Als im Jahr 2001 die Ergebnisse der ersten PISA -Vergleichsstudie veröffentlicht wurden, begann in Deutschland eine so noch nicht da gewesene Bildungsdiskussion über die flächen-deckende Einführung der Ganztagsschule. Nach den schockierenden Resultaten der deutschen SchülerInnen im Ländervergleich wurde die Ganztagsschule innerhalb kürzester Zeit zu einem „Allheilmittel“ für die Bildungsprobleme in Deutschland. Kurz nach der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse wurde eine Podiumsdiskussion mit den politischen Vertretern aller großen Parteien veranstaltet, in der über die Vor- und Nachteile beim Ausbau der Ganztagsschulen diskutiert wurde. Die Kernaussage damals lautete: Die Ganztags-
schulen müssen ausgebaut werden, um Deutschland im Ländervergleich unter die ersten Plätze zu bringen und zudem eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Von den anwesenden Vertretern der Kinder- und Jugendarbeit wurde die Forderung nach dem deutschlandweiten Ausbau der Ganztagsschule jedoch als eine Art „Kampfansage“ aufge-nommen, da die Ganztagsschulen für diese eine enorme Konkurrenz bedeuteten. Sie verbanden diese Schulart mit einer Verringerung der Erziehungsmöglichkeiten der Eltern, einer absoluten Verschulung der kindlichen Freizeit und einem Ablösen der Familie als zentrale Erziehungsinstanz. Zudem stellte sich für die Vertreter der Jugendarbeit die Frage, wann sie ihre Freizeitprogramme noch durchführen sollten, wenn Kinder und Jugendliche ihre Tage bis vier Uhr nachmittags in der Schule verbrächten, erst gegen halb fünf (oder später) wieder zu Hause seien und dann gegebenenfalls noch lernen müssten. Für die Jugendarbeit würde dies bedeuten, dass die Kernzeiten der Arbeit, die Nachmittagsstunden, nicht mehr zur Verfügung stünden und es somit zu einer Art Konkurrenzkampf zwischen den Bereichen Jugendarbeit und Ganztagsschule käme. Die Verantwortlichen in der Jugendarbeit und anderen Einrich-tungen wurden aufgefordert, die jeweiligen institutionellen Begrenzungen kritisch zu beleuchten und zu überwinden, um angemessen mit der neuen Herausforderung der ganztägigen Bildungsangebote umgehen zu können. Doch auch die Verantwortlichen der Ganztagsschulen taten sich zu Beginn der Entwicklung schwer, einer Kooperation zwischen Jugendarbeit und Ganztagsschule etwas Positives abzugewinnen. Schulen sind kompakte und in sich geschlossene Systeme, denen es bekannterweise schwer fällt, Einflüsse von außen zuzulassen. Zudem galt der Kooperationspartner Jugendarbeit und insbesondere die Jugendverbands-
arbeit aufgrund der Vielzahl von ehrenamtlichen Kräften nicht gerade als kompetent und leistungs-
stark.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
2. Evangelische Jugendbildungsarbeit in der EKKW
2.1 Zum Bildungsbegriff in der EKKW
2.2 Theologische Grundlagen
2.3 Lerntheorien
2.3.1 Kognitives Lernen
2.3.2 Emotionales Lernen
2.3.3 Soziales Lernen
2.3.4 (Inter-)kulturelles-, und religiöses Lernen
2.4 Evangelische Jugendarbeit in Marburg-Land
2.4.1 Zielgruppen
2.4.2 Angebote
2.4.3 Ziele
2.5 Evangelische Jugendarbeit in Marburg-Stadt am Beispiel „evangelisches Jugendhaus compass“
2.5.1 Zielgruppen
2.5.2 Ziele
2.5.3 Arbeitsbereiche
2.5.4 Angebote
3. Ganztagsschulen
3.1 Was ist Ganztagsschule?
3.2 Friedrich-Ebert-Schule
3.2.1 Geschichtlicher Überblick (1906-2006)– 100 Jahre Friedrich-Ebert-Schule
4. Evangelische Jugendarbeit und Ganztagsschule
4.1 Gesetzliche Grundlagen und Rahmenbedingungen
4.2 Schulbezogene Jugendarbeit ist Jugendbildung
4.3 Evangelisches Profil schulbezogener Jugendarbeit
4.4 Kooperation von Jugendarbeit und Schule am Beispiel evangelisches
Jugendhaus „compass“ und Friedrich-Ebert-Schule
4.4.1 Projektbeschreibung
4.4.1.1 Projekttag
4.4.1.2 Zielgruppe
4.4.1.3 Motivation der TeilnehmerInnen
4.4.1.4 Zielsetzung
4.4.1.5 Inhalt / Programm
4.4.1.6 Methode
4.4.1.7 Organisation
4.4.1.8 Auswertung
4.5 „compass-AG“
4.5.1 Zielgruppe
4.5.2 AG-Zeiten
4.5.3 Betreuungsschlüssel
4.5.4 Einbindung in das Schulsystem und Ziele der AG
4.5.5 Methoden
4.5.6 Entstandene Projekte aus der Kooperation
4.5.7 Fazit
5. Fazit
6. Persönliches Schlusswort
7. Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
In meiner Abschlussarbeit beschäftige ich mich mit dem Thema: „Soziales Lernen in der evangelischen Jugendbildungsarbeit exemplarisch mit der Kooperation der Friedrich-Ebert-Schule, Marburg“.
Die schulbezogene Jugendarbeit hat mich während meines zweijährigen Berufspraktikums im evangelischen Jugendhaus „compass“ begleitet und einen wichtigen Teil meiner Arbeit aus-gemacht. Bereits während meinem 4-Wochen-Praktikum im Januar 2004 im Rahmen der ErzieherInnenausbildung, welches ich ebenfalls im „compass“ absolvierte, konnte ich die Entstehung der Kooperation zwischen dem Jugendhaus und der Friedrich-Ebert-Schule miterleben. Damals fesselte mich dieses Thema bereits – und tut es noch heute.
Mir war sehr schnell klar, dass schulbezogene Jugendarbeit zukunftsweisend ist und dies das Thema meiner Abschlussarbeit sein wird.
Bellnhausen, den 30.04.2007
1. Einleitung
Als im Jahr 2001 die Ergebnisse der ersten PISA[1] -Vergleichsstudie veröffentlicht wurden, begann in Deutschland eine so noch nicht da gewesene Bildungsdiskussion über die flächen-deckende Einführung der Ganztagsschule. Nach den schockierenden Resultaten der deutschen SchülerInnen im Ländervergleich wurde die Ganztagsschule innerhalb kürzester Zeit zu einem „Allheilmittel“ für die Bildungsprobleme in Deutschland. Kurz nach der Veröffent-lichung der PISA-Ergebnisse wurde eine Podiumsdiskussion mit den politischen Vertretern aller großen Parteien veranstaltet, in der über die Vor- und Nachteile beim Ausbau der Ganztagsschulen diskutiert wurde. Die Kernaussage damals lautete: Die Ganztagsschulen müssen ausgebaut werden, um Deutschland im Ländervergleich unter die ersten Plätze zu bringen und zudem eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen.
Von den anwesenden Vertretern der Kinder- und Jugendarbeit wurde die Forderung nach dem deutschlandweiten Ausbau der Ganztagsschule jedoch als eine Art „Kampfansage“ aufge-nommen, da die Ganztagsschulen für diese eine enorme Konkurrenz bedeuteten. Sie verban-den diese Schulart mit einer Verringerung der Erziehungsmöglichkeiten der Eltern, einer absoluten Verschulung der kindlichen Freizeit und einem Ablösen der Familie als zentrale Erziehungsinstanz. Zudem stellte sich für die Vertreter der Jugendarbeit die Frage, wann sie ihre Freizeitprogramme noch durchführen sollten, wenn Kinder und Jugendliche ihre Tage bis vier Uhr nachmittags in der Schule verbrächten, erst gegen halb fünf (oder später) wieder zu Hause seien und dann gegebenenfalls noch lernen müssten. Für die Jugendarbeit würde dies bedeuten, dass die Kernzeiten der Arbeit, die Nachmittagsstunden, nicht mehr zur Verfügung stünden und es somit zu einer Art Konkurrenzkampf zwischen den Bereichen Jugendarbeit und Ganztagsschule käme. Die Verantwortlichen in der Jugendarbeit und anderen Einrich-tungen wurden aufgefordert, die jeweiligen institutionellen Begrenzungen kritisch zu beleuch-ten und zu überwinden, um angemessen mit der neuen Herausforderung der ganztägigen Bildungsangebote umgehen zu können.
Doch auch die Verantwortlichen der Ganztagsschulen taten sich zu Beginn der Entwicklung schwer, einer Kooperation zwischen Jugendarbeit und Ganztagsschule etwas Positives abzu-gewinnen. Schulen sind kompakte und in sich geschlossene Systeme, denen es bekannter-weise schwer fällt, Einflüsse von außen zuzulassen. Zudem galt der Kooperationspartner Jugendarbeit und insbesondere die Jugendverbandsarbeit aufgrund der Vielzahl von ehren-amtlichen Kräften nicht gerade als kompetent und leistungsstark.
Glücklicherweise haben sich die Einstellungen beider Seiten in den letzten Jahren verändert und Kooperationen werden mittlerweile in den meisten Fällen als gewinnbringend und chancenreich für alle Beteiligten gesehen. Die Kooperation zwischen dem ev. Jugendhaus „compass“ und der Friedrich-Ebert-Schule ist ein Beispiel dafür, dass Zusammenarbeit zwischen Jugendarbeit und Schule gelingen kann.
Wofür steht evangelische Jugendbildungsarbeit in der EKKW[2] ? Was steht überhaupt hinter dem Begriff „Ganztagsschule“? Gibt es Möglichkeiten der Kooperation von evangelischer Jugendarbeit im ländlichen und städtischen Bereich mit Schule, wie kann sie aussehen und was müssen beide Seiten bei einer Kooperation beachten? Was sind die Vor- und Nachteile einer solchen Kooperation? Welche Inhalte und Schwerpunkte könnte eine solche Kooperation haben? Das sind Fragen, die mich bewogen haben, meinen Abschlussbericht unter dem Thema: „Soziales Lernen in der evangelischen Jugendbildungsarbeit am Beispiel der Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Schule, Marburg“ zu verfassen.
Die demographischen und gesellschaftlichen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte haben die Möglichkeiten und Formen des Soziallebens von Kindern und Jugendlichen und damit ihr soziales Lernen, erheblich verändert. Die Bedeutung des sozialen Lernens, nicht nur für die soziale, sondern auch für die geistige Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, hat aber nicht abgenommen - im Gegenteil, sie hat – meines Erachtens - einen herausragenden Stellenwert. LehrerInnen klagen zum Beispiel darüber, dass einzelne SchülerInnen in der Klasse ständig im Mittelpunkt stehen wollen, keine Rücksicht auf ihre MitschülerInnen nehmen u. s. w. Auf der anderen Seite wird aber auch über besonders sensible, hilfsbereite SchülerInnen berichtet, die ein für ihr Alter eher ungewöhnlich empathisches Verhalten zeigen.
In meiner Ausarbeitung beginne ich mit einem theoretischen Teil und beschäftige mich dort mit der evangelischen Jugendbildungsarbeit in unserer Landeskirche, den theologischen Grundlagen sowie mit den Lerntheorien. Anschließend werde ich anhand einiger Beispiele die evangelische Jugendarbeit in Marburg-Land und –Stadt vorstellen. Danach beschäftige ich mich mit Ganztagsschulen im Allgemeinen und der Friedrich-Ebert-Schule im Besonderen. Im darauf folgenden Kapitel gehe ich auf die Kooperation evangelischer Jugendarbeit und Ganztagsschule am Beispiel des evangelischen Jugendhauses „compass“ und der Friedrich-Ebert-Schule ein. In diesem Zusammenhang werde ich eine Projektarbeit vorstellen und ziehe ein persönliches Fazit.
2. Evangelische Jugendbildungsarbeit in der EKKW
2.1 Zum Bildungsbegriff in der EKKW
Die Landessynode der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck beschäftigte sich im Mai 2001 mit dem Thema „Religiöse Bildung und Erziehung“ und damit auch mit den gesellschaftlichen Veränderungen als Herausforderung für den Bildungsauftrag und die Bildungsverantwortung der Kirche. In der Einsicht, dass wir in diesem Land eine neue Bildungsinitiative brauchen, sind Kirche und Wirtschaft sich gegenwärtig einig. Einigkeit erhofft sich Kirche aber auch darin, dass damit Bildung in einem umfassenden Sinn gemeint ist. Eine Bildung, die den ganzen Menschen meint, die nicht nur auf die Nützlichkeit eines Menschen für die Informationsgesellschaft zielt, sondern auch auf seine Fähigkeit, sich im Leben zu orientieren. Eine Bildung, die nicht nur seinen Wert im Auge hat, sondern auch seine Würde.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat dazu die Denkschrift "Maße des Menschlichen. Evangelische Perspektiven zur Bildung in der Wissens- und Lerngesellschaft" (2003) veröffentlicht. In ihr sind die Grundzüge eines evangelischen Bildungsverständnisses für unsere Zeit dargelegt worden. Was die Thematik dieser Stellungnahme angeht, ist die evangelische Kirche darüber hinaus mehrfach angesprochen:
- Als Träger von Schulen und Kindertagesstätten sowie weiterer außerschulischer Bildungsangebote der Kinder- und Jugendarbeit beziehungsweise der Sozialpäda-gogik/Sozialarbeit.
- Als Träger von Ausbildungsstätten sowie von Fort- und Weiterbildungsangeboten.
- Als Partner von Ganztagsschulen im Gemeinwesen, mit ihren Kirchengemeinden, Einrichtungen, Vereinen und Verbänden.
- In ihrer in Zusammenarbeit mit dem Staat übernommenen Zuständigkeit für den schulischen Religionsunterricht (Art. 7 Abs. 3 GG), in ihrem Engagement für religiöse Veranstaltungen im Schulleben sowie – damit verbunden – für Fragen einer sinn- und wertorientierten Erziehung und Bildung in der Schule sowie im Bildungswesen insgesamt.
Die evangelische Kirche versteht Bildung als „Zusammenhang von Lernen, Wissen, Können, Wertbewusstsein, Haltungen (Einstellungen) und Handlungsfähigkeit im Horizont sinn-stiftender Deutungen des Lebens." (Zitat aus: Maße des Menschlichen, S. 66). Anhand dieses Bildungsbegriffes wird deutlich, dass das soziale Lernen im Vordergrund des Bildungsbe-griffes in der EKKW steht.
2.2 Theologische Grundlagen
Jesus hat die Kinder als eine Gruppe herausgestellt, die eine besondere Nähe zum Reich Gottes versinnbildlicht: „Und sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie anrühre. Die Jünger aber fuhren sie an. Als es aber Jesus sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes...“
(vgl. Bibel: Markus 10, 13-16).
In seinem Taufbefehl hat Jesus mit seiner umfassenden Aussage zwar keine spezielle Gruppe im Blick gehabt – sein Taufbefehl umfasst alle Menschen -, aber die Kirche hat in der Folge aus beiden Äußerungen Jesu ihre Praxis der Kindertaufe und des konfirmierenden Handelns daraus hergeleitet und damit eine besondere Verantwortung für Kinder und Jugendliche übernommen: „...Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker; Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe...“
(vgl. Bibel: Matthäus 28, 18-20).
Eine eigene Theologie der Jugendarbeit hat sich daraus nicht ergeben. Dennoch ist es wichtig, in Zeiten sich ändernder und steigender Anforderungen an die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im kirchlichen Kontext, theologische Grundlagen evangelischer Jugendarbeit zu formulieren. Treffend sind diese in der 1946 beschlossenen und heute noch gültigen Ordnung der Arbeitsgemeinschaft Evangelischen Jugend in Deutschland formuliert:
„Die Mitte unserer Jugendarbeit ist Jesus Christus, der Herr. Aller Dienst der Kirche an ihrer Jugend muss das Ziel haben, sie in Lebensgemeinschaft mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen zu bringen, wie er sie seiner Gemeinde durch Wort und Sakrament gibt.“
(vgl. Jugendkammer der EKD, S. 39).
Folgende Grundkriterien lassen sich daraus abbilden:
- Evangelische Jugendarbeit ist eine biblisch begründete, von Jesus Christus herkommende und auf ihn bezogene Arbeit. Sie verdeutlicht dies, indem sie in ihren Zielen und Methoden Gottes Menschenfreundlichkeit abbildet.
- Ziel evangelischer Jugendarbeit ist es, junge Menschen in Berührung mit Jesus Christus zu bringen. Sie ermöglicht dies, indem sie mit ihnen auf einen Weg der Entdeckung der eigenen Religiosität geht und sie einlädt, diese mit kirchlichen Traditionen und Werten in Verbindung zu bringen.
- Weiterhin hat evangelische Jugendarbeit zum Ziel, die bedingungslose Annahme jedes Menschen durch Gott erlebbar und fühlbar zu machen. Sie verdeutlicht dies, indem sie erfahrungsoffen ist für die vielfältigen Lebenslagen junger Menschen, ihre unter-schiedlichen religiösen und kulturellen Befindlichkeiten.
Dass der Mittelpunkt des Lebens und die Botschaft Jesu der Ruf zur Umkehr zu einem Leben in Freiheit ist, ist eine Grundüberzeugung der evangelischen Kirche. Umkehr in christlichem Verständnis hat ihren Beweggrund in der Zukunft Gottes für seine Schöpfung und in der Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, auf der – nach der biblischen Verheißung – Gerechtigkeit und Frieden wohnen.
Jesu Ruf zur Umkehr zu einem Leben in Freiheit lenkt die Aufmerksamkeit der evangelischen Jugendarbeit heute unter anderem auf folgende Aspekte:
- In Zeiten der drohenden Vereinsamung von Menschen neue Formen von Gemeinschaft finden.
- Räume für eine religiöse Identitätsfindung für junge Menschen öffnen, denen eine religiöse Sozialisation im familiären Kontext verschlossen bleibt.
- Kontakt zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen ermöglichen.
- Ein gleichberechtigtes Miteinander von Frauen und Männern praktizieren und bei mangelnder Gleichberechtigung Rechte einfordern.
- Bewusstsein und Praxis zur Bewahrung der Schöpfung schaffen und unterstützen.
- Einen Raum für spirituelle Erfahrungen schaffen.
- Ein Gleichgewicht von Arbeit und Muße, Engagement und Besinnung ermöglichen.
- Gottes Zu- und Anspruch für alle erfahrbar machen, auch für solche Menschen, die den traditionellen kirchlichen Ausdrucksformen fern stehen.
- Das Streben nach weltweitem Frieden und Gerechtigkeit wach halten.
- Neue Wege der Gewaltprävention und Konfliktbewältigung einüben.
In einer immer ausdifferenzierteren Welt begegnen Jugendliche einer fast unüberschaubaren Fülle an Sinnangeboten. Das macht es ihnen schwierig, eine religiöse und spirituelle Orientierung zu finden. Evangelische Jugendarbeit soll und kann hier Wege beschreiten, die diese Orientierung auf den christlichen Glauben hin ermöglichen.
2.3 Lerntheorien
2.3.1 Kognitives Lernen
„Lernen“ ist, nach allgemeinem Verständnis, das Aneignen von Kenntnissen und Fähigkeiten. Darüber hinaus, vor allem nach dem Verständnis der Psychologie, können auch Gefühle und Verhaltensweisen ,,erlernt" werden. Der Prozess des Lernens ist Gegenstand verschiedener Wissenschaftszweige, wie zum Beispiel der psychologischen Lerntheorie, der Pädagogik und pädagogischen Psychologie sowie der Verhaltensforschung. Der Begriff „kognitiv“ erweitert die Definition hinsichtlich des Erkennens und Wahrnehmens. Durch kognitives Lernen kommt es zum Interpretieren und Bewerten von Situationen sowie bewusstem Planen und Steuern des eigenen Handelns.
2.3.2 Emotionales Lernen
In der Forschungsliteratur ist die emotionale Seite des Lernens bislang eher stiefmütterlich behandelt worden, weil die Erhebung empirischer Daten zu psychischen Prozessen schwer fassbar erscheint. Zorn, Liebe, Hass, Freude und Traurigkeit üben im Lernprozess jedoch in ihrem Wechsel von Anspannung und Entspannung als dynamische Kräfte eine entscheidende handlungssteuernde Wirkung aus, indem sie positive und Lust verursachende oder negative und Unlust hervorrufende Emotionen bewirken. Jedoch muss die Bedeutung der emotionalen Komponente des Lernens hervorgehoben werden, ohne die Lernen gar nicht stattfinden kann.
2.3.3 Soziales Lernen
Der Begriff des sozialen Lernens stammt aus der Lernpsychologie und ist eine der Grund-lagen für das sogenannte handlungsorientierte, problemlösende Lernen. In der Sozialpäda-gogik versteht man unter sozialem Lernen den Vorgang des Erwerbs „sozialer und emotionaler Kompetenzen", welcher sich ausschließlich oder maßgeblich in einer „sozialen Gruppe“[3] vollziehen kann. Als Ziel des sozialen Lernens gilt die Fähigkeit zur sozialen Antizipation[4]. Konkret wird beim sozialen Lernen die Entwicklung von eigenen individuellen emotionalen als auch praktischen Kompetenzen und die Eigenwahrnehmung gefördert sowie die Akzeptanz des Anderen mit dessen individuellen Kompetenzen und Grenzen. Soziales Lernen ist keine Methode, die am Ende des Jugendalters beendet ist, sondern ein lebensbe-gleitender Lernprozess, der flexibel gestaltet wird, um auf neue Bedingungen zu reagieren. Allerdings stellt soziales Lernen eine Grundeinstellung dar, die möglichst früh gefördert werden sollte. Soziales Lernen kann nicht selbstständig durch einzelne willige Pädagogen realisiert werden und gelingen, sondern muss Schritt für Schritt gezielt und konsequent vom ganzen Team (Schule, Hort, Kindergarten, Familie,...) gewollt und realisiert werden.
2.3.4 (Inter)-kulturelles und religiöses Lernen
Lernen in kultureller Vielfalt betrifft alle Kinder und Jugendlichen sowie Erwachsenen, ob in der Schule oder in der Jugendhilfe beziehungsweise Jugendarbeit. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sind Individuen mit unterschiedlichen kulturellen Verhaltensweisen. Das (inter)-kulturelle und religiöse Lernen geht von den Lebenssituationen der Jugendlichen aus, von der Unterschiedlichkeit und Vielfalt ihrer menschlichen Einstellungen und Hand-lungsmotive. In der Begegnung von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Nationalität und Religion sind Verständigung und Verständnis von der Bereitschaft abhängig, eigene Werte und Erfahrungen vor dem Hintergrund anderer Lebensvorstellungen zu reflektieren.
Um aufzuzeigen, dass „Lernerfahrungen“ für Jugendliche im städtischen und ländlichen Raum durchaus unterschiedlich sind, werde ich anschließend die Arbeit in der evangelischen Jugend Marburg-Land und Marburg-Stadt vorstellen. Der Schwerpunkt der Betrachtung wird dabei auf dem städtischen Raumliegen, weil ich mein zweijähriges Berufspraktikum in der Stadt absolviert und dort fundierte Erfahrungen gemacht habe.
2.4 Evangelische Jugendarbeit in Marburg-Land
Evangelische Jugendarbeit in Marburg-Land als prägender Raum für Kinder und Jugendliche ist Arbeit in Kirchengemeinden sprich, klassische Kinder- und Jugendarbeit im kirchlichen Bereich (Jungschar, Teenkreis,...).
2.4.1 Zielgruppen
Zur Zielgruppe gehören Kinder und Jugendliche ab sechs bis circa zwanzig Jahren, die in die Kirchengemeinden eingebunden sind und vorrangig der evangelischen Kirche angehören.
2.4.2 Angebote
Ev. Jugendarbeit in den Kirchengemeinden bietet ein niederschwelliges Angebot für Kinder und Jugendliche an:
- Gruppenarbeit (Aktionen und Projekte mit Gruppen, Spieleturniere)
- Jugendgottesdienste
- (Kurz)- und Konfirmanden-Freizeiten
- Kinderbibeltage (und –wochen)
- Gremien- und Öffentlichkeitsarbeit sowie
- Begleitung von Ehrenamtlichen
2.4.3 Ziele
Kinder und Jugendliche
- auf ihrem Lebensweg begleiten, ihnen Halt geben und bei der Suche nach Lebenssinn und Lebensfragen Angebote machen,
- Erfahrungen mit dem Glauben, spirituelle Erlebnisse und lebensweltorientierte Zugänge zur Bibel ermöglichen. Das bedeutet: Kinder(n) und Jugendliche(n)
- auf eine sie ansprechende Art und Weise das Evangelium verkündigen,
- sie sprachfähig machen für ihre persönliche Glaubens- und Gotteserfahrung,
- sie gegenüber Ungerechtigkeiten, Missachtung von Menschenrechten und Bewahrung der Schöpfung zu sensibilisieren,
- ihnen Verantwortung zu übertragen sowie Mitbeteiligung und Mitsprache zu ermöglichen und
- ihre Selbstständigkeit und Kreativität zu fördern.
- Jugendliche anleiten, über ihre eigenen Interessen hinauszublicken und die Bedürfnisse anderer Menschen wahrzunehmen und wo nötig, für sie einzustehen. Das bedeutet: (Mit) Kinder(n) und Jugendliche(n)
- gemeinsam Möglichkeiten durch den Einsatz neuer Medien erproben und Projekte durchzuführen, und sie zum kritischen Umgang mit Medien zu befähigen,
- in die örtliche Kirchengemeinde zu integrieren, sie zur Mitarbeit in Jugendarbeit und Kirche zu ermutigen, auszubilden und zu begleiten.
2.5 Evangelische Jugendarbeit in Marburg-Stadt am Beispiel „evangelisches Jugendhaus compass“
In meinem ersten Praktikumsbericht während der ErzieherInnenausbildung, habe ich bereits eine Institutionsanalyse über das evangelische Jugendhaus „compass“ angefertigt. Diesen Bericht reiche ich im Anhang mit. Daher werde ich in diesem Abschnitt nur kurz auf Veränderungen bezüglich der Zielgruppe, der Arbeitsbereiche und der Angebote eingehen.
[...]
[1] PISA (engl.) „Program for International Student Assessment“ (deutsch) „Programm zur weltweiten Schülerbeurteilung“
[2] EKKW = E vangelische K irche von K urhessen- W aldeck
[3] soziale Gruppe = bezeichnet eine Sammlung von mindestens drei Personen, die in einer unmittelbaren Beziehung zueinander stehen.
[4] Antizipation (lat. anticipo: vorwegnehmen) bezeichnet im Allgemeinen die Voraussicht oder Vorwegnahme von Ereignissen oder Entwicklungen.
- Arbeit zitieren
- Sabine Klatt (Autor:in), 2007, Soziales Lernen in der evangelischen Jugendbildungsarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76556
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