SURREALISMUS, Subst., m. – Reiner psychischer Automatismus, durch den man mündlich oder schriftlich oder auf jede andere Weise den wirklichen Ablauf des Denkens auszudrücken sucht. Denk-Diktat ohne jede Kontrolle durch die Vernunft, jenseits jeder ästhetischen oder ethischen Überlegung. (Breton 1996: 26)
Eine zentrale Person der surrealistischen Bewegung war André Breton. Er war theoretischer Vordenker, indem er die Manifeste des Surrealismus schrieb, tätiger Dichter, der mehrere Werke veröffentlichte, und auch an der Herausgabe surrealistischer Zeitschriften beteiligt. Darüber hinaus war er zentral an der Entwicklung und Weiterentwicklung der „surrealistischen Idee“ beteiligt, war somit ebenso mitverantwortlich für die Aufnahme oder den Verstoß von Mitgliedern der surrealistischen Gruppe.
Die Surrealisten – und allen voran André Breton – haben eine Reihe von literarischen Techniken und Anwendungen bevorzugt (teilweise auch erfunden), die sie von Vertretern anderer literarischer Strömungen oder Bewegungen unterscheiden. Ich werde in meiner Arbeit zunächst diese surrealistischen Merkmale darstellen, um die Maximen einer surrealistischen Welt aufzuzeigen. Im weiteren Verlauf werde ich diese Merkmale konkret in der literarischen Praxis überprüfen, nämlich an Bretons Nadja – einem literarischen Schlüsselwerk des Surrealismus. Damit hoffe ich eine Verbindung von Theorie und Praxis zu schaffen, die vor allem die Möglichkeiten der praktischen Anwendung aufzeigt.
Inhalt
Vorbemerkungen
Das surrealistische Weltbild
Surrealistische Darstellungstechniken/Vermittlungsversuche
Nadja
Allgemeines
Gegenteil des Romanhaften
Anekdoten
Realitätsvermittlung
Surrealität
Tagebuchform
Was ist Nadja ?
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Vorbemerkungen:
SURREALISMUS, Subst., m. – Reiner psychischer Automatismus, durch den man mündlich oder schriftlich oder auf jede andere Weise den wirklichen Ablauf des Denkens auszudrücken sucht. Denk-Diktat ohne jede Kontrolle durch die Vernunft, jenseits jeder ästhetischen oder ethischen Überlegung. (Breton 1996: 26)
Eine zentrale Person der surrealistischen Bewegung war André Breton. Er war theoretischer Vordenker, indem er die Manifeste des Surrealismus schrieb, tätiger Dichter, der mehrere Werke veröffentlichte, und auch an der Herausgabe surrealistischer Zeitschriften beteiligt. Darüber hinaus war er zentral an der Entwicklung und Weiterentwicklung der „surrealistischen Idee“ beteiligt, war somit ebenso mitverantwortlich für die Aufnahme oder den Verstoß von Mitgliedern der surrealistischen Gruppe.
Die Surrealisten – und allen voran André Breton – haben eine Reihe von literarischen Techniken und Anwendungen bevorzugt (teilweise auch erfunden), die sie von Vertretern anderer literarischer Strömungen oder Bewegungen unterscheiden. Ich werde in meiner Arbeit zunächst diese surrealistischen Merkmale darstellen, um die Maximen einer surrealistischen Welt aufzuzeigen. Im weiteren Verlauf werde ich diese Merkmale konkret in der literarischen Praxis überprüfen, nämlich an Bretons Nadja – einem literarischen Schlüsselwerk des Surrealismus. Damit hoffe ich eine Verbindung von Theorie und Praxis zu schaffen, die vor allem die Möglichkeiten der praktischen Anwendung aufzeigt.
Das surrealistische Weltbild:
Das surrealistische Weltbild hat seinen Ursprung in der Unzufriedenheit der selbstauferlegten Begrenzungen des menschlichen Daseins. Das surrealistische Bewusstsein legt keinen Wert auf Konventionen, sondern sucht neue Erfahrungen. Es trachtet nach der Erforschung fremden Terrains, nach der Empfindung bislang unbekannter Gefühle, nach einer Intensivierung der menschlichen Wahrnehmung; es zieht intensivierte Erfahrungen dem „Gleichgewicht“ vor. (vgl. Bréchon 1972: 23) Einschränkungen und Begrenzungen, Maß und Struktur versucht der Surrealismus zu negieren und zu bekämpfen. „Die Surrealisten streben ein Leben ohne Grenzen an – die normale, alltägliche Existenz wird verworfen.“ (Fassbinder-Davidowicz 2000: 12)
Regeln und Beschränkungen des täglichen Lebens als kulturelle Errungenschaften der historischen Entwicklung entziehen den Menschen seiner eigentlichen Erfüllung. Braun sieht den Menschen daher als einen Gefangenen seiner eigenen Geschichte, wenn sie sagt:
Für die Surrealisten war der Mensch bisher nicht nur Gefangener der Natur, sondern vor allem Gefangener seiner selbst, da er seine irrationalen Schätze und Fähigkeiten missachtete und nur die Vernunft sprechen ließ. (Braun 1977: 24)
Die angesprochene Erfüllung findet er nach surrealistischer Sichtweise in der subjektiven Erkenntnis, der Erweiterung seines Bewusstseins, welche allerdings an die Bedingung der Freiheit gekoppelt ist. Die Surrealisten versuchen eine Neu-konzeption der Ich-Erfahrung, welche die Welt vom Subjekt und den Kräften des Unbewussten her entwirft (vgl. Hölz 1980: 91). Um das zu erreichen bedarf es der Freiheit und der Erkenntnisfähigkeit. Wesentliche Elemente zur Erlangung von Freiheit und Erkenntnis sind die Liebe ebenso wie die Literatur selbst. Sie sollen zu Selbsterkenntnis und weiters zur Veränderung der Welt führen. Denn durch diese Selbsterkenntnis und die darüber hinausgehende Weltveränderung soll der Mensch wieder eine Einheit mit seiner Umwelt werden. Der Surrealismus hat hier quasi eine Mittlerposition zwischen der Lehre Freuds und des Marxismus, denn die geheimen Wünsche, Begierden und Träume sollen freigelegt werden, den Menschen befreien, und damit durch schöpferisches Handeln die Gesellschaft verändern. (vgl. Braun 1977: 25) Es spiegelt sich hier die Sehnsucht nach dem Urzustand, der in romantischer Tradition steht und die Vorherrschaft der Vernunft – wie sie der Aufklärer Descartes propagierte – bekämpft, wider. Da diese logische Vernunft die Existenz des Menschen letztlich nicht erklären kann, fügt der Surrealismus diesem Konstrukt die menschliche Einbildungskraft und Sensibilität hinzu; der Surrealismus setzt damit auf Fantasie, Traum und Emotion sowie Liebe um einem umfassenden Weltbegriff näherzukommen; kurz gesagt ist es das Unbewusste, das vom Surreal-ismus hervorgestrichen – gegenüber dem Bewussten aufgewertet – wird. Doch was genau ist das Bewusste bzw. Unbewusste? Da die Surrealisten – allen voran Breton – oft auf Freuds Lehre zurückgriffen, will ich hier seine Definition zitieren:
Wir wollen nun die Vorstellung, die in unserem Bewusstsein gegenwärtig ist und die wir wahrnehmen, „bewusst“ nennen […]; hingegen sollen latente Vorstellungen, wenn wir Grund zur Annahme haben, dass sie im Seelenleben enthalten sind – wie es beim Gedächtnis der Fall ist (war) – mit dem Ausdruck „unbewusst“ gekennzeichnet werden. (Freud 1975: 29)
Bei Breton spielt in der verhältnismäßigen Darstellung dieser Konstellation das Fenster eine wichtige Rolle. Bei einem seiner ersten surrealen Experimente erscheint ihm „ein Satz, […], der ans Fenster klopfte. […] Dieser Satz […] lautete etwa so: ‚Da ist ein Mann, der vom Fenster entzweigeschnitten wird.’“ (Breton 1996: 23) Das Fenster zeigt die unmittelbare Zweiteilung des menschlichen Seins, eine Teilung, die die Surrealisten nicht hinnehmen wollen. Lenk sieht darin einen undurchdringlichen Schleier des Bewusstseins, der den Menschen im Diesseits der bewussten Welt verwelken lässt. „Solange einer bei Bewusstsein ist, bleibt er diesseits der Scheibe.“ (Lenk 1971: 72)
Nichtsdestotrotz steht die Erfahrung des Unbewussten, die zur ursprünglichen Einheit führt, jedem Menschen offen. Gegen die allgemeine Tendenz der logischen Vorherrschaft setzt der Surrealismus eine dialektische Einheit von Vernunft und Gefühl, die zusammengenommen eine Einheit, eine Totalität der Wahrnehmung, bilden. In dieser Totalität findet sich der Mensch in seiner „unbegrenzten Ganzheit“, in allen Möglichkeiten des menschlichen Seins, wieder (Fassbinder-Davidowicz 2000: 15). Damit steht der Surrealismus im Gegensatz zur – damals aktuellen – positivistischen Strömung, die in der Empirie, in der Wissenschaft und Technik die genauest mögliche Erklärung der Welt sieht. Dementsprechend verzichtet der Surrealismus auf die bloße Analyse von Erfahrungswerten und verlangt die vollständige Freiheit des Geistes. Ewige Werte und unerschöpfliche Kreativität werden temporären Strömungen und der Last der Gewohnheiten entgegengesetzt (vgl. Durozoi 1972: 84). Das Ziel ist die vormalige Einheit wiederherzustellen, die ursprüngliche Zusammenhanglosigkeit wiederzufinden. Sie stellt allerdings keine logische Einheit dar, sondern viel eher eine willkürliche, absurde Einheit – schließlich repräsentiert sie den Menschen, das Leben ganz allgemein.
Um die begrenzte Wahrnehmung des Menschen aufzusprengen und damit wieder zur besagten ursprünglichen, elementaren Einheit zurückzufinden, bedient sich der Surrealismus verschiedener Hilfsmittel. Ein wesentliches Strukturmuster dabei ist das der Analogie. Sie ist ein spontaner Bezug von Dingen, die unter normalen Umständen keine Beziehung zueinander aufzuweisen scheinen. Im Surrealismus kommt es zu einer häufigen Verwendung von eben diesen Analogien, die ein enorm üppiges Bildervokabular ermöglichen. Hier unterscheidet sich eine empirische Auffassung der Analogie – sie liegt im Bereich der Erfahrung – von einer eso-terischen Auffassung – die das Analogiesystem in eine transzendente Welt entrückt. An letzterer war auch Breton sehr interessiert, doch geht er nie soweit daraus eine transzendente Erklärung der Welt zu machen. Nichtsdestotrotz begreift sich der Surrealismus nicht als rein künstlerische Bewegung sondern sieht sich sehr wohl als eine Weltanschauung, die mit Hilfe der Kunst/Poesie versucht die Welt zu verändern (vgl. Braun 1977: 56).
Surrealistische Darstellungstechniken/Vermittlungsversuche:
Die Surrealisten versuchen mit ihren unterschiedlichen Aktivitäten, Darstellungen und Themen letztlich nichts anderes, als das Unterbewusstsein zu aktivieren, es dem Bewusstsein in Erinnerung zu rufen und damit in die Denk- und Handlungsweise einzubeziehen. Das Spiel ist dabei eine bedeutende surrealistische Aktivität, da das darin enthaltene Lustprinzip dem Realitätsprinzip am weitest möglichen distanziert ist (vgl. Bréchon 1972: 74). Ein wichtiges Sprachspiel ist dabei das cadavre exquis, bei dem sich die Teilnehmer nacheinander ein Blatt reichen, auf welches jeder ein Wort schreibt ohne das vorherige zu lesen (Subjekt, Prädikat, Objekt,…). Die dabei entstehenden Sprachbilder helfen dem Menschen sich einer zusammenhanglosen Welt zu nähern, die ihn letztlich auch dem Automatismus nahe bringen. Ähnlich wie das Spiel ist auch die Verwendung von Humor zu sehen. Auch hier werden – wie beim poetischen Bild – zwei entfernte, scheinbar nicht zusammengehörige Elemente in Verbindung gebracht (vgl. Bréchon 1972: 79f).
Die Darstellung des Traumes ist ein wesentliches Element in der surrealistischen Darstellung der Welt. Mit ihm und in ihm entfaltet sich ein wesentlicher Teil der menschlichen Realität, weshalb er nicht weniger real ist als der Wachzustand (vgl. Bürger 1971: 88). Bald gehen manche Meinungen der surrealistischen Bewegung so weit, dem Traum Kontinuität, die nur vom Wachsein unterbrochen wird, zuzusprechen. In Ergänzung dazu wird der Traum als Erkenntnismittel angesehen. Eine allgemeine surrealistische Auffassung kann hier aber nicht festmachen werden, da sie stetig zwischen psychologischer – an Freud angelehnter – und magischer – in Nähe der Romantik befindlicher – Auslegung pendelt. (vgl. Bréchon 1972: 38)
Der Traum befreit den Menschen von den Beschränkungen der Materie, des Determinismus und den Forderungen des sozialen Lebens. Die Entstehung der Traumbilder ist dabei nicht auf den Traum selbst zurückzuführen, sondern basiert auf dem Wachtraum oder der Hypnose. Ich möchte mich hier auf Bréchon beziehen, der die für die surrealistische Verwendung bedeutenden Eigenschaften des Traumes in folgende vier Punkte eingeteilt hat: das Fließen, die Inkohärenz, die symbolische Funktion und die Freiheit (vgl. ebd. 40-45).
Das Fließen beruht auf der Annahme der stetig möglichen Metamorphose der Dinge bis hin zu einer Welt der Verschmelzung, in der alles in enger Beziehung zueinander steht, was letztlich auch zu einer diffusen Wahrnehmung führt. Gegenteilig kann die Traumwelt auch zusammenhanglos erscheinen bzw. inkohärent sein. Gerade hier kann es zu einer Zusammenkunft scheinbar unzusammenhängender Dinge kommen. Der Traum scheint hier eine unbekannte, tiefer liegende Struktur der Wirklichkeit offenzulegen, in der die Dinge aus ihrer unmittelbaren Umgebung gelöst sind. Der Surrealismus versucht hier durch die Zusammenführung möglichst entfernter Dinge bisher unbekannte – weil in der Tiefenstruktur verborgene – Objektbeziehungen herzustellen. Die durch die beiden bereits genannten Eigenschaften entstehenden Traumbilder sind nicht immer willkürlich, sondern verweisen teilweise auf einen universellen Symbolismus. Vergleicht man die Träume einer Personengruppe, so ist ein kollektives Repertoire festzustellen, welches eine Nahbeziehung zwischen symbolischer Bedeutung und kollektivem Unbewussten herstellt. Darüber hinaus liefern Bilder traumhaften Ursprungs materielle Elemente, die sehr konkret und gleichzeitig gefühlsbetont übermittelt werden. Nicht der praktische Nutzen ist hier entscheidend, sondern das Verlangen, welches im alltäglichen Leben meist unterdrückt wird. Der Traum bietet somit größere Freiheit; die Leichtigkeit siegt hier über die Zwänge und Einschränkungen der Realität.
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- Quote paper
- Dominik Böhm (Author), 2006, André Bretons "Nadja" - Surrealistische Techniken und ihre praktische Anwendung in der Literatur, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76299
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