Die Erkenntnisfähigkeit des Menschen ist begrenzt. Der Alltagsverstand des Menschen wurde zunächst von der Relativitätstheorie, dann der Quantentheorie und nun von der Komplexität in seine Schranken verwiesen. Komplexe Systeme verhalten sich oft unerwartet und antiintuitiv. Sie lassen sich nicht in Funktionen beschreiben und weisen mit zunehmender Komplexität unerwartete und antiintuitive Eigenschaften auf. Sie sind jedoch Teil der Natur und damit Gegenstand unseres Erkenntnisdranges. An den Stellen, wo unsere Erkenntnisfähigkeit beschränkt ist, haben wir in den vergangenen Jahrhunderten mit wachsendem Erfolg Technologien und wissenschaftliche Methoden eingesetzt. Die Computersimulation ist diejenige Methode, die uns beim Umgang mit komplexen Systemen weiterzuhelfen verspricht. Ist sie tatsächlich die Methode, die uns weiterhelfen kann? Was genau zeichnet die Computersimulation im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Methoden, wie Theoriebildung und Experiment aus? Wie können wir neue Erkenntnisse aus ihr gewinnen?
Die Wissenschaftsphilosophie ist an dieser Stelle gefordert diese vermeintlich neue Methode der Simulation einzuordnen. Ausgehend von der Wichtigkeit der Wissenschaftsphilosophie für die Reflexion der Wissenschaft, ihrer Methoden und die Formulierung eines normativen Anspruches an den Forschungsprozess, soll in dieser Arbeit auf ausgewählte systemtheoretische Ansätze zum Umgang mit komplexen dynamischen Systemen eingegangen werden.
INHALTSVERZEICHNIS
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Fehler! Textmarke nicht definiert.
1) Einleitung und Vorgehensweise
2) Die Simulation in der wissenschaftstheoretischen Debatte
2.1) Definition des Simulationsbegriffes
2.2) Methodische und epistemologische Eigenschaften der Simulation
2.3) Übertragbarkeit der Ergebnisse
3) Systemtheoretische Ansätze und Simulation
3.1) Warum Systemtheorie?
3.2) Simulationsverständnis ausgewählter systemtheoretischer Ansätze
3.2.1) Der biokybernetische Ansatz
3.2.2) Der psychologische Ansatz
4) Konklusion
4.1) Methodische Eigenschaft der qualitativen Simulation: Fuzzy Logik
4.2) Vernetztes Denken als epistemologische Eigenschaft der Simulation
4.3) Simulation beleuchtet den Forschungsprozess
5) Ausblick
LITERATURVERZEICHNIS
1) Einleitung und Vorgehensweise
Die Erkenntnisfähigkeit des Menschen ist begrenzt. Der Alltagsverstand des Menschen wurde zunächst von der Relativitätstheorie, dann der Quantentheorie und nun von der Komplexität in seine Schranken[1] verwiesen. Komplexe Systeme verhalten sich oft unerwartet und antiintuitiv. Sie lassen sich nicht in Funktionen beschreiben und weisen mit zunehmender Komplexität unerwartete und antiintuitive Eigenschaften auf.[2] Sie sind jedoch Teil der Natur und damit Gegenstand unseres Erkenntnisdranges. An den Stellen, wo unsere Erkenntnisfähigkeit beschränkt ist, haben wir in den vergangenen Jahrhunderten mit wachsendem Erfolg Technologien und wissenschaftliche Methoden eingesetzt. Die Computersimulation ist diejenige Methode, die uns beim Umgang mit komplexen Systemen weiterzuhelfen verspricht. Ist sie tatsächlich die Methode, die uns weiterhelfen kann? Was genau zeichnet die Computersimulation im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Methoden, wie Theoriebildung und Experiment aus? Wie können wir neue Erkenntnisse aus ihr gewinnen?
Die Wissenschaftsphilosophie ist an dieser Stelle gefordert diese vermeintlich neue Methode der Simulation einzuordnen. Ausgehend von der Wichtigkeit der Wissenschaftsphilosophie für die Reflexion der Wissenschaft, ihrer Methoden und die Formulierung eines normativen Anspruches an den Forschungsprozess, soll in dieser Arbeit auf ausgewählte systemtheoretische Ansätze zum Umgang mit komplexen dynamischen Systemen eingegangen werden.
Zunächst wird dazu dargestellt wie aktuelle wissenschaftstheoretische Positionen das Wesen der Simulation betrachten. Danach wird kurz in die Systemtheorie eingeführt und ausgewählte Beiträge hinsichtlich ihrer Aussagen über die Simulation und das Problem des menschlichen Umganges mit komplexen Phänomenen näher erläutert. Anschließend wird in einer Konklusion die wissenschaftstheoretische Debatte um Aspekte des systemtheoretischen Simulationsverständnisses ergänzt. Schließlich findet in einem Ausblick auch die Bewertung der Thematik durch die Autorin ihren Platz.
2) Die Simulation in der wissenschaftstheoretischen Debatte
2.1) Definition des Simulationsbegriffes
Simulation kann als Bezeichnung für die Nachahmung eines Prozesses durch einen anderen Prozess definiert werden, wobei Prozess hier als Betonung des zeitlichen Charakters der Simulation verstanden werden kann.[3] Handelt es sich bei dem simulierenden System um einen Computer, so spricht man von einer Computersimulation.[4] Techniken der Simulation sind Entscheidungen darüber, welche Daten einbezogen werden und welche nicht. Dies können Faustregeln dazu sein, wie man Schwierigkeiten bei der komputationalen Umsetzung überbrückt. Oder es handelt sich um graphische Techniken zur Visualisierung, Techniken zur Kalibrierung und dem Vergleich der Resultate mit anderen bereits vorhandenen Forschungsdaten.[5] Unter dem Begriff Simulation ist also nicht ein einzelnes Instrument zu verstehen, sondern zahlreiche Techniken, die auf unterschiedlichen mathematischen Verfahren beruhen.[6] Man kann die unterschiedlichen Arten von Simulationen nach den ihnen zugrundeliegenden Algorithmen unterscheiden. Es gibt Techniken der Diskretisierung, Monte-Carlo-Methoden[7], Zelluläre Automaten und viele andere.[8]
Dynamische Modelle sind Grundlage der Simulation. „More concretely, a simulation results when the equations of the underlying dynamic model are solved.“[9] Simulationen werden eingesetzt, um analytisch nicht lösbare Gleichungen zu untersuchen. Sie dienen der Wissenschaft, wenn Experimente zu teuer, unklar in ihren Ausgängen, ethisch nicht vertretbar, politisch nicht machbar, praktisch unmöglich oder zu zeitintensiv wären. Aus ethischen und moralischen Gründen gibt es Experimente, die nicht durchführbar wären, wie z. B. extreme Steuererhöhungen. Auch dienen Simulationen als Hilfsmittel, falls die Überlegungen in der realen Welt zur Zeit praktisch unmöglich wären, wie z. B. die Reise in Schwarze Löcher. Oft werden Simulationen auch als numerische Experimente bezeichnet. Handelt es sich bei einer Simulation also nicht einfach um ein Experiment am Computer?
2.2) Methodische und epistemologische Eigenschaften der Simulation
Wie ist die Simulation epistemologisch und methodisch einzuordnen? Ist sie tatsächlich eine völlig neue wissenschaftliche Methode zur Gewinnung von Erkenntnis? Winsberg diskutiert dazu drei Sichtweisen:
1) Simulation ist die Anwendung des Computers bei analytisch unlösbaren Gleichungen.
2) Simulation ist eine Nachahmung der realen Welt und dient somit zum Experimentieren.
3) Simulation ist weder in die Methodik des Experimentes noch in die der Theorie einzuordnen, sondern stellt eine völlig neue wissenschaftliche Methode dar.
Diese drei Sichtweisen werden im Folgenden nacheinander aufgegriffen. Zur Ersten wird entsprechend Winsberg festgestellt, dass die Simulation mehr als ein Methode zur Untersuchung analytisch unlösbarer Gleichungen mithilfe des Computers darstellt. Innerhalb der Simulation werden Schlüsse aus den Zahlen gezogen. Wie beim Experiment wird bei der Arbeit mit der Simulation Datenanalyse, mit den üblichen Mitteln der Visualisierung, Statistik, data mining und so weiter, betrieben. Deswegen spricht man bei der Simulation auch von numerischen Experimenten im Gegensatz zum analytischen Weg. Außerdem geht die Simulation über mathematische und theoretische Grundlagen hinaus, indem die Ergebnisse der Simulation nicht einfach wie bei einer Rechenaufgabe das Ende der Arbeit darstellen, sondern mit diesen Ergebnissen kreativ gearbeitet werden muss, um brauchbare Resultate zu erhalten. Die mimetische Qualität der Simulation, das heißt ihre Eigenschaft die reale Welt nachzuahmen, spielt hier nicht nur psychologisch eine große Rolle. Wissenschaftler nutzen die realistischen Bilder der Simulation, um Schlüsse zu ziehen und vergleichen sie mit den Bildern der realen Welt, um ihre Ergebnisse zu prüfen.[10]
Für die zweite Sichtweise, dass Simulationen als Experiment dienen können, da sie die reale Welt in geeigneter Weise nachahmen, spricht, dass ihre methodische Struktur der des Experimentes gleicht: Ein Algorithmus wird entworfen, welcher der realen Welt entspricht, wird auf dem Computer implementiert und ab da werden Experimente am Computer durchgeführt, die wie die üblichen Experimente über den zu untersuchenden Gegenstand aufklären. Ab dem Punkt, wo Experimente mit der Computersimulation durchgeführt werden können, lassen sich viele Analogien zum Experiment feststellen, wie zum Beispiel, dass Simulationen mehrmals durchlaufen und große Mengen an Ergebnissen verglichen werden. Doch die Simulation ausschließlich als einer der realen Welt entsprechenden Experimentierfläche zu verstehen, hieße die zur Implementation notwendigen ersten Schritte außer Acht zu lassen.[11] Eine gültige Simulation wird formal schlüssige Relationen zum Simulierten zeigen.[12] Doch inwieweit man nun davon ausgehen kann, dass die Ergebnisse der Simulation tatsächlichen Erkenntnissen über die reale Welt entsprechen, bleibt zu überprüfen. Bezüglich ihrer Glaubwürdigkeit zeigt sich eine weitere Analogie zum Experiment: Simulationstechniken besitzen ein Eigenleben entsprechend Experimenten. Sie bringen die Geschichte ihrer wissenschaftlichen Anwendung in den Forschungsprozess mit hinein. Damit transportieren sie ihre eigenen Referenzen, die in den Erfolgen bestehen, die mit der Hilfe ihrer Methodik erzielt worden sind. Mit jeder erfolgreichen Anwendung wird ihre Glaubwürdigkeit innerhalb der Wissenschaftsgemeinde zunehmend mehr bestätigt.[13]
„It has been claimed that computer simulations constitute a genuinely new methodology of science or even a new scientific paradigm.”[14] Innerhalb der dritten Sichtweise kann die Simulation auch als Schnittstelle zwischen Experiment und Simulation oder als Handelszone zwischen Theorie und Experiment gesehen werden.[15] Das Verhältnis zwischen Simulation, Theorie und Modell muss zur weiteren Klärung dieser Sichtweise genauer betrachtet werden.
Hartmann stellt zunächst fest, dass Simulationen auf dynamischen Modellen beruhen. Dynamische Modelle beinhalten im Gegensatz zu statischen Modellen die Entwicklung eines Systems über einen bestimmten Zeitraum hinweg. Insbesondere in der Erfassung der zeitlichen Entwicklung eines Systems ist eine spezielle Leistung der Simulation zu sehen.[16] Doch was impliziert der Modellbegriff selbst?
Die Definition des Modells nur als Interpretation der Theorie wie es die Logischen Empiristen Carnap, Braithwaite und Nagel vertreten würden, ist zu eng. Hierbei fehlt Hartmann die Rolle des Modells im Forschungsprozess, spielt es doch eine wesentliche Rolle und muss deswegen mehr sein als eine bloße Transkription der Theorie. Bunge definiert Modell als den Zusammenschluss von allgemeiner Theorie zuzüglich einer speziellen Beschreibung des Modellobjektes, wobei die allgemeine Theorie hier den Einfluss allgemein anerkannter Hintergrundtheorien, wie z. B. der Relativitätstheorie darstellt. Der Unterschied zwischen einer Simulation und dem Modell ist, dass die Simulation eine Anwendung des Computers darstellt, das Modell zu untersuchen. Die Simulation ist also eine Methode zum Umgang insbesondere mit komplexen dynamischen Modellen. Hartmann spricht von der bereits 1894 durch Niehans proklamierten „Modell-Ära“[17], in welcher Wissenschaftler ihre Tätigkeit als Bildung von Modellen verstanden, und dem jetzt stattfindenden Beginn der „Simulations-Ära“[18].
[...]
[1] Wodurch unser Verstand in seine Schranken verwiesen wird, wird im Laufe dieser Arbeit ersichtlich.
[2] Schurz 2006 /Systemdenken/ S. 3-4.
[3] Aus Hartmann 2005 /Simulation/ S. 1 und Humphreys 2004 /Extending ourselves/ S. 108.
[4] Vgl. Hartmann 2005 /Simulation/ S.1. Anm. d. Autorin: Im Folgenden ist mit Simulation stets die Computersimulation gemeint, falls nicht explizit auf eine andere Art der Simulation verwiesen wird.
[5] Nachzulesen bei Winsberg 2003 /Simulated Experiments/ S. 122.
[6] Auch bei Humphreys 2004 /Extending Ourselves/ S. 114.
[7] Hartmann schließt ausdrücklich aus, den Begriff der Simulation in Zusammenhang mit rein mathematisch-statistischen Verfahren wie den Monte-Carlo-Techniken zu benutzen, was geläufig geschieht. Nachzulesen bei Hartmann 1996 /World as a Process/ S. 87.
[8] Siehe auch Winsberg 2003 /Simulated Experiments/ S. 107.
[9] Hartmann 1996 /World as a Process/ S. 83.
[10] Siehe dazu Winsberg 2003 /Simulated Experiments/ S. 110-111.
[11] Vgl. Winsberg 2003 /Simulated Experiments/ S. 115.
[12] Entsprechend Norton und Suppe laut Winsberg 2003 /Simulated Experiments/ S. 114.
[13] Siehe bei Winsberg 2003 /Simulated Experiments/ S. 122.
[14]“(Humphreys 2004, Rohrlich 1991, Winsberg 2001 and 2003, and various contributions to Sismondo and Gissis 1999)” aus Hartmann 2006 /Models/ Kapitel 3.1 Learning about the model: experiments, thought experiments and simulation.
[15] Siehe dazu Gramelsberger 2004 /Computersimulation/ S. 14 und Winsberg 2004 /Simulated Experiments/ S.117.
[16] Bei Hartmann 1996 /World as a Process/ S. 80-82.
[17] Vgl. Hartmann 1996 /World as a Process/ S. 80: “In his „History of Economic Thought“, J. Niehans claims that in 1894 the “era had began in which scientists interpreted their activity as model building.”” Hartmann bezieht sich hier auf Niehans 1990, S. 313.
[18] Bezug auf Hartmann 1996 /World as a Process/ S. 84.
- Quote paper
- Sissy-Ve Basmer (Author), 2007, Die Methode Simulation - Wissenschaftsphilosophische Betrachtung im systemtheoretischen Blickpunkt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77653
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