Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Dogma der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (von 1950). Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen allerdings keine dogmatischen Aspekte, sondern die ökumenische Diskussion, die anläßlich der Definition dieser Glaubensaussage als Dogma entbrannte, bzw. mit den Reaktionen, die sowohl auf römisch-katholischer als auch auf protestantischer Seite zu finden sind. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem "Jaeger-Stählin-Kreis", dessen führende Vertreter selbstverständlich auch Reaktionen gezeigt haben. Eine für viele Reaktionen stellvertretende Betrachtung zweier Texte (von Wilhelm Stählin und Karl Rahner) bildet die Grundlage für einen kurzen Blick auf die aktuelle Gesprächssituation bzw. einen Ausblick in die Zukunft.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Vorbereitende Betrachtungen
1.1. Was ist ein Dogma?
1.2. Historische Entwicklung
1.2.1. Das biblische Bild Mariens
1.2.2. Die nachapostolische Zeit
1.3 Das Sterben Mariens
1.4. Ein früheres Mariendogma
2. Das Dogma von 1950
2.1. Die Definition des Dogmas
2.2. Der Aussagegehalt des Dogmas
2.3. Eine Erste Diskussion
2.3.1. Luther und die Reformatoren
2.3.2. Papst Pius XII.
2.3.3. Die Zeit des Dogmas
2.4. Innerkatholische Mahnungen und Reaktionen
2.4.1. Friedrich Heilers „Oekumenische Einheit“
2.4.1.1. Friedrich Heiler
2.4.1.2. Heilers Stellungnahme
2.4.2. Berthold Altaners Artikelserie in der „Theologischen Revue“
2.4.2.1. Berthold Altaner
2.4.2.2. Altaners Stellungnahme
3. Die ökumenische Diskussion
3.1. Der Stand der Ökumene in der Zeit des Dogmas
3.1.1 Die Kontroverse: Dogma – Sola-Scriptura
3.2. Protestantische Reaktionen auf die Dogmatisierung
3.3. Der Jaeger–Stählin–Kreis
3.3.1. Lorenz Jaeger
3.3.2. Wilhelm Stählin
3.3.3. Karl Rahner
3.4. Der Kreis und seine Reaktionen auf das Dogma
3.4.1. Ein Manuskript Stählins
3.4.2. Karl Rahner - „Das neue Dogma“
4. Zukunftsvisionen oder: Maria, Mutter der Ökumene?
Nachwort
Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
In der vorliegenden Hausarbeit beschäftige ich mich mit dem Dogma der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel. Da diese Hausarbeit im Rahmen eines ökumenisch orientierten Seminars zu den “Anfängen der Una-Sancta-Bewegung” entsteht, werde ich keine vorwiegend dogmatische Ausführung vorlegen.
Vielmehr widme ich mich - nach einem kurzen Abriß über historische Entstehung, Systematik und dogmatische Gesamtzusammenhänge - der ökumenischen Diskussion, die anläßlich der Definition dieses Dogmas entbrannte bzw. den Reaktionen, die sowohl auf römisch-katholischer als auch auf protestantischer Seite zu finden sind. Allerdings wäre auch dies ein zu umfangreiches Vorhaben für eine “normale” Hausarbeit, sodaß ich eine weitere Einschränkung vornehme: Mein Hauptaugenmerk soll auf den “Jaeger-Stählin-Kreis” gerichtet sein, dessen führende Vertreter selbstverständlich auch Reaktionen gezeigt haben.
Abschließend möchte ich einen kurzen Blick auf die aktuelle Gesprächssituation werfen, bzw. einen Ausblick in die Zukunft wagen, denn
„Das Dogma von der leiblichen Aufnahme der Maria in den Himmel (1950), das marianische Jahr (1954), die peregrinatio der Fatima-Madonna und die Jahrhundertfeier von Lourdes (1958) haben die Blicke der Christenheit in besonderer Weise auf die Marienverehrung gerichtet.“[1]
Bevor ich mich jedoch dem eigentlichen Thema, dem Mariendogma, zu-wende, betrachte ich kurz die Geschichte der Dogmen an sich. Hierdurch soll im weiteren Verlauf verständlicher werden, warum sich einerseits die katholische Kirche scheinbar verpflichtet fühlte das behandelte Dogma zu definieren und andererseits die protestantischen Kirchen mit Ablehnung oder zumindest mit Unverständnis darauf reagierten.
1. Vorbereitende Betrachtungen
1.1. Was ist ein Dogma?
Per Definition versteht man unter einem Dogma
“im theologischen Sprechen verbindlich formulierte Sätze [...], die den christlichen Glauben in seinen wesentlichen Inhalten umschreiben und ihn von Irrlehren [Häresien] unterscheiden”[2].
Von Bedeutung ist weiterhin, daß “Ihre Leugnung [...] von der Kirche mit dem Anathem, d.h. mit dem Kirchenbann wegen Häresie, bedroht”[3] wird. Der Begriff an sich bedeutet nach seiner griechischen Herkunft zunächst einfach “glauben, meinen, beschließen” – δοκέιν: “das, was als richtig erkannt wird”. Ursprünglich galt dies für Beschlüsse von Kaisern oder eine bestimmte Schulmeinung.
Erstmals in der Apostelgeschichte (Apg 16,4) taucht dieser Begriff in spezifisch christlichem Kontext auf und bezieht sich hier auf “die Beschlüsse der Apostel und Ältesten”[4]. Inhaltlich soll mit diesem “ersten christlichen Dogma” die Freiheit der Christenmenschen festgelegt werden im Gegensatz zur sonst üblichen Unfreiheit oder Abhängigkeit der Gläubigen anderer Glaubensrichtungen. Josef Rupert Geiselmann bezeichnet die Freiheit der Christen daher als “Urtyp des christlichen Dogmas”[5]. Dies scheint mir bemerkenswert zu sein, gerade für eine heutige Diskussion zwischen den Konfessionen - aber auch zum Verständnis unterschiedlicher Auffassungen über die Dogmatisierungspraxis, die innerhalb der katholischen Kirche vertreten werden.
In der frühen Kirche war die Verwendung des Begriffes “Dogma” keinesfalls eindeutig und wurde erst auf dem I. Vat. Konzil wie folgt festgelegt:
“Was im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche - sei es in feierlicher Entscheidung oder Kraft ihres gewöhnlichen und allgemeinen Lehramtes - als von Gott geoffenbart zu glauben vorgestellt wird“[6].
Für die frühen Aussagen läßt sich nur schwer bzw. eigentlich gar nicht genau festlegen, was nach unserem heutigen Verständnis als Dogma gelten kann – welche Verstöße daher also auch mit dem Anathem belegt werden können.
Wichtig für aktuelle Diskussionen ist meiner Meinung nach, daß ein Dogma, durch seine Teilhabe an der Unfehlbarkeit der Kirche und den Beistand des Hl. Geistes, niemals falsch, aber jedoch “einseitig” sein kann;
“daß [jedoch] durch eine vertiefte Erforschung Momente in den Blick rücken können, die in der ursprünglichen Formulierung nicht angemessen aufschienen”.[7]
Einleitend soll diese kurze Betrachtung des Dogmenbegriffes ausreichen um in den Problemkomplex eingeführt zu sein.
1.2. Historische Entwicklung
Wie kam es überhaupt dazu, daß man sich Sorgen über Maria und ihr Verbleiben nach dem Tod machte? Um diese Frage beantworten zu können muß man bis in die frühe Zeit des Christentums zurück gehen: Im 1. christlichen Jh. benötigte man noch keine anderen Mittler als Christus, den Erhöhten, selbst.
Erst als nicht mehr mit der baldigen Wiederkunft des Herrn gerechnet wurde, stellte man sich die Frage nach dem Aufenthaltsort der Verstorbenen. Man glaubte, daß die “Blutzeugen” und ersten Zeugen Jesu sofort in die Herrlichkeit des Vaters aufgenommen waren und lediglich ihr Leib bis zur Erlösung bei der Wiederkunft Christi im Grab verweilte. In der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts beginnt die Heiligenverehrung in Form des Märtyrerkultes. Nach Beendigung der Verfolgungen im 4. Jh. erwächst eine stark ausgeprägte Reliquienverehrung, die einen großen Teil damaliger kirchlicher und privater Frömmigkeit ausmachte. Diese Praxis findet auch in den folgenden Jahrhunderten Anwendung.
Was können nun mögliche Entstehungsmotive einer so stark ausgeprägten Frömmigkeit sein? Schon die spätjüdische Frömmigkeit kannte “Mittler” zwischen Jahwe und dem Volk: Engel, die von Gott gesandt waren, um den Menschen zu helfen, aber auch, um den Menschen als Fürsprecher vor Gott zu dienen. Allerdings erkannte man bereits sehr früh die Gefahr des Abgleitens zum Polytheismus. Daher wurde das Augenmerk der Gläubigen auf Mittlergestalten wie Moses und Elias gelenkt, die man ebenfalls als geeignet ansah da sie von Jahwe auf wunderbare Weise in den Himmel aufgenommen waren.[8] Somit waren neben den Jüngern und den Blutzeugen nun auch diese Gestalten bereits jetzt schon in die Herrlichkeit erhoben.
Parallel zu der Frage nach dem Verbleib der Toten stritt die frühe Kirche bereits in den ersten Jahrhunderten um ein weiteres Kernthema des Christentums: die “Dreieinheit Gottes”. Wer war Christus? - War er ein bloßer Mensch mit außerordentlichen Gaben? War er ein Gott mit einem Scheinleib, oder war er ein wirklich menschliches, aber zugleich wirklich göttliches Wesen?
1.2.1. Das biblische Bild Mariens
Da ich Walter Delius zustimme, der sagt: „Das Marienbild kann nur innerhalb der Christologie gesehen werden.“[9], resümiere ich im Folgenden kurz die Entwicklung der Christologie. Erste Quellen hierfür sind natürlich die Schriften des Neuen Testamentes, deren Betrachtung in einer ökumenisch orientierten Arbeit unerläßlich ist, zumal protestantische Mitchristen eine stärkere biblische Arbeit in ökumenischen Diskussionen von uns Katholiken einfordern.
Nach Delius verdeutlichen die neutestamentlichen Schriften,
„daß der Menschensohnbegriff der Ausgangspunkt der ältesten christologischen Aussagen geworden ist.“[10] [Es stellt sich die Frage, wann] „die Erhöhung zur Würde des Menschensohns, des Messias, der als Weltenrichter wiederkommt, geschehen ist.“[11]
Diese Frage setzt die Vorstellung voraus, „daß Gott Jesus als Menschensohn annimmt“[12], was als adoptianische Christologie bezeichnet wird. Man findet sie im Lukasevangelium sowie in den Petrusreden der Apostelgeschichte.[13] Paulus hingegen entwickelt, wie auch die Logoslehre des Johannes, eine pneumatische Christologie:
„Danach kommt der Geist Gottes über Jesus und wohnt in ihm. Er ist hinfort sein Geist[14]. Das Göttliche in Jesus ist Gottes Geist.“[15]
Neben diesen beiden Christologien finden wir im Johannesevangelium ein präexistentes Christusbild: die beiden ersten Christologien setzen als
„Ausgangspunkt eine natürliche Geburt voraus [...] Das Johannesevangelium redet von dem präexistenten Menschensohn, der auf die Erde herabgekommen ist.“[16]
Bei genauer Betrachtung der Bibelstellen, in denen etwas über Maria ausgesagt wird - speziell der Stellen in denen christologische Aussagen getroffen werden - muß man feststellen, daß sich, auch bei größtem Bemühen, keine biographisch zusammenhängenden Aussagen finden lassen. „Bei Paulus wird der Name der Maria überhaupt nicht erwähnt.“[17] Ihm geht es lediglich um Jesu wirkliche Geburt von einer Frau[18] als wirklichen Menschen. „Maria wird im Gegensatz zur katholischen Lehre als Mittlerin nicht erwähnt.“[19]
Der Name der Maria wird nur bei den Synoptikern und in der Apostelgeschichte (Apg 1,14) erwähnt. Daneben ist die Rede von der „Mutter Jesu“; bzw. Jesus wird beschrieben als „Sohn der Maria“. Alle Evangelisten sind sich einig darin. Keiner beschreibt Marias Herkunft, Aussehen oder nähere Einzelheiten ihres Lebens. Einzige Aussagen über Maria entstammen den Berichten über ihre göttliche Erwählung zur Empfängnis des Sohnes Gottes durch den Hl. Geist, beschreiben Marias getreue Anteilnahme am Leben- und Leidensweg ihres Sohnes und es wird erwähnt, daß sie zur urchristlichen Gemeinde von Jerusalem gehörte.
Somit haben die Evangelisten wohl eine bewußte Selektion im Hinblick auf Marias Bedeutung für das christliche Heilsgeschehen vorgenommen. Ich würde also nicht zu dem Schluß kommen, daß es sich bei Maria lediglich um eine biblische „Nebenfigur“ handelt. Eine qualitative Analyse zeigt nämlich, daß Maria stets im unmittelbaren Zusammenhang mit Jesus erwähnt wird und ihr Handeln auch unter diesem Gesichtspunkt zu bewerten ist. Schließlich gibt es wohl kaum eine engere Bindung als die zwischen einer Mutter und ihrem Sohn. Außerdem ist Maria nicht einfach nur Mutter, sondern eben die Mutter des Erlösers, des Messias. Ihr Muttersein hat von Beginn an eine messianische, heilshafte Bedeutung. Jesu Wesenhaftigkeit als „wahrer Mensch“ wird mittels der Geburt von einer „normalen“ Frau, eben Maria, begründet. Hierdurch wird ihre herausragende Rolle noch verstärkt: Es handelt sich eben um die Menschwerdung des göttlichen Erlösers. Durch diesen Aspekt steht Maria von Beginn an in unmittelbarem Bezug zum Heilsgeschehen. Die zeitlich erste Stelle, die Maria erwähnt, ist wohl Gal 4,4 (der nach heutigem Forschungsstand 56 n.Chr. entstand[20] ), wo Paulus in seinem Brief an die Galater schreibt:
„Doch als es an der Zeit war, sandte Gott seinen Sohn. Er wurde von einer Frau geboren und lebte unter dem Maßstab des Gesetzes, um die anderen, die auch unter dem Maßstab des Gesetzes standen, freizukaufen und um aus uns Sklaven Kinder zu machen.“[21]
Nach A. Schlatter handelt es sich bei dieser Frau eben nicht einfach um irgendeine biblische Nebenfigur, sondern um eine „dienende Nebenfigur“[22] !
Nachdem Maria unter dem Kreuz ihres Sohnes - dessen Leid sie in mütterlichem Maße teilt - gleichsam zur Mutter der ganzen Kirche ernannt wird (indem Jesus sie seinem Lieblingsjünger anempfiehlt und dieser gleichsam zu seinem Nachfolger wird), ist es nur folgerichtig, daß Maria auch zur Zeit der Himmelfahrt Christi unter den betenden Jüngern der „Urgemeinde“ erwähnt ist.[23] Leo Scheffczyk interpretiert diese Anwesenheit
„als ein besonderes Zeichen dafür [...], daß sich ihre Messiasmutterschaft nun der Kirche zuwendet. [...] So zeigt der historisch späteste Hinweis des Neuen Testamentes [...], daß die Mutter des Herrn ihre mütterliche Aufgabe in der Zeit der Kirche nicht verliert, sondern in verwandelter und überhöhter Form weiterführt.“[24]
In genau dieser Interpretation liegt meines Erachtens der Keim für unsere katholische Marienfrömmigkeit: Auch wir heutigen Christen haben durch diese Aufgabe Mariens einen unmittelbaren Bezug zu der Frau, die auserkoren war, unserem Herrn zum irdisch-vollmenschlichen Leben zu verhelfen und die sich „am Herzen dieses Heilsereignisses“[25] befindet.
Hingewiesen sei in biblischem Zusammenhang auch auf Textstellen wie Lk 11,27/28, da eine begeisterte Frau aus der Menge ruft:
„Selig ist die Frau, deren Leib dich getragen hat und an deren Brust du gesogen hast.“ Jesus erwidert: „Ja, selig sind die, die Gottes Wort hören und halten.“[26]
Nach Delius[27] ist dieses Zitat, und andere Protestanten stimmen ihm zu, als ein früher Protest gegen den Versuch einer Marienverehrung zu verstehen, also als Mahnung vor religiöser Verirrung! Unbestritten jedoch bleibt,
„daß das Marienbild eine Teildarstellung des Christusbildes ist, das im Mittelpunkt der Verkündigung des apostolischen Zeitalters steht. Maria gehört also in die Christologie, die lehrt, daß Jesus der Sohn Gottes ist.“[28]
1.2.2. Die nachapostolische Zeit
„Aus der Bibel, dem »Buch der Bücher« war vieles nicht zu erfahren, was Christen der spätantiken und mittelalterlichen Kirche über das Leben und Wirken Marias gerne gewußt hätten. Fromme Imagination stillte den Wissensdurst. Die Verfasser apokrypher Evangelien und mittelalterlicher Marienleben überlegten und schrieben auf, was im Hinblick auf Marias Leben biographisch möglich, historisch wahrscheinlich und theologisch vertretbar erschien. Annahmen, die erbauten, trösteten und hoffen ließen, ersetzten urkundlich verbürgte Informationen über die wirkliche geschichtliche Maria.“[29]
Aus zahlreichen wissenschaftlichen Abhandlungen zu den Apokryphen um Maria ist zu entnehmen, daß sie Schreiners Bewertung teilen. Daher sehe ich hier von einer tieferen Analyse der entsprechenden Texte ab.
Innerhalb der theologischen Diskussion herrschte bald weitgehend Einigkeit über die Taufe auf die “Dreiheit” der hl. Namen als wesentlichen Bestandteil des christlichen Glaubens - jedoch bestand weiterhin die Frage nach Einheit, Gleichheit bzw. Unterordnung der drei Personen, die Gott ausmachen (was als “Arianischer Streit” in die Literatur einging).
Eine endgültige Klärung brachte das 1. ökumenische Konzil im Jahre 325 in Nicaea. Die Auffassung Alexanders von Alexandrien von der “Wesensgleichheit” wurde hier festgelegt:
Wir glauben an [den] einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren, und an [den] einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt, das heißt aus dem Wesen des Vaters, Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, wesensgleich dem Vater, durch den alles geworden ist, was im Himmel und was auf der Erde ist, der wegen uns Menschen und um unseres Heiles willen herabgestiegen und Fleisch und Mensch geworden ist, gelitten hat und auferstanden ist am dritten Tage, hinaufgestiegen ist in die Himmel und kommt, Lebende und Tote zu richten, und an den Hl. Geist.
Die aber sagen: „Es gab einmal eine Zeit, als er nicht war", und „Bevor er gezeugt wurde, war er nicht", und „Er ist aus nichts geworden", oder die sagen, der Sohn Gottes sei aus einer anderen Hypostase oder Wesenheit, oder er sei geschaffen oder wandelbar oder veränderlich, diese belegt die katholische Kirche mit dem Anathema.[30]
Dies wurde durch das 2. ökumenische Konzil im Jahre 381 in Konstantinopel bestätigt. Es verabschiedete das bis heute verwendete “nicaeno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis”.
Im 5. Jh. herrschte Uneinigkeit über das Wesen und die Person des menschgewordenen Christus: Zwar war man sich einig darüber, daß es sich bei Christus um die verwirklichte zweite Person Gottes handelt, aber unklar war nach wie vor die Frage nach der vollen menschlichen Seite Christi. Hier nun kommt Maria ins Blickfeld der Diskussion: Alles gipfelte schließlich in der mariologischen Frage, ob sie mit dem Titel der „Mutter Gottes“ (?εοτóκος) oder „Mutter des Menschen“ (?αvν?ρωποτόκος) bezeichnet werden solle. Nestorius, zu dieser Zeit Bischof von Konstantinopel, schlug den Begriff der “Gottesgebärerin” („Christusgebärerin“ χριστοτόκος) als Kompromiß vor.
Ehe die Theologen in diesem Punkt zu einer endgültigen Lösung fanden, hat Lukas bereits das „~η μήτηρ το? κυρίου = die Mutter des Herrn“ in den Mund der Elisabeth gelegt[31]. Das Konzil von Ephesus im Jahre 431 bestätigt schließlich: “Gottesgebärerin” wird richtige Bezeichnung für die Jungfrau Maria. In den Anathematismen Kyrills von Alexandrien, die einem Brief der Synode von Alexandrien an Nestorius (3. Brief Kyrills an Nestorius) beigefügt waren, heißt es:
„1. Wer nicht bekennt, daß der Emmanuel wahrhaftig Gott und deshalb die heilige Jungfrau Gottesgebärerin ist (denn sie hat das Wort, das aus Gott ist und Fleisch wurde, dem Fleisch nach geboren), der sei mit dem Anathema belegt.“[32]
Aber nicht nur die Theologen einigten sich mit der Zeit auf diese Namensgebung, sondern auch im gelebten Glauben und der Frömmigkeit der Zeit schlug sich diese Entwicklung nieder. Das älteste marianische Gebet der Christenheit rankt um diesen Titel und hat in ihm sein Zentrum. Maria wird hier als „Gottesgebärerin“ um Hilfe angerufen. Es heißt dort: „Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir, o heilige Gottesgebärerin;“[33]. Die nachfolgenden Konzilien bestätigen diesen Titel immer wieder aufs Neue: Chalcedon (451)[34], Konstantinopel (553)[35], das Laterankonzil (649)[36] sowie auch das Konzil von Trient (1545 - 1563)[37] ; allerdings werden hierzu keine vertiefenden Aussagen mehr getätigt.
Das Laterankonzil des Jahres 649 unter Papst Martin I. entschied zwar, daß Maria vor, in und nach der Geburt Jesu Jungfrau war und blieb, aber diese dogmatische Entscheidung ist aus heutiger Sicht wohl eher als Vorbereitung der nachfolgenden Marien-Dogmen zu interpretieren.
„Wer nicht gemäß den heiligen Vätern im eigentlichen Sinne und wahrhaftig die heilige, allzeit jungfräuliche und unbefleckte Maria als Gottesgebärerin bekennt, da sie ja im eigentlichen Sinne und wahrhaftig Gott, das Wort, selbst, der vor allen Zeiten aus Gott, dem Vater, geboren wurde, in den letzten Zeiten ohne Samen aus Heiligem Geist empfangen und unversehrt geboren hat, wobei ihre Jungfrauschaft auch nach seiner Geburt unzerstört blieb, der sei Verurteilt.“[38]
Ein erstes Zeugnis für die Jungfrauengeburt ist wohl das apokryphe „Protoevangelium des Jakobus“[39], das nach Berger um das Jahr 160 entstanden ist und somit seine Anerkennung in der Theologie fand.
1.3 Das Sterben Mariens
Anregung für meine Überlegungen zu diesem Thema war Klaus Schreiners Kapitel „Marias Tod als Inbegriff christlichen Sterbens“[40] aus seinem Marien-Werk. Für die katholischen Theologen und die Amtskirche bekam das Sterben Mariens im Laufe der Jahrhunderte einen hohen Stellenwert. Wie bereits einleitend in Kapitel 1.2.1. erläutert kannte man aus den anerkannten Quellen weder den Zeitpunkt des Todes, noch den Ort oder das Alter in dem Maria starb. Den urchristlichen Gemeinden sowie der entstehenden Großkirche gehörte dieser Aspekt noch nicht zum „Erzähl- und Erinnerungsgut“. Sie standen fest im christologischen Glauben, der die Figur der Maria als Heilsmittlerin nicht benötigte.
Parallel zu den theologischen Überlegungen der Kirchenmänner entstanden zahlreiche fiktive Legenden um Leben und Sterben der Maria, die dem Verlangen der Gläubigen nachkamen, Marias Rolle mit der Erlöserrolle Jesu zu verknüpfen um ihre Heilsbedeutung zu verstärken und zu legitimieren. Schnell „wurde Maria als eine im Himmel thronende Frau verehrt, die durch ihre Fürsprache Gottes Ratschlüsse und das Urteil Christi im Endgericht zu beeinflussen vermag“[41]. Natürlich war hierdurch die Klärung der Frage nötig, wann und wie Maria ihrem Sohn in den Himmel gefolgt sei. Man versuchte, die „Wissenslücke“ durch diese Erzählungen zu überbrücken. Als Beispiel soll die wohl berühmteste und meist zitierte Abhandlung „De transitu beatae Mariae virginis“ (Über den Heimgang der heiligen Jungfrau Maria) dienen. Sie ist ein Erklärungsversuch aus dem 5. Jh., dessen Autor unbekannt ist, und berichtet ausführlich über den Tod und die Himmelfahrt Mariens. Der Autor beginnt mit der Zeit vor der Passion Jesu da dieser seiner Mutter bereits versprochen hat, sie 3 Tage vor ihrem Tod über ihr Sterben in Kenntnis zu setzen und, daß er darüber hinaus, ihre Seele in den Himmel tragen werde. Außerdem wolle er dafür sorgen, daß alle Apostel an ihrem Sterbebett sein werden.
Angefangen mit der Vorankündigung des Todes durch einen Engel 3 Tage vor ihrem Ableben werden zahlreiche auch dem jüdischen Denken der Zeit bekannte symbolische Handlungen und Riten in die Erzählung integriert. So z.B. die Übergabe des Palmzweiges durch den Engel, das Anzünden von Lampen am Sterbebett Marias sowie die Wolke, die die Apostel vor die Haustür Marias trägt. Dieser Text wurde in der Folgezeit viel zitiert und bildlich dargestellt. Die beschriebene Art des Sterbens Marias fiel auf fruchtbaren Boden, indem sie dem liturgischen Bedürfnis der Zeit entsprach. Allerdings kann man davon ausgehen, daß der jüdische Hintergrund den mittelalterlichen Theologen nicht mehr geläufig war. Durch die zahlreiche Verwendung dieser sogenannten „Transitus-Legende“, die von offizieller Seite durch das Dekret Papst Gelasius ausdrücklich verworfen wurde, gehörte sie im hohen und späten Mittelalter dennoch zum Glaubensgut der Kirche. Zahlreiche Texte und Bilder aus der Zeit zeigen das sehr eindrücklich und verbinden die Darstellung mit „beispielgebenden Verhaltensweisen“, also einem gleichsam didaktischen Konzept: „Wer sich an diese [Anweisungen] hielt, konnte gewiß sein, christlich zu sterben“[42]. Aus dem 14. und 15. Jh. finden sich Andachtsbücher mit „Anleitungen für religiöse Übungen, mit deren Hilfe man die Gnade zu erlangen hoffte, drei Tage vor dem Tod über den bevorstehenden Heimgang unterrichtet zu werden.“ Wissend zu sterben, galt im Mittelalter als Zeichen eines guten Todes. „Mittelalterliche Marienfrömmigkeit bewährte sich [...] als Anleitung zu wissendem Sterben“[43], in dem klaren Bewußtsein der Endlichkeit des irdischen Lebens.
„Der Tod Marias machte außerdem den Gemeinschaftsbezug christlichen Sterbens zu einer in der göttlichen Heilsgeschichte verankerten Norm.“[44]
Zwar war das Leben damals kürzer als heute, und das Sterben, ohne großartige medizinische Hilfe, oft schmerzhafter und noch unkontrollierbarer - aber man starb längst nicht so einsam wie viele Menschen es heute leider erleben müssen. Nach dem Himmelfahrtsbericht stirbt Maria im Kreise ihrer engsten Freunde und Angehörigen. Auch die Apostel werden auf einer Wolke herbeigetragen um, wie Maria es gewünscht hatte, an ihrem Sterbebett zugegen zu sein.
Im Mittelalter entsteht die Einrichtung von „Sterbehelfern“, die den Sterbenden begleiten sollen, ihm Gebete vorsprechen, geistliche Texte vorlesen und den Empfang der kirchlichen Sakramente anbieten. Hinter dieser Einrichtung stand die Vorstellung, den Sterbenden so auf seinem Weg hinüber zu geleiten.
„Sterbehilfe machte das Totenbett zu einem Ort des Lebens.“[45]
Ein wichtiges Symbol, das heute noch aufs Engste mit Maria verknüpft ist, taucht ebenfalls schon in dem frühen Transitusbericht auf: Die Apostel entzünden Lampen an Marias Bett. Dies wird in der Kirche zu einem Brauch. Dem Sterbenden soll eine geweihte Kerze in die Hand gegeben werden, um die Teufel zu vertreiben, die die Seele des Toten in ihren Besitz nehmen wollen - aber auch damit der Sterbende dem Erlöser mit der Kerze entgegen gehe.
„Dämonen abwehrende Wirkungen und eschatologische Zeichenhaftigkeit machten die Kerze zu einem Trostmittel christlichen Sterbens.“[46]
Im Laufe der Jahrhunderte entsteht durch die zunehmende Verkirchlichung des Marientodes eine starke Verknüpfung mit möglichen sakramentalen Handlungen. Dies wirkte sich auf die Riten um die Sterbebegleitung aus.
Zwar haben die mittelalterlichen Christen die Art und Weise Marias Sterben bestimmt als Utopie empfunden,
„Was aber Maria für mittelalterliche Fromme dennoch zu einer erreichbaren Symbolgestalt machte, war das Verlangen nach einem Scheiden aus dem Leben, das wissend angenommen und durch die Gnadenmittel der Kirche gestärkt wurde [...] Christen des Mittelalters, die sich an die Lehr- und Heilsangebote ihrer Kirche hielten, lebten nicht so, als ob sie nicht sterben müßten; sie starben nicht so, als ob das zuvor gelebte Leben nur ein böser Traum, eine schlimme Tragödie, ein großer Irrtum gewesen sei. Wissend um die eigene Endlichkeit, Erfahrung von Solidarität in überschaubaren sozialen Lebenskreisen, Hoffnungen und Vertrauen auf das Urteil eines gerechten und liebenden Gottes stifteten Sinnhaftigkeit, die Lebende und Sterbende nicht voneinander trennte.“.[47]
Wenn in dem Zeitraum von Entstehung dieses apokryphen Textes bis ins Mittelalter hinein das Sterben Marias eine derartige Verankerung im Glaubensgut der Christen gefunden hat, so ändert dies zwar nichts an der Gelasianischen Verwerfung des Transitusberichtes, aber es macht verständlich, warum die Bitte um eine offizielle kirchliche Aussage hierzu nicht verstummt.
1.4. Ein früheres Mariendogma
Nach der Entscheidung für die Bezeichnung „Gottesgebärerin“ sowie der ewigen Jungfrauenschaft Mariens schien sie über längere Zeit hinweg ohne weiteren Klärungsbedarf eine Konstante des katholischen Glaubens zu sein. Erst 1854, also gut 1200 Jahre später, erließ Papst Pius IX. am Fest der Unbefleckten Empfängnis ein weiteres Mariendogma: Das „Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens“:
„542 Nachdem Wir also ohne Unterlaß in Demut und mit Fasten Unsere persönlichen und auch die gemeinsamen Gebete der Kirche Gott dem Vater durch seinen Sohn dargebracht haben, auf daß er durch den Hl. Geist Unseren Sinn leite und stärke, nachdem Wir auch den ganzen himmlischen Hof um seine Hilfe angefleht und inständigst den Hl. Geist angerufen haben, erklären, verkünden und entscheiden Wir nun unter dem Beistand des Hl. Geistes zur Ehre der hl. und ungeteilten Dreifaltigkeit, zum Ruhme und zur Verherrlichung der jungfräulichen Gottesmutter, zur Auszeichnung des katholischen Glaubens und zur Förderung der christlichen Religion, kraft der Autorität Unseres Herrn Jesus Christus, der heiligen Apostel Petrus und Paulus und Unserer eigenen: Die Lehre, daß die allerseligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis auf Grund einer besonderen Gnade und Auszeichnung von seiten des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi, des Erlösers der ganzen Menschheit, von jeder Makel der Erbsünde bewahrt blieb, ist von Gott geoffenbart und muß deshalb von allen Gläubigen fest und unabänderlich geglaubt werden.“[48]
Bereits 1849 waren die Bischöfe um eine Stellungnahme hierzu gebeten worden. Formell aber verkündete Pius IX. diese Definition alleine. Dieses Prinzip der päpstliche Unfehlbarkeit, das später ebenfalls zum Dogma erhoben wird, kommt hier zum ersten Mal zum Einsatz.
Es hatte kein dringender Grund zu dieser Dogmatisierung bestanden, obwohl diese Lehre eine lange Tradition in westlicher wie östlicher Kirche hatte. Betrachtet man es im gesamtgeschichtlichen Zusammenhang, war es wohl eine
„Antwort auf die Entchristlichung durch Rationalismus sowie Aufklärung und betont die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen und seine Rettung durch die Gnade Jesu Christi.“[49]
Schon im Mittelalter gewann die Marienverehrung eine politische Bedeutung: Mittels Maria und dem Rosenkranzgebet, so behauptet zumindest die Enzyklika „Supremi Apostolatus“, hat man die Häresie bekämpft. Im 16. und 18. Jh. konnte man auf gleiche Art die Türken abwehren. Vermutlich als Gegenstück zu den Frühlingsfeiern der französischen Revolution weihte man den Mai zu Ehren der Gottesmutter. Nun sah man eine Gefahr im deutschen Kulturkampf, der bereits auf angrenzende Länder überzugreifen drohte.[50]
Inhaltlich besagt dieses Dogma
„nicht nur negativ den Fortfall der erbsündlichen Verwundung Marias. Da nämlich die Erbsünde im schuldhaften Mangel an Gnade besteht, ist mit der Bewahrung vor ihr auch positiv die Begnadigung Marias im ersten Augenblick ihrer Existenz ausgesagt“.[51]
Interessant zu hinterfragen ist hier der theologische Begründungsweg, da es - wie später auch bei dem Assumptio-Dogma - an ausdrücklichen Schriftbeweisen mangelt. Man „weicht hier aus“ auf den alternativen Beweisgrund der Tradition: nicht verstanden als rein historisch-philosophische
„in der Vergangenheit festgelegte Überlieferung, sondern [als] die lebendige, jetzt geschehene Tradition, das sogenannte »factum ecclesiae«.“[52]
Die Möglichkeit für einen derartigen Beweisweg räumte ein Beschluß der anläßlich der Dogmatisierung einberufenen Kardinalskommission ein:
„Um eine bestimmte Meinung zum Dogma zu machen, bedarf es gar keiner Zeugnisse aus der Hl. Schrift. Die Tradition allein auch ohne Schriftzeugnisse ist genug. Um aber die Tradition zu konstatieren, ist keineswegs eine ununterbrochene Reihe von Zeugnissen notwendig, die bis zu den Aposteln hinaufreicht, sondern die katholische Tradition ist erwiesen, wenn festgestellt werden kann, daß die öffentliche Meinung der Kirche sich zu irgend einer Zeit für die fragliche Thesis erklärt hat.“[53]
Um einen kleinen Eindruck der konkreten Ausformung der Dogmatisierungspraxis zu bekommen und um besser verstehen zu können warum sich eine so große Zahl Gläubiger gleichsam „anstecken“ ließ von der römischen Überzeugung, möchte ich hier ein Zitat von Walter Delius anführen, der als evangelischer Christ, eine „Geschichte der Marienverehrung“ verfaßt hat, die ihresgleichen sucht:
„In feierlicher Prozession wird der Papst in die Peterskirche getragen und besteigt mit der dreifachen Krone geschmückt den Thron. Der Dekan des Hl. Kollegium erfleht dann im Namen der Christenheit den Richterspruch über die Empfängnis der Maria. Nach dem Veni Creator Spiritus verliest Pius mit bewegter Stimme die Schlußsätze der Bulle Ineffabilis Deus. Die Kanonen der Engelsburg donnerten, die Glocken sämtlicher Kirchen Roms läuteten, die Prälaten riefen »Amen« und die Menge in der Peterskirche brach in den Ruf aus: »Viva la Virgine Immacolata!« Der Kardinaldekan warf sich im Namen des Kardinalskollegiums zu Füßen des Papstes und dankte für die Definition. Nach dem Hochamt stimmte der Papst das Tedeum an und krönte das Immaculatabild. Am folgenden Tag hielt der Papst den versammelten Prälaten eine feurige Ansprache, in der er sie aufforderte, mit Hilfe der Maria die mancherlei Irrtümer, die die Kirche bedrohen, zu besiegen.“[54]
Dieses Dogma von 1854 bewirkte, wohl auch durch die Art der Verkündigung, innerhalb der katholischen Kirche bzw. unter den katholischen Gläubigen eine Steigerung der mariologischen Frömmigkeit. Es führte aber auch zu einer vertieften Entfremdung zwischen den Konfessionen, was beispielsweise der Erzbischof von Görz bereits bei der Bischofsbefragung im Vorfeld der Dogmatisierung geäußert hatte: „Und so ist mein Rat: sich der Fabrikation neuer Glaubensartikel durchaus zu enthalten.“[55] Er befürchtete, gerade auf deutschem Boden, „ungünstige Reaktionen seitens der Protestanten“.
Man könnte mit Rudolf Graber meinen:
„Wenn man all diese marianischen Enzykliken überschaut, spürt man förmlich, wie die Besorgnis der Päpste sich von Jahr zu Jahr steigert. [...] Fast möchte man meinen, als erblicke der Papst, der ja von hoher Warte aus besser den Gang der Ereignisse überschaut, in der Zuflucht zu Maria die einzige Rettung der Zeit. Dann aber ist die Marienverehrung nicht mehr eine Sache, die man mißbilligend der peripheren Volksfrömmigkeit zuweisen darf, während man selber mit überlegener Miene sich im Zentralen der Religion zu bewegen glaubt, sondern ein letztes Angebot der Liebe Gottes an die Welt von heute und vor allem an die Völker des ehedem christlichen Abendlandes, einer Liebe, aus der man gerade den mütterlichen Ton herauszuhören meint:“[56] »Wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln, so wie eine Glucke ihre Küken unter die Flügel nimmt. Doch ihr wolltet es nicht.«[57]
Resümierend kann man bis hierher feststellen, daß
„Die Päpste des 19. und 20. Jahrhunderts [...] Maria als „sceptrum rectae fidei“, als Zeichen des wahren umkämpften Glaubens“[58] hochhielten.
2. Das Dogma von 1950
Nachdem sich bereits Epiphanius v. Salamis († 403) mit der Frage, ob Maria nicht am Ende ihres Lebens unversehrt entrückt wurde, beschäftigt hat und abwägt:
„Das kann sich in der Tat wohl erfüllt haben. Doch möchte ich das nicht ganz bestimmt behaupten. Ich sage also nicht, daß sie unsterblich blieb, aber ich möchte auch nicht behaupten, daß sie gestorben ist“[59],
wird im 6. Jh. in der byzantinischen Liturgie das Fest der „Entschlafung der Gottesmutter“ eingeführt:
„Bei deiner Niederkunft hast du die Jungfräulichkeit bewahrt, bei deinem Entschlafen hast du die Welt nicht verlassen, o Mutter Gottes. Du bist zurückgekehrt zum Quell des Lebens, die du den lebendigen Gott empfingst und durch deine Gebete unsere Seelen vom Tod befreien wirst.“[60]
Auf diesem liturgischen Boden entstehen die ersten Predigten über die „Assumptio“ Mariens, nachdem zuvor nur phantasievolle apokryphe Darstellungen in Umlauf waren. Zwar waren die zahlreichen apokryphen Darstellungen über Marias „Heimgang“ - die „Transitusberichte“ - weit verbreitet, aber als Basis für eine Begründung der Dogmatisierung reichen diese phantasievollen Erzählungen wohl nicht aus. Hierin schließe ich mich Kardinal Scheffczyk an, der in seinem „Marienwerk“ verschiedene Gründe hierfür nennt. An dieser Stelle sei lediglich ein kurzer Hinweis auf ein späteres Werk gebracht, das, nach Scheffczyk, als „das erste mariologische Traktat bezeichnet werden kann“. Es stammt vom Ende des 11. Jahrhunderts und trägt den Titel „Über die Himmelfahrt der seligen Jungfrau Maria“. In ihm wird
„unter Berufung auf den tieferen Sinn der Hl. Schrift und unter Zusammenführung einer Vielzahl von Angemessenheitsgründen gleichsam aus dem (später sogenannten) »Folgerungssinn« des Glaubens die Wahrheit erschlossen: »Maria ist in Christus und bei Christus«, und zwar nicht nur der Seele, sondern auch dem Leibe nach.“[61]
Diesen „Sitz im Leben“ der Kirche meint Pius XII., „der Marienpapst“[62] wohl, wenn er in der Einleitung zur Definition unseres Dogmas auf seine Enzyklika „Mediator Dei“ aus dem Jahre 1947 zurückgreifend formuliert:
„Noch allgemeiner und glanzvoller aber offenbart sich der Glaube von Hirten und Herde darin, daß dieses Geheimnis seit alten Zeiten in Ost und West durch ein kirchliches Fest gefeiert wurde, eine Feier, aus der die heiligen Väter und die Lehrer der Kirche unaufhörlich Licht schöpften. Ist doch, wie allgemein bekannt ist, »die heilige Liturgie auch ein dem kirchlichen Lehramt unterstelltes Bekenntnis der himmlischen Wahrheiten und kann daher Beweise und Zeugnisse liefern, die von nicht geringem Wert sind, wenn es sich darum handelt, über einen bestimmten Punkt der kirchlichen Lehre zu urteilen«[63] “[64]
Die Frage nach Mariä Verbleiben beschäftigt Gläubige wie Theologen auch in der folgenden Zeit. Bereits die Kirchenväter haben sich schon in frühen Zeiten deutlich geäußert. Deren Äußerungen nehmen auch den Hauptteil der Bulle ein; so z.B. eine Schrift des Hl. Johannes von Damaskus:
„Es mußte die, die in der Geburt die Jungfrauschaft unversehrt bewahrt hatte, auch nach dem Tode ihren Leib von aller Verwesung frei bewahren. Es mußte die, die den Schöpfer als Kind in ihrem Schoß getragen hatte, in den Zelten Gottes weilen. Es mußte die Braut, die der Vater angelobt hatte, in dem himmlischen Brautgemach Wohnung nehmen. Es mußte die, die ihren Sohn am Kreuze geschaut hatte und damals ihr Herz durchbohrt fühlte vom Schwert der Schmerzen, die sie, als sie ihn gebar, nicht geduldet hatte, ihn jetzt an der Seite des Vaters sitzen sehen. Es mußte die Mutter Gottes besitzen, was ihrem Sohne gehört, und von jeglicher Kreatur als Mutter Gottes und seine Magd verehrt werden.“[65]
Dieses Thema verselbständigte sich bis hin zu einer intensiv gelebten Glaubenspraxis innerhalb der Volksfrömmigkeit. Die offizielle Kirche hingegen äußert sich hierzu nicht näher.
„Unser“ Dogma von 1950, also rund 100 Jahre nach der letzten marianischen Verlautbarung, antwortet auf eine große Zahl von Bittschriften, die seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts im Vatikan eingingen (1849 – 1940).
„Diese Bittgesuche und Wünsche nahmen keineswegs mit der Zeit ab, sondern wuchsen von Tag zu Tag an Zahl und Dringlichkeit. Man veranstaltete in dieser Meinung Gebetskreuzzüge; zahlreiche bedeutende Theologen förderten das Studium dieser Frage teils in privater Arbeit, teils an Theologischen Universitätsfakultäten und anderen kirchlichen Lehranstalten; ebenso feierte man vielerorts in der katholischen Welt nationale oder internationale Marianische Kongresse.“[66]
[...]
[1] Walter Delius, Geschichte der Marienverehrung, S. 7 (i.F.z. [Delius]).
[2] Taschenlexikon Ökumene, 2. Auflage 2003, S. 66 (i.F.z. [Peter Neuner]).
[3] ebd., S. 66 f.
[4] [NT] Apg 16,4.
[5] zit. nach [Peter Neuner], S. 67.
[6] De fide catholica, cap. 3 z.n.: Denzinger/Hünermann Vers 3011 (i.F.z. [DzH]).
[7] [Peter Neuner], S. 68.
[8] vgl. Mk 9,2-10; 2 Kön 2,11
[9] [Delius], S, 11.
[10] ebd.
[11] ebd., S. 12
[12] ebd.
[13] vgl. [Delius], S. 12.
[14] vgl. Mk 2,8.
[15] [Delius], S. 12.
[16] ebd., S. 14 / vgl. Joh 3,13 f; 6,52; 8,56 ff.
[17] [Delius], S. 15.
[18] vgl. 1. Kor 8,6; 15,47; Phil 2,7; Kol 1,15 ff.
[19] [Delius], S. 17.
[20] vgl. [NT], S. 134 f.
[21] [NT], Gal 4,4 f.
[22] A. Schlatter, Marienreden. Velbert 1927, S. 95 z.n. [Delius], S. 23.
[23] vgl. [NT], Apg 1,12 ff.
[24] L. Kardinal Scheffczyk, Maria. Mutter und Gefährtin Christi, S. 28 (i.F.z. [Maria]).
[25] Johannes Paul II., Mulieris Dignitatem, 441 (z.n. R. Graber, „Die marianischen Rundschreiben der Päpste“ (i.F.z. [Weltrundschreiben]), S. 423).
[26] [NT], Lk 11,27/28.
[27] vgl. [Delius], S. 28.
[28] ebd., S. 30.
[29] Klaus Schreiner, Maria, S. 18 (i.F.z. [Schreiner]).
[30] [DzH] Vers 125 f.
[31] Lk 1,43.
[32] [DzH], Vers 252.
[33] Papyrus Rylands 470 (1938 von C. H. Roberts publiziert) vgl. hierzu auch: Auer, Johann, Unter deinen Schutz und Schirm. Leutesdorf 2004 (i.F.z. [Schutz und Schirm]).
[34] [DzH] Vers 301.
[35] ebd., Vers 421 ff.
[36] ebd., Vers 503.
[37] ebd., Vers 1516.
[38] [DzH], 503.
[39] vgl. [NT], S. 1319 ff.
[40] [Schreiner], S. 68-77.
[41] ebd., S. 68.
[42] ebd., S. 71.
[43] ebd., S. 72.
[44] ebd., S. 72.
[45] ebd., S. 74.
[46] ebd., S. 74.
[47] ebd., S. 76.
[48] Dogmatische Bulle „Ineffabilis Deus“. Vers 542 (z.n.: [DzH], Vers 2803).
[49] H. Schütte: Glaube im ökumenischen Verständnis. Paderborn 1993, S. 172 (i.F.z. [Schütte])
[50] vgl. [Delius], S. 263 f.
[51] [Maria], S. 132.
[52] ebd., S. 132.
[53] E. Preuss, Die römische Lehre von der unbefleckten Empfängnis aus den Quellen dargestellt, S. 134, z.n. [Delius], S. 260.
[54] [Delius], S. 260.
[55] Pareri dell`episcopato cattolico sulla definizione dogmatica dell`Immacolato Concepimento (z.n. [Delius], S. 259).
[56] Rudolf Graber, Vorwort zur 2. Aufl. in: [Weltrundschreiben], S. 15 f.
[57] [NT], Mt 23,37.
[58] Leo Scheffczyk, Vorwort zur 3. Aufl. in: [Weltrundschreiben], S. 9.
[59] Panarion 78, 11 z.n. [Maria], S. 147.
[60] Byzantinische Liturgie, Tropar am Fest der Entschlafung am 15. August, z.n.: Katechismus der Katholischen Kirche, S. 279 (i.F.z. [Katechismus]).
[61] [Maria], S. 150.
[62] [Delius], S. 269.
[63] Enzyklika „Mediator Dei“ Acta Apostolica Sedis Bd. XXXIX S. 541 (i.F.z. [AAS]).
[64] Pius XII „Munificentissimus Deus“ (1950) z.n. [Weltrundschreiben] Vers 196, S. 199 f.
[65] S. Joan. Damasc., Encomium in Dormitionem die Genitricis semperque Virginis Mariae, hom. II, 14, z.n. Pius XII. „Munificentissimus Deus“ [Weltrundschreiben] Vers 197, S. 201.
[66] Pius XII „Munificentissimus Deus“, z.n. [Weltrundschreiben] Vers 193, S. 197.
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