Eine häusliche Sterbebegleitung durch ein nahes Familienmitglied wird von vielen Angehörigen gewünscht. Eine solche Form der Betreuung und Begleitung hat zum einen Auswirkungen auf den Begleiter und zum anderen auf die ganze Familie. Der zentrale Fokus der vorliegenden Arbeit liegt auf den psychischen Belastungen von Angehörigen, die sich zur Aufgabe gemacht haben, ihrem Angehörigen den letzten Wunsch zu erfüllen und ihm ein Sterben in seiner für ihn vertrauten Umgebung zu ermöglichen.
Acht problemzentrierte Interviews wurden im Rahmen der qualitativen Untersuchung mit Angehörigen, die ein nahes Familienmitglied zu Hause bis zum Tod begleitet haben, durchgeführt. Mittels der qualitativen Inhaltsanalyse wurden die Ergebnisse und die Auswertung des Interviewmaterials dargestellt und diskutiert.
Es ergaben sich aus den Aussagen der Betroffenen eine Vielzahl von Belastungen, denen Menschen bei einer häuslichen Sterbebegleitung ausgesetzt sind. Als zentrale Belastungen wurden von den Angehörigen die Problematik der permanenten Bereitschaft und der inneren Unruhe, um das Wohlbefinden des Sterbenden zu erhalten oder herzustellen, genannt. Zudem war für viele eine weitere einnehmende Einschränkung, dass der Sterbende mit seinen Bedürfnissen den Tagesablauf bestimmt und sich die gesamte Familie darauf einstellen muss. Eine Ursache dieser Gefühle und Empfindungen sind die kontinuierlich zu leistenden Unterstützungsmaßnahmen und die zeitgleiche Verabreichung von starken Medikamenten. Das fehlende Fachwissen und die fehlende Fachkompetenz tragen weiterhin zu Gefühlen der Unsicherheit und Angst bei.
Die Ergebnisse bieten einen Anreiz für verschiedene Institutionen und Professionen, Aufträge für Information, Begleitung, Betreuung und Anleitung von Angehörigen zu leisten, damit Hauptbetreuungspersonen Ängste und Unsicherheiten verlieren und noch mehr Menschen die anspruchsvolle und intensive Aufgabe einer häuslichen Sterbebegleitung übernehmen. Zudem ist eine Weiterentwicklung von ambulanten Pflegediensten und Einrichtungen, die sich mit der palliativen Versorgung beschäftigen, in Erwägung zu ziehen. Der besondere Fokus liegt hier auf dem Aspekt einer adäquaten Sterbebegleitung, mit dem Ziel die Angehörigen bei der Aufgabe zu unterstützen und mit pädagogischem Geschick zu begleiten
Inhaltsverzeichnis
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
TABELLENVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
2. Ausgangslage und Zielsetzung der Arbeit
2.1 Ausgangslage: Die Sterbebegleitung durch Angehörige
2.1.1 Sterbebegleitung heißt Lebensbegleitung
2.1.2 Die Begleitung von Sterbenden und dessen Angehöriger
2.1.3 Anforderungen an den Begleiter
2.2 Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit
3. Aktuelle Forschungsergebnisse, Modelle und Theorien zur Fragestellung
3.1. Der Sterbeprozess aus pflegewissenschaftlicher Sicht
3.1.1 Das Phasenmodell von Elisabeth Kübler-Ross
3.1.2 Modell der Hoffnung der Unheilbaren nach Herbert Plügge
3.1.3 Weitere Modelle im Überblick
3.1.4 Kritische Würdigung und Diskussion der Modelle
3.2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Kontext der Sterbebegleitung
3.2.1 Das Belastungsempfinden von Angehörigen
3.2.2 Modifiziertes theoretisches Modell zur pflegebedingten Belastung
3.2.3 Der „Pflegekompass“ zur Einschätzung von Belastung
3.2.4 Die erlebte Belastung als Stress
3.2.5 Das biologische Stressmodell nach Seyle
3.2.6 Das transaktionale Stresskonzept nach Lazarus
3.2.7 Kritische Würdigung und Diskussion der Modelle
3.3 Aktuelle Forschungsergebnisse bezogen auf die Forschungsfrage
4. Die empirische Untersuchung
4.1 Fragestellung der Arbeit
4.2 Die Untersuchungsmethodik
4.2.1 Der qualitative Ansatz
4.2.2 Das problemzentrierte Interview
4.2.3 Der quantitative Kurzfragebogen und der Interviewleitfaden
4.2.4 Beschreibung und Darstellung des Pretests
4.2.5 Die Untersuchungsstichprobe
4.3 Bestimmung des Ausgangsmaterials für die qualitative Inhaltsanalyse
4.3.1 Festlegung des Materials
4.3.2 Analyse der Entstehungssituation
4.3.3 Formale Charakteristika des Materials
4.4 Ablaufmodell der Analyse
5. Ergebnisdarstellung
5.1 Ergebnisse des quantitativen Kurzfragebogens
5.2 Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse
5.2.1 Beobachtungen und Bedeutung der Sterbebegleitung
5.2.2 Inhaltsanalytische Ergebnisse zu den Hauptkategorien
5.2.2.1 Die Entscheidung
5.2.2.2 Lebensübergang
5.2.2.3 Letzte Lebensphase: Probleme und Belastungen
5.2.2.4 Sterbeprozess
5.2.2.5 Das Leben danach
5.3 Betrachtung der Ergebnisse unter inhaltsanalytischen Gütekriterien
6. Interpretation und Diskussion der Ergebnisse
7. Zusammenfassung
8. Ausblick und kritische Würdigung
9. LITERATURVERZEICHNIS
ANHANG
Anhang 1: Quantitativer Kurzfragebogen
Anhang 2: Interviewleitfaden
Anhang 3: Transkriptionsregeln
Anhang 4: Interviews von A – H
Anhang 5: Zusammenfassung
Anhang 6: Zweite Reduktionsphase
Anhang 7: Zuteilung zu den Hauptkategorien
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In der vorliegenden Diplomarbeit werden häufig Begriffe wie Sterbender, Angehöriger, Begleiter usw. genannt. Selbstverständlich sind damit immer beide Geschlechter angesprochen.
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 Verwandtschaftsgrad zum begleiteten Angehörigen
Tabelle 2 Altersverteilung der Interviewpartner
Tabelle 3 Dauer der Begleitung zu Hause
Tabelle 4 Zurückliegen des Todesfalls
Tabelle 5 Altersverteilung der begleiteten Angehörigen
Tabelle 6 Zeitspanne der letzten Lebensphase
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Modell der Hoffnungslosen nach H. Plügge
Abbildung 2 Aspekte pflegebedingter Belastung nach Kruse (1994)
Abbildung 3 Modifiziertes Modell zur pflegebedingten Belastung nach Perlin et al. (1990) und Zarit (1992)
1. Einleitung
In einer Zeit der zunehmenden Spezialisierung, der fortgeschrittenen Technik und der Vielzahl von Möglichkeiten der Behandlung von Krankheiten, sowie einer demographischen und epidemiologischen Veränderung, wird das Sterben oft verdrängt und an fremde Institutionen übergeben. Zudem verstärkt die fehlende Auseinandersetzung mit dem Tod oft die Ängste im Umgang mit Sterbenden (vgl. Gassmann, Hünefeld, Rest & Schnabel, 1992, S. 1; Müntefering: Vorwort, Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen). Dies bedeutet für viele Sterbende, dass sie in einer für sie ungewohnten und fremden Umgebung den letzten Weg alleine gehen müssen.
Laut einer Gallup Umfrage geben 87 % der Menschen an, dass sie am liebsten zu Hause sterben würden (vgl. Collett, 2000, S. 25). Der Wunsch der meisten Menschen zu Hause oder in der vertrauten Umgebung zu sterben, bedeutet für die Angehörigen oft eine große Herausforderung und eine enorme Belastung. In besonders belastenden und kritischen Lebensphasen, wie der des Sterbens, wird dementsprechend dem Angehörigen eine bedeutende Rolle zugeschrieben (vgl. Higgen, 2002, S. 112). Mit diesem Aspekt, der Belastungen für den Angehörigen bei der Sterbebegleitung, beschäftigt sich die vorliegende Arbeit.
Dementsprechend ist das Thema dieser Arbeit und der implizierten qualitativen Untersuchung die Situation und das Erleben von Angehörigen bei der Sterbebegleitung eines Familienmitgliedes. Der Fokus liegt auf den resultierenden Belastungen und Problemfeldern, die sich aus der Begleitung ergeben können.
Eine Analyse der Situation, in der sich Angehörige befinden, die ein nahes Familienmitglied beim Sterben zu Hause begleiten, ist dringend angezeigt, um eine Diskussionsbasis für neue und sinnvolle Interventionen zu erhalten. Da die Situation im Bereich von Sterben und Sterbebegleitung über lange Zeit vernachlässigt wurde, bedarf sie heute einer Neustrukturierung. So sind bspw. strukturelle Veränderungen notwendig, um die steigende Anzahl der Menschen, die einen langen Krankheits- und Sterbeprozess erleben und deren Angehörige, die diese Menschen betreuen und begleiten, adäquat versorgen zu können (vgl. Geiss & Belschner, 2003, S. 17).
Wenn man die vorhandene Literatur bezüglich dieser Thematik näher betrachtet, so fällt auf, dass vermehrte Beiträge zur Sterbebegleitung durch Institutionen auftreten. Besonders die Hospizbewegung hat in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass umfangreiches Material bezogen auf die Themenfelder „Sterben und Tod“ publiziert worden ist. Veröffentlichungen, in denen es um die Sterbebegleitung durch Angehörige und den daraus resultierenden Belastungen geht, treten dagegen kaum auf. Daher erschien es ebenfalls sinnvoll, eine entsprechende Untersuchung mit qualitativer Ausrichtung durchzuführen.
Die Praxis der Hospizbewegung ist durch die steigende Anzahl der zu begleitenden Menschen und deren Angehörige gekennzeichnet und wird dadurch mit den Belastungen der Angehörigen zunehmend konfrontiert. Eine zentrale Zielsetzung der Hospizbewegung ist es, Sterbende und deren Angehörige in der letzten Lebensphase zu begleiten, so dass ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben bis zuletzt möglich ist. Zudem unterstützt die Hospizbewegung Angehörige, um ihnen in dieser schweren Lebenssituation beizustehen und sie zu entlasten (vgl. Busche & Student, 1994, S. 31). Um diesem Ideal gerecht zu werden, ist es sinnvoll, sich den Belastungen der Angehörigen anzunehmen und diese näher zu betrachten.
Aufgrund dieser Entwicklungen möchte die vorliegende Arbeit einen Beitrag dazu leisten, dass die Sterbebegleitung durch Angehörige mehr in den Blickwinkel der Gesellschaft rückt und die Menschen die Angst und Ablehnung vor dieser Aufgabe verlieren.
Der theoretische Rahmen dieser Arbeit bildet zuerst eine Auseinandersetzung mit der Literatur zum Thema der Sterbebegleitung durch Angehörige, anschließend werden aktuelle Theorien, Erkenntnisse, Modelle und Forschungsergebnisse bezogen auf den Sterbeprozess und die psychischen Belastungen von Angehörigen fokussiert. Der empirische Rahmen wird mit einer detaillierten Darstellung der Untersuchungsmethodik vorgestellt, um abschließend die Ergebnisse der Interviews anhand der theoretischen Auseinandersetzung zu diskutieren und zu interpretieren.
Die Ergebnisse der Arbeit sollen dazu beisteuern, eine Bewusstseinserweiterung für dieses sensible Thema zu schaffen und Aufträge für die Sterbebegleitung durch Institutionen (Hospizdienste, Krankenhäuser, palliative Einrichtungen und Altenheime etc.) zu entwickeln, um dazu beizutragen, die Betroffenen zu entlasten und die Lebensqualität der Angehörigen zu verbessern.
2. Ausgangslage und Zielsetzung der Arbeit
2.1 Ausgangslage: Die Sterbebegleitung durch Angehörige
Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist die geplante Befragung von Angehörigen, die ein Familienmitglied über einen längeren Zeitraum im Sterbeprozess begleitet haben, einschließlich der daraus resultierenden Belastungen für die Angehörigen. Es wird hier vor allem das Erleben der Angehörigen während der intensiven Sterbebegleitung in den Fokus genommen, so dass aus diesem Grund der qualitative Ansatz als Forschungsmethode gewählt wurde. Die subjektive Perspektive der Befragten soll eine Transparenz des Erlebens und Verarbeitens von Angehörigen während der Sterbebegleitung ermöglichen, um eine aktuelle Bestandsaufnahme der Problematik und der Belastungen von Angehörigen zu arrangieren.
Die theoretischen Ausführungen zum Thema der Sterbebegleitung durch Angehörige und den implizierten Belastungen werden anhand der folgenden Kapitel verdeutlicht.
Das Ziel dieser Ausführungen besteht darin, eine Einführung in den Themenkomplex und einen theoretischen Rahmen für die Untersuchung zu schaffen. Hier handelt es sich um einen Einstieg, welcher die Bedeutung der Sterbebegleitung und den Belastungen, denen Angehörige in dieser intensiven Zeit ausgesetzt sind, näher beschreibt. Eine konkrete Darstellung und Beschreibung findet anhand der Aussagen und Empfindungen der Angehörigen im Ergebnis– und Diskussionsteil der vorliegenden Arbeit statt.
2.1.1 Sterbebegleitung heißt Lebensbegleitung
„Sterben helfen, was heißt das? Das heißt den Menschen helfen, das Leben zu verstehen und zu lieben, ihr Leben, das sie gelebt haben.“ (Schwartzenberg, 1982, S. 197)
Zu Beginn der Ausführung entsteht der Eindruck, dass es sich um eine Definition der Sterbehilfe handelt, aber wenn das Zitat ganzheitlich betrachtet wird, ist deutlich zu erkennen, dass es die wesentlichen Aspekte einer Sterbebegleitung beinhaltet. Das Zitat zeigt zudem, dass verschiedene Begriffe durch deren Doppelbedeutungen geprägt worden sind und wenig zur Klarheit, sondern mehr zu Verwirrungen bei der Auseinandersetzung mit dem Thema der Sterbebegleitung beitragen. So wurde bspw. der Begriff „Sterbehilfe“ synonym mit der Euthanasie und der Beihilfe zur Selbsttötung verwendet (vgl. Rest, 1998b, S.17 & Sabatowski, Radbruch, Nauck, Roß & Zernikow, 2005, S. 68). Aus diesem Grund wird dieses Wort im Zusammenhang mit der Sterbebegleitung bewusst nicht mehr genutzt.
Denn Sterbebegleitung meint, zu jemandes Schutz, Entlastung und Gesellschaft ein Stück des Weges mitzugehen und sein Begleiter zu sein. Begleitung hat die Aufgabe, den Sterbenden, seine Freunde und seine Familie im Sterbeprozess zu entlasten, indem die verschiedenen Bedürfnisse erkannt, und wenn möglich auf sie reagiert werden (vgl. Sabatowski, et al., 2005, S. 68).
So ist Sterbebegleitung ein mehrdimensionaler Begriff, der z.B. auch von Rest (1998) und Specht-Tomann &Tropper, (1998) umfassend analysiert und definiert wurde.
Die Kernaussagen dieser Definitionen beinhalten alle, dass die Sterbebegleitung sich immer auf den ganzen Menschen bezieht und einen Prozess darstellt (vgl. Rest, 1998a, S. 141f., Rest, 1998b, S. 18 & Specht-Tomann & Tropper, 1998, S. 47). Für die vorliegende Arbeit hat sich die Autorin ergänzend zur Definition von Sabatowski et al. für den Versuch der Begriffsbestimmung von Fasselt (2000) entschieden. Diese besagt, dass alle Sterbebegleitung ein Beitrag zu dem sein muss, was dem Menschen an seinem Lebensende zukommt; ein menschenwürdiges und humanes Sterben (vgl. Fasselt, 2000, S. 444). In seinem Beitrag fügt er erklärend hinzu:
„Im Hinblick auf die geforderte Aufgabe, ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen, und das Ziel, das Sterben als einen Teil des Lebens zu begreifen und zu gestalten, haben sich in der Literatur und in der Umgangssprache die treffenden Kennzeichnungen Sterbebegleitung und Sterbebeistand durchgesetzt. Beide Begriffe weisen auf die mitmenschliche Verbundenheit hin, derer der Sterbende so dringend bedarf. Sie erfordern von jedem, der sich der Betreuung und Begleitung unheilbar Kranker nicht entziehen will, ihnen möglichst umfassend zu helfen...“
(Fasselt, 2000, S. 441).
2.1.2 Die Begleitung von Sterbenden und dessen Angehöriger
Bei der Begleitung Sterbender, insbesondere alter Menschen, handelt es sich oft um langfristige Hilfe- und Unterstützungsleistungen, die nicht immer den Bedürfnissen der Betreuenden entsprechen. Unbestritten ist jedoch, dass es für einen Terminal erkrankten eine herausragende Rolle spielt, wo er stirbt. In einer gewohnten Umgebung, wenn alle Voraussetzungen gegeben sind (familiäre Unterstützung, räumliche Voraussetzungen usw.), werden die Belastungen durch das Sterben für ihn deutlich verringert. Doch Zahlen belegen, dass Sterben zunehmend aus dem Kreis der Familie in fremde Institutionen verlagert wird (ca. 90 % versterben in Institutionen ca. 5 – 10 % zu Hause) (vgl. Deutscher Bundestag, 2005, S. 75, Enquete Kommission des Bundestages „Ethik und Recht der modernen Medizin, 2004, S. 24, Schütz, 1996, S. 45 & Streckeisen, 2001, S10). Es wird jedoch oft berichtet, dass sich Pflegende in Institutionen, die u.a. den Auftrag haben, Sterbende zu begleiten, sich bei dieser anspruchsvollen Aufgabe überfordert fühlen. Lt. der Thüringer Studie gaben 77 % an, dass sie - wenn es in ihrem Ermessen läge – zu Hause sterben möchten. Auf die Frage, wer beim Sterben dabei sein soll, antworteten 93 Prozent, sie wünschten sich, dass Angehörige, und 64 Prozent, dass Freunde anwesend wären (vgl. Dreßel, Erdmann, Hausmann, Hildenbrand & Oorschot, 2001, S. 37ff.). Wesentliche Faktoren für die „Institutionalisierung“ des Sterbens liegen in der demographischen und epidemiologischen Entwicklung. In Deutschland kommt es zu Veränderungen in der Struktur, der Größe und des Zusammenhalts einer Familie (mehr Singlehaushalte, mehr Kleinfamilien etc.), so dass eine Versorgung durch Angehörige nicht immer gesichert werden kann (vgl. Rest, 1998b, S. 50ff.).
Weitere Gründe liegen bei der Veränderung des Sterbeprozesses. Im Gegensatz zu früher tritt vermehrt ein „langes Sterben“ auf, da z.B. chronische Krankheitsverläufe und Krankheiten, die zwangsläufig zum Tod führen, zunehmen (vgl. Schmied, 1985, S. 20ff.).
Aber wo liegen die Unterschiede bei einer Sterbebegleitung in einer Institution und bei einer Begleitung in einer für den Sterbenden gewohnten Umgebung? Eine Institution ist durch wesentliche Merkmale des Gesundheitswesens gekennzeichnet. So ist es bspw. schwer, durch den ständigen Personalwechsel eine zwischenmenschliche Beziehung zwischen dem Sterbenden mit seinen Angehörigen und dem Personal aufzubauen, die für eine adäquate Sterbebebgleitung aber unabdingbar ist. Zudem wird es dem Personal, aufgrund von Zeitmangel oft unmöglich gemacht, in den letzten Stunden oder Minuten uneingeschränkt für den Sterbenden und seine Angehörigen verfügbar zu sein. Man darf jedoch nicht vergessen, dass manche Institutionen ihre Bemühungen in Fragen des Sterbebeistandes intensiviert haben. So kooperieren bspw. viele Häuser bereits mit ortsansässigen Hospizeinrichtungen oder bieten kirchlichen Beistand an. Um den Entwicklungen der „Institutionalisierung“ des Sterbens entgegen zu wirken, gibt es zudem seit den letzten Jahren vermehrte öffentliche und wissenschaftliche Diskussionen, die bereits erste Verbesserungen bei der Versorgung Sterbender und deren Angehöriger zur Folge hatten (vgl. Vollmann, 2003, S. 7 ff.). Trotz dieser Verbesserungen steht Deutschland erst am Anfang eines langen Weges für eine optimale Betreuung Sterbender.
Warum es zu Hause für viele Menschen am förderlichsten ist, wenn alle nötigen Voraussetzungen gegeben sind, zeigen einige wesentliche Merkmale. Zu Hause kann eine optimale Rücksicht auf Autonomie, Integrität und Würde des Sterbenden genommen werden. Dies gilt zum einen, hinsichtlich des physischen, psychischen und des sozialen Umfeldes und zum anderen ist der Mensch in seiner ihm vertrauten Umgebung (vgl. Sandgathe Husebo & Stein Husebo, o.Jg., S. 30). Ist aber die Pflege und Sterbebegleitung in der eigenen Wohnung nicht mehr möglich, sind zudem stationäre Hospize eine Alternative.
Die Situation, in der sich Angehörige während einer häuslichen Sterbebegleitung befinden, lässt sich folgendermaßen beschreiben: Die Angehörigen nehmen bei einer Sterbebegleitung eine zentrale Rolle ein, indem sie die Verantwortung für das Wohlbefinden der sterbenden Person übernehmen und in deren Sinn Entscheidungen treffen, die sich an oft verändernden Prioritäten orientieren; sie finden sich in einem vielschichtigen Alltag wieder, der sie vor Probleme und Herausforderungen stellt und zwar nicht nur hinsichtlich der emotionalen Auseinandersetzung des bevorstehenden Verlustes, sondern auch die Verantwortung bei der Versorgung des Sterbenden spielt eine große Rolle (vgl. Haslbeck & Schaeffer, 2006, S. 3f.).
In den letzten Jahren sind vielfältige Unterstützungsmaßnahmen für Angehörige, die sich eine Sterbebegleitung zu Hause zur Aufgabe gemacht haben, initiiert worden. So kann sowohl die Hilfe durch Institutionen (z.B. Hospizdienste, ambulante Pflegedienste, kirchliche Träger – „Essen auf Rädern“ usw.) als auch die private Hilfe (Verwandte, Nachbarschaftshilfe usw.) unterschieden werden (vgl. Klein, Ochsmann, Feith, Seibert, & Slangen, 1997, S. 38ff). Diese beiden Gruppen bieten unterschiedliche, sehr wichtige Unterstützungsmöglichkeiten an, die für Angehörige eine bedeutende Rolle bei der Begleitung eines Sterbenden spielen. Dies sind nur einige Beispiele, die sich mit der Situation von Angehörigen befassen, sie geben aber bereits einen guten Überblick über die unterschiedlichen Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen. Auch hier sind noch weitere Maßnahmen wünschenswert, wie z.B. die Erleichterung bei der Freistellung von Angehörigen während der Sterbebegleitung durch den Arbeitgeber, wie dies bereits in Österreich und Frankreich der Fall ist („Familienkarenzmodell“) oder die Stärkung der Sterbebegleitung und palliativen Versorgung im häuslichen Bereich. Diese und andere Ansätze sind bereits vom deutschen Bundestag empfohlen worden (vgl. Deutscher Bundestag, 2005, S. 69 & Haslbeck & Schaeffler, 2006, S. 7).
2.1.3 Anforderungen an den Begleiter
Die Betreuung terminal erkrankter Menschen stellt besonders hohe Anforderungen an den Begleiter hinsichtlich der Sicherung einer möglichst hohen Lebensqualität aller Beteiligten. Dies gilt sowohl für den professionellen Begleiter (Mitarbeiter des Hospizdienstes, Mitarbeiter des Gesundheitswesens...) als auch für den Angehörigen. Diese „gestalten“ immerhin die letzte Lebensphase des Sterbenden (vgl. Higgen, 2002, S. 112).
Sowohl der zeitliche als auch der finanzielle Aufwand bei der Pflege und Betreuung von Menschen in der letzten Lebensphase ist besonders groß. Zudem kommt es zu Veränderungen in der zwischenmenschlichen Beziehung bei dem Angehörigen und dem Sterbenden. Das Wissen um den bevorstehenden Tod erweist sich als weitere Belastung, mit welcher sich der Angehörige auseinandersetzen muss. Die Ergebnisse der Untersuchung von Kruse (1987, 1991) weisen die Bedeutsamkeit und Problematik des Prozesses dieser Beziehung und des Einflusses auf die Betreuungssituation Sterbender eindrücklich nach (vgl. Kruse 1987, S. 384ff & Kruse 1991, S. 79ff.). Der bevorstehende Verlust eines nahe stehenden Menschen und damit auch unweigerlich die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit wirken sich zusätzlich belastend auf die betreffenden Personen aus. Aus diesen Veränderungen der Lebenssituation ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an den Begleiter, der ein nahes Familienmitglied zu Hause begleitet.
Die Sterbebegleitung ist so einzigartig wie das Leben selbst und daher gibt es immer unterschiedliche und individuelle Anforderungen an den jeweiligen Begleiter. Die oben beschriebenen Merkmale einer Sterbebegleitung machen deutlich, mit welchen Gedanken, Problemen und Ansprüchen sich ein Angehöriger, der ein nahes Familienmitglied bis zum Tod begleitet, auseinandersetzen muss. Von großer Bedeutung ist ein offener und einfühlsamer Umgang mit dem sterbenden Menschen. Geduld, Engagement und Verantwortungsbewusstsein sind ebenso wichtige Eigenschaften bei einer Sterbebegleitung wie Hilfsbereitschaft. Eine wesentliche Fähigkeit des Begleiters sollte sein, sich für den Menschen, den er begleitet, Zeit zu nehmen, denn nur so kann ein Gefühl des „Angenommenwerdens“ entstehen (vgl. Becker, 1984, S. 34ff). Mit diesen Anforderungen muss sich sowohl der professioneller Begleiter in einer Institution auseinandersetzen, als auch der Angehörige zu Hause.
2.2 Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit
Die Ausführungen über die Sterbebegleitung durch Angehörige machen deutlich, dass auf Menschen, die ein nahes Familienmitglied bis zum Tod begleiten, sowohl besondere Veränderungen im alltäglichen Leben als auch unterschiedliche Anforderungen zukommen. Die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit liegt darin, das subjektive Erleben von Angehörigen während einer Sterbebegleitung zu erfassen. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt hierbei auf Aspekten und Umständen, die von den Befragten als belastend erlebt wurden. Mit dem Ziel ein genaueres Bild der Vorgänge während des Sterbeprozesses und deren Auswirkungen auf die Beteiligten zu erhalten, um dann denkbare Entlastungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Aus diesem Grunde wurde die qualitative Forschungsmethode des problemzentrierten Interviews gewählt, welche in Kap. 4 ausführlich dargestellt wird.
Die subjektive Perspektive, der an der Untersuchung beteiligten Personen, soll eine Transparenz des Erlebens ermöglichen. Hierdurch erfolgt eine aktuelle Bestandsaufnahme der Problematik und mögliche Lösungsansätze und Handlungsstrategien können aufgezeigt werden.
Um der Zielsetzung einen theoretischen Rahmen zu geben, werden im folgenden Kapitel aktuelle Forschungsergebnisse, Modelle und Theorien zum Sterbeprozess und zu den erlebten Belastungen von Angehörigen aufgezeigt.
3. Aktuelle Forschungsergebnisse, Modelle und Theorien zur Fragestellung
Zu Beginn werden in diesem Kapitel verschiedene Modelle des Sterbeprozesses vorgestellt. Diese sind dahingehend von großer Bedeutung, da sich die unterschiedlichen Sterbeverläufe, in denen sich Sterbende befinden, evtl. auf ihren Begleiter und auf die damit empfundenen Belastungen auswirken können. Anschließend folgen unterschiedliche Theorien zu Belastungen und Stress. Zum Schluss wird ein kurzer Überblick über die aktuellen Forschungsergebnisse bezogen auf die Forschungsfrage gegeben. Die Ausführungen erfolgen literaturgestützt und werden vor dem Hintergrund aktueller Forschungsergebnisse beleuchtet.
3.1. Der Sterbeprozess aus pflegewissenschaftlicher Sicht
Die Frage der Menschen, ob es einen Prozess des Sterbens gibt oder ob das Sterben durch bestimmte Merkmale gekennzeichnet wird, ist seit jeher von großer Bedeutung. Bereits im späten Mittelalter sind sog. Erbauungsbücher erschienen, die Sterbende und deren Begleiter in die Kunst des Sterbens (lateinisch: ars moriendi) einführen wollten (vgl. Krause, 2004, S. 8). Hier wurde das Sterben als ein Prozess der Auseinandersetzung mit Anfechtung beschrieben, die den Sterbenden herausfordern sollten und die es im Glauben zu bestehen galt (vgl. Ariés, 1976, S. 73ff & Krause, 2004, S. 8). Die mittelalterliche ars moriendi Literatur hat damit bereits erste Erkenntnisse geliefert, von denen weitere neuere Forschungen zum Sterbeprozess initiiert worden sind. So hat beispielsweise Elisabeth Kübler-Ross (1969) in ihren ca. 200 Gesprächen und Beobachtungen 1969 in ihrem Buch „Interviews mit Sterbenden“ fünf Phasen des Sterbens beschrieben.
3.1.1 Das Phasenmodell von Elisabeth Kübler-Ross
Bei der folgenden Darstellung des Sterbeprozesses nach Kübler-Ross wird eine Zusammenfassung der Merkmale einer jeden Phase gegeben. Zudem werden die Anforderungen an den Begleiter in diesen Phasen ergänzend hinzugefügt.
Erste Phase – Nichtwahrhaben wollen und Isolierung
Diese Phase zeichnet sich durch eine Abwehrhaltung der Betroffenen aus. Sie befinden sich in einer Art Schockzustand. Diese Art von Schock tritt besonders bei einer sog. „Todesdiagnose“ auf (vgl. Specht-Tomann & Tropper, 1998, S. 20). Hier beherrschen Reaktionen des Leugnens das Handeln der Betroffenen. Der Verdrängungsmechanismus setzt ein. Es kann aber auch zu einem inneren Rückzug kommen, mit der Tendenz zur Isolierung und Entfremdung (vgl. Neysters & Schmitt, 1993, S. 194). Für die Begleitung Sterbender ist es in dieser Phase wichtig, ihnen die benötigte Zeit zu geben, die Gewissheit das „Sterben müssen“ zuzulassen. Hier sollten die Begleiter als Gesprächspartner zur Verfügung stehen, um sie auf dem Weg von der Ungewissheit zur Gewissheit zu begleiten (vgl. Krause, 2004, S. 8f.).
Zweite Phase – Zorn
Während dieser Phase tritt die Erkenntnis ein, dass einen die Krankheit doch selbst betrifft. Die Zeit des Leugnens ist vorbei, denn nur wenige Menschen verharren in der Illusion sie seien gesund. Da in dieser Phase Gefühle wie Wut und Zorn alltäglich sind, ist der Sterbende in dieser Zeit oft unbequem (vgl. Kübler-Ross, 1971, S. 50). Während die Sterbenden jetzt rational wissen, dass sie sterben müssen, brechen alle Gefühle aus ihnen hinaus. Diese Ausbrüche können sich gegen verschiedene Personen, das Schicksal aber auch gegen Gott wenden. Besonders Verwandte und Freunde wissen in diesen Situationen nicht zu reagieren. Sie fühlen sich schuldig und reagieren mit Tränen auf das unberechenbare Verhalten des Sterbenden. Sie können sich meist nicht in die Lage des Kranken hineinversetzen, der nur aus Angst reagiert. Hier ist es wichtig, den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, diese Aggressionen heraus zu lassen, damit sich die Aggression nicht nach innen gegen sich selbst richtet. Erst wenn der Patient merkt, dass man ihm Aufmerksamkeit schenkt und ihn nicht vergessen hat, wird er ruhiger und umgänglicher (vgl. Kübler-Ross, 1971, S. 52).
Dritte Phase – Verhandeln
Wenn der Sterbende es geschafft hat, sich seiner Wut zu stellen, steht dem Eintritt in diese Phase nichts mehr im Weg. Diese Phase ist oft nur von kurzer Dauer und von Hoffnung geprägt. Der Betroffene hat sich noch nicht vollständig aufgegeben und versucht mit sich, dem Schicksal, den behandelnden Ärzten oder auch Gott Zeit auszuhandeln. Diese Verhandlungen basieren immer auf einer Verlängerung des Lebens oder einer schmerzfreien Zeitspanne. Er verspricht Wohlverhalten und verhandelt eine Frist (vgl. Kübler-Ross, 1971, S. 78). Der Glaube an diese Verhandlungen und die damit verbundenen Hoffnungen stimmen den Sterbenden friedlich und zufrieden. Für Außenstehende entsteht schnell der Eindruck, der Betroffene habe sich mit seinem Schicksal abgefunden und sehe nun der Realität ins Auge. Von dieser Einsicht ist der Sterbende in diesem Stadium aber noch weit entfernt. Er zehrt seine Kraft aus seiner Hoffnung (vgl. Specht-Tomann & Tropper 1998, S. 28ff.). Die Aktivität des Verhandelns ist ein wichtiger Zwischenschritt, bevor dem Betroffenen die Unvermeidlichkeit des Sterbens so bewusst wird, dass er verzweifelt reagiert (vgl. Krause, 2004, S. 9).
Vierte Phase – Depression
In diesem Zustand der Mutlosigkeit sieht der Sterbende keinen Ausweg mehr. Gelangt der Betroffene zu dieser Erkenntnis, hat er zum ersten Mal die Realität vollständig an sich herankommen lassen. Die Folge dieser Erkenntnis ist meistens eine tiefe Traurigkeit, eine Depression. Diese Traurigkeit bezieht sich auf zwei Bereiche. Zum einen trauert der Sterbende um sog. „vergangene Verluste“, also um Versäumnisse und Unterlassungen. Der zweite Bereich, der betrauert wird, sind die sog. „zukünftigen Verluste“. Gemeint ist, dass der Sterbende um unerfüllte Lebensziele trauert. In dieser schwierigen Phase zieht er die Bilanz seines gelebten Lebens. Das Gefühl der Macht- und Hilflosigkeit breitet sich aus (vgl. Specht-Tomann & Tropper, 1998, S. 33f.). Hier sind Aufheiterungen seitens der Angehörigen nicht angebracht. Es ist vielmehr wichtig, dass der Betroffene trauern darf. Der Sterbende braucht Begleiter, die in dieser Phase über die Traurigkeit nicht hinwegsehen, sondern sie aushalten. Sie brauchen Menschen, die einfach da sind (vgl. Krause, 2004, S. 9). Während die Angehörigen einen geliebten Menschen verlieren, verliert der Sterbende selber in naher Zukunft alles, was er geliebt hat. Diese Phase der Erkrankung verläuft meistens sehr still. Der Sterbende hat oftmals nicht das Bedürfnis, über die bevorstehenden Verluste zu sprechen. Diese Phase der Depression ist notwendig und heilsam, um letztendlich in Frieden und innerer Bereitschaft zu sterben (vgl. Kübler-Ross, 1971, S. 82).
Fünfte Phase – Zustimmung
Wenn der Sterbende die nötige Begleitung und Kraft hatte, die vorherigen Phasen zu bestehen, ist es in diesem Stadium an der Zeit, das eigene Sterben anzunehmen. In dieser Phase hat er sein Schicksal endgültig akzeptiert. Er konnte seinen Emotionen freien Lauf lassen, Neid auf die Lebenden und Gesunden, Zorn auf alle, die weiter leben dürfen, und den drohenden Verlust, alles zu betrauern, was er geliebt hat. Er kann seinem Tod nun gelassen entgegen sehen (vgl. Kübler-Ross, 1971, S. 99). Sowohl Körper, als auch Psyche sind erschöpft. Der Körper ist von der Krankheit geschwächt, die Psyche findet endlich Frieden nach den extremen Emotionsschwankungen der vorangegangenen Sterbephasen. Oftmals wirken die Menschen in dieser letzten Phase vor ihrem Tod introvertiert. Sie möchten mit niemandem reden, aber oftmals auch nicht alleine sein. Schweigend bei ihnen zu sein, ihnen zu verstehen zu geben, dass sie nicht reden müssen, Gesten, Blicke und die Art körperlicher Berührung, welche die Betreffenden wollen, das ist die wichtigste Begleitung in dieser letzten Phase seitens der Angehörigen (vgl. Krause, 2004, S. 9). Zudem ist es wichtig, diese letzten Stunden mitzuerleben, um selbst innere Ruhe zu erhalten und sich bei aller Trauer doch getröstet zu wissen (vgl. Neysters & Schmitt, 1993, S. 195). Vielen Menschen ist es nicht mehr wichtig, den nächsten Tag zu erleben. Sie versuchen aber dennoch, jeden verbleibenden Tag zu genießen. Kleinigkeiten, die andere, nicht betroffene Menschen, nicht wahrnehmen, können für einen kranken, sterbenden Menschen enorm wichtig sein (vgl. Specht-Tomann & Tropper, 1998, S. 36f.).
3.1.2 Modell der Hoffnung der Unheilbaren nach Herbert Plügge
In diesem Modell unterscheidet Herbert Plügge zwischen der gerichteten Alltagshoffnung und der „Hoffnung der Unheilbaren“, die unbestimmt, ohne Objekte und nur subjektiv die Zukunft und den Fortbestand meint. Dazwischen findet sich die „zerstörte Hoffnung“ und die „falsche Hoffnung“. Beide können zum Impuls für die eigentliche „Hoffnung der Unheilbaren“ werden. Dieses Verfahren soll anhand eines kleinen Beispiels erläutert werden: Ein Patient kann über die falsche Hoffnung, die oft vom Arzt mitinitiiert wird, zur Gewissheit des drohenden Todes kommen, welche in allen Modellen des Sterbens bereits eine Leistung des Sterbenden an sich darstellt. Der völlige Zusammenbruch und die Verzweiflung werden oft zur Voraussetzung für eine selbstständige Haltung des Menschen zu seinem eigenen Sterben (vgl. Rest, 1998b, S. 140). Plügge vertritt zudem die Auffassung, dass selbst ein Mensch der Suizid begeht, dies mit Hoffnung verbindet, da für ihn der Tod immer noch besser sei, als das Leben. Die folgende Abbildung erläutert das Modell ergänzend:
unbrauchbar Übergangsimpulse wertvoll
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Die Hoffnung der Unheilbaren nach Herbert Plügge (entnommen aus: Rest, 1998b, S. 141)
3.1.3 Weitere Modelle im Überblick
In diesem Abschnitt werden drei weitere Modelle und eine Untersuchung, die bezogen auf den Sterbeprozess relevant sind, erläutert. Da diese Modelle weniger bekannt sind und sie kaum in der Literatur erwähnt und beschrieben werden, erfolgt eine kurze Darstellung mit den wesentlichen Inhalten.
Ein Modell, welches sich auf die eigentliche Sterbephase bezieht und versucht die letzten Augenblicke klarer zu erfassen, ist das Modell der fünf Formen der Annahme und der fünf Formen des Vollzugs von A. Mauder (vgl. Rest, 1998b, S. 141). Ein weiteres Modell beschreibt das Wachstum im Angesicht des Todes von J. Zinker & S. Fink. Hier liegt der Schwerpunkt in der Annahme, dass Menschen gerade in Krisenzeiten (wie der des Sterbens) und Gefahrensituationen zu einem sehr großen persönlichen Wachstum gelangen. Daraus sind Verlaufsmodelle entstanden, mit einer gewissen Vorhersehbarkeit. Diese Modelle setzen einen Gegenpol zu der bisherigen negativen Orientierung der Psychopathologie des Todes, die sich mit den Unfähigkeiten, Abhängigkeiten und Ablehnungen des Sterbens durch die Sterbenden beschäftigt (vgl. Rest,1998b, S. 141). Das letzte beschriebene Modell setzt sich mit der erlernten Hilflosigkeit auseinander. M.E.P. Seligmann hat dieses Modell entwickelt und beschreibt als wesentliche Aspekte, dass zu Beginn eine Situation als unkontrollierbar wahrgenommen wird und die betreffende Person dies auf eigene Unfähigkeit, diffuse Situationen oder auf chronische Einschränkungen zurückführt. Aufgrund dieser Entwicklungen, und weil auch keine Änderung erwartet wird, ist das Selbstwertgefühl reduziert und der ganze Prozess schlägt in Angst oder Ohnmachtsgefühle um. An diesen Merkmalen orientiert sich ein bestimmtes Therapiekonzept, welches die einzelnen Hilflosigkeiten jeweils einer Änderung zuführt und das Selbstwertgefühl auch im Sterben fördert (vgl. Rest, 1998b, S. 141f.).
Auch der Gerontologe Kruse (1995) hat einige Untersuchungen bzgl. des Sterbeprozesses durchgeführt. Nach dessen Ergebnissen verändert sich z.B. die Art und Weise, wie sich Menschen mit ihrem Sterben auseinandersetzen, viel weniger, als dies beispielsweise Kübler-Ross herausgefunden hat. Auf der Grundlage von Interviews mit 50 Krebspatienten im Endstadium beschreibt Kruse fünf Formen der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod. Eine erste Gruppe von Menschen akzeptierte das eigene Sterben. Eine zweite Gruppe empfand große Resignation und Verbitterung. In einer dritten Form wurden die Todesängste durch die Erfahrung eines neuen Lebenssinns gelindert. Für eine vierte Gruppe stand das Bemühen im Vordergrund, die Bedrohung des eigenen Daseins nicht in den Mittelpunkt zu stellen. Eine fünfte Gruppe durchschritt Phasen tiefer Depression bis zur Hinnahme des Todes.
Zu welcher Form der Auseinandersetzung ein Mensch neigt, hängt nach Kruse sowohl von biographischen, als auch von sozialen, strukturellen und medizinischen Faktoren ab. Menschen mit einem positiven Lebensrückblick, tendierten eher zur Annahme des drohenden Todes. Personen wiederum, die an starken chronischen Schmerzen litten, reagierten eher mit Verbitterung und Resignation (vgl. Kruse & Schmitz-Scherzer,1995, S. 289ff.).
3.1.4 Kritische Würdigung und Diskussion der Modelle
Alle diese Modelle sind nur bedingt hilfreich, können jedoch unseren Blick für das, was im Sterben mit den Menschen passiert, schärfen. Sie zeigen zudem, dass man mit vorschnellen Schlüssen vorsichtig sein muss. Die Modelle können Hilfsfunktionen übernehmen, passen aber nie ganz auf einen betroffenen Menschen (vgl. Rest, 1998b, S.141 & Treichler, 1996, S. 29f.). Von einer starren Interpretation der Sterbemodelle ist deutlich abzuraten, denn so wie jedes Leben anders und individuell verläuft, so verhält es sich auch während des Sterbens. Nicht jeder Mensch durchläuft beispielsweise alle Phasen nach Kübler-Ross oder in der gleichen Reihenfolge. Zudem gibt es bislang keine empirische Belegung für die Anzahl der Phasen. Die Untersuchungen basierten auf einer kleinen Stichprobe, die Reliabilität ist fraglich, da die deskriptiv erfassten Phasen häufig normativ interpretiert werden.
In den letzten Jahren wurden die Modelle als unzureichend und zu ungenau bezeichnet. Viele neuere Modelle haben beispielsweise die Phasenlehre von Kübler-Ross ergänzt (z.B. Sporken, Schuchardt u.a.) (vgl. Rest, 1998b, S. 141). Für die Begleitung sterbender Menschen ist es wichtig, die verschiedenen Faktoren gleichermaßen zu berücksichtigen, sich aber nicht fest an einem Modell zu orientieren.
3.2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Kontext der Sterbebegleitung
Nachfolgend wird ein Überblick über die verschiedenen Belastungen, denen Angehörige bei einer Sterbebegleitung ausgesetzt sind, gegeben. Die Begriffe „Belastung“ und „Beanspruchung“ werden häufig in der Arbeits- und Organisationspsychologie verwendet und erläutert. Im folgenden Abschnitt werden diese beiden Begriffe und verschiedene Stresstheorien mit implizierten Bewältigungsformen auf die besondere Situation von Angehörigen während einer Sterbebegleitung adaptiert.
3.2.1 Das Belastungsempfinden von Angehörigen
Die Belastungen von Angehörigen dürfen keinesfalls eindimensional betrachtet werden. Sie müssen immer multidimensional analysiert werden. Die Belastungs-situation sollte im Kontext von familiären Strukturen, von psychologischen, persönlichkeitsspezifischen, sozialen und physischen Faktoren betrachtet werden. Diese Faktoren prägen das Ausmaß der Belastungen entscheidend mit (vgl. Schuß, 2000, S. 63).
Belastungen stehen in einem engen Zusammenhang mit Beanspruchung. In der Arbeitswissenschaft werden psychische Belastungen als die Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn psychisch einwirken, definiert.
Psychische Beanspruchung ist zu verstehen, als die unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung in Abhängigkeit von den überdauernden oder augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien (vgl. DIN 33405, 1987 & Häcker, 2004, S. 118). Diese Definition kann nach Ansicht der Autorin problemlos auf die Belastungen und Beanspruchung von Angehörigen während der Sterbebegleitung übertragen werden
Entscheidend für das Belastungserleben von Angehörigen ist die subjektive Bewertung der objektiven Situation, denn Menschen mit gleicher objektiver Belastung unterscheiden sich in ihrer subjektiv berichteten Belastung. Für dieses subjektive Belastungserleben sind die unterschiedlichen Sterbe- bzw. Krankheitsverläufe der Familienmitglieder, die begleitet werden, mitverantwortlich. Die Notwendigkeit einer permanenten Begleitung und eines dauerhaften Beistandes ist mit großen Einschränkungen für die Angehörigen verbunden, die ihre Lebensqualität erheblich beeinflusst. Die Aufgaben bei einer konstanten Begleitung geraten mit Anforderungen und Zielen in anderen Lebensbereichen aneinander, z.B. im familiären, beruflichen und sozialen Bereich (vgl. Zank & Schacke, 2003, S. 10).
Die folgende Abbildung gibt zusammenfassend einen Überblick über Aspekte pflegebedingter Belastung nach Kruse (1994). Diese pflegebedingten Belastungen können auch bei einer Sterbebegleitung eine entscheidende Rolle spielen. Daher werden sie an dieser Stelle aufgeführt und auf Belastungen bezogen auf die Sterbebegleitung ergänzt und modifiziert:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Modifizierte Aspekte pflegebedingter Belastung nach Kruse (1994), entnommen aus: Zank & Schacke, 2003, S. 13.
Andauernde Belastung durch Begleitungsaufgaben seitens der Angehörigen kann zudem negative Konsequenzen für das psychische Wohlbefinden der Sterbenden haben. Auswirkung von Belastung kann einerseits zu Wandlungen und Wachstum bei den Angehörigen führen und andererseits zu völliger Zerstörung und Einschränkung.
Zusammenfassend sei gesagt, dass Belastungen jede Lebenssituation verändert und unterschiedlich und individuell jeden Einzelnen betrifft.
3.2.2 Modifiziertes theoretisches Modell zur pflegebedingten Belastung
Seit den letzten Jahren gibt es vermehrt Bemühungen, den Belastungsbegriff in einen theoretischen Rahmen einzubeziehen und eine theoriegeleitete Definition des Konzepts zu begründen. Dabei sind bislang hauptsächlich stresstheoretische Modelle von Bedeutung, auf die im folgenden Abschnitt eingegangen wird. In Abbildung 4 ist ein entsprechendes Modell dargestellt, das auf theoretischen Überlegungen von Pearlin et al. (1991) und Zarit (1992) beruht, dass von Zank und Gutzmann (2005, S. 158 ff.) in jüngster Zeit modifiziert worden ist und sich mit pflegebedingten Belastungen auseinandersetzt. Das Modell konnte in den USA und Deutschland in verschiedenen Studien am Beispiel des Verlustes des Arbeitsplatzes, des Todes eines Ehepartners und das Erleiden eines Herzinfarktes weitgehend empirisch bestätigt werden (vgl. Zank & Schacke, 2003, S. 16f). Es lässt sich auch auf die spezifische Situation der Sterbebegleitung ableiten und modifizieren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Modifiziertes Modell zur pflegebedingten Belastung nach Perlin et al. (1990) und Zarit (1992), entnommen aus: Zank & Schacke, 2003, S. 16.
Zur Erläuterung des Modells werden nun einige Begriffe näher beleuchtet und die Zusammenhänge erklärt.
Das weiterentwickelte Modell setzt sich neben den Stressoren zunächst mit Kontextfaktoren auseinander. Gutzmann und Zank gehen davon aus, dass sowohl Alter und Geschlecht als auch die Persönlichkeit des Pflegenden als Basisvariablen das objektive und subjektive Stresserleben beeinflussen. Unter die Kontextvariablen zählen die Autoren weiterhin die Beziehungsqualität vor dem Krankheitsausbruch, die vorhandene professionelle oder familiäre Unterstützung, materielle Ressourcen und die Motivation zur Übernahme einer Sterbebegleitung. Jede Variable beeinflusst direkt oder indirekt den Pflege- bzw. Begleitungsprozess und die sich daraus ergebenden Belastungen (vgl. Gutzmann & Zank, 2005, S. 159).
Zu den primären Stressoren gehört z.B. die Unterstützung des Sterbenden bei den noch möglichen Aktivitäten des täglichen Lebens und resultieren lt. Pearlin aus der Pflege- oder Begleitungssituation selbst. Eine weitere Folge der belastenden Situation für den Angehörigen ist die Konfrontation mit der Situation des Sterbens und mit krankheitsbedingten Verhaltensproblemen, Persönlichkeitsveränderungen und dem allgemeinen Abbau des terminal erkrankten. Unter Einbezug dieser objektiven Gesichtspunkte und der Kontextvariablen werden subjektive Belastungen ausgelöst. Je nach Alter, Geschlecht, Persönlichkeit oder persönlichen Ressourcen führen objektive primäre Stressoren zu Gefühlen, wie Überlastung, Wut, Angst oder Trauer. Möglicherweise kann es zu aggressiven Verhaltensweisen gegenüber dem Erkrankten bzw. Sterbenden kommen (vgl. Gutzmann & Zank, 2005, S. 159f). Aus diesen primären Stressoren ergeben sich Anforderungen und Auswirkungen in anderen Bereichen (Beruf, Freizeit, Finanzen, Familie...), die zu sekundären Stressoren werden können. Die Wahrscheinlichkeit des Auftritts erhöht sich mit Dauer und Schwere der primären Belastung. Sowohl bei den primären als auch bei den sekundären Stressoren wird die subjektive Ausdehnung stressreicher Ereignisse betont, welche aus der persönlichen Einschätzung der Situation oder einzelner Komponenten sowie auf der Einschätzung persönlich verfügbarer Ressourcen (Energie, Zeit, finanzielle Mittel) resultiert. Sekundäre Stressoren können Empfindungen wie Ausweglosigkeit, Schuld- und Versagensgefühle bis hin zu Identitätskrisen verursachen (vgl. Pearlin, 1991, S. 261f.). Je nachdem wie der Betreuende die Situation und seine vorhandenen bzw. mobilisierbaren Ressourcen einschätzt, gelingt die Stressbewältigung und gewährleistet eine stabile Pflege- bzw. Begleitungssituation (vgl.Gutzmann & Zank, 2005, S. 159f.). Der Begriff des Moderators (andere Autoren verwenden auch den Begriff des Mediators) bezieht sich auf jene persönlichen und sozialen Ressourcen, welche den Menschen dazu befähigen, die Auswirkungen der Stressoren zu kompensieren und zu kontrollieren. Das Modell stellt Moderator, Bewältigung (coping) und soziale Unterstützung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Dahinter steht die Grundannahme, dass der Mensch nicht nur Opfer von Stressoren ist, sondern sich gegen sie zur Wehr setzen kann und sich vor ihnen schützen kann. Der Faktor Bewältigung bezieht sich auf alle Verhaltensweisen und Kognitionen, die dem Menschen helfen können, bedrohliche Entwicklungen zu vermeiden oder zu minimieren. Bewältigung kann im Stressprozess vier Ziele haben:
1) Belastungen verhüten
2) vorhandene Belastungen minimieren
(z.B. Probleme lösen)
3) belastende Situationen umdeuten
(z.B. weniger bedrohlich erscheinen lassen)
4) Stressfolgen kontrollieren
(z.B. Stresssymptome dämpfen durch Entspannungsübungen)
Sind die Bewältigungsbemühungen erfolglos und findet der Betroffene bei seinen Mitmenschen zu wenig Unterstützung, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich Stressfolgen einstellen. Die Stressfolgen können sich auf verschiedenen Ebenen manifestieren (Körper, Psyche, Verhalten). Die konkrete Ausformung der Stressfolgen kann wiederum sowohl von den sozialen Hintergrundfaktoren als auch von den Moderatoren beeinflusst werden.
Die Einschätzung der Angehörigen, ob seine Ressourcen ausreichen bzw. mobilisiert werden können, um beispielsweise die Anforderung der Sterbe-begleitung zu bewältigen, stellt den entscheidenden Punkt für die Stabilität der häuslichen Begleitungssituation dar. Die individuellen und sozialen Ressourcen des Angehörigen sind für die Erklärung des Zusammenhangs zwischen primären und sekundären Stressoren und längerfristigen Konsequenzen der Betreuung von zentraler Bedeutung. Diese längerfristigen Konsequenzen können unter-schiedlicher Natur sein. Hierzu zählen das physische und psychische Wohlbefinden der Angehörigen ebenso wie der Zusammenbruch der häuslichen Begleitungssituation. In den letzten Jahren fand ein weiterer Aspekt in theoretischen Überlegungen und empirischen Arbeiten Berücksichtigung. Hierzu zählen vor allem die positiven Effekte von Pflege und Betreuung. Sie beinhalten Emotionen von Kompetenz, Selbstwert und Stolz, die aus den bewältigten Anforderungen der Pflege und Begleitung resultieren (vgl. Lawton et al., 1991; S. 183ff. & Zank & Schacke, 1998, S. 361ff.).
3.2.3 Der „Pflegekompass“ zur Einschätzung von Belastung
Der Zorg- oder Pflegekompass ist ein in den Niederlanden entwickeltes und in Beratungsstellen eingesetztes Interviewschema, das hilft, die subjektiven Belastungen von Pflegenden zu ermitteln. Der Erhebungsbogen zielt auf drei zentrale Bereiche der Pflege ab. Zum einen auf das Handling, die Akzeptanz und zum anderen auf die Motivation. Das Ziel dieses Instrumentes liegt darin, dass nur, wenn die Belastungen frühzeitig erkannt werden, potenzielle Gefahren für die Pflegenden abgewendet werden können. Mitglieder einer studentischen Projektgruppe (FH Osnabrück) haben den Pflegekompass in der Praxis erprobt und herausgefunden, dass er eine wertvolle Hilfe darstellt, um für die Situationen, in denen sich die pflegenden Angehörigen befinden, mögliche Hilfsangebote aufzuzeigen (vgl. Blom & Duijnstee, 1999, S. 16ff).
Der „Zorgkompass“ ist ein logisch aufgebautes und strukturiertes Interview, welches in erster Linie aus offenen Fragen besteht, und erstreckt sich über wesentliche Bereiche der häuslichen Versorgung eines Dementierenden. Zudem finden sich neben den offenen Fragen Checklisten, mit denen die Problematik und Hilfsbedürftigkeit des zu Pflegenden erhoben werden können. Informationen über die Pflegebedürftigen, den Pflegenden und über die Umgebungsmerkmale spielen in dem Interview eine Rolle. Hier werden die Belastungen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet (vgl. Blom & Duijnstee, 1999, S. 69ff.).
Der Pflegekompass wurde speziell für pflegende Angehörige demenzerkrankter Menschen entwickelt. In modifizierter Form bietet er sich jedoch, nach Ansicht der Autorin, ebenso gut bei der Einschätzung der Belastung von Angehörigen, die ein nahes Familienmitglied beim Sterben begleiten, an.
3.2.4 Die erlebte Belastung als Stress
An dieser Stelle wird auf das Phänomen Stress näher eingegangen. Die Begriffe Stress und Belastung sind eng miteinander verwandt und werden oft synonym verwendet. Da die Definition von Stress bezogen auf Belastungen eine bedeutende Rolle spielt und diese Aspekte bezogen auf die Forschungsfrage in der vorliegenden Arbeit analysiert werden, findet eine übersichtliche Darstellung zweier relevanter Stresstheorien statt. In der Literatur wird Stress unterschieden als biologisch – physiologischer Stress (z.B. Seyle, 1988 & Vester 1976) und psycho – sozialer Stress (z.B. Lazarus & Folkmann, 1984). Bevor auf die Stresstheorien eingegangen wird, ist es sinnvoll, den Stressbegriff näher zu beleuchten.
Stress als Begriff wurde erstmals von Cannon 1914 in seiner Arbeit zu Reaktionen auf Alarmsituationen und dem „Fight-or Flight - Verhalten“ in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht. Er fand heraus, dass in den Nerven und Drüsen eine Abfolge von Aktivitäten ausgelöst wurde, die den Körper auf Gegenwehr und Kampf vorbereitete oder auf Flucht in die Sicherheit (vgl. Zimbardo & Gerrig, 1999, S. 370). Große Verbreitung des Begriffs fand aber erst in den 30er Jahren durch die Arbeiten von Hans Seyle´s (1976, 1981) statt. Aktueller Stand jedoch ist, dass es momentan keine einheitliche Definition des Begriffes gibt. In der Literatur finden sich mehr als 200 Definitionen und Erklärungsansätze des Stressbegriffes. Die am häufigsten neben denen von Seyle (1976) und Lazarus (1966) oder Lazarus & Launier (1981) in aktuellen Publikationen zitierten Stressdefinitionen, finden sich bei Janke (1976), Hacker & Richter (1980), Ulich (1983) und Greif (1991).
Im Kern sagen alle Definitionen aus, dass es sich bei Stress um eine notwendige physiologische und psychologische Zusatzleistung des Menschen handelt, mit der er versucht, Problemlagen zu bewältigen (vgl. Hartig, 2004, S. 4f.). Eine ergänzende Definition soll an dieser Stelle aufgeführt werden, die positiven Stress mitberücksichtigt: Stress im Allgemeinen ist:
„... eine subjektiv, unangenehm empfundene Situation, von der eine Person negativ beeinflusst wird (Distress), im Gegensatz zum anregenden positiven Stress (Eustress).“
(vgl. Häcker & Stapf, 2004, S. 916).
3.2.5 Das biologische Stressmodell nach Seyle
Der ungarische Arzt, Hans Selye, der Begründer der Stressforschung, hat etwa 1950 den Begriff „ Stress “ in die Medizin und Psychologie eingeführt. Stress wurde von ihm als leistungsteigernde Anpassung auf körperliche, seelische, akute oder andauernde Belastungen definiert, die durch verschiedene „Stressoren“ hervorgerufen werden können. Selye vertrat die Auffassung, dass der Organismus zwar spezifisch auf verschiedene Anforderungen (z.B. außergewöhnliche Lebenssituationen, vermehrte körperliche Belastung, Konfrontation mit Keimen) reagieren könne, dass diese Reaktionen aber unabhängig von der Art der Belastung oder Anforderung immer auch von unspezifischen Veränderungen begleitet seien, die er als „allgemeines Anpassungssyndrom“ beschrieb Er betrachtete Stress aus einer physiologischen Perspektive und definierte Stress als unspezifische Reaktion des Körpers auf Anforderung. Er sah Stress als einen Mechanismus, der unter bestimmten Umständen zur Krankheit führt (vgl. Nitsch, 1981, S. 72ff.).
Die körperliche Anpassungsreaktion, unabhängig von der Art des Auslösers, verläuft in drei Phasen:
1) Die Phase der Alarmreaktion
2) Die Anpassungs-– bzw. Widerstandsphase
3) Die Phase der Erschöpfung
Die erste Phase entspricht der normalen, akuten Stressreaktion und dient der Mobilisierung von Energie- und Handlungsreserven. Die Alarmreaktion besteht aus dem gleichen allgemeinen Muster körperlicher und biochemischer Veränderungen (vgl. Zimbardo & Gerrig, 1999, S. 373). Bei der Begleitung Sterbender könnte diese Phase die Erkenntnis sein, dass der Betroffene nicht mehr lange zu leben hat und der Angehörige mobilisiert alle ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen. In der zweiten Phase erfolgt eine Anpassung (Adaption) mit Erhöhung der Widerstandsfähigkeit gegen wiederkehrenden oder chronischen Stress. Obwohl die belastende Stimuli fortdauern, verschwinden die Symptome, die während der ersten Phase auftraten und die physiologischen Prozesse folgen wieder ihren normalen Abläufen (vgl. Zimbardo & Gerrig, 1999, S. 374). Hier erkennt der Begleiter seine Aufgabe an und versucht, mit den wiederkehrenden Anforderungen zurechtzukommen. Die dritte Phase ist die Reparationsphase oder Erschöpfungsphase. Der Organismus kann sich dem Dauerstress nicht mehr anpassen. Viele Symptome aus der Phase der Alarmreaktion treten wieder auf. Bei chronisch einwirkendem Stress ohne ausreichende Erholungsphase (wie das bei der Begleitung von Sterbenden durchaus vorkommt) können in der Phase der Erschöpfung aufgrund einer negativen Verschiebung des Gleichgewichtes und bei entsprechender Disposition organische Erkrankungen die Folge sein (vgl. Zimbardo & Gerrig, 1999, S. 374).
3.2.6 Das transaktionale Stresskonzept nach Lazarus
Der erste Theorieentwurf von Lazarus (1966) wurde bereits mehrfach revidiert und inzwischen zu einer umfassenden Emotionstheorie (1991) weiterentwickelt.
Stress ist nach Lazarus nicht nur reizabhängig, sondern er entsteht innerhalb eines Prozesses zwischen Person und Umwelt. Die wichtigsten Pfeiler seines Stressmodells sind die kognitive Bewertung eines möglichen Stressereignisses (z.B. die Auseinandersetzung mit einer Sterbebegleitung durch den Angehörigen) und die Bewältigung von Stress (Wie kann ich mit dieser belastenden Situation umgehen?). Die kognitive Bewertung eines Ereignisses erfolgt nach Lazarus in drei Ebenen: In der ersten Ebene (primäre Bewertung) wird eine Anforderung danach benannt, ob sie irrelevant, angenehm – positiv oder stressbezogen ist. Ist die Anforderung stressbezogen, wird sie danach eingeschätzt, ob es sich dabei um Schaden oder Verlust, eine Herausforderung oder eine Bedrohung handelt (vgl. Nitsch, 1981, S. 221ff.). Bei der Begleitung Sterbender kann diese Ebene individuell verschieden sein, aber es lässt sich durchaus feststellen, dass es eine stressbezogene Situation darstellt, die einen Verlust impliziert, nämlich dem drohenden Verlust des Angehörigen. Bei der zweiten Ebene (sekundäre Bewertung) werden die Bewältigungsmöglichkeiten auf der Personenseite eingeschätzt. Die Bewertung bezieht sich dabei auf das Vorhandensein von möglichen Ressourcen (z.B. intellektuelle, körperliche, materielle oder soziale Ressourcen). Die dritte Ebene (Neubewertung) erfolgt nach unternommenen Bewältigungsversuchen. Es handelt sich um eine Neubewertung der Gesamtsituation. Ergebnisse können in dieser Phase entweder ein Erfahrungsgewinn für zukünftige Situationen sein oder es handelt sich um eine Ausbildung von Bewertungstendenzen (z.B. neue Situationen generell als Bedrohung auffassen) (vgl. Hartig, 2004, S. 7f.). Dies ist immer ein individueller Prozess, der von jedem Menschen anders wahrgenommen wird. Dieses Wechselspiel zwischen Bewältigungsversuchen und Neueinschätzungen setzt sich nach Lazarus so lange fort, bis entweder die stressbezogene Situation eliminiert, das Ziel erreicht, oder die Person sich von nicht erreichbaren Zielen innerlich gelöst hat. In der Auseinandersetzung der Person mit den Anforderungen kommen bestimmte Bewältigungsstrategien (Copingstrategien) zum Einsatz. Lazarus unterscheidet dabei zwei Formen. Zum einen das problemorientierte Coping, welches aufgabenbezogen ist und zwei Möglichkeiten beinhaltet, entweder es wird sich der Situation gestellt um eine Veränderung zu bewirken, oder es wird vor der Anforderung geflüchtet. Bei der zweiten Form, dem emotionszentrierten Coping, geht es um eine innerpsychische, gedankliche Auseinandersetzung mit der Anforderung. Es wird versucht, den Bedrohungsaspekt durch Mechanismen der Abwehr zu verdrängen (z.B. Rationalisierung/Verleugnung) (vgl. Hartig, 2004, S. 8). Wichtig zu erwähnen ist, dass die Einteilung der kognitiven Bewertungen in primäre und sekundäre Bewertungsprozesse keine zeitliche Ordnung bedeutet und auch keine Reihung der Wichtigkeit der Prozesse. Primäre und sekundäre Bewertungsprozesse beeinflussen einander wechselseitig. Zudem ist zu betonen, dass die kognitiven Prozesse nicht bedeuten, dass einerseits Umweltfaktoren wirksam werden, andererseits Reaktionen seitens der Person erfolgen, sondern ein Interaktionsprozess zwischen Umwelt und Person besteht.
3.2.7 Kritische Würdigung und Diskussion der Modelle
Bei der Bewertung von Untersuchungen zum Stress sieht Udris (1981) noch viele ungelöste Probleme. Unter anderem wird die Wertung von Studien durch eine ungleiche Verwendung von Fachbegriffen erschwert und auch die unterschiedliche theoretische und methodische Orientierung erschwert den Vergleich von einzelnen Studien. So variieren teilweise die abhängigen und unabhängigen Variablen. Was in der einen Studie als Stressor verstanden wird, wird in einer anderen als Stressreaktion bezeichnet. Häufig wird auch die subjektive Stresswahrnehmung unabhängig von der objektiven Situation in Beziehung gesetzt (vgl. Udris, 1981, S. 398ff). Zudem spielen, wie schon bei den unterschiedlichen Modellen des Sterbeprozesses, die individuellen Unterschiede eine bedeutende Rolle. So wird beispielsweise bei Seyle zu wenig Bezug genommen auf die individuell große Brandbreite an Reaktionen auf das gleiche Ereignis. Da Seyle Mediziner war und sich sein Modell primär mit den physischen Stressreaktionen beschäftigt, wird ihm vorgeworfen, dass seine Theorie wenig über die Bedeutung psychischer Aspekte von Stress beim Menschen aussagt (vgl. Zimbardo & Gerrig, 1999, S. 374). Eine zentrale Kritik am Modell von Lazarus ist, dass in seinem Modell Stress letztendlich nur von der Person und ihrer Wahrnehmung bzw. Fähigkeiten abhängt. Gerade aber die verschiedenen Bewältigungsformen sind nicht nur von der Bewältigungskompetenz einer Person abhängig, sondern auch davon, inwieweit die Situation den Einsatz der Kompetenzen überhaupt ermöglicht, d.h. also, welche Ressourcen die Situation bietet. Zudem wird erwähnt, dass das Modell von Lazarus schwer direkt empirisch zu überprüfen ist.
Zusammenfassend sei gesagt, dass alle Modelle eine Hilfestellung bieten, die Situation von Angehörigen adäquat einzuschätzen und sie bieten zudem einen Einblick in die besondere Situation. Aber auch hier sollte sich nie an einem Modell orientiert und auf eine Person übertragen werden, sondern es sollte immer den individuellen Menschen mit eigenen Bedürfnissen und Reaktionen berücksichtigen.
3.3 Aktuelle Forschungsergebnisse bezogen auf die Forschungsfrage
In diesem Abschnitt wird ein kurzer Überblick über den aktuellen Stand der Forschung bezogen auf die Erhebung von psychischen Belastungen während einer Sterbebegleitung gegeben. Bei den Ausführungen wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben.
Über die Belastungen, denen Angehörige während einer Sterbebegleitung ausgesetzt sind, gibt es wenige Forschungsergebnisse. Die Johannes Gutenberg – Universität Mainz hat ein wichtiges Forschungsprojekt initiiert, welches die Frage nach den Belastungen von Angehörigen impliziert und näher beleuchtet. Das interdisziplinäre Forschungsprojekt wurde von Juni 1995 bis Dezember 1998 vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung in Rheinland-Pfalz gefördert. Ziel des gesamten Forschungsvorhabens war es, die psychosoziale Situation von Sterbenden, den betreuenden Familienangehörigen und von den professionellen Helfern in Rheinland-Pfalz zu untersuchen.
Die mit Abstand meistgenannten Nachteile einer häuslichen Betreuungssituation sind lt. dieser Studie die persönlichen Einschränkungen und Veränderungen, die sich durch die Pflege und Begleitung ergeben. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Sterbende nicht mehr alleine gelassen werden konnte und eine Rund – um – die – Uhr – Betreuung oft selbst geleistet, zumindest aber organisiert werden musste. Das Zurückstellen eigener Interessen, das Gefühl, keine Freizeit mehr zu haben und die Tatsache, dass man immer angebunden ist, erleben über ein Drittel der Befragten als Nachteil der häuslichen Betreuung ihrer Angehörigen. Einige erwähnen ein weiteres Mal die konkret notwendigen Einschränkungen, es mussten bspw. Kontakte zu anderen Personen reduziert oder ganz eingestellt werden, der Beruf aufgegeben werden usw. (vgl. Seibert, Ochsmann, Feith, Klein & Slangen, 1997, S. 42). Als zentrale Belastungen werden das Gefühl überfordert zu sein, nicht oder fast nicht zurechtzukommen oder dass die Pflege an den Kräften zehrte genannt. Andere erwähnten vielmehr seelische Belastungen wie z.B. Ängste, die durch das Miterleben des Sterbeprozesses ausgelöst wurden, Angst davor, mit der Sterbebegleitung alleine da zu stehen und miterleben zu müssen, wie schlecht es dem Angehörigen geht (vgl. Seibert et al., 1997, S. 42). In dieser Studie fanden aber auch positive Erfahrungen und Vorteile einer häuslichen Betreuungssituation Platz. So wurde von vielen Studienteilnehmern diese Situation als eine wichtige Lebenserfahrung beschrieben, weil sie den Sterbeprozess miterlebt haben. Zudem nannten viele als weitere Vorteile, dass der Sterbende in seiner gewohnten Umgebung bleiben konnte, dass der persönliche Kontakt verstärkt wurde, dass man eigene Grundsätze bei der Betreuung verwirklichen konnte, dass man kein schlechtes Gewissen haben musste und dass die Pflege des Angehörigen selbst bestimmt ablaufen konnte (vgl. Seibert et al., 1997, S. 40f.).
Zudem hat der Gerontologe Kruse (1994) einige wichtige Forschungen bezogen auf Sterben und Tod indiziert. Bezogen auf die psychischen Belastungen von Angehörigen stellte Kruse fest, dass die Auseinandersetzung mit dem nahen Tod des Angehörigen eine der Hauptanforderungen und Belastungen bei der Betreuung von Sterbenden ist, und zwar über die gesamte Zeit der Betreuung hinweg (vgl. Kruse, 1994, S. 42ff.).
4. Die empirische Untersuchung
4.1 Fragestellung der Arbeit
Die durchgeführte qualitative Untersuchung beschreibt, welche zentralen psychischen Belastungen Angehörige während einer Sterbebegleitung bei einem Familienmitglied erleben. Aus den dargestellten theoretischen Erkenntnissen und aus der umfangreichen Literaturrecherche, die ergeben hat, dass ein Bedarf an der Untersuchung der psychischen Belastungen von Angehörigen während der Sterbebegleitung besteht, ergibt sich folgende Fragestellung:
Wie erleben pflegende Angehörige den Prozess des Sterbens und der Pflege bei einem nahen Familienmitglied?
Welche Faktoren wirken sich dabei psychisch belastend auf diese Personengruppe aus?
4.2 Die Untersuchungsmethodik
4.2.1 Der qualitative Ansatz
Der zentrale Aspekt der qualitativen Untersuchung besteht darin, das Erleben und die Erfahrungen von Menschen zu untersuchen, die durch eine Sterbebegleitung intensive Erlebnisse erfahren haben. Dies hat zum einen das Ziel, subjektive Wirklichkeiten zu erfassen, und zum anderen sollen mit dieser Arbeit neue Perspektiven zum Thema herausgefunden werden (vgl. Flick, von Kardorff & Steinke, 2000, S. 17 & Oswald, 1997, S. 80). Die Literaturrecherche hat gezeigt, dass die Problematik der Belastungen von Angehörigen, bezogen auf die Sterbebegleitung noch nicht hinreichend beleuchtet und analysiert wurde.
Ein weiterer Aspekt der qualitativen Sozialforschung liegt darin, Lebenswelten „von innen heraus“, aus der Sicht der Angehörigen, zu beschreiben und sich am Alltagsgeschehen oder am Alltagswissen der Untersuchten zu orientieren (vgl. Flick, von Kardorff & Steinke, 2000, S. 14, S. 23). Es soll zudem mit den Ergebnissen dieser Arbeit dazu beigetragen werden, das Verständnis der sozialen Wirklichkeiten zu verbessern (vgl. Flick, von Kardorff & Steinke, 2000, S. 20). All diese Aspekte begründen hier die Auswahl der qualitativen Untersuchungs-methodik.
Sowohl die bislang lückenhafte Auseinandersetzung mit der Literatur, als auch die Untersuchung der Situation einer charakteristisch definierten Personengruppe, belegen die explorative Zielsetzung dieser Untersuchung (vgl. LoBiondi-Wood & Haber, 1994/1996, S. 263).
4.2.2 Das problemzentrierte Interview
Das problemzentrierte Interview ist ein asymmetrisches Kommunikationsmittel, welches einen raschen Zugang zum Forschungsfeld ermöglicht und eine gewisse Vergleichbarkeit der Ergebnisse, die aus den Einzelinterviews entstehen, sichert. Außerdem ermöglichen sie einen Einblick in Erfahrungen von Menschen, ihre Biographie, die Meinungen und das Erlebte (vgl. Friebertshäuser, 1997, S. 371ff.). Ein weiterer wichtiger Aspekt des problemzentrierten Interviews liegt darin, dass die Befragten die Möglichkeit haben, frei zu Wort zu kommen und die Fragen auf eine bestimmte Problemstellung, wie die psychischen Belastungen von Angehörigen während der Sterbebegleitung, ausgerichtet sind.
Die Grundgedanken dieser Methode belaufen sich auf drei zentrale Aspekte die lt. Witzel (1982, S.72, zitiert nach Mayring, 2002, S. 68-72) folgenden Inhalt haben:
Problemzentrierte Interviews setzen an gesellschaftlichen Problemstellungen an (Problemzentrierung), die konkrete Gestaltung muss auf den spezifischen Gegenstand bezogen sein, eine Übernahme vorgefertigter Instrumente ist demnach ausgeschlossen (Gegenstandsorientierung) und der letzte Aspekt besagt, dass die Analyse des wissenschaftlichen Problemfeldes durch die schrittweise Gewinnung und Prüfung von Daten erfolgt, ohne ein eingefahrenes, starres Schema bei der Datengewinnung und der Datenanalyse. Daraus resultiert eine schrittweise Auswahl der Interviewpartner (Prozessorientierung) (vgl. Mayring, 2002, S. 68).
Der Forschungsgegenstand dieser Arbeit hat eine hohe gesellschaftliche Relevanz, da die Sterbebegleitung durch Angehörige vermehrt von der Bevölkerung gewünscht wird und die Belastungen ein Phänomen darstellen, die sowohl für den betreffenden Personenkreis, als auch für das Umfeld eine große Bedeutung haben. Daher besteht ein gesteigertes Interesse, die Problemlage zu erheben und auch entsprechende Unterstützungsmaßnahmen zu entwickeln. Zudem ist das Erhebungsinstrument in dieser Untersuchung auf den zu untersuchenden Gegenstand abgestimmt. Somit ist auch die Gegenstandsorientierung gesichert. Da keine starren Analyseinstrumente vorgesehen sind, kann man das Verfahren auch als prozessorientiert bezeichnen.
Voraussetzungen für ein Interview sind Erreichbarkeit, Zeit und Motivation des Befragten. Zudem handelt es sich bei einer solchen Konstellation um eine äußerst spezifische Situation, weil sie vom normalen Gespräch abweicht und dies sehr ungewohnt für die meisten Menschen ist (vgl. Friedrichs, 1990, S. 208). Die Vertrauensbasis und das Prinzip der Offenheit, d.h. das Gespräch ist für unerwartete Informationen zugänglich, sind entscheidend für den Verlauf eines solchen Interviews (vgl. Mayring, 2002, S. 69).
Die Durchführung erfolgt anhand eines grob strukturierten Schemas, ein sog. Leitfaden. Dieser ermöglicht vom Interviewer initiierte Fragen und Themenbereiche zu konzipieren, welche die Erzähllogik nicht beeinflussen und dem Gesprächsverlauf angepasst werden können. Die Antworten der Befragten werden mittels eines Tonbandgerätes aufgezeichnet (nach der Einverständniserklärung). Dies hat für den Interviewer große Vorteile: zum einen kann er sich gezielt auf das Gespräch konzentrieren und es erfolgt keine Selektion durch Protokolle o.ä. Zum anderen hat er die Möglichkeit, die verbalen und die nonverbalen Elemente der Kommunikation (z.B. Sprechdauer, Zahl und Länge der Pausen, Betonungen etc.) zu dokumentieren (Anhang 3 - Transkriptionsregeln) (vgl. Friedrichs, 1990, S. 229).
4.2.3 Der quantitative Kurzfragebogen und der Interviewleitfaden
Zur Erhebung sozialstatistischer Grunddaten wurde ein quantitativer Kurzfrage- bogen (Anhang 1) entwickelt. Dieser kommt vor der eigentlichen Befragung zum Einsatz. Zum einen, um den Interviewfluss nicht zu stören und zum anderen soll so die für das Interview nötige Vertrauensbasis geschaffen werden (vgl. Mayring, 2002, S. 69). Es wird hier bereits eine erste inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Problembereich stattfinden (vgl. Lamnek, 1993, S. 76). Inhalt des quantitativen Kurzfragebogens sind Fragen zum Alter und Geschlecht, sowie der Familienstand und eine evtl. Berufstätigkeit der Befragten während der Begleitung. Zudem wird die Dauer der Begleitung erfragt, der Verwandtschaftsgrad und wie lange der Todesfall zurück liegt. Im zweiten Teil wurden Fragen formuliert, die Angaben über den Angehörigen machen, der begleitet wurde, wie das Alter, das Geschlecht und die Erkrankung, die zum Tode führte. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt mittels Häufigkeitstabellen und in deskriptiver Form in Kapitel 5.1.
Nachdem die sozialstatistischen Daten erhoben worden sind, wird mit den Fragen des Interviewleitfadens (Anhang 2) begonnen. Dieser ist so aufgebaut, dass zunächst eine Einleitung durch den Interviewer erfolgt. Diese Einleitung stellt die inhaltliche Richtung des geplanten Gespräches dar und erläutert Grundsätzliches zum Interview. Anschließend wird eine gemeinsame Basis für den weiteren Verlauf geschaffen, indem geklärt wird, ab wann für den Befragten die letzte Lebensphase bei ihrem Angehörigen begonnen hat, so kann sich der Befragte während des gesamten Interviews auf diese Zeit beziehen. Nun soll eine Sondierungsfrage den Einstieg in das Thema erleichtern und die geforderte Vertrauensbasis schaffen. Die Formulierung und Analyse des Problems erfolgt direkt am Anfang, denn dieses bildet den zentralen Aspekt für den Leitfaden (vgl. Mayring, 2002, S. 69). Gegenstand ist hier, Informationen zu der Bedeutung der Sterbebegleitung für den Angehörigen zu erhalten.
Die Ergebnisse dieser Fragen werden unter der Überschrift „Beobachtungen und Bedeutung der Sterbebegleitung“ in Kapitel 5.2.1 dargestellt.
Anschließend folgen die Leitfadenfragen, welche die wesentlichen Themenaspekte bezogen auf die Forschungsfrage enthalten. Im Zentrum stehen hier die erlebten Erfahrungen und die veränderte Lebenssituation, sowie die Belastungen der Angehörigen, die infolge der intensiven Begleitung entstehen. Im dritten Teil des Leitfadens geht es um den Sterbeprozess und den Tod. Abschließend wird nach Verarbeitungsprozessen und nach der eigenen Einstellung zum Sterben und auch zum Leben gefragt, sowie positive Erlebnisse, die während der Begleitung bedeutend für den Befragten waren. Diese Fragen haben den Auftrag, den Befragten aus der entstandenen Trauer und Belastung des Interviews wieder hinauszuführen und einen Abschluss zu ermöglichen, der eine positive Zukunftsperspektive erlaubt.
Zusätzlich zu den Leitfadenfragen sind Ad – hoc - Fragen möglich, wenn sie für das Thema relevant und zur Erhaltung des Gesprächsflusses nötig sind (vgl. Lamnek, 1993, S. 77 & Mayring, 2002, S. 70).
4.2.4 Beschreibung und Darstellung des Pretests
Der Pretest wurde vor Beginn der eigentlichen Untersuchung durchgeführt. Er dient der Überprüfung der Gültigkeit und der Verständlichkeit des Untersuchungs- instrumentes und um den Zugang zum Feld zu testen (vgl. Lamnek, 1993, S. 397). Zudem ist bei Untersuchungen, die ein Problem allein mit der Methode des problemzentrierten Interviews untersuchen, ein Pretest angezeigt (vgl. Friedrichs, 1990, S. 234).
Da es sich um einen ersten Versuch der Autorin handelt, sich der qualitativen Forschung zu widmen, diente der Pretest außerdem dazu, die Interviewtechnik einzuüben (vgl. Bartholomeyczik & Müller, 1997, S. 65).
In einem jeweils einstündigen Gespräch wurde sowohl der Kurzfragebogen, als auch der Leitfaden an zwei Personen getestet. Die befragten Personen stammen aus dem entfernten Bekanntenkreis der Autorin. Nach der Beendigung des Gespräches fand eine Nachbesprechung zur Verständlichkeit und Klarheit der Fragen statt. Einige Veränderungen bezogen auf die Offenheit der Fragen und einige Streichungen von Fragen, die sich nicht direkt auf die Forschungsfrage bezogen haben, wurden als notwendig erachtet. Da lediglich einige Fragen gekürzt bzw. gestrichen wurden, können diese Interviews in das Analyseverfahren integriert werden. Zudem erfüllten die Testpersonen alle Merkmale der Stichprobe.
4.2.5 Die Untersuchungsstichprobe
Generell ist man an der Gesamtheit aller in Frage kommender Personen interessiert, man kann aber aufgrund von Ressourcenbeschränkungen und aufgrund von Unkenntnis der Grundgesamtheit nicht alle Personen untersuchen. Daher erfolgte die Auswahl der Stichprobe nach dem Prinzip des theoretical sampling, das heißt, dass eine gezielte Auswahl von Personen stattfand, die aufgrund von theoretischen Vorüberlegungen getroffen worden sind (vgl. Lamnek, 1993, S.22, S. 93).
Alle Befragten stammen aus dem Umfeld der Autorin. Allerdings kannte sie die Untersuchten nicht persönlich, sondern die Vermittlung erfolgte über „Dritte“. Das heißt, dass sich viele Bekannte aus dem Umfeld der Autorin für den Inhalt der Diplomarbeit interessierten und so potenzielle Interviewpartner vermittelt werden konnten. Die Teilnahme am Interview erfolgte auf freiwilliger Basis. Die betreffenden Personen erhielten zunächst mündliche Informationen zum geplanten Vorgehen. Wenn die Personen einverstanden waren, erfolgte entweder ein persönliches oder ein telefonisches Vorgespräch. In diesem Gespräch unterrichtete die Autorin die Interviewpartner über die genaue inhaltliche Richtung, den Ablauf und die Bedingungen des geplanten Interviews. Es erfolgte zudem der Hinweis auf die Anonymisierung der Befragten und die Erlaubnis, das Gesprochene auf Tonband aufzuzeichnen. Vor dem direkten Beginn des Interviews erhielten die Gesprächspartner erneut gezielte Informationen, welche auch im Leitfaden zu Beginn dokumentiert worden sind (Anhang 2). Dieses Verfahren wurde von der Autorin als sinnvoll erachtet, da die Vorgespräche einige Zeit zurückgelegen haben und daher die Gesprächspartner erneut mit der Richtung des Inhalts und den Bedingungen des Interviews vertraut gemacht werden sollten.
Bei den Befragten handelt es sich um Angehörige, die ein Familienmitglied über eine gewisse Zeit beim Sterben zu Hause begleitet haben. Wobei hier der Angehörige ausgewählt wurde, der den überwiegenden Teil der Betreuung und Begleitung geleistet hat. Sieben Befragungen wurden mit einer Interviewpartnerin und ein Interview mit einem Interviewpartner geführt, so dass insgesamt, einschließlich der Probandinnen des Pretests, acht Personen befragt wurden. Bei drei Interviews waren die Gesprächspartnerinnen die Töchter, welche die Mutter begleitet haben und vier Interviewpartnerinnen haben ihren Ehemann in seiner letzten Lebensphase unterstützt. Der männliche Interviewpartner hat über die Begleitung seiner Ehefrau gesprochen.
Merkmale der Stichprobe:
1) Die Angehörigen haben keinerlei Erfahrung im Umgang mit der Sterbebegleitung eines Menschen während der letzten Lebensphase.
2) Das Familienmitglied, welches begleitet wurde, ist vor einem bis anderthalb Jahren verstorben.
3) Die Angehörigen waren primär alleine für die Versorgung und Begleitung zuständig.
4) Die Angehörigen sind in der Lage, einem Interview sprachlich Folge zu leisten, können sich artikulieren und sind bereit an der Untersuchung teilzunehmen (vgl. Morse, 1994, zitiert nach Merkens, 1997, S. 101).
Dass die Angehörigen noch keinerlei Erfahrungen im Umgang mit der Sterbebegleitung haben, ist wichtig, um die entstandenen Belastungen gezielt zu erfragen. Wenn die Befragten bereits jemanden während dieser intensiven Zeit unterstützt haben, gehen sie voraussichtlich anders mit den Belastungen um und nehmen evtl. bestimmte Situationen als nicht mehr belastend wahr. Möglicherweise konnten sie Bewältigungsstrategien durch Vorerfahrungen entwickeln.
Die Befragung der Angehörigen nach einem bis anderthalb Jahren nach dem Todesfall wurde als sinnvoll erachtet, weil zu einem früheren Zeitpunkt sich die Befragten evtl. in einer emotionalen Lage befinden, die eine intensive Auseinandersetzung mit dem Erlebten noch nicht möglich machen. Zudem sollte, aufgrund der ethischen Verantwortung, welche der Autorin verpflichtet ist, das „Trauerjahr“ akzeptiert werden, um den Angehörigen ausreichend Zeit zum Trauern und Verarbeiten zu gewähren. Zudem hat die Dauer der Trauerphase Einfluss auf das Erleben und Verarbeiten der Befragten. Daher wurde hier versucht, eine vergleichbare Situation der Interviews zu schaffen, indem die Zeitspanne von einem bis anderthalb Jahren gewählt wurde.
Aufgrund dieser bestimmten Merkmale gestaltete sich die Gewinnung einer angemessenen Stichprobe als schwierig, so dass insgesamt lediglich acht Personen zur Verfügung standen, welche die oben genannten Kriterien erfüllten. Die Größe der Stichprobe war sowohl abhängig von der schwierigen Auswahl der Interviewpartner als auch von Machbarkeits- und ökonomischen Überlegungen. Da für die Erstellung einer empirischen Arbeit vier Monate vorgegeben sind, musste die Anzahl der Interviewpartner dieser Zeitvorgabe angepasst werden. Zudem spielten die Kosten für eine solche Erhebung ebenfalls eine bedeutende Rolle. Unkosten für das Material, die Fahrten und Tonbänder sollten in einem Rahmen bleiben, der annehmbar erschien.
4.3 Bestimmung des Ausgangsmaterials für die qualitative Inhaltsanalyse
Als Auswertungsmethode der qualitativen Interviews eignet sich besonders bei der zielgerichteten, theoriegeleiteten Bearbeitung von umfassendem Textmaterial, die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2002) (vgl. Mayring, 2002, S. 114). Dieses Verfahren beginnt mit einer Bestimmung des Ausgangsmaterials in den drei folgenden Schritten.
4.3.1 Festlegung des Materials
Das Ziel der qualitativen Inhaltsanalyse besteht darin, Material zu analysieren, das aus irgendeiner Art von Kommunikation stammt (vgl. Mayring, 1995, S. 11). Hier dienen als Ausgangsmaterial die acht problemzentrierten Interviews, welche bereits unter Punkt 4.2 beschrieben wurden. Eine Repräsentativität war aufgrund der zufälligen Auswahl und des geringen Umfangs der Stichprobe (vgl. Punkt 4.2.5) nicht gegeben. Hier ist anzumerken, dass die Repräsentativität in qualitativen Untersuchungen lt. Lamnek (1993) eine untergeordnete Rolle spielt. Das liegt daran, dass die Absicht einer qualitativen Untersuchungen nicht die quantitativen Generalisierung ist, sondern die Herausstellung gewichtiger Deutungsmuster (vgl. Lamnek, 1993, S. 69).
4.3.2 Analyse der Entstehungssituation
Bei diesem Schritt geht es um den Entstehungszusammenhang der Interviews. Hier wird genau beschrieben, von wem und unter welchen Bedingungen das Material produziert worden ist (vgl. Mayring, 1995, S. 43).
Bei der vorliegenden Untersuchung wurden alle Befragungen von der Autorin durchgeführt. Wie bereits erläutert, fand die Teilnahme auf freiwilliger Basis statt und es wurde zudem darauf geachtet, dass die Interviews in einer entspannten Atmosphäre stattfinden konnten, sowie unter Zusicherung der Anonymität der Befragten.
In den Vorgesprächen stellte sich heraus, dass die Intention der Interviewpartner maßgeblich darin begründet war, ihr eigenes Erleben zu schildern, um über Probleme und Belastungen zu sprechen und evtl. bestimmte Ereignisse zu verarbeiten, die bezogen auf die Sterbebegleitung entstanden sind. Die Gesprächspartner gingen trotz der belastenden Thematik sehr offen mit der Befragung um. Der tatsächliche Verlauf der Interviews entsprach weitgehend der Planung, so dass an dieser Stelle auf einen detaillierten Vergleich zwischen geplantem und tatsächlichem Verlauf verzichtet werden kann. Bei einem Interview allerdings entwickelte sich, aufgrund des offenen Umgangs der Befragten mit dem Thema, eine Form des narrativen Interviews. Hier konnte die Autorin die Leitfadenfragen nur bedingt anwenden. Trotzdem wurden die Aussagen in das Analyseverfahren integriert, da eine intensive Auseinandersetzung mit der Sterbebegleitung und den Belastungen stattgefunden hat.
Alle Interviews wurden in den Wohnungen der befragten Personen geführt. Aufgrund der Annnahme, dass während des Interviews individuelle Empfindungen, Belastungen und emotionale Regungen geschildert werden, wurden Einzelgespräche geplant und durchgeführt.
Wegen der Thematik und der gefühlsbetonten Gegebenheit konnte mit starken Empfindungen der Befragten gerechnet werden, denn eine starke emotionale Verbindung zum Gegenstand der Untersuchung war bei allen Gesprächspartnern gegeben. In solchen Fällen war eine Unterbrechung des Interviews und eine enge Abmachung mit den Betroffenen vorgesehen. Falls eine solche Situation eintritt, sollten die Interviewpartner entscheiden, ob das Gespräch fortgeführt wird oder nicht. Diese geplanten Maßnahmen waren jedoch in keinem Interview nötig, da es zu keiner dieser geschilderten Gegebenheiten gekommen ist.
Die Dauer eines Interviews lag zwischen 50 und 90 Minuten. Die Differenz hing stark mit den unterschiedlichen Belastungen und Problemsituationen der Befragten zusammen. Während eines Interviews kam es zu kurzen Unterbrechungen durch das Telefon und durch den Ehemann der Befragten. Ein weiteres Interview wurde wegen eines Toilettenganges der Probandin kurz unterbrochen. Diese Unterbrechungen haben jedoch keinen Einfluss auf die Qualität der Interviews.
4.3.3 Formale Charakteristika des Materials
Hier wird beschrieben, in welcher Form das Material vorliegt (vgl. Mayring, 1995, S. 43). Für die vorliegende Arbeit wurden die Interviews mit dem Einverständnis der Befragten per Tonband aufgenommen, um eine anschließende Transkription zu ermöglichen. Die verfügbaren Interviews wurden wörtlich transkribiert, so gingen keine Inhalte verloren und es kam zu keiner Zeitverzögerung während der Befragungen. Zudem werden bei der Tonbandaufzeichnung akustisch wahrnehmbare Geräusche sowie Sprechpausen ebenfalls erfasst. Lamnek (1993) betrachtet die Transkription bereits als einen ersten Auswertungsschritt, als eine eher technische, jedoch notwendige Voraussetzung für die weiteren Analyseschritte. In der vorliegenden Arbeit werden verschiedene Transkriptionsschritte berücksichtigt, wie z.B. die Formulierung von Transkriptionsregeln (Anhang 3) (vgl. Lamnek, 1993, S. 100ff.).
Die Gesprächspartner wurden von A bis H gekennzeichnet und die Interviews selber noch von eins bis acht durchnummeriert (Anhang 4), um später das Material leichter zu identifizieren und um bei der Ergebnisdarstellung mit Hilfe von Zitaten nachweisbar auf einzelne Aussagen eingehen zu können. Die Anonymisierung der Daten wurde gesichert, indem Namen von Personen und Kennzeichnungen jeweils zufällig gewählte Buchstaben aus dem Alphabet erhielten.
4.4 Ablaufmodell der Analyse
Die Analyse wird in einzelne Interpretationsschritte zerlegt, die vorher festgelegt werden, damit sie für andere nachvollziehbar und überprüfbar sind und auf andere Gegenstände übertragen werden können. Aufgrund dieses Verfahrens handelt es sich hierbei um eine wissenschaftliche Methode (vgl. Mayring, 1995, S. 49). Dieses Verfahren impliziert sowohl ein deduktives als auch ein induktives Vorgehen. Denn zunächst wurden aufgrund der theoretischen Erkenntnisse Hauptkategorien gebildet. Anschließend erfolgte das induktive Vorgehen, indem aus dem vorhandenen Ausgangsmaterial Kategorien gebildet wurden, welche den Hauptkategorien zugeordnet worden sind.
Hauptkategorien
1) Die Entscheidung
2) Lebensübergang
3) Letzte Lebensphase: Probleme und Belastungen
4) Sterbeprozess
5) Das Leben danach
Die zwei grundlegenden Interpretationsschritte, welche in der vorliegenden Arbeit angewendet wurden, werden bei Lamnek (1993, S. 208 ff., zitiert nach Mayring, 2000, S. 115) wie folgt definiert:
Die Zusammenfassung (Anhang 5) hat das Ziel, das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben und dass durch Abstraktion ein überschaubarer Bestand besteht, der aber noch das Abbild der Grundgesamtheit bzw. des Grundmaterials beinhaltet (vgl. Lamnek, 1993, S. 208 ff.)
Das bedeutet für die vorliegende Untersuchung, dass zunächst eine Auswahl der Textstellen stattgefunden hat, die sich den o.g. Hauptkategorien zuordnen ließen. Der Aspekt der Entscheidung umfasst dabei die Gründe und Motivation der Angehörigen und die Vorstellungen und Erwartungen an eine Begleitung. Der Lebensübergang umfasst dabei die Rollenverschiebungen innerhalb der Familie und die Unsicherheiten, Hilflosigkeiten, Überforderungen und Ängste, die sich aufgrund einer häuslichen Sterbebegleitung ergeben. Des Weiteren wurden alle Aussagen zu den resultierenden Problemen und Belastungen in der letzten Lebensphase, einschließlich des fehlenden Fachwissens, der 24 – Stunden Bereitschaft und der ausnahmslosen Konzentration auf den Sterbenden, sowie die Beschwerden des begleiteten Angehörigen fokussiert. Angaben über den Sterbeprozess beinhalten die Bereiche der Unterstützung und die ambivalenten Gefühle und Situationen der Angehörigen, sowie die Persönlichkeitsveränderung des begleiteten Angehörigen. Aussagen über das Leben danach waren ebenfalls von Interesse und beinhalten sowohl die Hilfen zur Verarbeitung, die Beeinflussung des eigenen Lebens als auch die Hoffnung und Angst bezogen auf das eigene Sterben und den Aspekt der erlebten Begleitung als Lebenserfahrung. Für dieses Verfahren wurde der Interviewleitfaden (Anhang 2) als Strukturierungshilfe verwendet.
Die Zusammenfassung erfolgt dabei nach folgenden Interpretationsschritten:
Im ersten Schritt wurde die Paraphrasierung entsprechend der bedeutenden Textstellen angewendet. Aussagen, welche für die vorliegende Untersuchung nicht relevant waren, wurden entfernt und die inhaltstragenden Textstellen wurden in eine einheitliche Sprachebene und in die grammatikalische Kurzform gebracht (vgl. Lamnek, 1993, S. 209).
Anschließend, im zweiten Schritt, erfolgte die Generalisierung, d.h. dass alle Gegenstände der Paraphrasen auf die definierte Abstraktionsebene generalisiert wurden, so dass die alten Gegenstände in den neu formulierten impliziert wurden. Die Paraphrasen, welche über dem angestrebten Abstraktionsniveau lagen, wurden belassen und die Paraphrasen, welche unterhalb dieser Ebene lagen, wurden verallgemeinert (vgl. Lamnek, 1993, S. 209).
Der dritte Schritt impliziert die erste Reduktion durch Selektion. Bedeutungsgleiche Paraphrasen innerhalb der Auswertungseinheit wurden gestrichen und zentral inhaltstragende Paraphrasen wurden übernommen. Hier sind theoretische Vorannahmen bei Zweifelsfällen zur Hilfe genommen worden (vgl. Lamnek, 1993, S. 209).
Bei der zweiten Reduktionsphase (Anhang 6), der letzten Regel, ging es um die Bündelung und Integration der aus der ersten Reduktion gewonnenen Paraphrasen in das angestrebte Abstraktionsniveau. Nach dem Abschluss dieses Vorganges wurden die Aussagen, welche entstanden sind, in einem Kategoriesystem zusammengefasst, indem sie den vorhandenen Hauptkategorien zugeteilt wurden (Anhang 7). Abschließend fand eine Rücküberprüfung der entstandenen Kategorien am Ausgangsmaterial statt (vgl. Lamnek, 1993, S. 209 ff.).
Als weiterer Interpretationsschritt wurde in dieser Arbeit zum Teil das Verfahren der Explikation angewendet. Hier wurde zu einzelnen Textstellen zusätzliches Material herangezogen. Dies dient der Erklärung, Verbesserung des Verständnisses und der Explikation. Es fand eine Erläuterung von Textstellen, in denen sich der Befragte unklar ausgedrückt hat, statt (vgl. Lamnek, 1993, 1993, S. 210 ff.
5. Ergebnisdarstellung
Nachfolgend findet die Präsentation der Ergebnisse statt. Zunächst werden die Ergebnisse des quantitativen Kurzfragebogens vorgestellt. Danach folgen die inhaltsanalytisch bearbeiteten Aussagen und Einschätzungen der Angehörigen zur häuslichen Sterbebegleitung Den zentralen Punkt der Ergebnisdarstellung bilden die Resultate der Inhaltsanalyse bezogen auf die in 4.4 eingeführten Hauptkategorien.
5.1 Ergebnisse des quantitativen Kurzfragebogens
In diesem Kapitel werden die Ergebnisse des Kurzfragebogens präsentiert. Die sozialstatistischen Grunddaten haben das Ziel die Befragten genauer zu definieren. Die Auswertungen und Bearbeitungen fanden mittels SPSS 13.0 statt.
Neun weibliche Probandinnen und ein männlicher Interviewteilnehmer wurden insgesamt befragt. Vier der Teilnehmerinnen waren die Ehefrauen von dem begleiteten Angehörigen, drei waren die Töchter und ein Mann hat seine Ehefrau während des Sterbens begleitet.
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Tabelle 1 Verwandtschaftsgrad zum begleiteten Angehörigen
Das Altersspektrum der befragten Personen lag zwischen 40 und 68. Der überwiegende Teil befand sich zwischen 38 und 42 und 68 und 72 Jahren. Der Median lag bei 55 Jahren (54,875). In der folgenden Häufigkeitstabelle sind detaillierte Angaben zu entnehmen.
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Tabelle 2 Altersverteilung der Interviewpartner
Bezogen auf den Familienstand ließ sich feststellen, dass mit fünf Personen der überwiegende Anteil der Teilnehmer verwitwet war. Davon lebten vier alleine im Haushalt und eine Probandin davon hatte drei Kinder zu versorgen.
Zwei gaben an verheiratet zu sein, davon hatte die eine Interviewpartnerin ein Kind bei sich leben und die andere zwei Kinder.
Geschieden zu sein, gab eine weitere Probandin an.
Während der Begleitung waren insgesamt vier Personen berufstätig, wobei die Hälfte von den berufstätigen in einem Teilzeitarbeitsverhältnis beschäftigt waren,
eine Probandin war selbstständig und eine weitere befand sich in einem Vollzeitbeschäftigungsverhältnis.
Die restlichen vier Personen gaben an, nicht berufstätig gewesen zu sein.
Über die Dauer der Begleitungen sind detaillierte Angaben der folgenden Tabelle zu entnehmen. Der Median lag bei 9,2 Monaten (9,1875), wobei die kürzeste Begleitung zwei Wochen gedauert hat und die längste 16 Monate. Hier ist eine erhöhte Variabilität zu verzeichnen.
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Tabelle 3 Dauer der Begleitung zu Hause
Der Todesfall der Angehörigen lag unterschiedlich lange zurück. In der folgenden Häufigkeitstabelle sind Angaben zu diesem Aspekt zu finden. Laut Kriterien der Stichprobe sollte der Todesfall mindestens 12 Monate und höchstens 18 Monate zurück liegen. Im Durchschnitt waren 15 Monate (15,0625) seit dem Tod des betreuten Angehörigen vergangen. Die Betreuungsdauer lag im Wesentlichen zwischen 16 und 18 Monaten. Die meisten Interviews wurden dementsprechend in der zweiten Hälfte des sog. "Trauerjahres" geführt.
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Tabelle 4 Zurückliegen des Todesfalls
Zu den statistischen Daten über die Angehörigen die begleitet wurden, sei angemerkt, dass es sich um vier Männer und um vier Frauen handelte. Wobei der überwiegende Anteil über 55 Jahre alt war. Der Median des Alters bei den begleiteten Angehörigen lag bei 64 Jahren, wobei der jüngste begleitete Angehörige 37 Jahre alt war und die älteste das 92. Lebensjahr vollendet hatte.
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Tabelle 5 Altersverteilung der begleiteten Angehörigen
Bei den Erkrankungen der Angehörigen, die zum Tode führten gab es unter-schiedliche Angaben. Eine begleitete Mutter verstarb altersbedingt und eine weitere erlag der Alzheimer Erkrankung. Parkinson führte bei einem Ehemann zum Tod und bei den restlichen fünf Angehörigen ergaben die Untersuchungen die Diagnose Krebs.
5.2 Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse
Der Fokus liegt, nach der Betrachtung der Ergebnisse des Kurzfragebogens, in diesem Kapitel auf den Ergebnissen der qualitativen Inhaltsanalyse. Die Präsentation der Ergebnisse erfolgt in zwei Schritten. Zu Beginn werden die Ergebnisse zu den einleitenden Fragen der Interviews beschrieben. Es handelt sich um die Einschätzungen der Befragten zu den Bereichen, ab wann für sie die letzte Lebensphase bei ihrem Angehörigen begonnen hat und um die Bedeutung der Sterbebegleitung zu Hause. Als Strukturierungshilfe dient hier der Leitfaden (Anhang 2). Die zugrunde liegenden Fragen wurden alle ohne Antwortvorgaben gestellt. Teilweise konnten die Aussagen quantifiziert werden und mittels Häufigkeitstabellen dargestellt werden.
Im zweiten Schritt wird das über die qualitative Inhaltsanalyse gewonnene Kategoriensystem dargestellt. Im Rahmen dieses Systems werden den in Kap. 4.4 vorgestellten Hauptkategorien induktiv ermittelte Kategorien zugeordnet. Die Präsentation der Ergebnisse findet nach Hauptkategorien differenziert durch eine ausführliche Beschreibung statt. Zudem werden wörtliche Zitate aus dem Interviewmaterial verwendet. Im Anhang 7 findet man die tabellarische Form des Kategoriesystems.
Es muss bei den Kategorien berücksichtigt werden, dass es sich um rein analytische Aufteilungen handelt. Die Kategorisierung führt potenziell zu einer Reduktion sozialer Wirklichkeiten. Dies jedoch erwies sich als ein Ziel der qualitativen Erhebung. Teilweise war es schwer, da die Kategorien, die aus dem Interviewmaterial gewonnen worden sind, mehreren Hauptkategorien zugeordnet werden konnten, so dass eine Zuteilung nicht immer trennscharf ist.
5.2.1 Beobachtungen und Bedeutung der Sterbebegleitung
Ab wann hat für Sie die letzte Lebensphase bei Ihrem Angehörigen begonnen?
Der Großteil der Befragten konnte nicht genau sagen, ab wann für sie die letzte Lebensphase angefangen hat, da für sie der Angehörige plötzlich verstorben ist. Erst im Gespräch und durch die Auseinandersetzung mit dieser Frage haben die Teilnehmer über diesen Aspekt nachgedacht und retrospektiv Zeichen und Symptome als Anzeichen für die letzte Lebensphase bemerkt und anhand dieser Kennzeichen Rückschlüsse auf die Sterbephase gezogen. So konnten die Teilnehmer rückwirkend sagen, ab wann die letzte Phase für sie begonnen hat. Als Merkmale der letzten Lebensphase wurden hier von zwei Teilnehmerinnen der körperliche Abbau und die Nahrungsverweigerung genannt. Vier wurden durch eine schlechte Prognose seitens der Ärzte auf den endgültigen Zustand des Angehörigen aufmerksam gemacht. Durch die Diagnose Krebs hatten zwei Befragte früh Gewissheit, dass der Angehörige versterben wird. Nachdem sich alle Interviewpartner mit dieser Frage beschäftigt haben, lässt sich der Zeitraum etwas genauer bestimmen und kann in der nachfolgenden Tabelle betrachtet werden.
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Tabelle 6 Zeitspanne der letzten Lebensphase
Der Zeitpunkt für die Gewissheit des Todes war bei vielen Teilnehmern sehr unterschiedlich, Ss dass sich daraus verschiedene Zeiträume ergeben haben. Da mit der Frage eine individuelle Definition des Sterbeprozesses bzw. der letzten Lebensphase einhergehen sollte, weil sich die vorliegende Arbeit mit den Belastungen im Sterbeprozess beschäftigt, wurde diese Frage zu Beginn gestellt. Die Aussagen der Befragten variieren stark, so dass sich aus den angegebenden Zeitspannen unterschiedlich lange Begleitungen ergeben haben. Die gesamte Befragung verdeutlicht, dass auch bei einer kürzeren Begleitungsdauer Belastungen und Probleme entstehen. Eine genaue Zuordnung einzelner Belastungen zu dem subjektiv eingeschätzten Zeitraum und eine quantitative Gewichtung wurden nicht durchgeführt.
Was hat es für Sie bedeutet Ihren Angehörigen bis zuletzt zu begleiten?
Alle Teilnehmer haben mit der Sterbebegleitung bei ihrem Angehörigen etwas Wesentliches verbunden. Für sie war es wichtig dem Familienmitglied die Möglichkeit zu geben, zu Hause, in der vertrauten Umgebung zu sterben. Als wesentliches Merkmal gab ein Großteil an, dass eine gemeinsame früher erlebte schöne Zeit den Grundstein für diese Aufgabe gelegt hat. Durch viele angenehme und bedeutende Erlebnisse von früher wurde es als selbstverständlich angesehen, diesen letzten Wunsch des Sterbenden zu erfüllen. Die intensiven Erfahrungen, die durch eine Sterbebegleitung zu Hause entstanden sind, wurden als wichtig und bedeutend für den weiteren Lebensweg empfunden. Durch eine Versorgung in einer Institution wären diese gemeinschaftlichen Erfahrungen evtl. nicht entstanden und nicht gemeinsam erlebt worden. Andererseits wurde die Begleitung auch als Belastung und als ein enormer Arbeitsaufwand beschrieben, auf die im folgenden Abschnitt bei den inhaltsanalytischen Ergebnissen näher eingegangen werden. Bei dieser einleitenden Frage haben die Angehörigen sich nicht gezielt mit dem Aspekt der Bedeutung beschäftigt, sondern haben eher Gründe und Motivationen, auf die im folgenden näher eingegangen werden, beschrieben. Die Fähigkeit rückblickend die wesentliche Bedeutung einer Sterbebegleitung zu reflektieren war bei den Interviewpartnern noch nicht vorhanden. Man sollte hier aber bedenken, dass es sich um die zweite Frage aus dem Leitfaden handelt und sich die Probanden an die für sie ungewohnte Gesprächsform erst gewöhnen und in das Thema hineinfinden müssen.
5.2.2 Inhaltsanalytische Ergebnisse zu den Hauptkategorien
5.2.2.1 Die Entscheidung
Die Gründe und die Motivation für eine Sterbebegleitung bei einem Angehörigen und die Vorstellungen und Erwartungen an diese Begleitung bilden die Unter-kategorien zu dieser Hauptkategorie.
Es folgt eine konkrete Beschreibung der Ergebnisse anhand der zwei genannten Kategorien und der entsprechenden Unterpunkte.
Gründe und Motivation
Die Gründe und Motivation der Angehörigen für die Sterbebgleitung sind unterschiedlich angelegt. Fast alle Befragten wollten durch die Erfüllung des letzten Wunsches dem Sterbenden in seiner letzten Lebensphase etwas zurückgeben. Sie gaben an, eine schöne Kindheit, ein schönes Elternhaus oder eine harmonische Ehe gehabt zu haben. Eine Befragte schildert dieses Gefühl folgendermaßen:
„Wir haben wirklich ein schönes Elternhaus gehabt, wirklich. Und das darf man auch nie vergessen. Also wenn ich jetzt so ne schlimme Kindheit gehabt hätte, ich weiß es nicht, ob ich dann so reagiert hätte und das alles gemacht hätte, ich weiß es nicht“ (A, S. 71).
Die Motivation einen Ehepartner zu begleiten, hängt eng mit der familiären Beziehung zum betreuten Angehörigen zusammen: Bei der Betreuung von Partnern steht meistens eine persönliche, bedingungslose Motivation an erster Stelle, wie beispielsweise eine harmonische Ehe oder das Gefühl dieses intensive Erlebnis noch gemeinsam erleben zu müssen. Es wurde u.a. als Grund für eine Sterbebegleitung bei einem Partner das Eheversprechen genannt:
„Das verspricht man sich, wenn man heiratet. Ist so. Und das sollte man auch so handhaben und nicht nur leere Worte da plappern“ (D, S. 114).
Für eine Interviewpartnerin war es selbstverständlich die Mutter in dieser Phase zu begleiten, da sie eine besondere Bindung zu ihr aufgebaut hat:
„Meine Mutter war für mich eine ausgesprochen tolle Frau, hochintelligent, ein Mensch, der mich nach wie vor fasziniert, in der Art wie sie mit Menschen umging, sehr gebildet“ (C, S. 94).
Die Unterbringung in einer Institution kam für keinen der Befragten in Frage. Fast alle gaben an, diese Lösung mit dem Gewissen nicht vereinbaren zu können. Zudem konnte sich eine Teilnehmerin nicht vorstellen, eine individuelle Person in einer Institution unterzubringen:
„Aber die Vorstellung, diese individuelle Person in einer Institution zu belassen, wo ich keinen Einfluss mehr haben konnte, das war für mich unerträglich, ich konnte sie nicht loslassen“ (C, S. 98).
Dem Sterbenden die letzte Ehre zu erweisen, gaben weitere Teilnehmer in den Interviews als Grund für eine häusliche Begleitung an.
Die Beziehung zu der sterbenskranken Person aufrechtzuerhalten oder sogar zu vertiefen und zu verbessern, in jedem Fall den Kontakt zu dem nahe stehenden Menschen nicht früher als nötig zu verlieren, ist ein weiterer Grund, der dazu führte, dass die Sterbebegleitung übernommen wurde. Die folgende Aussage verdeutlicht diesen Aspekt:
„...schön, dass ich das noch mitmachen konnte, dass ich ihm das noch geben konnte und ihn noch so lange wie möglich habe“ (E, S.121).
Es zeigt sich in allen Interviews eine deutlich positive Motivation zur Übernahme der Sterbebegleitung. Die Gründe für die Entscheidung zur häuslichen Betreuung von Angehörigen, die im Sterben liegen, zeigen insgesamt eine breite Vielfalt mit eindeutigem Schwerpunkt von Gründen aus dem Bereich der Beziehung zum Sterbenden. Mit Abstand am häufigsten wurde als Grund geäußert, man habe den Angehörigen nicht weggeben wollen. Die Tatsache, dass eine enge, persönliche Beziehung zu dem Sterbenden besteht, wurde ebenfalls häufig als Grund für die Entscheidung genannt.
Vorstellungen und Erwartungen
Nicht alle Befragten haben in den Interviews Vorstellungen und Erwartungen an die Sterbebegleitung geäußert. Dennoch gab eine Teilnehmerin an, dass die Gewissheit, dass der Mann sterben wird, im Vorfeld als sehr belastend empfunden wurde.
Durch die Zeit vor der Erkrankung des Angehörigen hat sich bei einer Probandin der Blickwinkel verändert, so dass sie durch die früher gemeinsam erlebten Momente, diese Aufgabe mit anderen Augen gesehen hat.
Eine weitere Teilnehmerin gab an, dass sie sich die Sterbebegleitung anders vorgestellt hat, als es letztendlich erlebt wurde. Zudem äußerten zwei der Befragten, dass ihnen vor der Begleitung bewusst gewesen ist, dass es keine leichte Aufgabe würde, ihren Angehörigen bis zum Schluss zu Hause zu begleiten. Die folgende Aussage soll dieses Gefühl verdeutlichen:
„Aber nun gut, dass es keine leichte Aufgabe werden wird, meine Mutter bis in den Tod zu begleiten, war mir schon bewusst, aber gut was man vorher weiß und wie sich dann alles entwickelt, das sind dann auch noch mal zwei Paar Schuhe“ (H, S.149).
In einem Interview wurde angemerkt, dass im Vorfeld über die Situation einer häuslichen Begleitung gesprochen wurde und dadurch alles so verlaufen ist, wie beide es sich gewünscht haben:
„Also eigentlich ist alles so gekommen, wie wir uns das gewünscht haben“ (B, S.84).
5.2.2.2 Lebensübergang
Die Übernahme einer Sterbebegleitung ist ein entscheidender Übergang im Leben eines jeden Einzelnen und beinhaltet an dieser Stelle vor allem die Rollenverschiebungen innerhalb der Familie und die Unsicherheiten, Hilflosigkeiten, Überforderungen und Ängste, die sich aufgrund der Übernahme einer Sterbebegleitung bei einem Menschen der geliebt wird, ergeben.
Rollenverschiebung in der Familie
Eine Sterbebegleitung kann zu einer Veränderung interfamiliärer Beziehungen führen. Auslöser hierfür kann sein, dass die Angehörigen im Hinblick auf die Erkrankung und den baldigen Tod intensiv beobachten und in ständiger Sorge um das Wohlbefinden des Sterbenden sind. Eine Angehörige bestätigt diese Annahme in einer ihrer Aussagen, in der sie beschreibt, was es bedeutet in einen anderen Menschen hineinzuwachsen:
„Also dieses Hereinwachsen, einem anderen Menschen die Struktur zu geben ist verdammt schwer, das hat mich schwer belastet. Das steckst du nicht weg. Das ist so ernst und so, also da ist ein erwachsener Mensch, der dir dein Leben anvertraut, in jeder Konsequenz, das musst ich verarbeiten. Früher war das genau andersherum“ (C, S. 97).
Allerdings gab diese Probandin anschließend zu bedenken, dass, wenn man einen Menschen liebt, dieses Hereinwachsen möglich ist und dadurch auch eine neue Rolle angenommen werden kann.
In drei Fällen führte die Erkrankung und die Sterbebegleitung auch dazu, dass sich die Rollen der Beteiligten komplett verschoben haben. Eine Teilnehmerin äußerte sich dazu, dass der Mann früher das Oberhaupt der Familie war und jetzt musste das komplette Leben des Mannes organisiert werden. Eine weitere Probandin gab diesbezüglich an, dass der Rollenwechsel von der Ehefrau zur Pflegerin als sehr schwer erlebt worden ist. Diese damit einhergehende Veränderung der Beziehung wurde als sehr belastend erlebt. Eine Gleichberechtigung in der Partnerschaft gab es nicht mehr, so dass sich auch die Liebesbeziehung verändert hat. Die folgende Aussage macht deutlich, was damit gemeint ist:
„Ich war seine Ehefrau und jetzt auf einmal seine Pflegerin, die noch nicht mal Ahnung davon hatte. Ich habe ihn geliebt und jetzt habe ich ihn gewaschen, also mit dieser neuen Rolle kam ich kaum oder anfangs auch gar nicht klar. Es war mein Mann und jetzt, wir hatten keine Beziehung mehr, jedenfalls keine Liebesbeziehung wie sonst.“ (F, S. 133).
In Bezug auf die familiäre Veränderung gab eine Probandin an, dass innerhalb der Familie während dieser Begleitung jeder für sich selbst verantwortlich gewesen ist.
Teilweise wurden Probleme zwischen den innerfamiliären Beziehungen als zusätzliche Beanspruchung empfunden. Es kam bspw. in einem Interview zu mehreren Auseinandersetzungen mit dem Vater und zu einer insgesamt angespannten und gereizten Atmosphäre innerhalb der Familie:
„Ich wills mal ganz deutlich sagen, mein Vater hat sich verweigert... und ich merkte dann auch, dass ich teilweise richtig Wut auf meinen Vater kriegte auch teilweise ungerecht, denn diese Situation war ja auch neu für ihn“ (C, S. 96).
Unsicherheit, Hilflosigkeit, Überforderung und Angst
Fast alle Teilnehmer gaben an, dass sie Angst hatten ihren Angehörigen zu verlieren, also vor dem bevorstehenden Tod des Sterbenden. Durch die Einschätzung und die Bedrohlichkeit mancher Situationen kam bei manchen Befragten Unsicherheit als weitere Belastung hinzu. Grund für die Unsicherheit war in fast allen Fällen die Durchführung von medizinischen und pflegerischen Tätigkeiten. Durch diese Gefühle kam es zur vollständigen Veränderung des alltäglichen Lebens und zur Veränderung der häuslichen Situation, wie beispielsweise einige nötige Umstrukturierungsmaßnahmen (Veränderung des Schlafzimmers, Treppenlift usw.).
Durch die geschilderten Reaktionen gab eine Interviewpartnerin an, dass dies zu Problemen führte, die Beziehung beider zu verbessern:
„Ich mein, vielleicht hab ich auch manchmal überfordert oder ängstlich reagiert, so dass sich das auf meine Mutter übertragen hat und wir deshalb Probleme hatten, unsere Beziehung zu verbessern“ (A, S.78).
Eine Interviewpartnerin musste sich mit extremen Zukunftsängsten auseinandersetzen, sie wusste nicht, wie es nach dem Tod des Mannes für sie weitergehen sollte.
5.2.2.3 Letzte Lebensphase: Probleme und Belastungen
In diesem Kapitel werden die Belastungen und Probleme der Angehörigen, die sich aus einer häuslichen Sterbebegleitung ergeben, dargestellt. Diese beinhalten die ausnahmslose Konzentration auf den Sterbenden, der permanenten Bereitschaft, sowie die unterschiedlichen Mehrfachbelastungen und die Beschwerden des begleiteten Angehörigen.
Ausnahmslose Konzentration auf den Sterbenden und seine Bedürfnisse
Der dominierende Anteil im Leben der Angehörigen bei einer häuslichen Sterbebegleitung stellt der Sterbende mit seinen Bedürfnissen dar. Pflegerische und medizinische Maßnahmen, wie die zeitgleiche Verabreichung von wichtigen Schmerzmedikationen oder die kontinuierliche pflegerische Versorgung bestimmen den Tagesablauf. Alle Tätigkeiten, die den Sterbenden betreffen, aber auch Tätigkeiten die das alltägliche Leben betreffen, müssen genauestens geplant werden, um eine adäquate Versorgung aller Beteiligten zu sichern.
Neben den oben genannten Merkmalen bei der Versorgung, sei an dieser Stelle auch auf das enorme Verantwortungsbewusstsein der Angehörigen hingewiesen. Sie fühlen sich ständig für das Wohlbefinden des Sterbenden verantwortlich. Die permanente Anwesenheit führte bei einem Teil der Befragten zu enormen Belastungen und auch zur Überforderung mit der ganzen Situation. Eine Probandin gab an, durch die Umstellung des eigenen Tagesablaufes auf den des Sterbenden keine Zeit mehr für die eigene Familie zu haben. Um die Wünsche des Sterbenden zu erfüllen, wurde in einigen Fällen der Tagesablauf der ganzen Familie auf den des Sterbenden und seine Bedürfnisse umgestellt:
„Mein Tageslauf oder der Tageslauf innerhalb der Familie ja ist wirklich so von statten gegangen, dass erst meine Mutter kam mit ihren Bedürfnissen und dann die Familie, dies führte zu manchen Belastungen innerhalb der Familie“ (C, S. 95).
24- Stunden Bereitschaft
Fast alle Interviewteilnehmer gaben an, in einem Stadium der erhöhten Wachsamkeit und inneren Bereitschaft zu sein. Durch ständige Kontrolle und Beobachtung des Sterbenden und die korrekte Verabreichung der benötigten Medikamente machten sich diese Anzeichen bemerkbar. Eine Aussage brachte dieses Gefühl auf den Punkt:
„Ich hatte nachher keine ruhige Minute mehr, da ich immer in völliger Alarmbereitschaft war, ständig musste ich gucken, dass J. im Bett oder Stuhl sicher war, ohne dass er sich verletzen konnte. Das war ein schlimmes Gefühl“ (F, S. 134).
Durch diese 24 – Stunden Bereitschaft war ein kurzzeitiges Abschalten nicht immer möglich. Allerdings stellten sich zu diesem Aspekt die Meinungen der Angehörigen als heterogen dar. Einige gaben an, durch die Situation gar nicht abschalten zu können, andere dagegen konnten sich trotz der belastenden Situation kurzzeitig erholen. Zwei Zitate belegen diese unterschiedlichen Ansichten:
„Auch wenn ich dann mal ein Stündchen raus konnte, abschalten konnte ich da nicht“ (B, S. 84).
„Ich hab dann immer gesagt, wenn ich mal für ne Stunde raus war, ihr müsst anrufen..., dann hab ich mich auch mal ein bisschen gelöst. Ne Stunde wollt ich dann auch mal gar nicht daran denken. Das hab ich auch gemacht. Ich bin z.B. auch noch immer Kegeln gegangen, alle zwei Wochen“ (A, S. 72).
Zudem wurde in manchen Interviews auf den erhöhten Arbeits- und Zeitaufwand hingewiesen, der durch die komplette Versorgung eines Sterbenden entsteht. Die genannten Tatsachen und Merkmale dieser Situation führten zudem in manchen Fällen zu Verringerung von sozialen Kontakten und Beziehungen sowie zu Einschränkungen der Freizeitaktivitäten. Diese Tatsachen und die permanente innere Unruhe und Wachsamkeit löste nicht selten Unverständnis bei weiteren Familienmitgliedern und Freunden aus, so dass Spannungen innerhalb des Freundeskreises oder sogar eine völlige Verweigerung seitens der Freunde und Bekannte die Folge waren. Das folgende Zitat verdeutlicht diese Situation:
„Ich hatte fast keine sozialen Kontakte außer im Büro, ...und der Freundeskreis war mit dieser Situation auch völlig überfordert und hat sich dann auch zurückgezogen“ (G, S. 140).
Fehlende Fachkompetenz und Fachwissen
Diese Kategorie ist im Grunde ein Kriterium der Stichprobe gewesen, da viele Menschen, die einen nahen Angehörigen beim Sterben begleiten, keine Fachkräfte sind, ergeben sich durch diesen Aspekt weitere Belastungen und Probleme. Gefühle, aufgrund der Erkrankung und des Sterbens durch fehlendes Wissen überfordert zu sein und auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, stehen daher im Zentrum dieser Kategorie. Belastungen der Angehörigen entstehen dadurch, dass sie trotz fehlendem Fachwissens pflegerische und medizinische Tätigkeiten und Handlungen durchführen müssen, damit der Sterbende zu Hause schmerzfrei und adäquat versorgt werden konnte. Die Auseinandersetzung mit einer völlig neuen Situation beschreibt eine Angehörige wie folgt:
„Aber was sollte ich denn machen, irgendwie war ja doch alles neu und ich kannte mich auch so noch nicht gut aus“ (A, S. 73).
Aufgrund von fehlendem pflegerischen Fachwissens waren fast alle Teilnehmer auf fremde Hilfe angewiesen. Dies führt bei einigen Angehörigen zu Belastungen, sowie zu Schlaflosigkeit und Panik im Umgang mit der Situation. Eine Befragte musste sich zusätzlich mit dem Gefühl des Ekels auseinandersetzen:
„Ich hatte ja auch keine Ahnung von nichts, alles neu und dann war es auch echt manchmal ekelig, auch wenn’s mein Mann war“ (G, S. 141).
Mehrfachbelastungen
Diese Kategorie bezieht sich auf die Angehörigen, die während der Sterbebgleitung mit zusätzlichen Belastungen konfrontiert worden sind. Ein Teil der Befragten war neben der täglichen Begleitung und Betreuung berufstätig (vgl. 5.1). Diese parallel zur Sterbebegleitung bestehenden beruflichen Verpflichtungen können aufgrund der physischen und psychischen Beanspruchung zur Belastung führen. Zudem kamen familiäre Verpflichtungen durch die Versorgung von kleineren Kindern (Probandin E) hinzu. In drei Interviews wurde auf das eigene körperliche Befinden eingegangen, was zusätzlich zu starken Beeinträchtigungen bei der Versorgung des Sterbenden führte. Die körperlichen Beschwerden des begleitenden Angehörigen wirkten sich sowohl auf die körperliche, als auch auf die seelische Verfassung der Teilnehmer aus.
Teilweise entwickelten sich Probleme bei der Durchführung der Intimpflege des Angehörigen. Eine Probandin gab an, dass sie ihre Mutter noch nie nackt gesehen hatte und sie durch die notwendige Intimpflege bei der Mutter stark beansprucht wurde. Der Umgang mit dieser neuen und vor allem intimen Situation führte zu weiteren psychischen Belastungen mit denen umgegangen werden musste. Die folgenden zwei Zitate belegen dieses Gefühl:
„Ich habe meine Mutter als Kind nie nackt gesehen, meine Muttern war sehr... die Schamgrenze war ganz deutlich“ (C, S. 100).
„Die Intimpflege war am Anfang...ganz schlimm und schwer... Das war ne Überwindung bestimmt von beiden Seiten“ (A, S. 76).
In einigen Fällen führte der Verlust der verbalen Kommunikation zu erheblichen Schwierigkeiten die zwischenmenschliche Beziehung zu verbessern oder überhaupt zu erleben. Im Hinblick auf diesen Aspekt kamen einige Probanden überhaupt nicht damit zurecht, dass sie nicht mehr wie früher über die Probleme, Ängste, Sorgen oder einfach über den Tag mit ihrem Partner oder der Mutter sprechen konnten.
Die Schlaflosigkeit, die Symptome der verschiedenen Erkrankungen und Einschränkungen, die in manchen Fällen zu vermehrten Krankenhausaufenthalten führten, sowie die neue und schwere Auseinandersetzung mit der Situation, gaben ein Teil der Befragten als zusätzliche Belastung zu der eigentlichen Aufgabe der Sterbebegleitung an.
Eine Probandin führte an, dass die finanziellen Probleme, die aufgrund der fehlenden Einnahmen des Mannes auf sie zukommen würden, sie so stark belastet haben, dass sie kaum schlafen konnte, da sie neben der Begleitung viel arbeiten musste, um die finanzielle Situation zu verbessern:
„Ja der Nachteil war, dadurch dass ich meine Arbeit dann frei einteilen konnte, hat sich mein Gehalt auch auf die Hälfte reduziert, aber die Arbeit blieb die gleiche, ja und damit musste ich ja auch erst mal zurecht kommen, denn so eine Pflege kostet ja auch was, aber es ging dann eben erst mal nicht anders“ (H, S. 151).
Zu keiner Zeit der Begleitung Belastungen empfunden hat ein Proband von den acht Befragten. Das einzige, was ihn beschäftigt hat, waren Gedanken bzgl. der Situation der Ehefrau. Er hat sich Sorgen gemacht, wie seine Frau mit diesem Zustand zurecht kommt. Auch die Pflege wurde von ihm nicht als belastend erlebt.
Beschwerden des begleiteten Angehörigen
Ziel dieser Kategorie war es, die Symptome und Krankheitszeichen der begleiteten Angehörigen zu erheben und zu bestimmen. Da alle Sterbenden, die begleitet wurden unterschiedliche Erkrankungen oder Todesursachen aufwiesen (vgl. 5.1), ergaben sich verschiedene Symptome und Begleiterscheinungen mit denen sich der Angehörige während der Begleitung auseinandersetzen musste. Fünf der Angehörigen, die begleitet worden sind, erlagen dem Krebs. Allerdings zeigten sich hier unterschiedliche Formen und Ausprägungen, so dass jeder Proband mit ganz anderen und für ihn belastenden Krankheitszeichen umgehen musste.
Schmerzen gaben alle Befragten als zentrale Beschwerde des Sterbenden an. Als besonders belastend wurde hier der Aspekt genannt, dem Angehörigen die Schmerzen nicht abnehmen zu können und ihn leiden sehen zu müssen. Durch die Situation in der sich die Sterbenden befanden, mussten sich alle mit einem allgemeinen körperlichen Abbau und einer Bewegungseinschränkung auseinandersetzen. Zudem gaben ebenfalls fast alle an, mit einer nicht mehr möglichen Nahrungsaufnahme, Inkontinenz und einer großen Unruhe zurecht kommen zu müssen. Durch die Alzheimer Erkrankung bei einer Mutter ergaben sich zusätzlich Wahnvorstellungen, Depressionen, eine für die Krankheit übliche Form der Demenz und damit einhergehende Wortfindungsstörungen.
Bei einer weiteren Begleitung kam es zu vermehrten epileptischen Anfällen, und Lähmungserscheinungen, die sich zusätzlich als sehr belastend herausgestellt haben.
Vermehrte Pneumonien und der Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper ergaben sich bei der Parkinson Erkrankung.
Vereinzelt kam es während der Begleitung zum Dekubitus, zum vermehrten Erbrechen und zu Hyperthermien.
Die unterschiedlichen Symptome führten zu unterschiedlichen subjektiv erlebten Belastungen. Je mehr krankheitsbezogene Symptome und Einschränkungen der begleitete Angehörige aufwies, desto stärker waren die physischen und psychischen Einschränkungen bei den Betreuungspersonen. Eine genaue Gegenüberstellung der erlebten Belastungen und den Symptomen findet nicht statt.
5.2.2.4 Sterbeprozess
Im folgenden Abschnitt wird auf die Bereiche eingegangen, die sich im Sterbeprozess als belastend oder entlastend herausgestellt haben. Es konnten vier Unterkategorien gebildet werden.
Unterstützung und Entlastung
In dieser Kategorie geht es um Unterstützungsangebote und Entlastungs-möglichkeiten die während einer Sterbebegleitung erlebt worden sind.
Keine Hilfe aus dem privaten, sowie aus dem professionellen Umfeld erhalten zu haben, gaben zwei Hauptbetreuungspersonen an, davon hat sich eine aber während der Begleitung bereits Unterstützungsangebote gewünscht.
Ansonsten hatten alle Angehörigen Beistand seitens der Familie, der Nachbarn oder der Freunde. Diese Unterstützung sah bei allen Befragten unterschiedlich aus. In einigen Fällen haben die Nachbarn oder Freunde durch Gespräche geholfen und in anderen Fällen durch verschiedene Hilfeleistungen bei der Versorgung des Sterbenden. Eine Befragte schildert die Situation wie folgt:
„Mein Kegelclub sind 5 Männer, sind lauter Pärchen... und die haben sich son Plan aufgestellt, welcher Mann wann mal eine Nacht hier schläft und mal bei meinem Mann ist. Und ich war so glücklich als die von sich aus kamen und gesagt haben, du das könnten wir dir anbieten...“ (E, S. 125).
Unterstützung durch die Ärzte haben die Hälfte aller Befragten bei der Sterbebegleitung angegeben. Diese institutionelle Hilfe funktionierte bei den vier Befragten sehr gut und führte bei allen zu einer Entlastung bei der Betreuung des Sterbenden. Dies gelang einerseits durch helfende Gespräche und Angebote, wo in so einer Situation Hilfe angefordert werden kann und andererseits durch die fachgerechte Versorgung mit Medikamenten. In allen Fällen gab es zwar einen Hausarzt, der die Familie mitbetreute, aber nicht immer erfolgte der benötigte Beistand so wie es gewünscht worden wäre.
Eine Probandin konnte sich ihre Arbeitszeit frei einteilen und hat diesen Aspekt als sehr entlastend bei der häuslichen Begleitung erlebt.
Ambivalente Gefühle und Situationen
Ein breites Spektrum an Gefühlen und Situationen während des Sterbeprozesses wurde in den Interviews geschildert. Diese Gefühle und Situationen erwiesen sich bei der Auswertung als sehr ambivalent. Ziel dieser Kategorie ist es, einen Überblick über die Empfindungen, mit denen sich Angehörige während des Sterbens bei einem Familienmitglied auseinandersetzen müssen, zu geben.
Fast alle Befragten gaben an, dass dies eine schwere, intensiv erlebte Zeit war, in der sie sehr gelitten haben. Aufgrund der ausweglosen Situation und dem Gefühl, den Sterbenden beschützen zu müssen, entstanden Gefühle der Kraft – und Machtlosigkeit, sowie das Gefühl mit der ganzen Situation überfordert und allein zu sein. Ergebnis dieser Empfindungen war bei einer Probandin, sich selbst zu bemitleiden.
Im Grunde befanden sich alle Teilnehmer in einem „Gefühlschaos“, in dem sie sehr nachdenklich und traurig gewesen sind. Hier zeigten sich aber teilweise auch ambivalente Gefühle. Während der Begleitung bei der Mutter, die an Alzheimer erkrankte, kamen panikartige Gefühle aufgrund des Erinnerungsverlustes hinzu. Wut kam bei einer Hauptperson als dominierende Empfindung während der Sterbephase hinzu, da der Ehemann Dinge unternommen hat, die er aufgrund der Erkrankung nicht mehr durchführen konnte. Keine Schwäche zu zeigen, obwohl sie bereits am Ende ihrer Kräfte war, stand bei einer weiteren Probandin im Mittelpunkt des Erlebten und führte zu einer allgemeinen Gereiztheit und Angespanntheit während der häuslichen Begleitung im Sterben.
Drei Angehörige gaben als zentrale Belastung in den Interviews an, dass sie Angst hatten Ihren Mann oder Ihre Mutter zu töten. Diese Angst resultierte bei allen Beteiligten aufgrund der hohen Morphiumdosierung, auf die der Sterbende in der letzten Lebensphase angewiesen war. Die Aussage der folgenden Probandin erläutert dieses Gefühl:
„Ich hatte ja Morphium ohne Ende hier, um überhaupt diesen Krampfanfall und die Schmerzen die er hat einzudämmen, wie viel Morphium darf ich ihm denn geben, damit es nicht zum Tod führt, weil ich meine ich kenne ja auch die Relationen nicht“ (E, S. 124).
Eine andere Interviewpartnerin erlebte das Leben trotz der Erkrankung als lebenswert, sowohl für sich selbst, als auch für den terminal erkrankten, eine weitere wiederum äußerte mehrfach, dass sie und ihr Mann Hoffnung auf Heilung hatten, bis zum Schluss. Dies zeigt deutlich, welche zwiespältigen Gefühle und Situationen seitens der Probanden erlebt worden sind.
Heterogene Gefühle ergaben sich zudem während des Sterbens des Angehörigen. Das Erleben eines Todeskampfes wurde als belastend und schlimm empfunden und ein friedlicher, ruhiger Tod wurde dagegen als entlastend erlebt. Zwei Zitate belegen die heterogenen Gefühle:
„Das war ganz furchtbar, ehrlich. Wir haben sie hoch gehalten, die kriegte keine Luft mehr, dann hat sie gebrochen, boh das war ganz schrecklich. Die hatte einen ganz schlimmen Tod gehabt“ (A, S. 79).
„Die ganze Familie war dabei. Es war ein ganz friedlicher Tag mit Musik und Kerzen und meine Mutter ist dann in meinen Armen eingeschlafen“ (C, S. 104).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in fast allen Interviews der Tod als Erlösung vom Leid gesehen wurde und als Erleichterung, da dies ein Ende des Leidens für den Sterbenden bedeutet hat.
Zwiespältiger Umgang mit der Situation
Viele der Befragten sahen gemeinsame Gespräche als ein wichtiges Instrument im Umgang mit der neuen Situation an. Leider führten nur drei der Befragten intensive Gespräche über das Sterben und den Tod, obwohl diese Art von Gesprächen von allen Interviewpartnern gewünscht wurde. Inhalt dieser Unterhaltungen war oft der Wunsch des Sterbenden bzgl. der Beerdigung und der Wunsch, dass lebensverlängernde Maßnahmen zu unterlassen seien. In einem Fall wurde das Anliegen nach einer Obduktion geäußert, um die medizinischen Forschungen zu intensivieren. Während dieser Gespräche kam es zu einer tiefen Auseinandersetzung mit der Thematik und im Anschluss wurde es zum Teil als Erleichterung erlebt, darüber gesprochen zu haben, obwohl fast allen Beteiligten diese Gespräche schwer fielen.
Bei fünf Begleitungen kam es zu keiner gemeinsamen Auseinandersetzung über das Sterben und den Tod. Der Versuch ein solches Gespräch zu steuern, führte nicht selten zur Ablehnung und Verweigerung. In einem Interview verweigerten sowohl der Sterbende, als auch der Angehörige diese Art der Konversation. Als möglicher Grund wurde von einer Teilnehmerin der große Altersunterschied genannt und eine weitere gab an, dass solche Gesprächsinhalte immer eine Endgültigkeit bedeuteten und dass es daher schwer fiel, offen darüber zu reden.
Die gute Beziehung, die zwischen einer Tochter und der begleiteten Mutter bestand, hat in einem Fall die fehlenden Gespräche entschädigt.
Der gemeinsame Kontakt zwischen dem begleiteten Angehörigen und der Hauptbetreuungsperson wurde von fast allen Befragten als wichtige Basis für eine Begleitung angesehen. Die oben beschriebenen gemeinsamen Gespräche über das Sterben und den Tod, aber auch Gespräche über Vergangenes oder Alltägliches, Gebete oder die körperliche Nähe waren wichtige Rituale, die zu einem angenehmen, friedlichen Umgang miteinander beigetragen haben.
In einem Interview wurde geschildert, dass die Hobbys des Sterbenden gemeinsam erlebt wurden und dies zu einer intensivierten Nähe der Beteiligten führte und als schön empfunden wurde. Aufgrund dieser gemeinsamen Erlebnisse kam es in vielen Fällen zu einem liebevollen Umgang, der die schwere Situation erleichterte.
Nur in einem Fall wurden keine gemeinsamen Rituale mehr durchgeführt, da ein friedlicher Umgang aufgrund des veränderten Verhaltens und der Erkrankung nicht mehr möglich war.
Persönlichkeitsveränderung
In fünf Begleitungen kam es zu einer Persönlichkeitsveränderung des Sterbenden, die zu starken Belastungen innerhalb der Beziehung führten. Aufgrund der Erkrankung und des fortgeschrittenen Alters wurde der Sterbende aggressiv und widerspenstig. Nach Aussagen der Angehörigen hingegen waren sie früher liebevolle und friedliche Menschen. Im ersten Interview wurde die Mutter zusätzlich noch verwirrt und das Verhalten der Familie gegenüber erwies sich als ablehnender als früher. Diese Veränderungen führten dazu, dass die Betreuungsperson traurig wurde.
Aufgrund der Diagnose zog sich ein Sterbender völlig zurück und ließ niemanden mehr an sich heran. Dies führte bei der betreuenden Frau zu einem Gefühl der Hilflosigkeit:
„Mein Mann zog sich zuerst völlig zurück und ließ niemanden an sich ran auch mich nicht und das war für mich noch schlimmer als alles andere...aber was sollt ich machen“ (G, S. 141).
5.2.2.5 Das Leben danach
Das Leben nach der Sterbebegleitung bezogen auf die verschiedenen Möglichkeiten der Verarbeitung, auf die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben und der Beeinflussung des eigenen Lebens, sowie die abschließende Bewertung der Sterbebegleitung als erlebte Lebenserfahrung stehen im Zentrum dieser Kategorie.
Hilfen zur Verarbeitung
Die Hälfte der Interviewpartner ist nach dem Tod des Angehörigen zusammengebrochen und hat zu Beginn keine Möglichkeit gehabt das Erlebte zu verarbeiten. Eine Probandin musste sich sechs Wochen nach der Begleitung ihrer Mutter direkt mit dem Tod der Schwester auseinandersetzen, so dass keine Zeit für die Trauer über den Verlust der Mutter blieb. Bei zwei weiteren Teilnehmerinnen kam es erst nach drei Monaten bzw. einem Jahr zu einem Zusammenbruch, sie sind z.T. in ein tiefes Loch gefallen.
Nach dem Zusammenbruch haben fast alle Betroffenen versucht den Verlust und den Tod zu verarbeiten. Jeder hat für sich individuelle Möglichkeiten gesucht mit der Situation zurecht zu kommen. Der Gang auf den Friedhof, in die Kirche oder die Gespräche mit anderen Betroffenen über das Internet oder mit Freunden hat den meisten geholfen, den Tod und die Begleitung zu verarbeiten. Fotos zur Erinnerung haben diesen Prozess teilweise unterstützt.
Sieben der Probanden haben sich zudem institutionelle Hilfe gesucht. Trauergruppen und Pflegekreise wurden in Anspruch genommen, um mit Menschen zu sprechen, die ähnliches erlebt haben. Professionelle Hilfe seitens speziell dafür ausgebildeter Therapeuten wurden ebenfalls von einigen wahrgenommen. Eine Interviewpartnerin ist nach dem Tod des Mannes in eine Kur gefahren, um sich seelisch, körperlich und geistig zu erholen.
Keine Hilfe von Außen hat dagegen ein Proband benötigt, er hat die Begleitung und den Tod alleine verarbeitet.
Angst und Hoffnung bezogen auf das eigene Sterben
Sieben Probanden haben sich im Interview mit dem eigenen Sterben beschäftigt. Angst vor dem Sterben zu haben äußerten drei der Befragten, wovon bei einer sich dieses Gefühl aufgrund der erlebten Begleitung verändert hat. Vor dieser intensiven Erfahrung der häuslichen Begleitung gab sie an, große Angst zu haben, aber aufgrund der tatsächlich erlebten Begleitung hat sie diese Angst verloren.
Hier kam es zudem teilweise zur Verdrängung des eigenen Sterbens. Die Angst vor langen Krankheiten kam bei einem Teil der Befragten hinzu. Interessanterweise haben alle Interviewteilnehmer, die einen Todeskampf miterlebt haben diese Art von Ängsten geäußert und sich meist zuvor nicht mit dem Aspekt von Sterben und Tod beschäftigt.
Angst vor dem allein sterben, gab eine Probandin an, da sie ihren Ehemann verloren hat und nun niemanden mehr hat, der sie beim Sterben begleiten kann. Die Hälfte aller Teilnehmer wünschen sich einen schnellen, kurzen und schmerzlosen Tod und haben daher nach der Sterbebegleitung eine Patientenverfügung verfasst, um das Gefühl zu haben, etwas im eigenen Leben und im eigenen Sterben beeinflussen zu können.
Den Wunsch, im Kreise der Familie zu sterben, gaben zwei der Angehörigen an, eine davon äußerte im Hinblick auf diesen Wunsch zusätzlich die Angst, dass sie sich im Sterben evtl. so verändert, wie die eigene Mutter und es daher der Familie schwer fallen könnte diese Art von Begleitung bis zum Tod zu leisten.
Eine durchaus positive Einstellung zum Sterben äußerte lediglich eine Angehörige, für sie wird das eigene Sterben so kommen, wie man vorher gelebt hat. Eine weitere Probandin gab an, dass sie nach dem Zusammenbruch durch eine Gesprächsgruppe zu der Einstellung gekommen ist, dass es sich bei dem Tod vielleicht auch um eine Erlösung handeln könnte.
Beeinflussung des eigenen Lebens
Bezogen auf die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben kam es in den Interviews auch zu einer Beschäftigung mit der Einstellung zum Leben.
Eine verstärkte Beeinflussung des eigenen Lebens nach der Sterbebegleitung hat es für sieben der Befragten gegeben. Für sie hat das Materielle nach dieser Erfahrung weniger an Wert, die eigene Gesundheit und die der Familie kommt nun an erster Stelle:
„Das Materielle hat nicht mehr so sehr viel Wert. Ich denke wir können froh sein, wenn es uns allen gut geht“ (E; S. 128).
„Das Leben sollte man so lange genießen, solange dies noch möglich ist“ (E, S. 128), so ein weiterer Angehöriger. Als zentrales Ergebnis hat ein Proband für sich herausgefunden, dass das Leben und der Tod zusammengehören und hat aufgrund der erlebten Erfahrung prophylaktische Maßnahmen für ein würdevolles Altern und Sterben in die Wege geleitet (Kauf einer großen Wohnung, Absprache mit einem ambulanten Pflegedienst usw.).
Lediglich eine Probandin gab an, direkt nach dem Tod des Angehörigen, das Leben als sinnlos erachtet zu haben, diese Einstellung hat sich aber, aufgrund der Verarbeitung mit einer Trauergruppe, revidiert und sie hat jetzt eine positive Einstellung zum Leben bekommen.
Erlebte Begleitung als Lebenserfahrung
Bemerkenswert war, dass alle Angehörigen aus der häuslichen Begleitungs-situation trotz der zuvor ausführlich beschriebenen Belastungen etwas Positives mitgenommen haben. Fraglich ist hier lediglich, ob die Angehörigen auch die positiven Aspekte genannt hätten, wenn nicht explizit danach gefragt worden wäre.
Als sehr wichtig empfanden die Befragten, dass sie den letzten Wunsch des Angehörigen, zu Hause zu sterben, erfüllen konnten und somit durch die häusliche Sterbebegleitung noch viele schöne und intensive Momente miteinander erleben durften, die evtl. in einer Institution verloren gegangen wären. Zudem hatten sie aufgrund dieser Erfahrung das Gefühl, im Sinne des Sterbenden zu handeln.
Wegen dieser positiven Gefühle entstand bei einem Teil der Interviewpartner ein Gefühl der Dankbarkeit. Aufgrund der erhöhten Belastungssituation einer Sterbebegleitung bei einem Menschen, den man liebt, erlebte ein Teil der Befragten eine sehr enge Bindung zum begleiteten Angehörigen und hatte das Gefühl durch diese intensive Aufgabe zusammengewachsen zu sein.
Eine Befragte fasste die Begleitung wie folgt zusammen:
„...in dieser Zeit bin auch ich gewachsen, denn so eine Situation auch über einen so langen Zeitraum verändert glaub ich jeden Menschen“ (F, S. 132).
„Auf einmal hatten wir das Gefühl, wir wurden belohnt. Obwohl sich das jetzt blöd anhört, denn wir haben ja jemanden den wir lieben, verloren. Aber durch diese intensive Zeit wurde uns viel zurückgegeben“ (F, S. 136).
[...]
- Arbeit zitieren
- Verena Dietrich (Autor:in), 2006, Den letzten Weg gemeinsam gehen - Die psychischen Belastungen von Angehörigen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76420
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