Seit einiger Zeit „bewegt“ die Ukraine nicht nur sich selbst, sondern auch Scharen von Politikern und Journalisten weltweit, zum Jahreswechsel 2004/ 2005 besonders viele. Gründe dafür ließen sich vielfältig anführen. Der herausragendste ist sicherlich die Neuwahl des Präsidenten, die mit dem ersten Wahlgang im Oktober 2004 anstand. Die beiden aussichtsreichsten Bewerber für das höchste Amt in der Ukraine, Viktor Juschtschenko und Wiktor Janukowytsch, könnten unterschiedlicher nicht sein. Ersterer verkörpert den Wunsch nach einem demokratischen Neuanfang in großen Teilen der Bevölkerung und letzterer wird als Vertreter der „alten“ Nomenklatur nicht von ungefähr als Protegé Moskaus und der ostukrainischen Oligarchen bezeichnet. Unabhängig von dieser Thematik stellt die Ukraine ein wichtiges Bindeglied zwischen Russland, der EU sowie westasiatischen und südosteuropäischen Staaten und Staatensystemen dar, ohne bereits selbst ihren Platz darin gefunden zu haben.
Mit der vorliegenden Arbeit versucht der Autor sich der Frage zu nähern, ob – und wenn ja – warum die Ukraine sowohl für den Westen, hier repräsentiert durch die EU, als auch den Osten, vornehmlich verkörpert durch Russland, zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine solch hohe Bedeutung auf unterschiedlichen Politikfeldern genießt. Weshalb ist einerseits die EU an einer weiterführenden Demokratisierung und wirtschaftlichen Modernisierung des südosteuropäischen Landes interessiert, Russland an einer engeren sicherheits- und wirtschafts-, ja nicht zuletzt allgemeinpolitischen (Ver-) Bindung mit der traditionell zum russischen Einflussbereich gehörenden Ukraine? Welchen Einfluss nehmen geografische Lage, wirtschaftliche und politische Verfasstheit, Ressourcen und externe Einflüsse auf die Beziehungen Russlands und der EU zur Ukraine?
Inwiefern unterscheiden sich die Ziele westeuropäischer und russischer Politik in der Ukraine und welche Interessen verfolgen, welchen Strategien unterliegen sie? Welche Perspektiven bieten beide Einflussgruppen für die Ukraine hinsichtlich der Mehrung von wirtschaftlichem Wohlstand und demokratischer Selbstbestimmung? Wie verhielt sich demgegenüber die ukrainische Regierung bisher und welche Perspektiven könnte die neue unter Ministerpräsidentin Julia Timoschenko eröffnen?
Darauf und auf weitere sich aus dem Kontext ergebende Fragen versucht die Arbeit Antworten zu geben, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit und endgültige Bewertung zu erheben.
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Fragestellung
1.2 Aufbau
1.3 Forschungsstand
2 Die politische Entwicklung in der Ukraine seit 1994/ 1999
2.1 Innenpolitische Entwicklung seit 1999
2.2 Außenpolitische Entwicklung seit 1994
3 Die Ukraine im Kontext externer wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Überlegungen – Einflüsse Russlands und der Europäischen Union
3.1 Interessenlage Russlands
3.1.1 Wirtschaftspolitische Interessen
3.1.2 Sicherheitspolitische Interessen
3.2 Interessenlage der Europäischen Union
3.2.1 Wirtschaftspolitische Interessen
3.2.2 Sicherheitspolitische Interessen
4 Schlussbetrachtung
4.1 Zusammenfassung und Bewertung
5 Literaturverzeichnis
5.1 Monographien
5.2 Zeitungsartikel
5.3 Aufsätze
1 Einleitung
1.1 Fragestellung
Die Ukraine – Land zwischen Ost und West, Bindeglied zwischen demokratischer und wirtschaftlich gefestigter sowie pseudorepublikanischer und staatswirtschaftlich verfasster Hemisphäre – widerspiegelt sich in ihr ein ganz anderer Ort des sog. „Clash of Civilization“, ein innereuropäischer, innerukrainischer?
In den letzten Monaten „bewegte“ die Ukraine nicht nur sich selbst, sondern auch Scharen von Politikern und Journalisten weltweit. Gründe dafür ließen sich vielfältig anführen. Der herausragendste ist sicherlich die Neuwahl des Präsidenten, die mit dem ersten Wahlgang im Oktober 2004 anstand. Die beiden aussichtsreichsten Bewerber für das höchste Amt in der Ukraine, Viktor Juschtschenko und Wiktor Janukowytsch, könnten unterschiedlicher nicht sein. Ersterer verkörpert den Wunsch nach einem demokratischen Neuanfang in großen Teilen der Bevölkerung und letzterer wird als Vertreter der „alten“ Nomenklatur nicht von ungefähr als Protegé Moskaus und der ostukrainischen Oligarchen bezeichnet. Unabhängig von dieser Thematik stellt die Ukraine ein wichtiges Bindeglied zwischen Russland, der EU sowie westasiatischen und südosteuropäischen Staaten und Staatensystemen dar, ohne bereits selbst ihren Platz darin gefunden zu haben.
Mit der vorliegenden Arbeit versucht der Autor sich der Frage zu nähern, ob – und wenn ja – warum die Ukraine sowohl für den Westen, hier repräsentiert durch die EU, als auch den Osten, vornehmlich verkörpert durch Russland, zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine solch hohe Bedeutung auf unterschiedlichen Politikfeldern genießt. Weshalb ist einerseits die EU an einer weiterführenden Demokratisierung und wirtschaftlichen Modernisierung des südosteuropäischen Landes interessiert, Russland an einer engeren sicherheits- und wirtschafts-, ja nicht zuletzt allgemeinpolitischen (Ver-) Bindung mit der traditionell zum russischen Einflussbereich gehörenden Ukraine? Welchen Einfluss nehmen geografische Lage, wirtschaftliche und politische Verfasstheit, Ressourcen und externe Einflüsse auf die Beziehungen Russlands und der EU zur Ukraine?
Inwiefern unterscheiden sich die Ziele westeuropäischer und russischer Politik in der Ukraine und welche Interessen verfolgen, welchen Strategien unterliegen sie? Welche Perspektiven bieten beide Einflussgruppen für die Ukraine hinsichtlich der Mehrung von wirtschaftlichem Wohlstand und demokratischer Selbstbestimmung? Wie verhielt sich demgegenüber die ukrainische Regierung bisher und welche Perspektiven könnte die neue unter Ministerpräsidentin Julia Timoschenko eröffnen?
Darauf und auf weitere sich aus dem Kontext ergebende Fragen versucht die Arbeit Antworten zu geben, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit und endgültige Bewertung zu erheben.
1.2 Aufbau
Zunächst gibt der Autor einen knappen einordnenden und bewertenden Überblick über – vornehmlich in Deutschland publizierte – Literatur zum Thema und bezieht sich dabei weitestgehend auf Aufsätze und Artikel in Zeitschriften und Zeitungen sowie ausgewählte Monographien (Kapitel 1.3).
Daran schließt sich ein Abriss der innen- und außenpolitischen Entwicklung in der Ukraine seit 1994/ 1999[1] an (Kapitel 2). Er erscheint dem Autor für die Einordnung der Entstehung der politischen Turbulenzen um die Jahreswende 2004/ 2005 sowie des Einflusses von russischen und EU-Interessen auf die ukrainische Politik von besonderer Bedeutung.
Schwerpunktmäßig widmet sich die Arbeit danach den wirtschafts- und sicherheitspolitischen Einflussnahmeversuchen Russlands (Kapitel 3.1) und der Europäischen Union (Kapitel 3.2) in den 1990er Jahren und seit der Jahrtausendwende und deren Bewertung vor dem Hintergrund z.T. divergierender Interessen auf eben jenen Politikfeldern beider Akteure im Kontext der internationalen Entwicklungen sowie genuin ukrainischer Interessenkonstellationen, die zu keiner Zeit weder einseitig pro Russland oder pro EU – dies sei vorweg genommen – ausfielen.
In der sich anfügenden Schlussbetrachtung unternimmt der Autor nach einer Zusammenfassung (Kapitel 4.1) den Versuch, einen kurzen Ausblick (Kapitel 4.2) über mögliche Perspektiven der Ukraine im Kräftefeld zwischen Russland und der Europäischen Union zu skizzieren.
Den Abschluss der Arbeit bildet ein ausführliches Literaturverzeichnis (Kapitel 5).
1.3 Forschungsstand
Die Aufmerksamkeit der Publizistik erregte die Ukraine in den zurückliegenden Jahren seit der Erklärung der Unabhängigkeit von der Sowjetunion am 24.08.1991[2] mehrfach. Die Gründe liegen in der ambivalenten Entwicklung zwischen autoritären und demokratischen Bestrebungen ihrer politischen Führung und verstärkten Versuchen Russlands, eigene wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen über die Einwirkung auf die ukrainische Innenpolitik geltend zu machen.[3] Dem gegenüber stehen v.a. polnische Stabilisierungs- und Modernisierungsunterstützung von Staat und Verwaltung sowie abwartende und wenig enthusiastische Zusammenarbeitsbekundungen ohne einheitliche und nachhaltige Strategie von Seiten der EU.[4] Ebenso von Bedeutung für wissenschaftlich-publizistisches Interesse an der Ukraine ist ihre geografische Lage für den Öl- und Gastransfer zwischen Russland und v.a. der EU.
Die zukünftig steigende Brisanz, die sich im Rückgang fossiler Brennstoffe bei zunehmendem Bedarf, v.a. in den Transformationswirtschaften Mittelosteuropas, Indiens oder Chinas, verbirgt, wird von zahlreichen Autoren zu Recht vor dem Hintergrund internationaler Bedrohungsszenarien erkannt und gewürdigt.[5]
Regelmäßig widmet sich die Zeitschrift „Osteuropa“ einer politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Positionsbestimmung der Ukraine.[6]
Auch das u.a. von Werner Weidenfeld herausgegebene „Jahrbuch der Europäischen Integration“ fasst relevante Informationen periodisch unter einer mittlerweile zur Institution gewordenen Rubrik zusammen. Die Spezifizierung der Ausführungen auf „Russland, die Ukraine (, Moldova) und Belarus“[7] – im Gegensatz zur vormaligen Bezeichnung „Russland und die westlichen GUS-Staaten“[8] – hebt den Bedeutungszuwachs der osteuropäischen Staaten zwischen der neuen EU-Außengrenze und Russland sowie deren möglicherweise zu Tage tretendes Potenzial für Konflikte hervor.
Zum grundlegenden Verständnis der politischen Entscheidungsprozesse und der verfassungsrechtlichen Konstitution der unabhängigen Ukraine nach dem Zerfall des „Ostblocks“ sei der bereits mehrfach zitierte Aufsatz von Ellen Bos[9] im von Wolfgang Ismayr herausgegebenen Standardwerk „Die politischen Systeme Osteuropas“ sowie zur Illustration der Beziehungen zwischen Europäischer Union und der Ukraine der von Iris Kempe[10] im von Werner Weidenfeld 2002 herausgegebenen sog. „EuropaHandbuch“ angeführt.
Über den Zwiespalt, den russische und westeuropäische Einflussnahmeversuche innerhalb der Ukraine sowohl in der Politik, als auch in der Bevölkerung hervorrufen, unterrichten zwei Aufsätze[11], die von der Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlicht wurden, schnörkellos und präzise.
2 Die politische Entwicklung in der Ukraine seit 1994/ 1999
2.1 Innenpolitische Entwicklung seit 1999
Mit der Wahl eines neuen Präsidenten am 31.10.1999 stand die Ukraine vor keinem grundlegenden Wandel mehr wie noch 1994, als sich Leonid Kutschma gegen Leonid Krawtschuk durchsetzte. Damals lag im ersten Wahlgang Krawtschuk noch knapp vor Kutschma. Dieser konnte das Rennen um den Einzug in den Präsidentenpalast dann aber für sich entscheiden. Leonid Krawtschuk, der aus der ersten freien Wahl zum Präsidenten der Ukraine am 01.12.1991 als vormaliger Funktionär der Kommunistischen Partei siegreich bereits im ersten Wahlgang hervorgegangen war, wurde aus dem Amt gedrängt und der Weg für den Wechsel geebnet.
Am 14.11.1999 sah sich Leonid Kutschma im zweiten Gang der Wahl um das Amt des Präsidenten der Ukraine keinem vergleichbar ebenbürtigen Kontrahenten gegenüber, wie er es selbst 1994 für Krawtschuk gewesen war. Der Kandidat der Kommunistischen Partei, Pjotr Simonenko, erreichte lediglich rd. 38 Prozent der Stimmen, während sich Kutschma deutlich mit mehr als 56 Prozent durchsetzen konnte. Im ersten Durchgang gelang es keinem der angetretenen Kandidaten, die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu erringen. Ein interessantes Detail aus der Zeit zwischen den beiden Wahlgängen stellte die Entlassung sämtlicher Gouverneure aus den Regionen, die für andere Kandidaten als Kutschma gestimmt hatten, dar. Kutschma nutzte auf diese Weise seinen ganzen Einfluss, um seine Wiederwahl abzusichern. U.a. wurden lokale Behörden angewiesen, Oppositionskandidaten Wahlkampfauftritte zu verweigern, Medien und ihm weniger positiv geneigte Unternehmer durch Brandschutzinspektionen und Steuerprüfungen massivem Druck ausgesetzt. Im Gegenzug köderte er die Bevölkerung durch die Nachzahlung von Lohn- und Rentenschulden oder die Erhöhung staatlicher Stipendien für Studenten. Ähnliches sollte sich im Herbst und Winter 2004 wiederholen.
Bei seiner Vereidigung am 01.12.1999 kündigte Kutschma politische und wirtschaftliche Reformen an und nahm für sich in Anspruch, dass „er sich als völlig neuer Präsident erweisen werde“[12]. Eine erste Niederlage erlitt Kutschma aber bereits zwei Wochen später, als der von ihm vorgeschlagene bisherige – und nach Kutschmas Plänen auch zukünftige – Premierminister Pustowojtenko – erstmalig in der Geschichte der Ukraine seit der Unabhängigkeit 1991 – nicht die erforderliche Mehrheit im Parlament erhielt. Alternativ schlug Kutschma daraufhin den früheren Nationalbankchef Viktor Juschtschenko vor, der am 22.12.1999 vom Parlament bestätigt wurde. Juschtschenko, der bereits damals zum kleinen Kreis ernstzunehmender Reformer in der Ukraine zählte, trieb in der Folgezeit eine bemerkenswerte Politik voran, die bald zu wirtschaftlicher Erholung, aber auch zu Unmut bei den Kommunisten und Oligarchen führte, bekämpften er und die damalige Vizepremierministerin Julia Timoschenko doch energisch Korruption und Vetternwirtschaft, die „Zweige“ der ukrainischen Ökonomie, die international über ein zweifelhaftes Renommee verfüg(t)en.[13] Es gelang ihm weiterhin, die Landreform umzusetzen und das Kolchosensystem aus der Sowjetzeit aufzulösen. Die Mehrheit der ukrainischen Bauern kam wieder zu Landbesitz, was in der Folgezeit die Produktivität auf diesem Sektor merklich steigern half. Außerdem stieg die gesamtwirtschaftliche Produktivität in den Jahren 2000 und 2001 jeweils um mehr als 5 Prozent. Erstmals in der Zeit nach der Unabhängigkeit erreichte die Ukraine 2000/ 2001 eine positive Handelsbilanz und obwohl die Zahl der Pensionsempfänger seit 1993 eine Verdopplung erfahren hatte, gelang es sämtliche staatliche Pensionsschulden zu begleichen. Dringend notwendige systemische Veränderungen auf diesem Gebiet unterblieben allerdings weitgehend.
Die kurze Phase innerstaatlicher Reformen in Wirtschaft und Verwaltung brach mit dem Erfolg eines Misstrauensvotums durch die Gegner Juschtschenkos von Seiten der Kommunisten und Oligarchen – nachdem auch Kutschma ihm das Vertrauen entzogen hatte – am 26.04.2001 in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, ab. Mit Anatolij Kinach wurde am 29.05.2001 der Nachfolger Juschtschenkos vom Parlament gewählt.
Als Vorsitzender des Ukrainischen Unternehmer- und Industriellenverbandes galt Kinach als enger Vertrauter Kutschmas und konnte v.a. auf Seiten der Oligarchen, aus deren Kreis er selbst entstammt, Unterstützer finden. Allerdings blieb ihm deswegen ein schnelles Ende in seiner Funktion als Ministerpräsident nicht erspart. Bereits am 16.11.2002 entließ ihn Kutschma wegen angeblicher Untätigkeit in Sozialfragen. Dieses Vorgehen deutet allerdings vielmehr auf die Beibringung eines Bauernopfers für jahrelang unterlassene Modernisierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen im ukrainischen Pensions- und Rentensystem hin, für die Kutschma selbst mit fortdauernder Untätigkeit innerhalb der Bevölkerung zur Verantwortung gezogen werden konnte, was er durchaus erkannte.
Am 22.11.2002 wählte die Werchowna Rada mit Wiktor Janukowytsch, dem bisherigen Gouverneur des Donezk-Gebietes, den nunmehr siebten Premierminister unter Kutschmas Präsidentschaft. Kutschmas Gegner im Parlament blieben der Abstimmung jedoch fern. Janukowytsch gehört dem sog. Donezker Clan an, der die Machtstrukturen des gleichnamigen Territoriums in der Ukraine kontrolliert und aus der sowjetischen Industrie-Nomenklatur hervorging. Ihm, dem neuen Ministerpräsident, aber auch den im „Donezker Clan“ zusammengeschlossenen Oligarchen, kann der Wunsch nach einer weiterführenden Demokratisierung des Landes abgesprochen werden, im Gebiet Donezk existiert beispielsweise praktisch keine ernstzunehmende Opposition. Wiktor Janukowytsch – unterstützt von Vladimir Putin persönlich –, der zunächst von Kutschma als Gegenkandidat zu Viktor Juschtschenko für das Amt des Präsidenten zur im Oktober 2004 anstehenden Wahl aufgebaut wurde, dann aber dessen Vertrauen mehr und mehr verlor[14], ging aus der Wahl nach zahlreichen Manipulationen und Unregelmäßigkeiten als Verlierer hervor und legte, nach vergeblichen Anfechtungsklagen[15] gegen das Wahlergebnis, am 05.01.2005[16] sein Amt als ukrainischer Ministerpräsident nieder.
Der Marathon um das höchste ukrainische Staatsamt begann im Oktober 2004 mit dem ersten Durchgang der Wahl des neuen ukrainischen Präsidenten. Leonid Kutschma blieb eine weitere Kandidatur für das Präsidentenamt aufgrund verfassungsrechtlicher Beschränkungen auf maximal zwei Amtsperioden verwehrt. Im Vorfeld der Wahl trug sich dieser allerdings mit dem Gedanken, eine Verfassungsänderung in Erwägung zu ziehen, um Juschtschenkos befürchteten Sieg zu verhindern, wovon er schlussendlich Abstand nahm. Mit einem Sieg desselben mussten Vertreter der bisherigen Regierung mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen[17], sind doch u.a. Einzelheiten des Mordes an dem regierungskritischen Journalisten Georgi Gongadse noch immer ungeklärt. Kutschma selbst könnte sich als möglicher Auftraggeber der Tat verantworten müssen. Mitschnitte eines Gespräches mit dem damaligen Innenminister sowie dem Leiter der Präsidialverwaltung belasten ihn schwer, am Tode Gongadses im September 2000 mitschuldig zu sein.[18]
Im ersten Wahldurchgang im Herbst 2004 gingen Wiktor Janukowytsch und Viktor Juschtschenko als die Kandidaten mit den meisten Stimmen hervor – keiner der beiden erhielt aber die erforderliche absolute Mehrheit –, weshalb es am 21.11.2004 zu einer Stichwahl kam. Hierbei trugen sich internationalen Beobachtern zufolge zahlreiche Unstimmigkeiten bis hin zu massiven Fälschungen zu, die das Oberste Gericht der Ukraine dazu veranlassten, eine Wiederholung des Wahlganges für den 26.12.2004 anzusetzen.[19] Aus der ersten Stichwahl war Wiktor Janukowytsch wegen umfangreicher Manipulationen noch als Gewinner hervor gegangen, was u.a. wegen vorher veröffentlichter gegenteiliger Umfrageergebnisse zu großangelegten Protestaktionen, v.a. im Westen der Ukraine, führte. Sie wurden als die sog. Orangene Revolution bekannt. Diese sowie internationaler Druck mögen mitverantwortlich für das Gerichtsurteil vom 03.12.2004 gewesen sein, zeichnete sich das Oberste Gericht der Ukraine in der letzten Amtsperiode Kutschmas doch nicht immer als neutraler Garant der verfassungsrechtlichen Bestimmungen aus. Die wiederholte Stichwahl am 26.12.2004 entschied Viktor Juschtschenko mit 51,99 Prozent gegenüber 44,19 Prozent zugunsten Wiktor Janukowytschs klar – wenn auch nicht so klar, wie erwartet – für sich.[20] Am 04.02.2005 wählte das ukrainische Parlament, nach vorheriger Verschiebung des Termins, Julia Timoschenko zur neuen Ministerpräsidentin.[21] Ihr wird eine bedeutende Rolle – nicht nur – im Wahlkampf Juschtschenkos beigemessen, gilt sie doch als eine seiner treuesten – wenn auch am wenigsten berechenbaren – Unterstützer.[22]
[...]
[1] Die unterschiedlichen Jahre (1994 resp. 1999) beruhen in ihrer Auswahl hinsichtlich der beiden Komponenten nationalstaatlichen Handelns (Außen- vs. Innenpolitik) auf thematischer Relevanz.
[2] Vgl. Bos, Ellen: a.a.O., S. 470.
[3] Vgl. Osadczuk-Korab, Bohdan A.: Die Außen- und Innenpolitik der Ukraine in jüngster Zeit; in: Göttinger Arbeitskreis (Hrsg.): Abhandlungen des Göttinger Arbeitskreises. Rußland und die Ukraine nach dem Zerfall der Sowjetunion, Band 12, Berlin 1996, S. 163-180; vgl. auch: Clement, Hermann: Die Wirtschaft in der Ukraine: Probleme und Tendenzen; in: Göttinger Arbeitskreis (Hrsg.): Abhandlungen des Göttinger Arbeitskreises. Rußland und die Ukraine nach dem Zerfall der Sowjetunion, Band 12, Berlin 1996, S. 243-256.
[4] Vgl. Timmermann, Heinz: Zur Strategie der EU gegenüber den Neuen Nachbarn Ukraine und Belarus; in: Osteuropa, Nr. 11/ 2003, 53. Jahrgang, S. 1605-1622.
[5] Vgl. beispielsweise: O.V.: Strategische Partnerschaft. EU-Europa versus EU-Ost; in: Körber-Arbeitsstelle Russland/ GUS (Hrsg.): GUS-Barometer, September 2004, Nr. 36, 10. Jahrgang, S. 1-8; Krüger, Uwe: Der Poker um das Öl am Kaspischen Meer; in: IPG, Nr. 4/ 2003, S. 74-94; Saprykin, Vladimir: Subjekt oder Objekt? Die Ukraine und der Gastransit in die EU; in: Osteuropa, Nr. 9-10/ 2004, 54. Jahrgang, S. 250-262.
[6] Vgl. beispielhaft: Saprykin, Vladimir: a.a.O., S. 250-262; Stewart, Susan: Modell Ukraine? Thesen zum ethnopolitischen Frieden; in: Osteuropa, Nr. 12/ 2003, 53. Jahrgang, S. 1772-1788; Stoklosa, Katarzyna: Loboratorien der Einigung. Grenzregionen am EU-East-End; in: Osteuropa, Nr. 5-6/ 2004, 54. Jahrgang, S. 496-506; Timmermann, Heinz: a.a.O., S. 1605-1622.
[7] Vgl. Kempe, Iris: Nachbarschaftspolitik: Russland, Ukraine, Moldau und Belarus; in: Weidenfeld, Werner u.a. (Hrsg.): Jahrbuch der Europäischen Integration 2003/ 2004, S. 259-266; Kempe, Iris: Nachbarschaftspolitik: Russland, Ukraine und Belarus; in: Weidenfeld, Werner u.a. (Hrsg.): Jahrbuch der Europäischen Integration 2002/ 2003, S. 275-280.
[8] Kempe, Iris: Russland und die westlichen GUS-Staaten; in: Weidenfeld, Werner u.a. (Hrsg.): Jahrbuch der Europäischen Integration 2001/ 2002, S. 259-264; Rahr, Alexander: Russland und andere GUS-Staaten; in: Weidenfeld, Werner u.a. (Hrsg.): Jahrbuch der Europäischen Integration 2000/ 2001, S. 269-274.
[9] Bos, Ellen: a.a.O., S. 469-514.
[10] Kempe, Iris: Die Europäische Union und die Ukraine; in: Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Europa-Handbuch, Bonn 2002, S. 688-699.
[11] Durkot, Juri: EU oder GUS – Quo vadis, Ukraine?; in: KAS-Auslandsinformationen, Nr. 04/ 2003, S. 33-48; Wachsmuth, Ralf/ Igor Plaschkin: Die Ukraine: Ziel russischer Begehrlichkeit? Das Ergebnis der Duma-Wahlen löst in der Ukraine Sorgen aus; KAS-Länderberichte, St. Augustin 2003 (online: www.kas.de/druckanscht/dokument_druck.php?dokument_id=3597).
[12] Bos, Ellen: a.a.O., S. 480.
[13] Vgl. Ludwig, Michael: Die Schillernde. Julija Timoschenko, eine Frau mit Vergangenheit, kämpft für den Rechtsstaat Ukraine; in: FAS vom 02.01.2005, Nr. 53, S. 10.
[14] Vgl. o.V.: Kutschma: Janukowitsch sollte nicht antreten; in: FAZ vom 07.12.2004, Nr. 286, S. 1.
[15] Vgl. o.V.: Wahlanfechtung abgewiesen. Ukrainischer Premier Janukowitsch scheitert erneut; in: SZ vom 07.01.2005, Nr. 4, S. 6; vgl. auch: Urban, Thomas: Janukowitsch zurückgetreten. Ukrainischer Premier ficht Präsidentenwahl weiter an; in: SZ vom 03.01.2005, Nr. 1, S. 8; vgl. auch: Urban, Thomas: Wahlergebnis angefochten. Ukrainischer Premier Janukowitsch zieht vor Gericht; in: SZ vom 30.12.2004, Nr. 303, S. 7; vgl. auch: o.V.: Janukowytsch klagt gegen Niederlage. Ministerpräsident: Wahl verfassungswidrig – Mysteriöser Tod des Verkehrsministers; in: Die Welt vom 29.12.2004, Nr. 305, S. 7.
[16] Vgl. o.V.: Janukowitsch klagt gegen Wahlergebnis; in: FAZ vom 06.01.2005, Nr. 4, S. 2; vgl. auch: Quiring, Manfred: Der Weg für Juschtschenko ist frei. Wahlverlierer Janukowytsch gibt nach langem Zögern sein Amt als Premier auf – Ergebnis der Stichwahl bestätigt; in: Die Welt vom 03.01.2005, Nr. 1, S. 9.
[17] Vgl. Urban, Thomas: Tote reden nicht. In Kiew wird vermutet, dass die Morde an Janukowitsch-Vertrauten im Zusammenhang mit dem Wahlbetrug vom November zu sehen sind; in: SZ vom 29.12.2004, Nr. 302, S. 3.
[18] Vgl. Rahr, Alexander: Russland und andere GUS-Staaten; in: Weidenfeld, Werner u.a. (Hrsg.): Jahrbuch der Europäischen Integration 2000/ 2001, S. 269-274, hier: S. 273-274.
[19] Vgl. o.V.: Ukraine wählt noch einmal; in: FAS vom 25.12.2004/ 26.12.2004, Nr. 52, S. 1; vgl. auch: o.V.: OSZE plant Wahlbeobachtermission. Ukraine im Mittelpunkt des Treffens in Sofia. Kritik an Rußland; in: FAZ vom 07.12.2004, Nr. 286, S. 7.
[20] Vgl. Urban, Thomas: Wahlkommission erklärt Juschtschenko zu Sieger. Ukrainischer Oppositionsführer erhält 52 Prozent. Parlamentspräsident schließt Wiederholung der Stichwahl aus; in: SZ vom 29.12.2004, Nr. 302, S. 5; vgl. auch: Quiring, Manfred: Juschtschenko siegt bei Stichwahl in der Ukraine. Der Oppositionsführer liegt nach Auszählung von über 98 Prozent der Stimmen vorn. Janukowytsch will Wahlergebnis anfechten; in: Die Welt vom 28.12.2004, Nr. 304, S. 6; vgl. auch: o.V.: Juschtschenko gewinnt im dritten Anlauf. Ukrainischer Oppositionsführer erklärt sich zum Wahlsieger. Janukowytsch-Lager kündigt Klage an; in: Die Welt vom 28.12.2004, Nr. 304, S. 1.
[21] Vgl. o.V.: Große Mehrheit für Timoschenko; in: SZ vom 05./ 06.02.2005, Nr. 29, S. 8; vgl. auch: o.V.: Tymoschenko soll Regierung führen; in: SZ vom 02.01.2005, Nr. 304, S. 1.
[22] Vgl. Lau, Mariam: Fromme Bäuerin und Revolutionärin in Pumps. Julia Tymoschenko soll in der Ukraine Ministerpräsidentin werden; in: Die Welt vom 31.12.2004/ 01.01.2005, Nr. 307, S. 7; vgl. auch: Gnauck, Gerhard: „Profis, die nicht gestohlen haben“. Viktor Juschtschenko denkt über Kandidaten für die neue ukrainische Regierung nach; in: Die Welt vom 07.01.2005, Nr. 5, S. 7.
- Quote paper
- M.A. Michael Kunze (Author), 2005, Die Ukraine im Kontext externer wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Interessen , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75543
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