Mit dem Augsburger Religionsfrieden (ARF) von 1555 wurde die Verrechtlichung konfessionspolitischer Konflikte geschaffen, denn trotz der darin bestimmten essentiellen Vorraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben beider Konfessionen waren diverse Kontroversbereiche nur lückenhaft, unklar und kompromisshaft geregelt worden. Für das Reichskammergericht (RKG) als höchste judikative Instanz entstand mit den Bestimmungen des ARF und deren rechtlicher Einhaltung eine unredliche Stellung innerhalb einer Grauzone zwischen Recht und Glauben, Alter Kirche und Confessio Augustana sowie religiöser Wahrheitsfrage und verfassungsrechtlicher Neutralität. Da die Politik im konfessionellen Zeitalter hauptsächlich konfessionelle Politik war, stellte sich auch die Frage nach der Funktion des RKG in den religionsverfassungsrechtlichen Konflikten neu. Schon gleich nach 1555 wurde es von beiden Religionsparteiungen in Religionskonfrontationen unterschiedlichster Art und Weise um Rechtschutz angerufen - und das in regester Frequentierung. Am strittigsten erwies sich die Rechtsprechung bezüglich der Bestimmungen des ARF, die nur mangelhaft die weitere Verfahrensweise bei säkularisierten mittelbaren Klostergütern seit 1555 regelten. In diesen Zusammenhang gehört auch der so genannte „Vierklosterstreit“: Jene vier verschiedenen vor dem RKG ausgetragenen Streitigkeiten sollten letzten Endes zu reichspolitischen Konsequenzen breitesten Ausmaßes, nämlich zum Zusammenbruch der außerordentlichen Revisionsinstanzen und mithin der gesamten Reichsjustiz führen.
In der folgenden Abhandlung soll der Frage nachgegangen werden, wie es denn trotz der breiten Inanspruchnahme des RKG in Religionsprozessen durch Angehörige beider Konfessionsparteien und der damit scheinbar verbundenen Akzeptanz des Gerichts möglich sein konnte, es zu einem wesentlichen Teil zu lähmen und so das herbeizuführen, was Klaus Mencke als „die schwerste Krise der Rechtspflege im Alten Reich“ bezeichnete (1984: 130).
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I Die Vorgeschichte
- I.1 Das Reichskammergericht und die Religionsprozesse seit 1524
- I.2 Die Bestimmungen des ARF zum Einzug von Kirchengütern
- II Die Prozesse
- II.1 Die „Vierklosterprozesse“
- II.1.1 Der Prozess um Kloster Christgarten
- II.1.2 Der Prozess der Ritter von Hirschhorn
- II.1 Die „Vierklosterprozesse“
- III Die Einordnung der „Vierklosterprozesse“ und ihre Folgen
- III.1 Die Bedeutung der Prozesse
- III.2 Die Problematiken der Rechtsnormen
- III.3 Die Ansätze des Reichskammergerichts zur Lösung des „Vierklosterstreites“
- III.4 Die Wertung der Rechtssprechung
- III.5 Auswirkungen der Rechtsprechung – Die „Sprengung“ der Reichsjustiz
- Schlussbetrachtungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Lähmung der Reichsjustiz im 16. Jahrhundert, insbesondere im Kontext des „Vierklosterstreites“, und analysiert die Gründe für diese Krise. Dabei werden die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens (ARF) von 1555 und deren Auswirkungen auf die Rechtsprechung des Reichskammergerichts (RKG) im Zentrum der Analyse stehen.
- Die Rolle des Reichskammergerichts in Religionsprozessen
- Die Bestimmungen des ARF und ihre Auslegung durch das RKG
- Der „Vierklosterstreit“ als Beispiel für die Konflikte um die Interpretation des ARF
- Die Ursachen für die Lähmung der Reichsjustiz
- Die Folgen der Rechtsprechung des RKG für das Reich
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und stellt die Problemlage dar: Der ARF von 1555 brachte zwar eine Verrechtlichung konfessioneller Konflikte, hinterließ aber auch unklar geregelte Bereiche, insbesondere hinsichtlich der Einziehung von Kirchengütern. Dies führte zu einer Reihe von Rechtsstreitigkeiten vor dem RKG, unter anderem dem „Vierklosterstreit“, der schließlich zur „Sprengung“ der Reichsjustiz beitrug.
Der erste Teil der Arbeit beleuchtet die Vorgeschichte: Es wird die Stellung des RKG in Religionsprozessen vor dem ARF beleuchtet, und die Rolle des Gerichts als „Instrument zur Erhaltung der Alten und zur Bekämpfung der neuen Kirche“ wird dargestellt. Außerdem werden die Bestimmungen des ARF zum Einzug von Kirchengütern und deren rechtliche Auswirkungen auf das RKG erläutert.
Im zweiten Teil der Arbeit werden die „Vierklosterprozesse“ vorgestellt. Dabei wird auf die Streitgegenstände und den Verfahrensgang der Prozesse eingegangen, die sich aus den unterschiedlichen Interpretationen des ARF ergaben.
Der dritte Teil der Arbeit untersucht die Einordnung der „Vierklosterprozesse“ und deren Folgen für die Reichsjustiz. Es werden die Bedeutung der Prozesse für die rechtliche Interpretation des ARF und die damit verbundenen Problematiken der Rechtsnormen beleuchtet. Außerdem werden die Ansätze des RKG zur Lösung des Streits und die Auswirkungen der Rechtssprechung auf die Reichsjustiz analysiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Themen Reichsjustiz, Religionsfrieden, Konfessionelle Konflikte, Reichskammergericht, „Vierklosterstreit“, Rechtsprechung, Rechtsnormen und die Auswirkungen der Rechtsprechung auf die Politik des Heiligen Römischen Reiches.
- Quote paper
- Dominik Jesse (Author), 2005, Die wohl schwerste Krise der Rechtspflege im Alten Reich - Die Lähmung der Reichsjustiz vor dem Hintergrund des Vierklosterstreites, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76378