Seit dem 1. Mai 2004 sind acht mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) beigetreten. Mit dem Beitritt sind die Länder - von gewissen Übergangsvorschriften abgesehen - voll in die Gemeinschaftsregelungen einbezogen. Das bedeutet insbesondere die Teilnahme am Binnenmarkt sowie an den Gemeinschaftspolitiken, aber auch am Finanzierungssystem der Gemeinschaft. Eine vollständige währungspolitische Integration der Beitrittsländer ist nach Auffassung der EU erst nach einer zweijährigen Mitgliedschaft im WKM II ohne Spannung und Abwertungen vorgesehen. Die offizielle Einführung des Euro in den mittel- und osteuropäischen Ländern setzt voraus, dass die jeweiligen Länder die Maastrichter Konvergenzkriterien erfüllen. Dies bedeutet, dass die Beitrittsstaaten bis dahin ihre nationalen Währungen und, in beschränktem Umfang, ihre eigenständige Geldpolitik beibehalten.
Bereits im Vorfeld der Osterweiterung setzte sich eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten mit den währungspolitischen Optionen der beitrittswilligen MOEL auseinander. Die Vorschläge reichen von frei schwankenden Wechselkursen als ein Sprungbrett zum Eintritt in den WKM II bis zu einer sofortigen unilateralen Einführung des Euro als gesetzliches Zahlungsmittel durch die jeweiligen Länder (Euroisierung). Der Begriff „Euroisierung“ ist hier als eine einseitige Entscheidung des Beitrittsstaats über die vollständige Substitution der heimischen Währung durch den Euro mit allen Geldfunktionen gemeint. Sowohl die Europäische Zentralbank als auch der EU-Ministerrat widersprechen vehement der Sinnhaftigkeit einer definitionsgemäß unilateralen Euroisierung. Nach dem Beitritt hat die Frage nach dem geeigneten Wechselkursregime für diese Länder an Aktualität nicht verloren. Eine einseitige Euroisierung ist zwar mit dem EU-Beitrittsvertrag nicht vereinbar, jedoch ist die Wahrscheinlichkeit strenger Maßnahmen seitens der EU gegen MOEL, die sich dieses Arrangements bedienen, relativ gering. Denn die Euroisierungsstrategie kann als ein deutlicher Integrationswille interpretiert werden, und die Einbindung dieser Länder in die EU schon immer das erklärte Ziel der bilateralen Beziehungen ist. Angesichts der geplanten Aufnahme weiterer Kandidatenländer wie Bulgarien sowie Rumänien und im Hinblick auf die fortgeschrittenen Transformationsergebnisse der neuen Beitrittsstaaten ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema der Euroisierung weiterhin angebracht.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Entwicklungsstand der Wirtschafts- und Währungssysteme der MOEL
2.1 Die nominale Konvergenz
2.2 Reale Konvergenz und Optimaler Währungsraum
3. Die Wahl des Wechselkursregimes
4. Vorteile einer Euroisierung der MOEL
4.1. Eliminierung der Transaktionskosten
4.2 Minimierung des Wechselkursrisikos
4.3 Glaubwürdigeres Regime
5. Risiken und Kosten einer Euro-Übernahme
5.1 Spezifische Kosten einer Euroisierung
5.2 Deflationsgefahren durch asymmetrische Schocks
5.3 Verlust an Wettbewerbsfähigkeit durch hohe Inflation
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
TABELLENVERZEICHNIS
Tabelle 1: Wechselkurssysteme und Konvergenzlage der MOEL 2002 bis 2004
Tabelle 2: Handelsverflechtung mit der EU
Tabelle 3: Kategorisierung von Währungsregimes nach ihrer Bindungsintensität
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: BIP pro Kopf in Kaufkraftstandards 1995 und 2005
Abbildung 2: Impossible Trinity
1. Einleitung
Seit dem 1. Mai 2004 sind acht mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL)[1] der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) beigetreten. Mit dem Beitritt sind die Länder - von gewissen Übergangsvorschriften abgesehen - voll in die Gemeinschaftsregelungen einbezogen. Das bedeutet insbesondere die Teilnahme am Binnenmarkt und an den Gemeinschaftspolitiken, aber auch am Finanzierungssystem und den Institutionen der Gemeinschaft. Eine vollständige währungspolitische Integration der Beitrittsländer ist nach Auffassung der EU erst nach einer zweijährigen Mitgliedschaft im WKM II[2] ohne Spannung und Abwertungen vorgesehen. Die offizielle Einführung des Euro in den mittel- und osteuropäischen Ländern setzt voraus, dass die jeweiligen Länder die Maastrichter Konvergenzkriterien erfüllen. Dies bedeutet, dass die Beitrittsländer bis dahin ihre nationalen Währungen und, in beschränktem Umfang, ihre eigenständige Geldpolitik beibehalten (Deutsche Bundesbank 2003, S. 19).
Bereits im Vorfeld der Osterweiterung setzte sich eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten mit den währungspolitischen Optionen der beitrittswilligen MOEL auseinander. Die Vorschläge reichen von frei schwankenden Wechselkursen als ein Sprungbrett zum Eintritt in den WKM II bis zu einer sofortigen unilateralen Einführung des Euro als gesetzliches Zahlungsmittel durch die jeweiligen Länder (Euroisierung). Der Begriff „Euroisierung“ ist hier als eine einseitige Entscheidung des Beitrittsstaats über die vollständige Substitution der heimischen Währung durch den Euro mit allen Geldfunktionen gemeint. Sowohl die Europäische Zentralbank als auch der EU-Ministerrat widersprechen der Sinnhaftigkeit einer definitionsgemäß unilateralen Euroisierung vehement (EZB 2004, S. 42-43, Deutsche Bundesbank 2001, S. 28, ders. 2003, S. 19, Europäische Kommission 2004, S. 9). Nach dem Beitritt hat die Frage nach dem geeigneten Wechselkursregime für diese Länder an Aktualität nicht verloren. Eine einseitige Euroisierung ist zwar mit dem EU-Beitrittsvertrag nicht vereinbar, jedoch ist die Wahrscheinlichkeit einschneidender Maßnahmen seitens der EU gegen MOEL, die sich dieses Arrangements bedienen, relativ gering. Denn die Euroisierungs-strategie kann als eine deutliche Willenserklärung zur Förderung der Integration in die EU interpretiert werden, und die beidseitige Integration schon immer das erklärte Ziel der bilateralen Beziehungen zwischen der EU und diesen Ländern ist (Belke et al. 2002, S. 17). Angesichts der geplanten Aufnahme weiterer Kandidatenländer wie Bulgarien und Rumänien und unter Bezugnahme auf die fortgeschrittenen Transformationsergebnisse der neuen Beitrittsländer ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema der Euroisierung weiterhin angebracht.
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist nicht eine detaillierte länderbezogene Kosten-Nutzen-Analyse der unilateralen Euroisierung, sondern eine Bestands-aufnahme der Konvergenzfortschritte der MOEL und der Kontroversen über die Euroisierungsstrategie. Kapitel 2 gibt einen Überblick über den Entwicklungs-stand der Wirtschafts- und Währungssysteme der MOEL. Im Kapitel 3 werden die Alternativen der Wechselkursarrangements kurz erläutert. Kapitel 4 und 5 befassen sich mit den theoretischen Erklärungsansätzen über die möglichen Vor- und Nachteile einer Euroiserung. Im Kapitel 6 wird ein kurzes Fazit gezogen.
2. Entwicklungsstand der Wirtschafts- und Währungssysteme der MOEL
2.1 Die nominale Konvergenz
Jedes Land, welches der Währungsunion beitreten will, muss die nachfolgenden nominalen Konvergenzkriterien nach Art. 121 EG-Vertrag in Verbindung mit den dem Vertrag beigefügten Protokollen erfüllen (EZB 2004, S. 5-13) 1. Inflationskriterium: Die durchschnittliche HVPI[3] -Inflationsrate eines Landes gegenüber dem Zwölfmonatsdurchschnitt des Vorjahres darf den Durchschnitt der drei preisstabilsten Länder des Euroraums um nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte übersteigen.
2. Zinskriterium: Ein langfristiger Nominalzinssatz, der den Durchschnitt der langfristigen Zinssätze der drei preisstabilsten Länder des Euroraums um nicht mehr als 2 Prozentpunkte übersteigt.
3. Das Kriterium der öffentlichen Finanzen: Ein Haushaltsdefizit, das 3% des nominalen Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigt (die sog. Defizitquote), sowie ein öffentlicher Bruttoschuldenstand, der nicht höher als 60 % des Bruttoinlands-produkts (die sog. Schuldenquote) beträgt.
4. Wechselkurskriterium: Eine spannungsfreie Mitgliedschaft im WKM II mit einer Bandbreite von +/- 15% um den Leitkurs in einem Zeitraum von mindestens zwei Jahren vor dem Stichtag, an dem die Konvergenzlage überprüft wird. Im Bereich des Wechselkurskriteriums gilt für die neuen Beitrittsländer die Ausnahmeregelung des Art. 122 EG-Vertrag. Sie behalten ihre nationale Währung bei, verpflichten sich aber, ihre Währungspolitik insbesondere gegenüber dem Euro als Angelegenheit des gemeinsamen Interesses anzusehen. Abwertungen zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen sind hinsichtlich des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts nicht erlaubt. Voraussetzung für eine Teilnahme am Wechselkursmechanismus ist, dass die Länder einen entsprechenden Antrag stellen und dass eine Einigung über den Leitkurs und die Bandbreite erzielt worden ist (Deutsche Bundesbank 2003, S. 19-20). Auf der Grundlage, dass das Wechselkurskriterium für die meisten Beitrittsländer große Herausforderungen stellen, ergibt sich die Überlegung, ob ein Land sich schnellstmöglich an dem WKM II teilnehmen oder diesem so lange wie nötig fernhalten soll, oder sich entscheidet, eine unilaterale Euroisierungsstrategie zu verfolgen.
Bevor über die möglichen Vor- und Nachteile einer generellen Euro-Einführung diskutiert wird, wird hier eine Bestandsaufnahme der Transformationsergebnisse nach den Konvergenzkriterien in den MOEL unternommen. Nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die derzeitigen Währungsregime und die Konvergenz-lage in Bezug auf die nominalen Kriterien in den mittel- und osteuropäischen Beitrittsländern.
Tabelle 1: Wechselkurssysteme und Konvergenzlage der MOEL 2002 bis 2004
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: EZB 2004, S. 83, EZB 2005, S. 2, Deutsche Bundesbank 2005, S. 50-51.
Eigene Darstellung.
1) Durchschnittliche Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %. Die Angaben für 2004 beziehen sich auf den Zeitraum von September 2003 bis August 2004.
2) In %, Jahresdurchschnitt. Die Angaben für 2004 beziehen sich auf den Zeitraum von September 2003 bis August 2004.
3) Er wurde berechnet, indem zum ungewichteten arithmetischen Mittel der langfristigen Zinssätze der drei preisstabilsten Länder (4,2% in Finnland, 4,4% in Dänemark und 4,7% in Schweden), 2 Prozentpunkte hinzuaddiert wurden, bezogen auf den Zeitraum von September 2003 bis August 2004.
4) Das ungewichtete arithmetische Mittel der am HVPI gemessenen Inflationsraten von Finnland (0,4%), Dänemark (1,0%) und Schweden (1,3%) plus 1,5 Prozentpunkte, bezogen auf den Zeitraum von September 2003 bis August 2004.
Der Tabelle 1 (s. S. 7) und dem Konvergenzbericht 2004 (S. 17-20) zufolge weist die Inflation seit Mitte 2003 in der Tschechischen Republik, Lettland, Ungarn und Polen und seit Frühjahr 2004 auch in Estland, Litauen eine steigende Tendenz auf. Ursächlich für diesen Trend waren eine rasch steigende Binnennachfrage in allen erwähnten Ländern außer Polen, wo der HVPI-Anstieg auf ein hohes Lohn- und Kreditwachstum zurückzuführen ist. Ferner haben der mit dem EU-Beitritt zusammenhängende Anstieg der indirekten Steuern und administrierten Preise sowie steigende Ölpreise bedeutende Auswirkungen auf die Teuerungsrate. In Polen und der Tschechischen Republik spielten auch steigende Nahrungs-mittelpreise eine Rolle, während in Polen zudem die Abwertung des Zloty zu einem Aufwärtsdruck auf die Importpreise führte. Mit Blick auf die nähere Zukunft sehen sich die neuen Mitgliedstaaten einer Reihe von Risiken und Herausforderungen für die Preisstabilität gegenüber. In den meisten Ländern erhöhen sich die Inflationsraten im laufenden Jahr aufgrund steigender indirekter Steuern, administrierter Preise und Ölpreise. Die EZB geht im Konvergenzbericht 2004 jedoch davon aus, dass diese Effekte vorübergehender Natur sind. Angesichts des erwarteten Anstiegs der in- und ausländischen Nachfrage und der höheren Kapazitätsauslastung besteht jedoch das Risiko von Zweitrundeneffekten bei den Löhnen, was wiederum eine Herausforderung für die Preisstabilität auf mittlere Sicht darstellt. Die ersten Beitrittseffekte lassen sich bereits vorwiegend im monetären Bereich beobachten. Infolge der Kapitalzuflüsse, insbesondere von Portfolioinvestitionen, verzeichneten alle Börsen der MOEL einen starken Anstieg ihrer Indizes. Dies hatte zwar zunächst keinen wesentlichen Einfluss auf den HVPI-Anstieg in den Beitrittsstaaten, doch birgt diese Inflationierung der Index-werte die Gefahr von zerplatzten spekulativen Blasen für die reale Wirtschaft in sich (IWH 2005, S. 2-3).
In den Jahren 2001 und 2002 waren die langfristigen Zinssätze in allen von der EZB im Konvergenzbericht 2004 (S. 26-27) untersuchten Ländern außer Estland (ein harmonisierter Langfristzins zur Beurteilung des Konvergenzgrads ist für Estland nicht verfügbar) allgemein rückläufig und näherten sich dem Zinsniveau des Euro-Währungsgebiets deutlich an. Allerdings kehrte sich dieser Trend im Laufe des Jahres 2003 um, als die langfristigen Zinssätze in einigen Ländern wieder stärker von dem im Euroraum vorherrschenden Zinsniveau abwichen. Litauen und Slowenien waren die einzigen beiden Länder, deren Langfristzinsen sich den entsprechenden Zinssätzen im Euroraum weiter deutlich annäherten. Gründe für diese positive Entwicklung beider Länder waren insbesondere eine solide Finanzpolitik und von den Marktteilnehmern gehegte Erwartungen einer frühen Teilnahme am WKM II. Insgesamt ist das Kriterium Konvergenz der langfristigen Zinsen noch schwer zu beurteilen, denn die Kapitalmärkte der MOEL sind noch wenig entwickelt (Deutsche Bank Research 2003, S. 15).
[...]
[1] Das sind Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakische Republik, Slowenien, Tschechische Republik und Ungarn.
[2] WKM II ist ein wesentliches Element des Europäischen Währungssystem II (EWS II) mit dem Ziel, übermäßige Wechselkursverzerrungen und -schwankungen zu vermeiden. Im Rahmen des WKM II erhält der Euro die Funktion als Leit- oder Ankerwährung, so dass die Paritäten (Leitkurse) für die Währungen der übrigen EU-Staaten an den Euro geknüpft werden. Der maximale Schwankungsspielraum für die Wechselkurse wird durch die Standardbandbreite von ± 15 Prozent um die Leitkurse bestimmt, wobei nach erfolgreichen Konvergenzbemühungen für einzelne Währungen engere Bandbreiten möglich sind. Vgl. Deutsche Bundesbank, Online-Glossar (www.bundesbank.de).
[3] HVPI: Harmonisierter Verbraucherpreisindex. Bei den HVPI handelt es sich um einen Satz von EU-Verbraucher-preisindizes. Sie sind nicht als „Lebenskostenindizes“, sondern als „Preisindizes“ konzipiert, was ihre Schlüsselrolle bei der Messung der Preisstabilität widerspiegelt. Vgl. Eurostat, 2004a.
- Quote paper
- Dipl.-Volkswirtin Ya Neugebauer-Tao (Author), 2005, Chancen und Risiken einer Euroisierung der MOEL, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75875
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