„Wozu brauch ich das in meinem späteren Leben?“ „Was bringt mir das, wenn ich weiß, welches Reimschema das Gedicht XY hat?“ Mit solchen und ähnlichen Fragen wird ein Deutschlehrer tagtäglich konfrontiert, fehlende Motivation stellt dabei das größte Problem dar. Gerade im Literaturunterricht ist es schwer, die sowieso schon häufig desinteressierten Schüler dazu zu bewegen, sich mit Lyrik, Prosa oder Dramatik zu befassen. Schließlich leben wir heute in einer Gesellschaft, in der Medien wie Fernseher und Computer einen immer größeren Stellenwert einnehmen und das geschriebene beziehungsweise gedruckte Wort scheinbar immer mehr in Vergessenheit gerät. Statt ein Buch zu lesen, sieht der moderne Mensch bestenfalls noch dessen Verfilmung in bunten und bewegten Bildern oder legt eine Vertonung in Form eines Hörbuchs in den CD-Player.
Aufgabe des Lehrers ist es, den Schülern wieder ein Gefühl für die Literatur und deren Bedeutung zu vermitteln, er muss den Horizont erweitern, die Mauer des Desinteresses durchbrechen. Dabei soll es ihm auch gelingen, die Schüler in ihrer Entwicklung zu selbstständigen, solidaritätsfähigen und mitbestimmenden Menschen zu unterstützen und zu fördern, denn dies ist neben der Bildung ein weiterer Anspruch, der an die Schule gestellt wird. Alle Fächer sollten diesen Anspruch erfüllen, das Höchstmaß an Erziehungsunterricht wird jedoch vom Deutschunterricht erwartet. Doch ist das neben dem Unterrichtsstoff überhaupt zu schaffen?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Produktive Verfahren im Literaturunterricht
2.1. Begriffsklärung
2.2. Theoretische Grundlagen des Konzeptes
2.3. Ziele und Funktionen produktiver Verfahren im Literaturunterricht
2.4. Methoden
3. Das Thema „Der Mensch und die Stadt im Expressionismus“ als Schwerpunkt einer Unterrichtsreihe in der Sekundarstufe II
3.1. Vorüberlegung zum Thema
3.2. Zielstellung der Unterrichtsreihe
3.3. Beschreibung der Unterrichtsreihe
3.4. Die 3. und 4. Unterrichtsstunde
3.4.1. Die 3. Unterrichtsstunde
3.4.2. Die 4. Unterrichtsstunde
4. Schlussbetrachtung
Quellenverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
„Wozu brauch ich das in meinem späteren Leben?“ „Was bringt mir das, wenn ich weiß, welches Reimschema das Gedicht XY hat?“ Mit solchen und ähnlichen Fragen wird ein Deutschlehrer tagtäglich konfrontiert, fehlende Motivation stellt dabei das größte Problem dar. Gerade im Literaturunterricht ist es schwer, die sowieso schon häufig desinteressierten Schüler dazu zu bewegen, sich mit Lyrik, Prosa oder Dramatik zu befassen. Schließlich leben wir heute in einer Gesellschaft, in der Medien wie Fernseher und Computer einen immer größeren Stellenwert einnehmen und das geschriebene beziehungsweise gedruckte Wort scheinbar immer mehr in Vergessenheit gerät. Statt ein Buch zu lesen, sieht der moderne Mensch bestenfalls noch dessen Verfilmung in bunten und bewegten Bildern oder legt eine Vertonung in Form eines Hörbuchs in den CD-Player.
Aufgabe des Lehrers ist es, den Schülern wieder ein Gefühl für die Literatur und deren Bedeutung zu vermitteln, er muss den Horizont erweitern, die Mauer des Desinteresses durchbrechen. Dabei soll es ihm auch gelingen, die Schüler in ihrer Entwicklung zu selbstständigen, solidaritätsfähigen und mitbestimmenden Menschen zu unterstützen und zu fördern, denn dies ist neben der Bildung ein weiterer Anspruch, der an die Schule gestellt wird. Alle Fächer sollten diesen Anspruch erfüllen, das Höchstmaß an Erziehungsunterricht wird jedoch vom Deutschunterricht erwartet. Doch ist das neben dem Unterrichtsstoff überhaupt zu schaffen?
Es muss dazu ein Arbeitsklima geschaffen werden, in dem sich Lehrer wie auch Schüler motiviert und wohl fühlen. Dies gelingt allerdings nicht, wenn die Schüler Angst vor der nächsten Klassenarbeit haben und allein deswegen stillschweigend dem Lehrervortrag zuhören, sondern es muss eine Abwechslung zur vorherrschenden und oft als „staubtrocken“ empfundenen Textanalyse und -interpretation angeboten werden. Produktive Verfahren bieten hierbei einen geeigneten Ansatzpunkt und dem Schüler einen Ansporn, selbsttätig am Unterrichtsgeschehen teilzunehmen.
Der erste Teil dieser Arbeit beschäftigt sich daher mit dem Konzept des produktionsorientierten Literaturunterrichts, seinen theoretischen Grundlagen, Zielen und Methoden. Im Anschluss wird eine Unterrichtsreihe mit dem Thema „Mensch und Stadt im Expressionismus“ beschreibend vorgestellt. Dazu wird zunächst die Relevanz des Themas erläutert und das Gesamtziel der Sequenz dargestellt. Im Anschluss daran werden die dritte und vierte Stunde näher erläutert und in ihrem Ablauf dargestellt. Abschließend ist Ziel dieser Arbeit, die Machbarkeit in Bezug auf die Bedingungen des produktionsorientierten Konzeptes abschließend kritisch zu durchleuchten.
2. Produktive Verfahren im Literaturunterricht
2.1. Begriffsklärung
„Handelnder Umgang mit Literatur“ und „produktive Verfahren“ bezeichnen ähnliche Unterrichtspraktiken, die sich in bestimmten Punkten überschneiden. Deswegen werden beide Ausdrücke zu „handlungs- und produktionsorientiert“ zusammengefasst, sind aber dennoch nicht synonym zu verwenden. „Handlungsorientierung“ zielt darauf ab, sich die Bedeutung und Folgen seines eigenen Handelns bewusst zu machen und zu evaluieren. „Produktionsorientierter Literaturunterricht“ geht im Vergleich dazu von der grundsätzlichen Fähigkeit eines jeden aus, Neues aus etwas Vorhandenem zu schaffen. „Dabei beruft man sich auf die rhetorische Tradition (mit der These von der regelgeleiteten Machbarkeit aller Texte) oder auf eine […] in der Reformpädagogik erneuerte Vorstellung einer (sprachlichen) Expressivität des Menschen […].“[1] In den unterschiedlichen Vorschlägen der Vertreter dieses Konzeptes, wie beispielsweise WALDMANN oder SPINNER, wird dabei jeweils größeres Gewicht auf den handelnden oder produktiven Aspekt gelegt.[2] Beide Begriffe verschmelzen jedoch immer mehr, da jedes Produkt ja auch eine „produktive“ Handlung voraussetzt.
Produktive Verfahren stellen eine Gegenposition zur im Unterrichtsgespräch dominierenden und sehr theoretischen Textanalyse und –interpretation dar. Sie umfassen in erster Linie schreibende Arbeitsformen, wobei literarische Texte den Ausgangs- beziehungsweise Zielpunkt der kreativen Schülerarbeit bilden. Dabei darf es allerdings nicht zu einer Verwechslung mit dem Begriff des „Kreativen Schreibens“ kommen. Das Verhältnis von Zweck und Mittel ist hier umgekehrt: Während beim produktionsorientierten Literaturunterricht die zu verstehenden Texte im Mittelpunkt stehen und das eigene Schreiben nur eine von vielen methodischen Varianten zu diesem Zwecke darstellt, steht beim „Kreativen Schreiben“ vorrangig der Selbstausdruck der Lernenden im Zentrum, wozu die Textvorlage lediglich Anregungen geben soll.[3]
2.2. Theoretische Grundlagen des Konzeptes
Schon Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurden produktive Verfahren als Ergänzung eines analytischen Literaturunterrichts vorgeschlagen, jedoch erst während der achtziger Jahre theoretisch begründet und praktisch ausgearbeitet.[4] Sie sind dabei als Antwort auf die neuen literaturtheoretischen Positionen zu verstehen, welche aus der zeitgenössischen Literaturwissenschaft hervorgingen. Ein entscheidender Auslöser für neue literaturdidaktische Überlegungen war beispielsweise die Rezeptionsästhetik. Diese um 1967 entstandene Theorie, welche auch Konstanzer Schule oder „Wirkungsästhetik“ genannt wird, vertrat die Ansicht, dass der "ästhetische Gehalt" eines Textes erst im Vorgang des Lesens hervorgebracht wird. Nur durch die aktive Rezeption durch einen Leser entfaltet der Text seine Bedeutung. Er erweckt ihn zum Leben, gibt ihm Gestalt, indem er mit ihm interagiert und zum Beispiel seine Leerstellen gedanklich füllt. Die Autorität des Autors hat an Bedeutung verloren und der ästhetisch aktiv werdende Leser ist eine notwendige Bedingung für einen literarischen Text. Durch produktionsorientierte Verfahren wird diese Mitwirkung an der Bedeutungskonstitution verdeutlicht, gezielt gefördert und herausgefordert. Der rezeptionsästhetische Ansatz berief sich auf die literaturwissenschaftlichen Theorien des russischen Formalismus und Prager Strukturalismus, welche feststellten, dass literarische Ausdrucksweisen nur durch ihre Differenz zur Alltagssprache markiert sind, das heißt also, dass sie eine Wirkung erzielen, weil sie vom Tagtäglichen und „Normalen“ abweichen. Dieses differenztheoretische Argument stellt einen weiteren Hintergrund der produktiven Verfahren dar. Durch die Erprobung unterschiedlicher Gestaltungsvarianten von vorgegebenen Texten fallen den Schülern Unterschiede und so auch bestimmte literarische Merkmale eher auf, da sie Vergleichsmöglichkeiten haben. Seit einiger Zeit wird das Konzept auch durch den literaturwissenschaftlichen Konstruktivismus geprägt, welcher davon ausgeht, dass von einem literarischen Text ein Reiz beziehungsweise Impuls ausgeht, der die interpretierende Aktivität des Rezipienten auslöst, ihn also aktiviert. Der Dekonstruktivismus, welcher jede endgültige Deutung eines literarischen Werkes verweigert und der Zuordnung von Sinn und Zeichen eine unendliche Variabilität zuweist, stellt eine weitere „Legitimationsquelle“ dar.[5]
Produktionsorientierter Literaturunterricht wird aber auch aus psychologischer Sicht begründet. Die rezipierenden Schüler können sich als Subjekt wahrnehmen, da sie selbst tätig werden und nicht mehr nur kognitiv, sondern auch emotional und praktisch gefordert werden. Es wird nicht nur für die Zukunft gelernt, sondern auch „gegenwärtige Ausdrucks- und Erfahrungsbedürfnisse“[6] werden befriedigt. So nehmen auch oft unmotivierte Schüler engagierter am Unterrichtsgeschehen teil, da die Nützlichkeit der unterschiedlichen produktiven Verfahren erfahrbar und damit in greifbarer Nähe sind. Literarische Texte und die Gespräche darüber verlieren an Abstraktion und werden durch die eigenen ästhetischen Unternehmungen konkretisiert. Der Schüler kann den Schaffensprozess eines literarischen Werkes leichter nachvollziehen, weil er mit den verschiedenen produktiven Arbeitsmethoden „hinter die Kulissen“ blickt. Er wird für die Wirkung von Literatur sensibilisiert, indem er durch die Arbeit mit dem Vorlagentext zu einer Art Co- Autor desselben avanciert. Dies ist aus didaktischer Sicht von großem Interesse, denn dass, was der Schüler selber erschafft, kann er auch besser begreifen. „Grundlage aller didaktischen Vermittlung ist die offene, sinnenhaft-affektive Kontaktnahme des Lesers mit dem Text. Diese Kontaktnahme vollzieht sich intensiv nur in einem aktiv-produktiven, bedürfnisgeleiteten Handeln.“[7]
Auch die neue Hinwendung zu Fragen der Methode bildet einen Grundstein für den produktionsorientierten Literaturunterricht. Mit den vielen Möglichkeiten und Variationen von textbearbeitenden Verfahren bietet das Konzept eine große Methodenvielfalt. Aber auch aus anderer Sicht hat das produktionsorientierte Verfahren methodische Vorteile: Während im normalen Unterrichtsgespräch nur einzelne Schüler zu Wort kommen und einige sogar nie, kann sich hier jeder aktiv beteiligen. Auch die Lernschwächeren haben die Möglichkeit, durch die exemplarische Vorgehensweise des produktionsorientierten Unterrichts sich Literatur auf anderem Wege zu erschließen und so bietet sich ihnen eine bessere Verstehensgrundlage.
Schließlich war das Konzept mit seinen vielen Anwendungsmöglichkeiten auch eine Antwort auf die in der Hermeneutik wiederbelebte Phase der Applikation.[8]
2.3. Ziele und Funktionen produktiver Verfahren im Literaturunterricht
Ziel aller produktionsorientierten Ansätze beziehungsweise allgemein des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts ist die Intensivierung des literarischen Verstehens durch in erster Linie schreibende Arbeitsformen, wozu vorgegebene literarische Texte den Ausgangs- beziehungsweise Zielpunkt der Schülerarbeit bilden. Die Schüler bekommen die Möglichkeit, die poetische Sprache durch die unterschiedlichsten produktiven Verfahren schreibend zu erproben, wodurch ein intensives Textverständnis und intensiver Kontakt mit Texten hergestellt werden kann. Sie tauchen in die Strukturen der Literatur ein, machen sie sich selbst für die Eigenproduktion zu nutze und bekommen so eine lebendige Vorstellung vom Ausgangstext. Produktive Verfahren führen auch die eher praktisch veranlagten Schüler zum geschriebenen Wort und bieten außerdem die Möglichkeit, auf das Individuum Schüler und seine individuellen Interessen und Bedürfnisse einzugehen. Der Schüler hat die Gelegenheit, ein Stück von ihm selbst mit in die Textproduktion einfließen zu lassen wie beispielsweise sein Vorwissen und seine Erfahrungen. Außerdem zielt ein produktiver Umgang mit Literatur auch darauf ab, die Fähigkeit der Schüler zur Imagination beziehungsweise ihre Einbildungskraft zu fördern, indem gerade diese bei den unterschiedlichen Aufgaben gefordert wird. Im besten Falle werden ihnen keine Denkraster vorgegeben, so wie es oft im normalen Unterrichtsgespräch geschieht, sondern sie sind selbst gefragt, ihre „Meinungen“ und Ideen zählen. Sie werden zum Denken angeregt, wobei ihnen ein breites Spektrum an Aufgabenstellungen zur Verfügung steht, was schließlich auch zur Leseförderung beiträgt.[9]
Die verschiedenen Vertreter des handlungs- und produktionsorientierten Konzeptes stimmen in diesen Zielen überein, jedoch bewertet jeder auch andere Funktionen in ihrer Wichtigkeit anders.
GÜNTER WALDMANNS Ansatz zielt dabei in erster Linie auf die Erfahrung mit Literatur und die differenzierte Erfassung des Textsinns ab. Durch die verschiedenen Verfahren können literarische Texte, ihre Inhalte und Formen imaginativ nachvollzogen, produktiv angeeignet und analytisch erfasst werden. Dabei kommt es zu einer imaginativen Verarbeitung von Problem- und Bedürfnissituationen des Einzelnen, welche Waldmann „soziale Phantasie“ nennt und die seiner Ansicht nach gerade durch literarische Texte hervorgerufen wird.[10]
GERHARD HAAS zielt mit seinem Ansatz im Gegenteil zu Waldmann nicht in erster Linie darauf ab, literarische Kenntnisse zu vermitteln[11] und legt auf kognitive Erkenntnisse weniger Gewicht. Für ihn hat das Ziel, begeisterte Leser auszubilden, indem den Schülern durch produktive Verfahren die Möglichkeit zu individuellen emotionalen Erfahrungen, Gefühlen und spielerischen Freiräumen im Umgang mit Texten gegeben wird, höchste Priorität.[12] Seiner Ansicht nach ist dafür von großem Vorteil, dass der Schüler dabei den Texten begegnen kann, ohne sich gleich unter Umständen blockierende analysierende Gedanken machen zu müssen.
KASPAR H. SPINNER erhofft sich von dem Konzept vor allem eine persönlichkeitsbildende Wirkung. Die schreibenden und spielenden Schüleraktivitäten sieht er als psychisch-sozial stabilisierende Faktoren an, die Charaktereigenschaften wie das Selbstbewusstsein und Empathie fördern. Besonders die Entfaltung der inneren Vorstellungskraft hat einen großen Stellenwert. Die produktiven Verfahren tragen zur sozialen Kompetenz bei, denn durch sie lernen die Schüler, sich fremde Perspektiven nicht nur literarischer Autoren sondern auch ihrer Mitschüler besser nachvollziehbar zu machen. Auch die verschiedenen sozialen Arbeitsformen, wie Gruppen- oder Partnerarbeiten, die sich bei den produktiven Verfahren geradezu anbieten, tragen letztlich ihren Teil dazu bei.
[...]
[1] Beisbart/ Marenbach (1990): S.187
[2] vgl. Fritzsche (1994): S.197
[3] vgl. Fritzsche (1994): S.198
[4] vgl. z.B. Paefgen (2006): S.138
[5] vgl. Kämper- van den Boogaart (2003): S.175ff.
[6] Fritzsche (1994): S.198
[7] Haas (1997): S.55f.
[8] vgl. Beisbart/ Marenbach (1990): S.186
[9] vgl. Kämper-van den Boogart (2003): S.185
[10] vgl. Paefgen (2006): S.140
[11] vgl. Fritzsche (1994): S.201
[12] vgl. Haas (1997): S.53
- Quote paper
- Juliane Kittelmann (Author), 2007, Produktive Verfahren im Literaturunterricht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76470
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