Am Ende des 20. Jahrhunderts, genau im Jahre 2000, veröffentlicht Alexander Kluge seine "Chronik der Gefühle", ein über 2000seitiges Kompendium von Geschichten der Moderne. Sie enthält einen Rückblick auf die 4,2 Milliarden Jahre der Menschwerdung, auf die Entwicklung der menschlichen Zivilisation und ihre Organisation des Zusammenlebens. Gleichzeitig untersucht Kluge in literarischer Form die Gegenwart, die Moderne, ihre Ziele und ihre Verfehlungen. Daraus ergeben sich folgende Fragen: Was ist schiefgelaufen? Wer oder was ist schuld daran? Ist der Mensch dazu verdammt, in einer von Krieg und anderen Katastrophen beherrschten Welt zu leben? Gibt es Auswege?
Diese Fragen weisen auf eine lange Tradition zurück. Der Begriff "Kultur" spielt eine entscheidende Rolle. An diesem Punkt setzt Georg Simmel in seinem 1911 erschienenen Aufsatz "Der Begriff und die Tragödie der Kultur" an und entwickelt seine Kulturtheorie, die Ausgangspunkt dieser Arbeit sein soll. Er beschreibt das tragische Spannungsverhältnis von Subjekt und Objekt, von Mensch und kulturellen Produkten, wodurch sich die moderne Fehlentwicklung ergibt. Simmel bildet mit seiner grundlegenden Analyse des Subjekt-Objekt Verhältnisses den Anfang der theoretischen Grundbestimmung dieser Arbeit. Daran knüpfen die Kulturtheorien von Adorno/Horkheimer und Habermas an, die für Alexander Kluge von entscheidender Bedeutung sind. Er selbst hat sich zusammen mit Oskar Negt in einer eigenen Theorie mit dem Thema auseinandergesetzt. Es ergeben sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede der vier Kulturanalysen, die in ihren Grundzügen herausgearbeitet werden sollen. Von Bedeutung sind die verschiedenen Ansätze der Betrachtung des Kulturproblems, um den Kontext der Arbeit Kluges zu verdeutlichen.
Der Subjekt-Objekt Dualismus, das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft stellt sich als zentrales Thema heraus. Auch Kluges "Chronik der Gefühle" behandelt dieses Problem und es wird sich zeigen, wie es in seinen Geschichten realisiert wird. So ergeben sich die leitenden Fragen an die "Chronik der Gefühle". Wie verwirklicht Alexander Kluge die Ergebnisse der theoretischen Analysen? Wie verarbeitet er sie? Welche Möglichkeiten und Auswege aus der Krise der Moderne und der Tragödie der Kultur gibt es?
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die kritische Theorie und die Tragödie der Kultur
- 2.1. Die Kulturtheorie Georg Simmels
- 2.1.1. Die Kultur und der Subjekt-Objekt-Dualismus
- 2.1.2. Säulenheilige oder Spezialisten?
- 2.1.3. Der Nutzen der Kultur -Die Erhöhung der Seele
- 2.1.4. Die Tragödie der Kultur
- 2.2. Adorno/Horkheimer – Dialektik der Aufklärung
- 2.2.1. Aufklärung und Vernunft
- 2.2.2. Das Problem der Kultur
- 2.2.3. Der Untergang des Subjekts als Konsequenz der gesellschaftlichen Entwicklung
- 2.3. Die pessimistische Kulturkritik
- 2.4. Habermas – Kulturauffassung der Moderne
- 2.4.1. Die Kultur und die Moderne
- 2.4.2. Das Projekt der Moderne
- 2.5. Die optimistische Kulturkritik
- 2.6. Kluge / Negt
- 2.6.1. Die Entwicklung der modernen Öffentlichkeit
- 2.6.2. Kultur als Warenproduktion
- 2.6.3. Auseinandertreten von Individuum und Gesellschaft
- 2.6.4. Auswege aus der Misere der Kultur
- 2.1. Die Kulturtheorie Georg Simmels
- 3. Alexander Kluge – Die \"Chronik der Gefühle\"
- 3.1. Der Mensch und seine Gesellschaft
- 3.1.1. Die Macht der Geschichte
- 3.1.2. Der Mensch als Träger der Geschichte
- 3.1.3. Die Instrumentelle Vernunft – Kalkulierendes Denken und Anpassung
- 3.1.4. Die Justiz als Beispiel für gesellschaftliche Strukturen
- 3.1.5. Zusammenfassung der Gesellschaftsanalyse in Verbindung zur Theorie
- 3.2. Die Macht der Gefühle
- 3.2.1. Das menschliche Gefühl
- 3.2.2. Perspektiven des Gefühls
- 3.2.3. Die Macht der Gefühle
- 3.2.4. Das Urvertrauen - \"Wer immer hofft, stirbt singend\"\n
- 3.2.5. Die Sehnsucht nach Glück
- 3.3. Aufklärung in der \"Chronik der Gefühle\"
- 3.3.1. Gesellschaftsutopie – \"Lernprozesse mit tödlichem Ausgang\"
- 3.3.1.1. Die kapitalistische Zukunft
- 3.3.1.2. Das sozialistische Gegenmodell
- 3.3.1.3. Science Fiction und die Stimulans des menschlichen Denkens
- 3.3.2. Hoffnungsbilder
- 3.3.3. Ressource Wirklichkeit
- 3.3.4. Work in Progress
- 3.3.5. Darstellung und Bedeutung der Geschichte
- 3.3.6. Gegen die Hochkultur und die Verselbständigung der Wissenschaften
- 3.3.7. Aufklärung – Hoffnung auf ein gutes Ende
- 3.3.1. Gesellschaftsutopie – \"Lernprozesse mit tödlichem Ausgang\"
- 3.1. Der Mensch und seine Gesellschaft
- 4. Kluge - Der Erzähler der Kritischen Theorie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Magisterarbeit befasst sich mit Alexander Kluges \"Chronik der Gefühle\" im Kontext der Kritischen Theorie. Ziel ist es, die Auseinandersetzung Kluges mit der Kultur und der Moderne im Lichte von Georg Simmels Kulturtheorie, der „Dialektik der Aufklärung“ von Adorno/Horkheimer sowie Jürgen Habermas' Kulturauffassung der Moderne zu analysieren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Gemeinsamkeiten und Unterschieden dieser Theorien, die jeweils ein eigenes Verständnis der Kulturproblematik entwickeln.
- Die Tragödie der Kultur als Spannungsverhältnis von Subjekt und Objekt
- Die Dialektik von Aufklärung und Vernunft in der modernen Gesellschaft
- Die Rolle der Geschichte und die Gestaltung von Gesellschaftsutopien
- Die Bedeutung von Emotionen und Gefühlen für menschliches Handeln und die Kultur
- Die kritische Auseinandersetzung mit der modernen Gesellschaft und ihren Verfehlungen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Arbeit ein und stellt die zentralen Fragen zur \"Chronik der Gefühle\" und ihrer Bedeutung im Kontext der Kritischen Theorie vor. Es wird auf die Bedeutung des Kulturbegriffs hingewiesen und Georg Simmels Kulturtheorie als Ausgangspunkt der Analyse vorgestellt.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den zentralen Theorien der Kritischen Theorie: Georg Simmels Kulturtheorie, Adorno/Horkheimers „Dialektik der Aufklärung“ und Jürgen Habermas' Kulturauffassung der Moderne. Die einzelnen Theorien werden vorgestellt und in Bezug auf ihre Bedeutung für die Kulturproblematik analysiert.
Das dritte Kapitel analysiert Kluges \"Chronik der Gefühle\" im Lichte der zuvor präsentierten Theorien. Es werden die zentralen Themen des Werkes wie der Mensch und seine Gesellschaft, die Macht der Gefühle, die Gesellschaftsutopie und die Frage nach der Aufklärung behandelt.
Schlüsselwörter
Die Magisterarbeit befasst sich mit den Schlüsselbegriffen Kultur, Moderne, Gesellschaft, Individuum, Geschichte, Gefühle, Aufklärung und Kritische Theorie. Alexander Kluges \"Chronik der Gefühle\" wird als Beispiel für eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Themen im Kontext der modernen Gesellschaft betrachtet.
- Quote paper
- Silvio Wolff (Author), 2003, Chronik des unterschätzten Menschen. Alexander Kluge im Kontext der Kritischen Theorie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77930