Mit der Teilnahme an direkten politischen Entscheidungen können Bürger über den Akt der Wahl hinaus, an der politischen Entscheidungsfindung mitwirken. Diese Annahme setzt voraus, dass der direktdemokratisch erzeugte Wille der Bürger Eingang in den Prozess der repräsentativen, verbindlichen politischen Entscheidungsfindung findet.
Thema dieser Arbeit ist folglich das Verhältnis von direkter Demokratie und Responsivität in politischen Systemen, beispielhaft dargestellt an der Nuklearpolitik Österreichs, Italiens und Frankreichs. Es schließt sich die Frage an, welchen Beitrag Elemente direkter Demokratie in Italien, Österreich und Frankreich zur Responsivität zwischen Institutionen des Regierungssystems (hier: Legislative und Exekutive) und der Bürgerschaft im Politikfeld Atompolitik, bisher leisteten. Die Leitfrage wird folglich lauten: Fließen politische Willen, die direktdemokratisch erzeugt wurden, in den Prozess eines politischen Systems ein, und wie reagieren repräsentative Institutionen auf Stimmungen in der Bevölkerung?
Wird angenommen, dass direktdemokratische Institutionen die Responsivität eines politischen Systems unterstützen, schließt sich an, dass je ausgeprägter diese Elemente vorhanden sind, die Wahrscheinlichkeit, responsive Prozesse zwischen politischen Institutionen und Bürgerschaft vorzufinden, steigt.
Inhaltsverzeichnis
0.Einleitung
1.Grundlegendes
1.1 Responsivität
1.2 Direkte Demokratie
2. Direktdemokratische Elemente der Beispielländer
2.1 Italien
2.2 Österreich
2.3 Frankreich
2.4 Zwischenfazit
3. Responsivität, direkte Demokratie und Atompolitik
3.1 Energiepolitische Grundzüge und die Positionen der staatlichen Führung
3.1.1 Italien
3.1.2 Österreich
3.1.3 Frankreich
3.1.4 Zwischenfazit
3.2 Gesellschaft, Politik und Responisvität
3.2.1 Italien
3.2.2 Österreich
3.2.3 Frankreich
4. Fazit
Anhang
Literaturverzeichnis
0.Einleitung
„Demokratie heißt Beteiligung“. Mit diesen Worten überschreibt Thomas Meyer das siebte Kapitel seines Buches „Was ist Politik?“. Was aber bedeutet Beteiligung? Sie reicht von politischer Diskussion mit Freunden über Kontakte mit Politikern bis hin zur Teilnahme an Volksentscheiden (Meyer 2003: 153ff.). Mit der Teilnahme an direkten politischen Entscheidungen können Bürger über den Akt der Wahl hinaus, an der politischen Entscheidungsfindung mitwirken. Diese Annahme setzt voraus, dass der direktdemokratisch erzeugte Wille der Bürger Eingang in den Prozess der repräsentativen, verbindlichen politischen Entscheidungsfindung findet.
Thema dieser Arbeit ist folglich das Verhältnis von direkter Demokratie und Responsivität in politischen Systemen, beispielhaft dargestellt an der Nuklearpolitik Österreichs, Italiens und Frankreichs.
Es schließt sich die Frage an, welchen Beitrag Elemente direkter Demokratie in Italien, Österreich und Frankreich zur Responsivität zwischen Institutionen des Regierungssystems (hier: Legislative und Exekutive) und der Bürgerschaft im Politikfeld Atompolitik, bisher leisteten.[1] Die Leitfrage wird folglich lauten: Fließen politische Willen, die direktdemokratisch erzeugt wurden, in den Prozess eines politischen Systems ein, und wie reagieren repräsentative Institutionen auf Stimmungen in der Bevölkerung?
Wird angenommen, dass direktdemokratische Institutionen die Responsivität eines politischen Systems unterstützen, schließt sich an, dass je ausgeprägter diese Elemente vorhanden sind, die Wahrscheinlichkeit, responsive Prozesse zwischen politischen Institutionen und Bürgerschaft vorzufinden, steigt.
Um diese Problemstellung zu bearbeiten ist es zunächst sinnvoll, unter erstens die Begriffe Responsivität und direkte Demokratie näher zu erläutern. Unter zweitens werde ich mich mit den direktdemokratischen Elementen der einzelnen Länder beschäftigen. Welche Elemente direkter Demokratie existieren, welche Merkmale weisen sie auf und was tragen sie zum Gesamtprozess des politischen Systems bei? Diese Darstellung soll einen Überblickscharakter erhalten. Für weitere Details sind die Literaturangaben zu beachten.
Wie die jeweiligen strukturellen Gegebenheiten sich praktisch auswirken, wird im Punkt drei dargestellt werden. Welche Positionen nahmen die betreffenden Regierungen ein? Welche Positionen lassen sich in der Bevölkerung identifizieren? Schließlich: Welcher outcome wurde unter welcher Einwirkung produziert? Die Zusammenführung wird zeigen, in wie weit responsive Prozesse zwischen repräsentativen Institutionen und Bürgerschaft sich in den beschriebenen politischen Systemen als existent erweisen.
1.Grundlegendes
1.1 Responsivität
Responsivität lässt sich allgemein als Antwort- und Reaktionsbereitschaft sowie Zugänglichkeit definieren. In dem vorliegenden Fall basiert die Definition auf der Demokratietheorie. So ist es ein „Begriff, um die Beziehungen zwischen Repräsentanten und Repräsentierten zu erfassen.“ Responsivität beschreibt die „Rückkopplung des politischen Handelns in Legislative und Exekutive an die Interessen und Forderungen der Wähler, die Übereinstimmung der Repräsentanten in ihren Entscheidungen mit den Präferenzen der von ihnen Repräsentierten“ (Nohlen 1998: 561). Brinkmann fügt hinzu, dass der Prozess der Rückkopplung mit „der Bereitschaft zu Problemlösungen im Sinne eines gesamtgesellschaftlichen Konsenses“ erfolgen solle (Brinkmann in Holtmann 2000: 606).
Dabei muss beachtet werden, dass sich vollständige Rückkopplung ebenso nachteilig auswirkt wie keine Rückkopplung. So kann es beispielsweise im ersten Fall zu einem Verlust von Steuerungsfähigkeit oder der Verhinderung von politisch-repräsentativer Kontinuität führen. Tritt der zweite Fall ein, kann der Verlust politischer Legitimität die Folge sein.
Nohlen bezieht sich bei vollständiger/ keiner Rückkopplung auf Hanna Fenichel Pitkin. Pitkin ihrerseits macht deutlich, dass „representing here means acting in the interest of the represented, in a manner responsive to them.” (Pitkin 1967: 209). Bei H. Pitkin findet sich weiterhin eine normative Begründung für die Existenz von Responsivität in repräsentativen Systemen: „It seems to me, that we show a government to be representative … by … demostrating that its subjects have control over what it does.” Sie schließt an: „A representative government ... must ... also be responsive to the people.“ (Pitkin 1967: 232)
Durch diese Ausführungen wird deutlich, dass Responsivität ein Bestandteil einer repräsentativen Demokratie sein muss. Ohne diese besteht die Gefahr, dass die Bürger zu „passive recipients“ (Pitkin 1967: 232) werden.
Der Zusammenhang zwischen einem repräsentativen System, Responsivität und direkter Demokratie kann jetzt hergestellt werden. So expliziert Pitkin: „ ... there must be institutional arrangements for responsivness to these (popular, d. Verf.) wishes.“
Ohne „trust and fidelity“, wie es bereits bei den Federalist Papers zentral ist, ist eine Repräsentativdemokratie keine.
Ein Weg, die „popular wishes“ per institutionaler Regelung der Responsivität dem Regierungssystem zu signalisieren, ist das Mittel der direkten Demokratie.
1.2 Direkte Demokratie
Der Kern direkter Demokratie lässt sich nach Schiller als „die Entscheidung politischer Sachfragen durch StimmbürgerInnen durch Volksabstimmungen“ definieren. (Schiller 2002: 13) Die realen Typen direkter Demokratie machen eine Differenzierung nach Entscheidungsgegenständen, Auslösungskompetenz und dem Grad der Verbindlichkeit notwendig.
Nimmt man einen Idealtyp direkter Demokratie an, in dem Stimmbürger über alle Gegenstände des Politischen entscheiden können, die Auslösungskompetenz allein beim Volk liegt (Herrschaft des Volkes) und die Verbindlichkeit definitiv gegeben ist (Volk als Souverän), so wird deutlich, dass unter den Realtypen lediglich Annäherungen an den Idealtypus existieren. Selbst die Schweiz, oftmals als „Avantgarde“ (IRI Country Index on Citizenlawmaking 2002: 16) in Sachen direkter Demokratie bezeichnet, ist durch ein repräsentativ-parlamentarisches System gekennzeichnet. Die Wirkung direkter Demokratie kann so nur im Bereich eines Korrektivs, nicht aber eines Hauptakteurs liegen.
Die Quantität der Entscheidungsgegenstände unterliegt in der Regel der Beschränkung durch Gesetze, die im Sinne nationaler Interessen erlassen werden ( so z.B. in Frankreich, Möckli 1994: 125f.)
Die Ausgestaltung der Auslösungskompetenzen variiert ebenfalls. Es ist hier zwischen Auslösungskompetenzen stimmbürgerlicher Art („bottom-up“)sowie Auslösungskompetenzen regierungssystematischer Art („top-down“), zu unterscheiden. Die Formen der Initiative unterscheiden sich hier von Plebisziten jeglicher Art. Das obligatorische Referendum existiert als Tertium, da es verpflichtend, also automatisch ausgelöst wird, wenn der im Gesetzestext beschriebene Fall eintritt.[2]
Der Grad der Verbindlichkeit kann schließlich zwischen reiner „Volksanregung“ wie beispielsweise in Österreich und voller legislativer Gültigkeit, wie das italienische abrogative Referendum, variieren.[3]
Die Funktion direkter Demokratie lässt sich mit dem Leitwort Legitimitätssteigerung kennzeichnen. Durch eine ausgeweitete Möglichkeit zur Partizipation steht den Stimmbürgern der Weg offen, über politische Sachentscheidungen mitzuentscheiden, an ihnen beteiligt zu sein oder durch Gesetzesinitiativen selbst legislativ tätig zu werden. Diese Form der Beteiligung wirkt sich hauptsächlich auf den Entscheidungsfindungsprozess eines politischen Systems aus.
Den politischen Prozess betreffend können direktdemokratische Elemente die Kommunikation innerhalb eines politischen Systems unterstützen. Durch Initiativen ist es der Stimmbevölkerung möglich, aktiv in den politischen Prozess einzugreifen. Durch Plebiszite und Referenden eröffnet sich die Möglichkeit, repräsentativ hergestellten Willen zuzustimmen oder diese abzulehnen.[4] Die innere responsive Qualität eines politischen Systems kann so teilweise entlang der quantitativen und qualitativen Elemente direkter Demokratie bestimmt werden.[5]
2. Direktdemokratische Elemente der Beispielländer
Im folgenden werde ich mich auf direktdemokratische Elemente der jeweiligen nationalen Ebene beziehen, da für die anschließende Untersuchung diese Ebene entscheidend ist .
Die Betrachtung der vorhandenen Strukturmerkmale direktdemokratischer Elemente wird sich im wesentlichen an drei Aspekten orientieren. Die Einordnung beginnt mit a) der Nennung der vorhandenen Elemente und wird durch b) die Untersuchung bestimmter Merkmale erweitert. Merkmale sind Entscheidungsgegenstände, Auslösungskompetenzen, der Grad der Verbindlichkeit, das Verhältnis von repräsentativen und direktdemokratischen Elementen sowie die Stellung der „direkten Demokratie“ im jeweiligen repräsentativen System. Schließlich werde ich c) den Beitrag Elemente direkter Demokratie zum Gesamtprozess des politischen Systems betrachten.
Grundlegend kann eingangs festgestellt werden, dass in allen drei Fällen repräsentative Strukturen das jeweilige politische System prägen. In Frankreich semi-präsidentiell, gekennzeichnet durch die Dividierung der Exekutive in Präsident und Regierung, sowie durch ein bikammerales Legislativorgan. Italien weist ein bikammerales parlamentarisches System auf. Entscheidungsfindungen konzentrieren sich auf beide Kammern. Österreich ist ebenfalls durch einen Bikammeralismus gekennzeichnet, der sich zudem auf einen, wenn auch im Vergleich zur BRD schwachen, territorialen Föderalismus stützt.[6] Diese verschiedenen systematischen Voraussetzung bilden neben der unterschiedlichen Einordnung in den IRI-Index, also den verschiedenen Levels direktdemokratischer Elemente, als Auswahlkriterien für die drei Länder.
2.1 Italien
Das politische System Italiens weist vier Elemente direkter Demokratie auf, von denen sich zwei auf die regionale und kommunale Ebene beziehen. Die konsultative Volksbefragung (referendum consultativo) sowie der regionale/territoriale Volksentscheid (referendum regionale/territoriale) decken diese Ebene ab. Beteiligungsformen direktdemokratischer Art auf nationaler Ebene treten in Form der Gesetzesinitiative des Volkes (legislativa popolare), sowie dem Volksentscheid, dessen Formen sich in ein abrogatives Gesetzesreferendum (referendum abrogativo) sowie in das verfassungsändernde Referendum (referendum sospensivo) einteilen lassen, auf.
Die Gesetzesinitiative steht neben der Initiierung durch mindestens 50.000 Stimmbürger ebenfalls jedem Parlamentsmitglied sowie der Regierung zu. Entscheidende Instanz ist die repräsentative Legislative. Stimmbürger sind zwar berechtigt, Gesetzesvorschläge einzubringen. Ein „echtes“ Element direkter Demokratie stellt dieses Instrument jedoch nicht dar, da die letztentscheidende Instanz die Parlamentskammern sind. Von der Möglichkeit, einen Gesetzesvorschlag einzubringen, wurde bisher kein Gebrauch gemacht.
Eine praktische Bedeutung kann für das verfassungsändernde Referendum ebenfalls nicht konstatiert werden (vgl. dazu Capretti 2001: 74-76).
Politische Bedeutung hat lediglich das abrogative Referendum erlangen können.[7] Wichtig ist hier zunächst, dass die Aufhebung von Gesetzen oder deren Teilrevision einige Gesetzgebungsfelder ausgrenzt. Die Ausnahmen bilden die Steuer- und Haushaltsgesetzgebung, der Bereich der Amnestie und Strafnachlässe, sowie die Ermächtigung zur Ratifizierung internationaler Verträge. Ausgelöst werden kann ein abrogatives Referendum durch 500.000 Stimmbürgerinnen oder 5 Regionalräte. Die durch das abrogative Referendum geforderte Änderung oder Abschaffung eines Gesetzes ist verbindlich, wenn nach der Initiierung ein Beteiligungsquorum der Volksabstimmung von 50% erreicht wird. Weiterhin muss die Mehrheit für das Vorhaben votieren.
Dieses Instrument wirkt im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess ergänzend. Es ist möglich, geschaffene Gesetze zu verändern. Ein ‚klassischer direktdemokratischer Dreischritt’, „von unten“ initiiert, mit folgendem Volksbegehren und Volksentscheid, ist in Italien nicht möglich.
Diese Form der bürgerlichen Beteiligung ist einerseits unvollkommen, da nur post-legislativ möglich. Die zweite Funktion leistet einen Beitrag zur „politischen Dynamik“ des italienischen politischen Systems. Das „abrogative Referendum“ hat „zu relevanten Politikimpulsen in der italienischen Politik seit dem erstmaligen Gebrauch im Jahre 1974 ... geführt.“(Luthardt 1994: 68).[8]
[...]
[1] Dieser Sachverhalt wird im Folgenden auch als ‚innere Responsivität eines politischen Systems’ bezeichnet.
[2] Die Systematik ist an Schiller (2002: 14) angelehnt.
[3] In der Literatur finden sich Argumentationen, die nicht nur direkte Sachentscheidungen zur direkten Demokratie addieren. So hält Morschner (1986) auch die Wahl zum Parlament und die parlamentarische Öffentlichkeit für direktdemokratische Elemente. Pelinka (1994: 9) zählt neben Sachentscheidungen ebenfalls Wahlen, aber auch Demoskopie und Medien zu direktdemokratischen Elementen.
[4] Findet ein Missbrauch zu akklamatorischen Zwecken statt, verliert das Argument der Legitimitätsstiftung an Gewicht.
[5] Neben den unterstützenden Elementen finden sich zahlreiche Gegenargumente. Die Diskussionen lassen sich bei Möckli (1994) oder Schiller (2002) nachvollziehen.
[6] Zusammenfassende Informationen über die politischen Systeme finden sich in Ismayr, Wolfgang (Hrsg.), Die politischen Systeme Westeuropas, 2., aktualisierte Auflage, Opladen 1999; für Österreich: Pelinka, Anton, Das politische System Österreichs, S. 489-517; für Italien: Trautmann, Günter, Das politische System Italiens, S. 519-562; für Frankreich: Kempf, Udo, Das politische System Frankreichs, in Ismayr, Wolfgang, Die politischen Systeme Westeuropas, 3., aktualisierte Auflage, Opladen 2002, S. 301-348.
[7] Möckli 1994, Luthardt 1994 sowie Capretti 2001 bieten eine Übersicht und weitere Details.
[8] Das abrogative Referendum ist seit 1947 Bestandteil der Verfassung. Die Einführung eines Durchführungsgesetzes erfolgte 1970 (dazu siehe Schiller 2002: 135).
- Arbeit zitieren
- Stefan Kägebein (Autor:in), 2004, Responsivität in politischen Systemen am Beispiel der Nuklearpolitik von Italien, Österreich und Frankreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75577
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