Studien zum Leseverhalten von Jungen und Mädchen unterscheiden eine Reihe von Faktoren. Sie berichten zum einen von unterschiedlichen Lesepräferenzen, Leseerwartungen und Leseerfahrungen, zum anderen weisen sie starke Differenzierungen im Bereich der Lesekompetenz nach.
Die vorgelegte Arbeit bezieht sich auf drei verschiedene Studien, deren Untersuchungen zum geschlechtsspezifischen Leseverhalten auf Fragebogenerhebungen bei Kindern und Jugendlichen im Alter von acht bis achtzehn Jahren beruhen. Um ein umfassenderes Verständnis des differenzierten Leseverhaltens zu erlangen, wurden auch explizit die Eltern der Mädchen und Jungen zu ihrem eigenen Leseverhalten befragt. Denn zum einen ist das Vorbild der Eltern ein wichtiger Aspekt und zum anderen muss die Förderung in der Familie betrachtet werden.
Auch der Einfluss der Schule spielt eine entscheidende Rolle in Bezug auf das geschlechtsspezifische Leseverhalten. Verschiedene Aspekte der schulischen Leseförderung oder Lesehemmung werden diskutiert.
Eine wichtige Frage ist nun: "Wie entsteht dieses geschlechtsspezifische Leseverhalten?"
Um einen Einblick in die Entwicklung geschlechtsspezifischer Leseprozesse zu erlangen, beschäftigt sich der erste Teil der Arbeit mit dem geschichtlichen Hintergrund des weiblichen Leseverhaltens.
Im nächsten Kapitel werden die verschiedenen Theorien dazu aufgezeigt.
Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht das differenzierte Leseverhalten von Jungen und Mädchen. Informationen über allgemeine Sozialisationsprozesse bilden somit eine Grundlage, um weitere Schlussfolgerungen zum Leseverhalten der Kinder und Jugendlichen zu ziehen.
Aufgrund des vorgegebenen Umfanges ist eine Straffung von Informationen nicht immer vermeidbar.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Geschichtlicher Hintergrund zur Mädchenlektüre
2.1 Mädchenliteratur im 18. Jahrhundert
2.2 Mädchenbuch Kritik des 19. Jahrhunderts
3. Theoretische Erklärungsansätze
3.1 Historischer Ansatz
3.2 Rollentheoretischer Ansatz
3.3 Sozialisationstheoretischer Ansatz
3.4 Psychoanalytischer Ansatz
4. Geschlechtsspezifisches Leseverhalten von Kindern und Jugendlichen: Forschungsstand
4.1 Untersuchungsmethoden und Fragestellungen
4.2 Differenz: weiblich – männlich
4.2.1 Resümee
4.3 Befunde zum Leseverhalten der Geschlechter
4.4 Leseerwartungen
4.5 Leseerfahrungen von Kindern und Jugendlichen
4.6 Lesekompetenz und Lesehemmungen
4.7 Resümee
5. Lesesozialisation in der Familie
5.1 Leseklima in der Familie: Vorbild der Eltern
5.2 Auswirkungen der familiären Lesesozialisation auf das Freizeitleseverhalten von Kindern und Jugendlichen
5.3 Resümee
6. Lesesozialisation in der Schule
7. Zusammenfassung und kritische Reflektion
Literatur
1. Einleitung
Studien zum Leseverhalten von Jungen und Mädchen unterscheiden eine Reihe von Faktoren. Sie berichten zum einen von unterschiedlichen Lesepräferenzen, Leseerwartungen und Leseerfahrungen, zum anderen weisen sie starke Differenzierungen im Bereich der Lesekompetenz nach.
Die vorgelegte Arbeit bezieht sich auf drei verschiedene Studien, deren Untersuchungen zum geschlechtsspezifischen Leseverhalten auf Fragebogenerhebungen bei Kindern und Jugendlichen im Alter von acht bis achtzehn Jahren beruhen. Um ein umfassenderes Verständnis des differenzierten Leseverhaltens zu erlangen, wurden auch explizit die Eltern der Mädchen und Jungen zu ihrem eigenen Leseverhalten befragt. Denn zum einen ist das Vorbild der Eltern ein wichtiger Aspekt und zum anderen muss die Förderung in der Familie betrachtet werden.
Auch der Einfluss der Schule spielt eine entscheidende Rolle in Bezug auf das geschlechtsspezifische Leseverhalten. Verschiedene Aspekte der schulischen Leseförderung oder Lesehemmung werden diskutiert.
Eine wichtige Frage ist nun: „Wie entsteht dieses geschlechtsspezifische Leseverhalten?“
Um einen Einblick in die Entwicklung geschlechtsspezifischer Leseprozesse zu erlangen, beschäftigt sich der erste Teil der Arbeit mit dem geschichtlichen Hintergrund des weiblichen Leseverhaltens.
Im nächsten Kapitel werden die verschiedenen Theorien dazu aufgezeigt.
Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht das differenzierte Leseverhalten von Jungen und Mädchen. Informationen über allgemeine Sozialisationsprozesse bilden somit eine Grundlage, um weitere Schlussfolgerungen zum Leseverhalten der Kinder und Jugendlichen zu ziehen.
Aufgrund des vorgegebenen Umfanges ist eine Straffung von Informationen nicht immer vermeidbar.
2. Geschichtlicher Hintergrund zur Mädchenlektüre
Die verwendete Literatur macht wenig ergiebige Aussagen zum Leseverhalten von Jungen. Dies erklärt die Konzentration dieses historischen Rückblicks auf die Mädchenliteratur.
Die Mädchenliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts wird aus verschiedenen Positionen betrachtet. Die unterschiedlichen Sichtweisen bestehen primär in der Gewichtung zwischen schöner Literatur, z. B. Liebesromane und dem sog. Realwissen z. B. Sachliteratur über Geschichte, Geographie, Naturkunde. Weiterhin wird in der Geschichte der Mädchenliteratur von zwei unterschiedlichen Phasen gesprochen (vgl. Grenz/Wilkending 1997, S. 16).
2.1 Mädchenliteratur im 18. Jahrhundert
Die erste Phase in Geschichte der Mädchenliteratur ist gekennzeichnet durch eine positive Einstellung zu einer weiblichen Gelehrsamkeit. Die Mädchenliteratur richtete sich im 18. Jahrhundert einerseits auf eine Vernunfterziehung, Bildung jedoch sollte für Mädchen genauso wie für Jungen ein wesentlicher Bestandteil ihrer Sozialisation sein (vgl. ebd. 1997, S. 16).
Die zweite Phase begann gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit stand man der Bildung der Frau nicht mehr so positiv wie vorher gegenüber. Lesen wurde nicht mehr als „Merkmal tugendhafter Figuren, sondern als Müßiggang, als Nichtstun, das die Frauen an der Ausübung nützlicher Beschäftigung hindert(e)“ (Grenz/Wilkending 1997, S. 22), betrachtet.
Als gefährlich angesehene Romane, solche wie „Die Leiden des jungen Werther“ von Goethe, durften von den Töchtern nicht mehr gelesen werden. Anstelle der Beschäftigung mit dieser sogenannten „schönen Literatur“ sollte die Tochter die Erfahrungen mit den Dingen selbst erlernen, wie zum Beispiel durch den direkten Umgang mit der Natur und der Geschichte.
Seit Ende des 18. Jahrhunderts beschäftigte sich die Mädchenliteratur mit der Emotionalität jugendlicher Töchter. Der Hauptdiskussionspunkt dieser Zeit war die Zähmung der Wildheit der Mädchen im damaligen Bürgertum. Bücher umfaßten Themen, in denen die Mädchen lernen sollten auf Mündigkeit und Selbständigkeit zu verzichten, um die Kontrolle und Unterdrückung ihrer Phantasien zu gewährleisten (vgl. ebd. 1997, S. 35).
2.2 Mädchenbuch-Kritik des 19. Jahrhunderts
Den Anfängen der Mädchenbuch-Kritik begegnet man gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Diese Mädchenbuch-Kritik wurde von zwei Strömungen bestimmt. „[V]on einer ästhetischen Fundamentalkritik einerseits und einer entwicklungspsychologischen Betrachtungsweise andererseits“ (Eggert/Garbe 1995, S. 86). Der Vertreter der ästhetischen Fundamentalkritik, Heinrich Wolgast, ging davon aus, dass die spezifische Mädchenliteratur zu einer verstärkten Differenzierung der Geschlechter führe. Weiterhin argumentierte er, dass „schlechte Jugendlektüre den ästhetisch-literarischen Geschmack für immer verderbe, also in trivialer Erwachsenlektüre münde“ (Eggert/Garbe 1995, S. 86).
Eine tolerantere Meinung hingegen vertritt Elisabeth (Schliebe)-Lippert. Sie betrachtet die Mädchenbuch-Kritik aus einer entwicklungspsychologischen Sichtweise und geht davon aus, dass das „Backfischbuch“ (Eggert/Garbe 1995, S. 87) ein unvermeidbares Stadium der Mädchenlektüre sei.
Ein weiterer Ansatz ist der soziologisch-materialistische von Malte Dahrendorf. In seiner im Jahre 1970 erschienenen Untersuchung „Das Mädchenbuch und seine Leserin“ ging er davon aus, dass eine spezifische Mädchenliteratur erst im Bürgertum entstanden ist. Durch die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in dieser Zeit wurden die Entfaltungsmöglichkeiten der Mädchen und Frauen eingeschränkt. „Mädchenliteratur habe folglich die Funktion, ihre Leserinnen in die gesellschaftlich erwünschte, repressive Geschlechtsrolle einzuführen“ (Eggert/Garbe 1995, S. 87).
3. Theoretische Erklärungsansätze zum Leseverhalten der Geschlechter
3.1 Historischer Ansatz
Bei Betrachtung des Leseverhaltens aus dem Blickwinkel der historischen Leseforschung ist „die weibliche Dominanz beim literarischen Lesen wenig überraschend“ (Eggert/Garbe 1995, S. 80). Die im Bürgertum entstandene räumliche Trennung von Hausarbeit und Erwerbsarbeit bot der Frau eine Nische für die weibliche Lektüre. Frauen konnten nur durch Bücher und Zeitschriften am öffentlichen Leben teilhaben. „Durch diesen Ausschluß aus dem öffentlichen Leben waren Frauen darauf angewiesen, entweder medial vermittelt daran zu partizipieren oder sich fiktive Ersatzwelten zu schaffen, wozu die Literatur reichhaltiges Material bot“ (ebd., S. 80 f.). Dementsprechend entwickelte sich das literarisch-ästhetische Lesen im 18. Jahrhundert zur Domäne der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft. (vgl. ebd., S. 81 f.).
3.2 Rollentheoretischer Ansatz
Der rollentheoretische Ansatz besagt, dass „das Leseveralten von Jungen und Mädchen durch die Verinnerlichung vorgegebener Geschlechtsrollen geprägt“ (ebd. S.81) wird. Die geschlechtsspezifische Sozialisation, welche bei Jungen auf Sachlichkeit, Kompetenz und Leistungsfähigkeit abzielt, spiegelt sich im männlichen Leseverhalten wieder. Demzufolge ist es informations- und sachorientiert, währenddessen das weibliche Leseverhalten familien- und beziehungsorientiert ist (vgl. ebd., S. 81 f.).
3.3 Sozialisationstheoretische Ansatz
Eine weitere Erklärungshilfe zum Leseverhalten von Jungen und Mädchen bietet der sozialisationstheoretische Ansatz. Er setzt bei der familiären Lesesozialisation und dem Leseverhalten der Eltern als Vorbilder für die Kinder an. Demnach stellt
„[...] die Mutter als die wichtigste Begleiterin des Alltags der Kinder das bedeutendste Lesevorbild dar. Die Lesehäufigkeit und Dauer der Mutter sind für die Lesefreude und Lesefrequenz der Kinder von ausschlaggebender Bedeutung. Dagegen spielt das Leseverhalten des Vaters nur am Rande eine Rolle. Die Mütter sind nicht nur im Durchschnitt selbst die intensiveren Leserinnen, sie sind auch für die Kinder die wichtigsten Vermittlerinnen von Lesekultur“ (Hurrelmann/Hammer/Nieß 1993, S. 38)
Hierbei muss jedoch zwischen intentionaler Leseerziehung und Förderung durch die Mutter unterschieden werden. In den bisherigen Studien zur familiären Leseförderung konnten aber keine Anhaltspunkte gefunden werden, die auf die spezielle Leseförderung der Mädchen deuten. Dennoch werden aufgrund der gemeinsamen weiblichen Lesepräferenzen von Mutter und Tochter die Mädchen indirekt mehr gefördert als die Jungen. Die Tatsache, dass Mädchen besser, länger und emotional involvierter lesen (siehe Punkt 4), erklären Hurrelmann, Hammer und Nieß mit der Aussage, dass sich eine intensive mütterliche Leseförderung positiv auf die Qualität einer Lektüre auswirke. „Die Leseförderung der Mutter geht tendenziell mit einer anspruchsvollen Lektüre bei den Mädchen einher, während ein solcher Zusammenhang bezüglich der Leseauswahl der Jungen nicht besteht“ (Hurrelmann/Hammer/Nieß 1993, S. 52).
Diese Lesefreude ist von je her eine weibliche Domäne. Durch die Erweiterung des Ansatzpunktes von Hurrelmann, Hammer und Nieß erlangt man einen weiteren Erklärungsansatz für dieses Phänomen. Die signifikant höhere Präsenz von Lehrerinnen in Grund- und Hauptschulen und der damit verbundenen eher „weiblichen Leseweisen“ (ebd. 52) fördert demnach die Mädchen in ihrer Art zu lesen mehr als die Jungen. Die „männlichen Leseweisen“ (ebd. 52) der Jungen würden somit im Unterricht missachtet.
Weiterhin bestimmen die fiktionalen Texte die traditionellen Inhalte des Deutschunterrichtes, welche wiederum eher mit den weiblichen Lesepräferenzen korrespondieren als mit den männlichen (vgl. ebd., S. 52 f.).
Die Erklärung dieser von Hurrelmann, Hammer und Nieß aufgestellten Thesen bedarf weiterer empirischer Forschungen, denn bisher bestehen keine Untersuchungen in dieser Richtung, welche sich auf geschlechtsspezifische Leseweisen beziehen (vgl. Hurrelmann/Hammer/Nieß 1993, S. 221).
3.4 Psychoanalytischer Ansatz
Eine weitere Erklärungshilfe zum geschlechtsspezifischen Leseverhalten bietet der psychoanalytische Ansatz. Ein Diskussionspunkt der neuen psychoanalytischen Theoriebildung sind die weiblichen und männlichen Persönlichkeitsstrukturen.
„Die Verknüpfung solcher Persönlichkeitsstrukturen mit literarischen Interessen und medialen Gewohnheiten ist bislang in der Forschung allerdings nur selten vorgekommen worden und wenn, dann meist im Rekurs auf Nancy Chodrorows Versuch, die Reproduktion des „sex-gender-systems“ durch eine Kombination von Psychoanalyse und Soziologie zu erklären“ (Eggert/Garbe 1995, S. 83).
Auch die später in Punkt 4.2 dargestellte Theorie des „unterschiedlich strukturiert(en) Frühschicksal(s)“ von Friedemann Schulz von Thun bestätigt die These von Nancy Chodrorow. Demzufolge stehen in der männlichen Identitätsbildung Trennung und Autonomie im Vordergrund. Die weibliche Identitätsbildung ist durch Bindung und Beziehungsorientierung gekennzeichnet (vgl. Eggert/Garbe 1995, S. 84; vgl. Schulz von Thun 1989, S. 195 ff.).
Die Theorie von Chodrorow wurde von feministischer Seite wegen einer „deterministische(n) Sicht der Aneignung von Geschlechtscharakteren sowie d(er) Gefahr einer Festschreibung traditioneller Geschlechterdichotomie“ bemängelt (vgl. Eggert/Garbe 1995, S. 84).
Anhand der bisher erläuterten Theorien zum differenzierten Leseverhalten der Geschlechter bilden Eggert und Garbe eine Hypothese. Sie besagt, dass das Verhältnis von Leserin und Text „möglicherweise nach dem Vorbild der (symbiotischen) Tochter-Mutter-Beziehung gestaltet“ ist, während der männliche Leser eher „auf die distanzierte Sohn-Vater-Beziehung zurückzugreifen“ scheint (Eggert/Garbe 1995, S. 84).
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- Arbeit zitieren
- Fiona Langstädtler (Autor:in), 2001, Neuere empirische Befunde zum Leseverhalten der Geschlechter: Eine kritische Darstellung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7558
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