Aristoteles (384-322 v. Chr.) widmet sich dem Thema Freundschaft in der Nikomachischen Ethik sehr ausführlich. Gleich zwei ganze Bücher, die Bücher VIII und IX, behandeln das Thema Freundschaft. Damit wird die Freundschaft ausführlicher behandelt als irgendein anderes Thema der Nikomachischen Ethik. Freundschaft verbindet sich bei Aristoteles auch mit anderen zentralen Begriffen seiner Ethik, den Begriffen der Tugend, der arethē, und des Glücks, der eudaimonia. Ziel dieser Arbeit soll es sein, die Freundschaft als Teil eines lebenspraktischen Gesamtentwurfs bei Aristoteles zu zeigen und zu untersuchen, ob unser heutiger Freundschaftsbegriff noch von der aristotelischen Konzeption geprägt ist.
INHALTSVERZEICHNIS
0. Vorbemerkung
1. Was sagt Aristoteles über Freundschaft?
a. Die Arten der Freundschaft
b. Freundschaft und Tugend/ arethē
c. Freundschaft und Glück/ eudaimonia
2. Warum ist das Nachdenken über Freundschaft ein Teil der Ethik?
3. Was verbindet den heutigen Freundschaftsbegriff mit der aristotelischen Konzeption?
4. Zusammenfassung
5. Literaturverzeichnis
0. Vorbemerkung
Freundschaft ist ein wichtiges Moment des Lebens. Wir alle haben Freunde – mal lockerere, mal engere Bündnisse fürs Leben oder einen bestimmten Lebensabschnitt. Jeder strebt bereits in frühestem Kindesalter danach, in sozialen Kontakten Bestätigung und Sicherheit zu erleben. Nur 17 % der Bundesbürger gaben in einer Umfrage an, keine Freunde zu besitzen, hingegen 83 %, dass sie enge Freundschaften pflegen, und 24 % gaben an, sogar täglich Kontakt mit ihren Freunden zu pflegen.[1] Gerade in der heutigen Zeit, in der zerbrechende Beziehungen zu einer Grunderfahrung menschlichen Zusammenlebens gehören und berufliche Bündnisse auf unsicherem Boden geschlossen werden, könnte der Freundschaft eine wichtige Rolle zukommen. Am Ende eines gesellschaftlichen Individualisierungs-prozesses angekommen, verspricht Freundschaft für den Einzelnen so etwas wie der letzte Zufluchtsort der Erfahrung eines gelingenden sozialen Miteinanders zu sein.
Warum aber haben wir Freunde? Wie soll man Freundschaften pflegen, damit diese ein Leben lang halten? Und welche Art der menschlichen Begegnung verdient überhaupt den Namen „Freundschaft“? Ist man mit dem Freund um des eigenen Wohlergehens willen befreundet oder liegt einem dabei vielmehr das Glück des Freundes am Herzen? Versuche, diese Fragen zu beantworten, überlässt man heute der Sozialpsychologie[2] und den Journalisten[3]. Dies mag daran liegen, dass wir – der zentralen Rolle, die Freundschaft für die Balance und das Gefühl innerer Sicherheit in unserem täglichen Leben spielt zum Trotz – das Thema Freundschaft als etwas sehr Privates betrachten, was nicht zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte taugt und eher aus der Lebenspraxis des Einzelnen erwächst, als dass sie eines theoretischen Überbaus bedürfe.
In der Antike war das anders. Dort war das Nachdenken über Freundschaft ein großes Thema für die Philosophie wie für den Menschen im Alltag. „Friendship was associated in the popular mind with courage, with republicanism and with the spirited resistance to injustice and tyranny“[4], und um berühmte Freundespaare wie Herakles und Iolaos, Orest und Pylades oder Achill und Patroklos rankten sich viele Erzählungen. Da sich das Thema Freundschaft dabei stets mit dem Thema der Tugend oder dem richtige Leben verband, behandelten auch Philosophen wie Platon[5], Epikur[6] oder Cicero[7] die Freundschaft in ihren Texten.
Auch Aristoteles (384-322 v. Chr.) widmet sich dem Thema Freundschaft in der Nikomachischen Ethik sehr ausführlich. Gleich zwei ganze Bücher, die Bücher VIII und IX, behandeln das Thema Freundschaft. Damit wird die Freundschaft ausführlicher behandelt als irgendein anderes Thema der Nikomachischen Ethik.[8] Freundschaft verbindet sich bei Aristoteles auch mit anderen zentralen Begriffen seiner Ethik, den Begriffen der Tugend, der arethē, und des Glücks, der eudaimonia. Ziel dieser Arbeit soll es sein, die Freundschaft als Teil eines lebenspraktischen Gesamtentwurfs bei Aristoteles zu zeigen und zu untersuchen, ob unser heutiger Freundschaftsbegriff noch von der aristotelelischen Konzeption geprägt ist.
1. Was sagt Aristoteles über Freundschaft?
Aristoteles benutzt in der Nikomachischen Ethik einen recht weiten Begriff von Freundschaft, der eine große Bandbreite möglicher menschlicher Umgangsformen miteinander im Blick hat. Lediglich der Umgang mit oder das Gefühl zu unbelebten Dingen ist für ihn nicht mit dem Begriff Freundschaft zu bezeichnen: „Bei der Vorliebe für leblose Gegenstände spricht man nicht von Freundschaft“[9]. Unbeseelte Dinge kann man zwar lieben[10], ihnen aber nicht in Freundschaft verbunden sein. Dagegen benutzt er den Begriff Freundschaft für so unterschiedliche menschliche Begegnungsformen wie die zwischen dem Lehrer und dem Schüler[11], der Mutter und dem Kind[12], dem älteren Mann und dem jungen Mann[13], den gemeinsam brüderlich aufgewachsenen Freunden[14] oder sogar dem Herren und dem Diener[15]. Das liegt daran, dass Aristoteles die Freundschaft als einen Austausch begreift. Freundschaft ist eine Tätigkeit, in der beide Parteien der Freundschaft geben und nehmen. Ohne dies wäre es keine Freundschaft: „Freunde, die gleich sind, müssen die Gleichheit in Zuneigung und den sonstigen Beziehungen verwirklichen, ungleiche Freunde dagegen müssen sich gegenseitig das leisten, was ihrer Überlegenheit proportional ist“.[16]
Je nach Art dessen, was Gegenstand des Austauschs und gemeinsames Ziel der Freunde ist, sind drei Arten der Freundschaft zu unterscheiden.
a) Die Arten der Freundschaft
Zu Beginn seiner Ausführungen über die Freundschaft (VIII,3) unterscheidet Aristoteles drei Grundtypen von Freundschaft, die er in ihrem Wert hierarchisch gliedert: an unterster Stelle steht die Freundschaft um des Nutzens willen, den ein Freund am anderen hat, dann folgt die Freundschaft um der Lust und des Vergnügens willen, welche man mit oder am Freund empfindet. Und schließlich bildet die höchste Stufe die Freundschaft, welche dem Freund um seines Wesens willen das Gute wünscht und versucht, dies Gute auch durch Taten und Handlungen dem Freund angedeihen zu lassen.
Doch auch wenn Aristoteles die ersten beiden Typen zunächst in seine Überlegungen zur Freundschaft mit einbezieht und auch in der Folge immer wieder auf sie (quasi als Kontrastmittel) zurückkommt, so wird doch schnell klar, dass es ihm im wesentlichen um die letzte und höchste Art der Freundschaft, der Tugendfreundschaft zu tun ist, denn:
„Wo also der Nutzen das Motiv der Befreundung bildet, da lieben sich die Menschen, weil sie für sich einen Vorteil erstreben, und wo Lust das Motiv ist, geschieht es, weil sie für sich Lust erstreben, also nicht insofern der Partner eben (schlicht) der Befreundete ist, sondern indem er nützlich und angenehm ist. Und so sind das also Freundschaften im akzidentiellen Sinn. Denn nicht deshalb, weil er der ist, der er ist, wird der Befreundete geschätzt, sondern insofern er irgendein Gut oder eine Lust verschafft.“[17]
Es ist also das Mehr oder Zuviel an Austausch, was die Freundschaft quasi verunreinigt. denn über die Freude an der Teilhabe an der Persönlichkeit des anderen und das Erweisen von Freundschaftsdiensten hinaus muss in dem Austausch dieser Zweck- oder Lustfreundschaften nicht nur etwas anderes fließen – Lust oder Nutzen eben -, sondern dieses Mehr macht die Freundschaft sogar erst aus. Ohne dies würde die Freundschaft gar nicht begründet und ist nach Aristoteles nach dem Versiegen der Austauschleistung auch oft schnell beendet. Dies liegt daran, dass die Persönlichkeit der Partner in diesen Zwecks- und Lustfreundschaften allein als defizitär empfunden würde und als nicht der Freundschaft wert.
Daraus folgt, dass die Tugendfreundschaft nur von besonders moralisch herausragenden Persönlichkeiten eingegangen werden kann. In ihr sind nämlich Nutzen und Lust enthalten[18], aber nur, wenn die Freunde in der Lage sind, aus dem moralisch Guten Nutzen zu ziehen und an ihm Lust zu empfinden[19]. Dies aber ist den moralisch hochstehenden Menschen vorbehalten.
Diese Tugendfreundschaft zeichnet sich dadurch aus, „that the perfect friend loves and seeks to benefit his friend for the friend’s own sake”[20]. Damit dieser Austausch gelingen kann, ist Gleichheit zwischen den Freunden wichtig („Äußere und innere Gleichheit aber bedeutet Freundschaft und ganz besonders die Gleichheit an sittlichem Wert“[21] ), denn bei Ungleichheit bilden sich in der Tendenz eher Zweckfreundschaften: „Aus Gegensätzen …entsteht erfahrungsgemäß am ehesten die Freundschaft um des Nutzens willen.“[22]
Diese Freundschaft bezeichnet Aristoteles als die vollkommene Freundschaft, denn „nur hier erhält jeder in jeder Hinsicht das, was er gibt, in derselben oder in ähnlicher Form zurück.“[23]. Sie ist dauerhaft und von Gleichheit und gegenseitigem Vertrauen und gegenseitiger Hilfe geprägt. Am ehesten entsteht diese Freundschaft zwischen Menschen, die sich schon lange kennen, am besten sogar miteinander aufgewachsen sind, und möglichst häufigen Umgang pflegen, denn: „auch Erfahrung muss man gewonnen haben und zu gegenseitiger Vertrautheit gelangt sein“[24] und „dies kann Wirklichkeit werden durch das Beisammensein im täglichen Leben und die Gemeinschaft in Wort und Gedanke“.[25]
Wenn diese Freundschaft aber nützlich und zugleich angenehm ist, ist sie aber auch dazu beschaffen, den Lebenszielen des Menschen, dem Glück und der Tugend näher zu kommen?
b) Freundschaft und Tugend/ arethē
Aristoteles beginnt seine Ausführungen über die Freundschaft damit, dass er sie bestimmt als „eine Trefflichkeit menschlichen Wesens oder eng mit ihr verbunden“. Trefflichkeit meint hier einen der zentralen Begriffe der Nikomachischen Ethik, den der arethē, derTugend. Durch die Zuordnung der Freundschaft zum Tugendbegriff oder zumindest in seine Nähe, wird plausibel, dass die ausführliche Behandlung des Themas der Freundschaft als wichtiger Bestandteil der aristotelischen Tugendlehre zu verstehen ist.[26]
[...]
[1] Nach: Wohlfahrtssurvey Trend 2001, zit. in Christiane Grefe: Wie man in Deutschland befreundet ist. Aus: Die Zeit 10/2004
[2] Vgl. Ann Elisabeth Auhagen: Freundschaft. In: H.W. Bierhoff und D. Frey: Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie. Göttingen: Hogrefe 2006, S. 483-498
[3] Vgl. Martin Hecht: Wahre Freunde. Von der hohen Kunst der Freundschaft. München: DVA 2006
[4] Lorraine Smith Pangle: Aristotle and the Philosophy of Friendship. Cambridge: Cambridge University Press 2003,
[5] 427-347 v. Chr., gemeint ist Lysis
[6] ca. 341-270 v. Chr., gemeint ist De finibis bonorum et malorum
[7] 106.47 v. Chr. , gemeint ist De amicitia
[8] vgl. David Bostock: Aristotle’s Ethics. Oxford: Oxford University Press 2000,
[9] 1155 b, S. 215. Alle Angaben und Zitate nach Aristoteles: Nikomachische Ethik. Übersetzt von Franz Dirlmeyer. Stuttgart: Reclam 1983
[10] 1158 a, S. 222, a.a.O.
[11] 1164 b, S. 245, a.a.O.
[12] 1159 a, S.227, a.a.O.
[13] 1155 a, S. 213, a.a.O.
[14] 1162 a, S. 235, a.a.O.
[15] 1158 b, S. 225, a.a.O.
[16] 1162 a, S. 237 a.a.O.
[17] 1156 a, S. 216, a.a.O.
[18] 1156 b, S. 218, a.a.O.
[19] vgl. 1169b, S. 263, a.a.O.
[20] Lorraine Smith Pangle, a.aO.,
[21] 1159 b, S. 227, a.a.O.
[22] 1159 b, S.228, a.a.O.
[23] 1156 b, S. 219, a.a.O.
[24] 1158 a, S. 223, a.a.O.
[25] 1170 b, S. 265, a.a.O.
[26] Vgl. Michael Pakaluk (Hg.): Aristotle. Nicomaechian Ethics. Books VIII and IX. Translated with a Commentary by M. Pakaluk. Oxford: Clarendon Press 1998,
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