Platen 1997: 39).
Bei den sogenannten Übernahmen handelt es sich um vollständige Eigennamen, Wörter oder Morpheme, die aus natürlichen Sprachen bzw. aus dem Onomastikon entlehnt und zur Bezeichnung von Produkten umfunktioniert wurden. Diese Übernahmen können aus unterschiedlichen Bereichen stammen. Möglichkeiten für solche sogenannten onymischen Übernahmen sind Rufnamen (Carina, Marie-Claire, Mercedes), Patronyme (Benetton, Citroën, Hermès) oder auch Ortsbezeichnungen (Evian, Capri, Cortina). Das Beispiel Gitanes (Zigarettenmarke; frz. für: [spanische] Zigeunerin) ist seiner Herkunft nach eine Entlehnung aus dem Lexikon, während Kent (Zigarettenmarke; engl. Grafschaft) aus dem Onomastikon stammt. Als bevorzugte lexikalische Übernahme-Quellen werden die Wortfelder des Sports (Derby, Golf, Corsa) und der Musik (Accord, Concerto, Jazz, Prelude) hervorgehoben. Assoziativ motivierte Übernahmen stehen oft mit der Geographie (Ascona, Granada), der Literatur (Aramis, Ariel) oder der Geschichte (Napoléon, Wasa) in Verbindung.
Unter Konzeptformen werden Verfremdungen und Abwandlungen von Markennamen-anleihen unter gezielter Außerkraftsetzung herkömmlicher Wortbildungsregeln verstanden. Es handelt sich hierbei um eine Übergangsform zwischen Übernahmen und Kunstwort. Die Anleihen können auf ihrem Weg zum Markennamen auf unterschiedliche Art und Weise verfremdet werden. Zu diesen künstlichen Eingriffen, bei denen die üblichen Wortbildungsregeln oft gezielt außer Kraft gesetzt werden, zählen Veränderungen im Anlaut (Smild), Inlaut (Rama, entstanden aus Rahm und –a) oder Auslaut (Schauma, Wella). Eine weitere Verfremdungsart sind graphische Variationen (Marlboro aus Marlborough, Moovy, Sheba, Froot Loops), die durch ein im Vergleich zur Vorlage leicht verändertes Erscheinungsbild auffallen. Die Produkte Giò (aus Giorgio [Armani]) oder O’Dan (aus Danone) werden als deonomastische Kurzformen bezeichnet. Neben diesen existieren die lexikalischen Kurzformen wie Bess (aus besser), Rei (aus rein) oder Dim (aus Dimanche).
Hybrid angelegte Kombinationen zeigen eine starke Affinität zur jeweiligen Basis. Diese treten mit natürlichsprachlichen Endungen (Nutella, Cotonelle) oder künstlichen Endungen (Sunil) sowie mit vom System gesperrten Suffixen (Energance, Rayonnance) auf. Bei diesen steht die jeweilige Sinneinheit im Zentrum, so dass man von derivativen Konzeptformen sprechen kann. Im Vergleich zu diesen gibt es Konzeptkomposita, bei denen keine eindeutige Dominanz einer Basis erkennbar ist. Die Elemente stehen hier gleichberechtigt nebeneinander (Dentagard, Dolormin).
Die eigentlichen Kunstwörter sind durch einen besonders hohen Verfremdungsgrad gekennzeichnet. Es wird weder auf natürliche Sprachen noch auf das Onomastikon zurückgegriffen. Eine Erkennbarkeit klarer semantischer oder onymischer Konzepte ist nicht vorhanden. Als Beispiele für solche Kunstwörter können die Produktnamen Elmex oder Kodak genannt werden, welche reine Artefakte darstellen, die völlig opak und ohne Sinngehalt sind. Die allgemeine Charakteristik der Kunstwörter trifft auf Kurzformen nur eingeschränkt zu. Bei diesem bei Produkt- oder Herstellernamen beliebten Bildungstyp handelt es sich oft um Initialwörter (z. B. JVC < Japanese Video Company), die sich auch auf homonyme Lexeme beziehen können (z. B. NRJ < Nouvelle Radio des Jeunes mit Bezug zum frz. Énergie). Bei Platen werden Kunstwörter wie Adidas (aus Adi Dassler) oder Rowenta (aus Robert Weintraub) als teilgrammatische verdunkelte Formen bezeichnet. Pseudoformen seien zum Beispiel Balisto, Estanza, Panachita oder Rivella, die zwar französisch, spanisch oder italienisch klingen, aber im Wortschatz der jeweiligen Sprache nicht existieren (Platen 1997: 44).
Bei den Kunstwörtern können demnach modulare (vgl. Rowenta) und kompakte Formen (Xantia) unterschieden werden. Eine eindeutige Entscheidung, welcher der dargestellten Kategorien ein Markenname zuzuordnen ist, kann problematisch sein. Oft sind Hintergrundinformationen von großer Bedeutung. Falls die Vorgehensweise bei der Kreation von Produktnamen wie beispielsweise beim Produktnamen Agfa (kurz für: Actien-Gesellschaft für Anilinfabrikation) nicht bekannt ist, ist dessen Status gleich dem von Kodak (ebd.).
1.4 Differenzierung: Kontamination – Kontraktion – Kunstwort
Aus sprachwissenschaftlicher Sicht erscheint es als sinnvoll, neben der im Punkt 1.3 vorgenommenen Abgrenzung noch eine weitere Differenzierung aufzuzeigen. Es handelt sich um die Triade „Kontamination – Kontraktion – Kunstwort“, welche in dieser Reihenfolge durch abnehmende Motiviertheit gekennzeichnet ist.
Im Fall von Produktnamen bestehen Kontaminationen häufig aus wortinitialen Fragmenten. Ein Beispiel hierfür ist das Medikament Baycap, das aus den Wörtern Bayer und Captan gebildet wird. Bei Kontaminationen beziehen sich die beteiligten Lexeme auf Inhaltsstoffe, Herstellerfirmen und Produktgattungen. Sie erfassen die Kombination beider Elemente und gleichzeitig die Produktbezeichnung selbst. Hinsichtlich der Tatsache, dass es bei den Kontaminationen auch auf positive Assoziationen ankommt, weisen sie eine große Ähnlichkeit mit den Kunstwörtern auf. Bei beiden Kategorien ist die phonologische Komponente von großer Bedeutung (Elsen 2003: 165).
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- Arbeit zitieren
- Wolfgang Kulzer (Autor:in), 2004, Das Kunstwort - Definition, Abgrenzung und Funktionen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78126
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