Ausgehend von der Frage, warum der erste Versuch der Reform im Jahr 2004 scheiterte, wird untersucht, welche Faktoren im Parteienwettbewerb und im bundesstaatlichen System sich so geändert haben, dass eine Reform im Jahr 2006 plötzlich möglich wurde. Dabei liegt es natürlich nahe, von der Arbeitshypothese auszugehen, die, für das vereinigte Deutschland bisher einzigartige, große Koalition aus SPD und CDU/CSU auf Bundesebene sei dafür verantwortlich. Dies scheint sich mit Lehmbruchs Arenentheorie sowie der Theorie der Regelsysteme zu decken. Der Autor versucht jedoch, sich dem Problem so zu nähern, dass die Bildungspolitik als einzelner Konflikt herausgegriffen wird, um das Verhalten der wichtigsten Akteure zu analysieren und strukturiert an der o.g. Fragestellung zu prüfen. Die Bildungspolitik als solche ist ein weiter Rahmen, der sich bis zum Kinder- und Jugendhilferecht verzweigen kann, daher wird es in dieser Arbeit nur um die streitrelevanten Fragen der Bildungsplanung, der Rahmengesetzgebung, des Hochschulbaus und der Forschungsförderung gehen.
Daran anknüpfend wird die Frage behandelt, warum es gerade eine originäre Länderkompetenz war, die den ersten Versuch einer Reform hat scheitern lassen. Wie ist dies im Zusammenhang mit Lehmbruchs Arenentheorie zu sehen und welche Erklärung gibt es für die schnelle Einigung zu Beginn des Jahres 2006, wenn man das Verhalten der Parteien in den Mittelpunkt rückt? Um diese Fragen zu klären, wird ein vergleichender Ansatz gewählt. Zwei Zeiträume, die erste Diskussion um die Reform ab 2003 und die letztendliche Debatte 2005/2006, werden mit der Betrachtung des Akteursverhaltens verbunden. Dabei sind vor allem die politischen Parteien der großen Koalition zu nennen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Thematische Einführung
2. Die Reformdebatte 2003/2004
2.1. Bund, Länder und Parteien zu Beginn des Föderalismusstreits
2.1.1. Bund und Länder
2.1.2. Parteienkonkurrenz
2.2. Die Bundesstaatskommission – Entwicklung der Argumentation
2.3. Fazit der Reformbemühungen 2003/2004
3. Die Reformdebatte 2005/2006
3.1. Die Parteien in der großen Koalition
3.2. Parteipolitik und Verhandlungsergebnis
3.3 .Gesamtfazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, die von Gerhard Lehmbruch 1976 aufgestellte und bis dato mehrfach relativierte These der „Inkongruenz von Parteienwettbewerb und Bundesstaat“ als Erklärungsmuster für die abgeschlossene Debatte um die Reform der bundesstaatlichen Ordnung zu nutzen. Ausgehend von der Frage, warum der erste Versuch der Reform im Jahr 2004 scheiterte, wird untersucht, welche Faktoren im Parteienwettbewerb und im bundesstaatlichen System sich so geändert haben, dass eine Reform im vergangenen Jahr plötzlich möglich wurde. Dabei liegt es natürlich nahe, von der Arbeitshypothese auszugehen, die, für das vereinigte Deutschland bisher einzigartige, große Koalition aus SPD und CDU/CSU auf Bundesebene sei dafür verantwortlich. Dies scheint sich mit Lehmbruchs Arenentheorie sowie der Theorie der Regelsysteme zu decken. Der Autor versucht jedoch, sich dem Problem so zu nähern, dass die Bildungspolitik als einzelner Konflikt herausgegriffen wird, um das Verhalten der wichtigsten Akteure zu analysieren und strukturiert an der o.g. Fragestellung zu prüfen. Die Bildungspolitik als solche ist ein weiter Rahmen, der sich bis zum Kinder- und Jugendhilferecht verzweigen kann, daher wird es in dieser Arbeit nur um die streitrelevanten Fragen der Bildungsplanung, der Rahmengesetzgebung, des Hochschulbaus und der Forschungsförderung gehen.
Daran anknüpfend wird die Frage behandelt, warum es gerade eine originäre Länderkompetenz war, die den ersten Versuch einer Reform hat scheitern lassen. Wie ist dies im Zusammenhang mit Lehmbruchs Arenentheorie zu sehen und welche Erklärung gibt es für die schnelle Einigung zu Beginn des Jahres 2006, wenn man das Verhalten der Parteien in den Mittelpunkt rückt? Um diese Fragen zu klären, wird ein vergleichender Ansatz gewählt. Zwei Zeiträume, die erste Diskussion um die Reform ab 2003 und die letztendliche Debatte 2005/2006, werden mit der Betrachtung des Akteursverhaltens verbunden. Dabei sind vor allem die politischen Parteien der großen Koalition zu nennen, da die Betrachtung des gesamten Spektrums sowie weiterer Zeiträume, etwa der Verfassungsänderungen der 70er Jahre, den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Bei dieser Herangehensweise wird es möglich sein, einzelne Handlungsmuster der Parteien sowie der Länder und des Bundes heraus zu filtern, um zu erklären, warum trotz oder wegen gegensätzlicher Handlungslogiken von Bundesstaat und Parteienwettbewerb eine Reform des Bundesstaates, bzw. eine Einigung des Bundes mit den Ländern über die Bildungspolitik, möglich wurde.
Um die Untersuchung mit empirischem Material zu stützen und nicht nur die allgemein bekannten Diskussionen widerzugeben, werden vor allem die Protokolle der Kommission[1] sowie die Gesetzentwürfe als auch Publikationen zur Diskussion vor Einsetzung der Kommission sowie nach Scheitern der Kommission verwendet. Der theoretische Rahmen beruht auf Lehmbruchs Thesen zu Bundesstaat und Parteienwettbewerb und wird daher als Text einbezogen.
1. Thematische Einführung
Die Debatte um die Reform des Föderalismus in der Bundesrepublik ist so alt wie seine Krisen. Im Verlauf der politischen Geschichte zeigte sich, dass gegenläufige Mehrheiten in Länderkammer und Bundestag offensichtlich zu zwangsläufigen Blockaden führen, wenn politisch brisante Themen auf der Tagesordnung stehen.
Lehmbruch teilt die Struktur der Entscheidungssysteme des deutschen politischen Systems in Arenen auf. Zum einen ist dies der Parteienwettbewerb, geprägt durch Konkurrenz in der Sache und bei der Personalaufstellung. Zum anderen der Bundesstaat, ein durch Kooperation und Aushandlung definiertes Entscheidungssystem. In seiner entwicklungsgeschichtlichen Analyse beider Arenen in der politischen Geschichte seit 1871 zeigt er auf, wie sich diese Handlungslogiken ausprägen und in welche Gleise die Entwicklung bis 1945 führte.
Die Parteien haben sich, auch in ihrer Organisationsstruktur dem deutschen Bundesstaat angepasst und machen über ihre Beteiligungen an Landesregierungen ihren bundespolitischen Einfluss an den Stellen geltend, wo ihnen Mehrheiten für eigenständige Bundespolitik fehlen. Im Zweieinhalb-Parteinsystem der alten Bundesrepublik bedeutete dies, Blockadedruck der größten Oppositionspartei über die Arena des Bundesstaates mit dem Instrument des Bundesrates. Die traditionell starke Kooperation der deutschen Länder wurde so durch die wachsende Konkurrenz der Parteien ausgebremst. Eine Entwicklung, die es aufgrund des schwachen Parteiensystems und des überdurchschnittlich starken Föderalismus der Kaiserzeit und der Weimarer Republik so bisher nicht gegeben hat. Die Zuspitzung des Parteienwettbewerbs in den 70er Jahren hat bei unterschiedlichen Handlungslogiken von Bundesstaat und Parteienkonkurrenz zu starken Verwerfungen geführt. Diese Verwerfungen, so Lehmbruch, sind der Grund dafür, dass sich bei bestimmten Rahmenbedingungen beide Arenen gegenseitig so blockieren, dass man von „Lähmung“ sprechen muss. Eine Reform des Bundesstaates schien Lehmbruch aufgrund der starren Strukturen und der zahlreichen Vetospieler nicht möglich, vielmehr ließe das Parteiensystem Änderungen zu. Denkbar wären sicherlich Modifizierungen, die das Format zu ändern vermögen. Ob sich dies tatsächlich auf die Einflussnahme der Parteien über den Bundesstaat ausgewirkt hätte, bleibt zu bezweifeln.
Reformanstrengungen hat es in der Geschichte der Bundesrepublik, wie gesagt, zahlreiche gegeben. Weder die Enquête-Kommission der 70er Jahre noch die gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat nach der Wiedervereinigung konnten substanzielle Vorschläge unterbreiten. Die wenigen Punkte, zu denen Änderungen denkbar waren, wurden durch zahlreiche Sondervoten konterkariert. Somit kann man vom Scheitern einer umfassenden Reform sprechen. Änderungen wie die des Art. 72 GG im Zuge der Verfassungsänderung 1994 wurden zwar durchgeführt, im Nachhinein aber wieder vom Bundesverfassungsgericht relativiert. Den „Reförmchen“ der 70er und 80er Jahre ist ein Ausbruch aus dem Dilemma der Entscheidungsblockade bei gegenläufigen Mehrheiten also nicht gelungen. Der kooperative Bundesstaat wurde durch die Einführung von Gemeinschaftsaufgaben und Finanzverfassung weiterentwickelt, die Politikverflechtung wurde institutionalisiert. Der Verlust von Länderkompetenzen wurde durch verstärkte Mitbestimmung in bundesgesetzlichen Regelungen über das Instrument des Bundesrates kompensiert und dies verstärkte, wenn man mit Lehmbruch argumentiert, gleichzeitig den Effekt der Inkongruenz der Regelsysteme bzw. Handlungslogiken. Die Verteilung der Kompetenzen und die Entflechtung der Entscheidungsprozesse zwischen Bund und Ländern war immer wieder Streitpunkt und stand im Mittelpunkt aller Reformbemühungen.
Die Situation zu Beginn der Reformbemühungen 2003 war ähnlich problematisch wie in den Jahrzehnten zuvor. Wenn man den Handlungsdruck auch nicht messen kann, so kann man diesen doch als enorm beschreiben. Die Bund-Länder Arbeitsgruppe, die bis zum Frühjahr 2003 Positionen beider Seiten einzugrenzen hatte, ging von zwei Grundpositionen aus, die jedoch lediglich die Positionen der Exekutiven darstellten. Die Länderparlamente waren an den Verhandlungen nicht beteiligt und stellten ihre Position auf gesonderten Veranstaltungen dar.[2]
Größtmöglicher Konsens war das Ziel der Kommission, die im November 2003 ihre Arbeit aufnahm. Im Dezember 2004, in ihrer 11. und letzten Sitzung, mussten die Vorsitzenden der Kommission Müntefering und Stoiber das Scheitern der Verhandlungen erklären. Der vier Tage zuvor erstellte Vorentwurf zu einem Beschlussvorschlag war nach Aussage von Franz Müntefering, „… von wenigen Punkten abgesehen - beschlussfähig“. Der Stolperstein war nach Aussage beider Seiten eindeutig die Bildungs- und Hochschulpolitik. Hierbei lassen sich die unterschiedlichen Positionen auf zwei zentrale Gegensätze verkürzen: die Länder wollten die Zuständigkeit „von der KITA bis zur Hochschule“[3], der Bund wollte weiter an der Gemeinschaftsaufgabe „Bildungsplanung“ festhalten und im Idealfall 50% der Kosten tragen. Weiterhin gab es Differenzen im Bereich des Hochschulwesens. Der Bund erklärte sich einverstanden, das Hochschulrahmengesetz entfallen zu lassen, und damit einen wichtigen Schritt in Richtung Entflechtung getan. Im Anschluss daran wurde jedoch die bisher schmale Zuständigkeit über die Rahmengesetzgebung durch eine, die Länder wesentlich stärker einschränkende Regelung über die konkurrierende Gesetzgebung gefordert. Einheitliche Regelungen bezüglich des Zugangs, der Studiengebühren und der Regelstudienzeiten wurden unter der argumentativen Flagge des europäischen „Bologna-Prozesses“ in die Verhandlungen eingebracht.[4] Der Hochschulbau sollte als Gemeinschaftsaufgabe entfallen, der Erwerb von Großgeräten in die Gemeinschaftsaufgabe „Forschungsförderung“ integriert werden. Damit hätten die Länder alleinige Zuständigkeit erlangt und eine wichtige Aufgabe in die Kostenträgerschaft des Bundes übergeleitet.
Die Wiederaufnahme der Reform im Jahr 2005 geht auf die Regelungen des Koalitionsvertrages der Großen Koalition vom 11. November 2005 zurück und greift den, 2004 erreichten, Teil-Konsens auf. Die Bildungspolitik wird im Anhang des Vertrages beschrieben. Dort sind bereits die exakten Formulierungen zu den Artikeln 91b, 91a und 75 Abs. 1 GG enthalten. Die endgültige Version, die aktuell im Bundesgesetzblatt nachzulesen ist (Jahrgang 2006, Teil I, Nr.41), wurde durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages geprägt. Diese ist das Ergebnis der Spitzenverhandlungen auf Grundlage der Ergebnisse von 2004 sowie der Anhörungen des Ausschusses im Frühsommer 2006.
[...]
[1] Kommission zur Reform der bundesstaatlichen Ordnung
[2] siehe Hrbek/Eppler(occasional papers 28), S. 15, Der Konvent der Landesparlamente brachte die Lübecker Erklärung hervor, die im Wesentlichen den Exekutivföderalismus bemängelte und eine Stärkung der Landesparlamente forderte
[3] Edmund Stoiber in: Stenografischer Bericht der 11. Sitzung der“ Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“
[4] Richter, Ingo: „Das Bildungswesen im Föderalismusstreit“ in: Hrbek/Eppler (occasional papers 31), S.46/47
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