Dass die Menschen einander überhaupt verstehen, darf verwundern. Kaum einer drückt direkt das aus, was er zu verstehen geben will. Stattdessen sagt er es durch die Blume oder winkt mit dem Zaunpfahl und lässt sein Gegenüber zwischen den Zeilen lesen. Über Frauen geht bei Männern gerne das Gerücht, dass sie gelegentlich das Gegenteil vom Gesagten beabsichtigen, vieles dann im Anschluss doch nicht so gemeint wie gesagt haben oder die ganze Sache gar nicht erst so wörtlich zu nehmen war.
Kommunikation scheint ein schwieriges Handwerk, weil man sich nicht unbedingt darauf verlassen kann, dass ein Gesprächspartner genau das verstanden wissen wollte, was er gesagt hat. Im Alltag funktioniert Kommunikation trotzdem. Offenbar existieren unterbewusste Verhaltensregeln, die es ermöglichen die Unzulänglichkeiten der Äußerung zu überbrücken und so das Gemeinte aus dem Gesagten zu destillieren. Im Stillen wirkt quasi ein „Reparaturmechanismus“, für den der englische Sprachforscher Paul Grice den Begriff der Implikatur prägte. Mit seiner Theorie der Implikaturen, in der Grice ein grundlegendes Regelwerk und Bedingungen für erfolgreiche und „effiziente“ Kommunikation formuliert hat, leistete er einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau der Pragmatik als wissenschaftlichem Bestandteil der Linguistik.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung: Vom Sagen und Meinen
2 Paul Grice’ Theorie der Implikaturen: Was ist eine Implikatur?
2.1 Das Kooperationsprinzip & die Konversationsmaximen: Sei kooperativ!
2.2 Auslösung der Implikaturen: Ausbeuten oder Befolgen der Maxmime..
2.3 Arten von Implikaturen
2.3.1 Konventionale Implikatur
2.3.2 Konversationale Implikatur
2.3.3 Partikularisierte Implikaturen (oder: Sprecher-Implikatur)
2.3.4 Generalisierte Implikaturen (oder: Standard-Implikatur)
2.3.5 Skalare Implikaturen
2.3.6 Klausale Implikaturen
2.4 Merkmale von konversationalen Implikaturen
2.4.1 Kalkulierbarkeit (calculability).
2.4.2 Annulierbarkeit (cancellability)
2.4.3 Nichtabtrennbarkeit
2.4.4 Nichtkonventionalität
2.4.5 Verbalisiertheit
2.4.6 Unbestimmtheit
2.5 Implikaturentest
3 Reduktion oder Abkehr: Kritik an Grice
3.1 Neo-Grice’sche Theorie von Horn und Levinson
3.2 Relevanztheorie von Sperber/Wilson: Sei relevant!
4 Schluss: Einordnung der Implikaturentheorie
Literaturverzeichnis
1 Einleitung: Vom Sagen und Meinen
Dass die Menschen einander überhaupt verstehen, darf verwundern. Kaum einer drückt direkt das aus, was er zu verstehen geben will. Stattdessen sagt er es durch die Blume oder winkt mit dem Zaunpfahl und lässt sein Gegenüber zwischen den Zeilen lesen. Über Frauen geht bei Männern gerne das Gerücht, dass sie gelegentlich das Gegenteil vom Gesagten beabsichtigen, vieles dann im Anschluss doch nicht so gemeint wie gesagt haben oder die ganze Sache gar nicht erst so wörtlich zu nehmen war.
Kommunikation scheint ein schwieriges Handwerk, weil man sich nicht unbedingt darauf verlassen kann, dass ein Gesprächspartner genau das verstanden wissen wollte, was er gesagt hat. Im Alltag funktioniert Kommunikation trotzdem. Offenbar existieren unterbewusste Verhaltensregeln, die es ermöglichen die Unzulänglichkeiten der Äußerung zu überbrücken und so das Gemeinte aus dem Gesagten zu destillieren. Im Stillen wirkt quasi ein „Reparaturmechanismus“, für den der englische Sprachforscher Paul Grice den Begriff der Implikatur prägte. Mit seiner Theorie der Implikaturen, in der Grice ein grundlegendes Regelwerk und Bedingungen für erfolgreiche und „effiziente“ Kommunikation formuliert hat, leistete er einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau der Pragmatik als wissenschaftlichem Bestandteil der Linguistik.
In der vorgelegten Betrachtung soll dieser Theorie deshalb der besondere Fokus gewidmet werden. Insofern wird zunächst das Grice’sche Kooperationsprinzip mit den Konversationsmaximen, die Grice in seinem Modell postuliert hat, vorgestellt. Da die Implikaturen im unbewussten Umgang mit den Konversationsmaximen ausgelöst werden, soll im Weiteren diesem Mechanismus mit anschaulichen Beispielen nähere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dem zentralen Typus der ‚konversationalen Implikatur’ werden danach andere wichtige Arten der Implikatur zur Seite gestellt. Eine kurze Erläuterung von Merkmalen der Implikaturen schließt die Darstellung von Grice ab. Die Implikaturentheorie ist eines der wenigen Teilgebiete der Pragmatik, das auch in seinen Anwendungsbereichen als relativ gut erforscht gilt; als solche bleibt sie im Rahmen dieser Arbeit nur in ihren Grundsätzen diskutabel. Ein kurzes Kapitel zur Kritik, die zur Grice’schen Theorie geführt wurde und eine abschließende generelle Einordnung sollen diese Betrachtung abrunden.
2 Paul Grice’ Theorie der Implikaturen: Was ist eine Implikatur?
In seiner über gut vier Jahrzehnte währenden Schaffenszeit bereicherte der Sprachphilosoph Paul Grice die Wissenschaft eher mit lebendiger und direkt geführter Diskussion und weniger im schriftlichen Diskurs. Insgesamt hat er der Forschung nur wenige – trotzdem sehr viel beachtete – Aufsätze hinterlassen: mit ‚Logic and Conversation’ (1975), in dem Grice seine Theorie der Implikaturen vorgestellt und erstmals die ‚Implikatur’ als wissenschaftlichen Terminus in die Forschung eingeführt hat, gelang ihm ein äußerst wichtiger Fortschritt für die noch junge Pragmatik.
Ähnlich der Sprechakttheorie von Austin und Searle, die der Implikaturentheorie vorausging, konzentriert sich sein Konstrukt auf die Beschreibung von Kommunikationsprozessen. Im Unterschied zu Searle rückt er allerdings den Adressaten und den Verstehensprozess stärker in den Mittelpunkt der Betrachtung. Grice hilft gewissermaßen den Verständnisprozess nachvollziehbar zu machen und beschreibt die Bedingungen, die dem Hörer unter Rückgriff auf die konkrete Situation (Kontext) und das individuelle Hintergrundwissen bezüglich der Welt und des Sprechers eine komplexe Schlussfolgerung ermöglichen. Diese tritt immer dann ein, wenn die Signale des Sprechers eklatant von den Inhalten abweichen, die der Hörer im Rahmen des Kontextes und seines Hintergrundwissens erwartet. Sprecher und Hörer stimmen sich in der Kommunikation also unbewusst ab: der Sender vermutet zum Zeitpunkt seiner Aussage, dass der Empfänger die Situation ebenso wahrnehmen kann wie er selbst und über das nötige Hintergrundwissen verfügt, um zu verstehen, was er meint. Grice spaltet die Bedeutung einer Äußerung dabei auf in das, was gesagt wird (‚what is said’) und in das Implikat (‚what ist implicated’), als weiteres im Gesagten nur implizit enthaltenes Bedeutungselement. Der Hörer, sich dessen bewusst und des kooperativen Verhaltens des Sprechers sicher, ergänzt quasi automatisch im Verständnis durch Interpretation und Rekonstruktion die fragliche, aber vom Sprecher intendierte Bedeutungskomponente – Grice sagt, der Hörer implikatiert.
Beispiel 1 soll die Theorie veranschaulichen: Max und Berta schauen Fernsehen. Berta: „Irgendwie kann ich nichts erkennen.“, Max: „Ich habe deine Brille auf der Kommode liegen sehen.“ Die Implikation in Max Antwort basiert auf dem Wissen, dass Berta eine Sehschwäche hat und deshalb schlecht sehen kann. Er formuliert daher die Aufforderung an Berta, doch eine Brille aufzusetzen.
2.1 Das Kooperationsprinzip & die Konversationsmaximen: Sei kooperativ!
Kommunikation ist also kooperatives Handeln. Grice unterstellt in seiner Theorie den Gesprächspartnern Kooperationswilligkeit und eine kooperative Intention ihrer Aussagen. Unter dieser Prämisse formuliert er sein Kooperationsprinzip, das als Herz seiner Arbeit zur Implikatur gilt, wie folgt:[1] „Mache deinen Beitrag zur Konversation genau so, wie es der Punkt der Konversation, an dem er erfolgt, erfordert, wobei das, was erforderlich ist, bestimmt ist durch, den Zweck oder die Richtung des Gesprächs, in dem du dich befindest.“ In einer Konkretisierung entfaltet Grice sein Prinzip in neun Konversationsmaximen, die sich in vier Kategorien eingruppieren lassen:[2]
Maxime der Quantität: 1 Mache deinen Beitrag so informativ wie (für die gegebenen Gesprächszwecke) nötig.
2 Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig.
Maxime der Qualität: [Versuche deinen Beitrag so zu machen, dass er wahr ist.]
1 Sage nichts, was du für falsch hältst.
2 Sage nichts, wofür die angemessene Gründe fehlen.
Maxime der Relevanz: Sei relevant.
Maxime der Modalität: [Sei klar.]
1 Vermeide Dunkelheit des Ausdrucks.
2 Vermeide Mehrdeutigkeit.
3 Sei kurz (vermeide unnötige Weitschweifigkeit.)
4 Der Reihe nach!
Grice Kategorien sind offensichtlich an Kants Einteilung der Urteilsarten in der Kritik der reinen Vernunft angelehnt, zuweilen wird die dritte Maxime deshalb auch als Maxime der Relation bezeichnet.[3] Allerdings sind Grice’ Maxime, obschon sie imperativisch formuliert sind, nicht im Kant’schen Sinne als moralisch-bindende Verhaltensanweisungen zu verstehen. Vielmehr beschreiben sie ein Regelwerk, das bei rationalem Verhalten im Kommunikationsprozess zur Anwendung gelangt.
[...]
[1] Im Original hat Grice seine Maximen in englischer Sprache verfasst. Hier wird die eine dt. Übersetzung von Jörg Meibauer wider gegeben. Vgl. Meibauer, Jörg (2001:25)
[2] Vgl. Rolf, Eckard (1994:104)
[3] Vgl. Rolf, Eckard (1994:104)
- Quote paper
- Nicolas Kunkel (Author), 2007, Vom Sagen und Meinen. Die Theorie der Konversations-Implikaturen nach H. Paul Grice, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77186
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